S 18 KR 83/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 83/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine laparoskopische Magen-Bypass-Operation als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine laparoskopische Magen-Bypass Operation hat.

Die 1968 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 01.10.2013 bei der Beklagten die Genehmigung einer laparoskopischen Magen-Bypass Operation unter Vorlage ärztlicher Unterlagen.

Am 04.10.2013 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens nach Untersuchung der Klägerin. Mit Schreiben vom 08.10.2013 übersandte der MDK der Klägerin einen Fragebogen zum Ausfüllen und bat um Übersendung einer psychiatrisch/psychotherapeutischen Stellungnahme bis zum 18.10.2103.

Am 17.10.2013 untersuchte der MDK die Klägerin. Bei einem BMI von 44kg/m² seien derzeit die Voraussetzungen für eine adipositas-chirurgische Maßnahme im Sinne einer Ultima ratio nicht erfüllt. Es sei zunächst die Durchführung einer multimodalen konservativen Therapie bestehend aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie unter der Leitung eines Ernährungsmediziners über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erforderlich.

Mit Bescheid vom 23.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dar, warum eine Ultima-Ratio-Situation gegeben sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 19.02.2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt schriftlich,
den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine bariatrische Operation zur Gewichtsreduktion als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, dies einschließlich der postoperativen Nachsorge.

Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt und weiter medizinischen Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Herrn Dr. C. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die schwere Gonarthrose des linken Knies eine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit und Beweglichkeit darstelle. Diese lasse sich medikamentös zwar lindern, die Klägerin leide aber unter den Beschwerden bereits bei normaler Belastung im Alltag. Die Behandlung der Arthrose erfolge derzeit mittels Krankengymnastik, eine Ausdauersportart sei nicht zumutbar und würde die Schwellneigung des Kniegelenkes infolge der hohen Gewichtsbelastung vermutlich verschlimmern. Eine sportliche Aktivität im Wasser wäre denkbar. Da die Klägerin jedoch nicht schwimmen könne, ergeben sich auch hier eine erhebliche Einschränkung. Belastungen im Sinne der Sporttherapie im Rahmen eines multimodalen Programms seien nicht zumutbar. Die Klägerin sei bisher nicht ausreichend vorbehandelt und aufgeklärt über die beantragte Operation. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.05.2016 stellt der Sachverständige fest, dass im Hinblick auf eine wirksame Behandlung der hochgradigen Adipositas eine ultima-ratio-Situation bezüglich der beantragten Operation gegeben sei. Die Indikationsstellung und Durchführung der Operation setzte jedoch eine umfassende Vorbereitung der Klägerin voraus. Dies sei zum Untersuchungszeitpunkt nicht der Fall gewesen. Konservative Therapieverfahren stünden zur Erzielung eines Behandlungserfolges nach heutigem Kenntnisstand nicht zur Verfügung.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass auch durch das eingeholte Gutachten ein Anspruch der Klägerin nicht begründet werde. Auch nach den Ausführungen des Sachverständigen bestehe bei einem BMI um 46 keine primäre Indikation zur beantragten bariatrischen Operation. Auch seien die notwendigen Vorbereitungen der Klägerin auf die Operation und die ernährungstherapeutischen postoperativen notwendigen Maßnahmen bisher nicht vorhanden. Eine Genehmigungsfiktion greife nicht ein, da diese nur bei einer Kostenerstattung, nicht aber bei einem Sachleistungsanspruch greife. In Hinblick auf die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (L1 KR 413/14), zu der noch die Revision anhängig sei (B 3 KR 4/16 R), könne von einer abschließenden Klärung nicht ausgegangen werden.

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 23.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin die beantragte Operation zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Klägerin einen Anspruch auf die Leistung.

Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 – 3 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V teilt die Krankenkasse, wenn sie die Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten kann, dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. (§ 13 Abs. 3a Satz 6 und 7 SGB V). Dabei erfasst die Genehmigungsfiktion nicht nur Kostenerstattungsansprüche, sondern ist auch auf die Erbringung von Sachleistungen gerichtet. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, juris, Rdnr. 25).

Die von der Klägerin beantragte laparoskopische Magenschlau-Operation galt wegen Fristablaufs am 22.10.2013 als genehmigt. Die Klägerin hat bei der Beklagten am 01.10.2013 einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Die beantragte Leistung liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, Rdnr. 26) sind nicht erkennbar. Aufgrund der fachlichen Befürwortung des Antrags durch die Hausärztin und die voraussichtlich operierenden Ärzte durfte die Klägerin die Behandlung für geeignet und erforderlich halten. Diesen Antrag hat die Beklagte nicht innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V entschieden, ohne der Klägerin hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen. Die Frist zur Entscheidung betrug drei Wochen und lief bis zum 22.10.2013. Zwar hat die Beklagte den MDK eingeschaltet, so dass nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V eine Frist von fünf Wochen hätte gelten können. Dies setzt aber voraus, dass die Beklagte die Klägerin über die Einschaltung des MDK und die sich daraus ergebenden längere Entscheidungsfrist taggenau informiert. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.

Darüber hinaus ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, dass die Klägerin unabhängig vom Eintritt der Genehmigungsfiktion auch einen Anspruch auf die beantragte Leistung hat. Der gerichtliche Sachverständige hat festgestellt, dass die laparoskopische Magen-Bypass Operation die einzig verbliebene Therapieoption für die Klägerin ist. Er hat insbesondere nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen die Klägerin nicht in der Lage ist, eine Sporttherapie im Rahmen eines multimodalen Programms durchzuführen. Dass die Klägerin noch nicht ausreichend über die Operation aufgeklärt ist, steht dem nicht entgegen. Es ist Aufgabe des operierenden Arztes die Klägerin vor dem Eingriff umfassend aufzuklären. Dies schließt aber nicht die grundsätzlich bestehende Notwendigkeit für den Eingriff aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved