S 34 KR 264/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 264/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 27/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 24.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2016 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Liposuktion der Oberschenkel sowie eine Straffung des Mons Pubis als Sachleistung zu gewähren.

3. Es wird festgestellt, dass der Antrag auf eine Bruststraffung beidseits gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.

4. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Liposuktion der Oberschenkel vor Oberschenkelstraffung, eine Straffung des Mons Pubis sowie eine Bruststraffung beidseits als Sachleistung nach den Vorschriften des Fünften Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

Die 1968 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Im Jahr 2012 hatten die Klägerin und die Beklagte einen gerichtlichen Vergleich über die Übernahme der Oberarm- und Oberschenkelstraffung geschlossen.

Am 06.02.2014 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attests die Liposuktion, die Straffung des Mons Pubis sowie eine Bruststraffung beidseits.

Am 10.02.2014 teilte die Beklagte mit, dass sie eine Stellungnahme des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung in Hessen (MDK) einhole.

Die Klägerin wurde daraufhin zu einem Begutachtungstermin am 24.02.2014 eingeladen, zu dem sie jedoch nicht erschien.

Am 27.02.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie derzeit noch keine Entscheidung über den Antrag treffen könnten, da sie nicht zu dem Termin erschienen sei.

Mit Schreiben vom 03.03.2014 wurde die Klägerin erneut zur Begutachtung eingeladen zum 13.03.2014.

Am 17.03.2014 erstattete der MDK der Beklagten ein Gutachten. Die Liposuktion sei ein Eingriff im Bereich der ästhetischen Chirurgie, da dadurch die Körperkontur gebessert werden könne.

Mit Bescheid vom 24.03.2014 lehnte die Beklagte den Antrag unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 15.04.2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die beantragte Leistung nach § 13 Abs. 3a SGB V als genehmigt gelte. Es sei nicht innerhalb von fünf Wochen entschieden worden.

Am 07.05.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass die Leistungen nach § 13 Abs. 3a SGB V als genehmigt gelten.

Sie beantragt,
1. den Bescheid vom 24.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Liposuktion der Oberschenkel sowie eine Straffung des Mons pubis als Sachleistung zu gewähren,
2. festzustellen, dass der Antrag auf eine Bruststraffung beidseits gem. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Am 02.06.2014 der MDK der Beklagten erneut ein Gutachten erstattet. Er bleibt bei seiner Auffassung, dass die Liposuktion nicht medizinisch indiziert sei.

Am 18.03.2016 hat die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet abgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist zulässig zum einen als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und zum anderen als Feststellungsklage hinsichtlich der Bruststraffung, da über diesen Antrag im Bescheid vom 24.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2016 nicht mit entschieden wurde.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid vom 24.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Es ist eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V hinsichtlich der Liposuktion der Oberschenkel und der Straffung des Mons Pubis eingetreten, da die Beklagte nicht innerhalb von fünf Wochen über den Antrag der Klägerin entschieden hat.

Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über den Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachterlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6).

Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind im Hinblick auf die Überschreitung der Fünf-Wochen-Frist, die die Beklagte zwischen Antragseingang und Entscheidung einzuhalten gehabt hätte, erfüllt. Die Beklagte beschied den Antrag der Klägerin nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von fünf Wochen. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 06.02.2014 hinreichend bestimmt die Straffung des Mons Pubis sowie die Liposuktion der Oberschenkel. Die Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V begann vorliegend am 07.02.2014 und endete am 14.03.2014. Der Bescheid vom 24.03.2014 wurde somit nach Ende der Fünf-Wochen-Frist erlassen.

Die Schreiben vom 27.02.2014 und 03.03.2014 genügen nach Ansicht der Kammer nicht den Anforderungen des § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V, so dass es bei der Fünf-Wochen-Frist bleibt. Die Mitteilung muss nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R) (1.) die Aussage enthalten, dass die im Gesetz vorgesehene Entscheidungsfrist von drei bzw. fünf Wochen nicht eingehalten werden kann, sie muss (2.) einen hinreichenden Grund für die Verzögerung und (3.) die voraussichtliche Dauer der Verzögerung taggenau benennen (BSG, a.a.O. – juris Rn. 20). Im vorliegenden Fall enthält das Schreiben der Beklagten bereits nicht die Aussage, dass die gesetzlich vorgesehene Entscheidungsfrist nicht eingehalten werden kann. Auf diese Aussage kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn – wie hier – vom Leistungsberechtigten Mitwirkungshandlungen verlangt werden. Zwar mag es für den Leistungsberechtigten in diesen Fällen nahe liegen, dass eine Entscheidung der Krankenkasse jedenfalls nicht vor Erfüllung der verlangten Mitwirkung ergehen wird. Dies führt jedoch noch nicht zwangsläufig zu einem Entfallen oder einer Verlängerung der Frist. Für den Fall einer Versagung oder Entziehung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung verlangt § 66 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), dass der Leistungsberechtigte zuvor auf diese Folge (Versagung oder Entziehung der Leistung) schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Die Kammer geht unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 13 Abs. 3a SGB V und der gesetzlichen Wertung des § 66 Abs. 3 SGB I davon aus, dass auch im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V bei einem Mitwirkungsverlangen der Krankenkasse die fiktive Genehmigung nur dann nicht eintritt, wenn dem Leistungsberechtigten für seine Mitwirkung eine angemessene Frist gesetzt wurde und er auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung hingewiesen wurde. Im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V bedeutet dies, dass die Genehmigungsfiktion nicht automatisch entfällt oder erst später eintritt, wenn die Krankenkasse von dem Leistungsberechtigten eine Mitwirkung verlangt. Vielmehr tritt die fristgebundene Genehmigungsfiktion bei einer fehlenden Mitwirkung nur dann nicht ein, wenn die Krankenkasse den Leistungsberechtigten vor Ablauf der Drei- bzw. Fünf-Wochenfrist zu einer Mitwirkung auffordert, ihm eine Frist für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht setzt und darauf hinweist, dass jedenfalls bis zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht die gesetzlich vorgesehene Genehmigungsfiktion nicht eintritt (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03. November 2016 – L 5 KR 197/15 –, Rn. 17, juris). Hier fehlt es bereits am Hinweis auf die Entscheidungsfrist sowie einer Fristsetzung zur Mitwirkung, so dass es bei der Fünf-Wochen-Frist bleibt.

Nach Ansicht der Kammer sind auch die weiteren Voraussetzungen der Rechtsprechung des BSG (BSG, a.a.O.) erfüllt. Die begehrte Leistung der Klägerin ist fiktionsfähig. Nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) ist eine Leistung fiktionsfähig, wenn die Klägerin diese Leistung für erforderlich halten durfte und diese nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liege. Die Gesetzesregelung ordne diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirke eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen würden. Einerseits solle die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits solle sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des gesetzlichen Leistungskatalogs überwinde, die jedem Versicherten klar sein müsse (vgl. BSG, a.a.O. – juris Rn. 25-26).

Die beantragten Behandlungen als stationäre Krankenhausbehandlungen unterfallen nach ihrer Art dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Gegensatz zu ambulanten Leistungen normiert das SGB V keinen Erlaubnisvorbehalt, sondern in § 137c SGB V eine generelle Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für die keine negative Bewertung nach § 137c Abs. 1 SGB V – wie hier – vorliegt, dürfen von den Krankenhäusern zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Bei jeder Krankenhausbehandlung muss zuvor geprüft werden, ob die Behandlung medizinisch indiziert und notwendig ist. Eine Einzelfallprüfung entfällt jedoch bei den Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V, so dass es hier nicht auf die medizinische Notwendigkeit bei der Klägerin ankommen kann (vgl. BSG, a.a.O. – juris Rn. 32). Dass eine stationäre Hautstraffungsoperation keinesfalls eine medizinische Behandlung darstellen kann, kann nicht angenommen werden, so dass sie auch nicht offensichtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist (so auch SG Köln, Urteil vom 05.07.2016 – S 34 KR 717/14 – juris Rn. 42).

Das von der Beklagten angeführte Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.09.2016 (L 4 KR 320/16) kann die Kammer nicht überzeugen. Sowohl bei der ambulanten als auch stationären Liposuktion handelt es sich um Behandlungen, die (ausschließlich) von Ärzten erbracht werden und grundsätzliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung darstellen können. Dafür, dass die Liposuktion dem Grunde nach eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellen kann und nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs liegt, spricht insbesondere der Umstand, dass der Gemeinsame Bundesausschuss aktuell aufgrund eines Beschlusses vom 22.05.2014 (BAnz AT v. 01.04.2015 B4) im Hinblick auf diese Methode ein sektorenübergreifendes Bewertungsverfahren nach §§ 135, 137 c SGB V durchführt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die Liposuktion für nicht erforderlich halten durfte und ihr Begehren damit rechtsmissbräuchlich ist, sind nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung des BSG umfasst die Genehmigungsfiktion nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch den Sachleistungsanspruch. Dieser ermögliche auch dem mittellosen Versicherten, der nicht in der Lage sei, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, seinen Anspruch zu realisieren (vgl. BSG, a.a.O. – juris Rn. 25).

Die Feststellungsklage ist ebenfalls begründet. Die Klägerin hat in ihrem Antrag vom 06.02.2014 unter Vorlage des ärztlichen Attests auch eine Bruststraffung beidseits beantragt. Über diesen Antrag hat die Beklagte nicht entschieden. Bei dem Schreiben der Beklagten vom 10.02.2014 handelt es sich nicht um einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Wie oben bereits ausgeführt, wurde die Fünf-Wochen-Frist durch die Beklagte überschritten, so dass die Leistung ab diesem Zeitpunkt als genehmigt gilt. Ebenfalls sind die weiteren Voraussetzungen der Rechtsprechung des BSG (BSG, a.a.O.) erfüllt. Die Klägerin durfte aufgrund der ärztlichen Verordnung die Leistung für erforderlich halten und eine Bruststraffung liegt auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Was jedoch hinsichtlich der Bruststraffung einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V entgegenstehen könnte, ist der Umstand, dass die Klägerin möglicherweise im vor dem Landessozialgericht Hessen (Az: L 8 KR 222/11) geschlossenen Vergleich auf diese Leistung konkludent verzichtet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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