L 1 KR 32/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 32/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Unterstellung einer Bevollmächtigung für Ehegatten, Lebenspartner oder Verwandte nach § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG gilt nur, wenn sich aus den Umständen des Falles Nichts ergibt, was gegen eine solche Bevollmächtigung spricht.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. September 2002 wird als unzulässig verworfen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Überprüfungsverfahren ist die Höhe des Krankengeldes der Klägerin in der Zeit vom 3. Juni 1993 bis 20. Oktober 1994 streitig.

Hierbei geht es insbesondere um die Berücksichtigung einer im Februar 1993 erfolgten Gehaltszahlung ihrer früheren Arbeitgeberin in Höhe von 516,84 DM, durch die diese von der Klägerin nicht genommenen Urlaub des Jahres 1992 abgalt.

Die 1943 geborene Klägerin stand vom 4. Februar 1991 bis 21. August 1993 bei der Firma K. in einem Arbeitsverhältnis als Verkäuferin. Ab dem 22. April 1993 war sie arbeitsunfähig. Sie bezog bis 2. Juni 1993 Entgeltfortzahlung und - mit Ausnahme dreier Augusttage (14., 19. und 21.) des Jahres 1993, an denen sie arbeitete und ihr Krankengeldanspruch ruhte - von der Beklagten Krankengeld vom 3. Juni 1993 bis zur Anspruchserschöpfung am 20. Oktober 1994. Hierbei legte die Beklagte für die Zeit vom 3. Juni 1993 bis 31. März 1994 ein tägliches Krankengeld von 32,12 DM (Bescheid vom 29. Juni 1993) und für die Zeit vom 1. April bis 20. Oktober 1994 ein tägliches Krankengeld von 33,55 DM zu Grunde (Bescheid vom 7. April 1994). Die Klägerin beanstandete die Höhe des Krankengeldes nicht.

Am 26. Oktober 1998 beantragte sie die Überprüfung der Krankengeldhöhe. Sie hatte im Januar 1993 von der K. AG 1.399,10 DM, im Februar 1993 1.355,61 DM und im März 1993 857,24 DM netto erhalten. Die entsprechenden Bruttobeträge hatten 1.711,16 DM, 1.657,63 DM und 1.044,26 DM betragen. In diesen Monaten hatte die Klägerin 94, 61,5 und 56 Stunden gearbeitet. Die Februarzahlung 1993 enthielt nach den Angaben der Arbeitgeberin vom 6. November 1998 und 21. Januar 1999 eine einmalige Zahlung in Höhe von 516,84 DM brutto für bezahlte Urlaubstage. Diese Zahlung hatte die Beklagte, weil es sich um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt handele, bei der Krankengeldzahlung nicht berücksichtigt. In der Folge vertrat die Klägerin die Auffassung, es handele sich bei den 516,84 DM nicht um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt. Nach der telefonischen Auskunft der Arbeitgeberin vom 5. Januar 1999 wurde Urlaubsentgelt in Höhe von 516,84 DM gezahlt, da Urlaubstage nicht in Anspruch genommen worden seien.

Im Schreiben an die Klägerin vom 8. Januar 1999 ging die Beklagte für die Monate Januar und März 1993 von Bruttobeträgen von 1.711,16 DM und 1.044,26 DM (Nettobeträge: 1.399,10 und 857,24 DM) aus, für den Februar 1991 aber nur von einem Bruttoarbeitsentgelt von 1.140,79 DM (netto: 926,89 DM), weil sie den Betrag von 516,84 DM für Urlaubsabgeltung nicht berücksichtigte. Sie gewährte der Klägerin, indem sie im Wege der Überprüfung das Krankengeld aus anderen Gründen neu berechnete, für die Zeit vom 3. Juni 1993 bis 31. März 1994 bzw. vom 1. April 1994 bis 20. Oktober 1994 höheres Krankengeld (täglich 34,25 DM statt 32,12 DM bzw. 35,77 DM statt 33,55 DM). Die Verzinsung des Nachzahlungsbetrages in Höhe von netto 939,10 DM (brutto 1.072,35 DM minus 133,25 DM RV/AV-Beiträge) lehnte sie ab.

Die Beklagte fasste ihre Entscheidung schließlich in den förmlichen Bescheid vom 11. Februar 1999. Den hiergegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 29. September 1999 zurück. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1995 (1 BvR 892/88, BVerfGE 92,53) zu § 227 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988 und die ab 1. Januar 1997 geltende Vorschrift des § 47a SGB V führten zu keiner anderen Entscheidung.

Hiergegen richtet sich die 8. Oktober 1999 erhobene Klage. Mit ihr hat die Klägerin eingeräumt, dass die K. AG ihr mittlerweile mitgeteilt habe, dass es sich bei der Zahlung von 516,84 DM im Februar 1993 um eine Urlaubsabgeltung für nicht gewährten Urlaub im Jahre 1992 gehandelt habe. Da sie im Februar 1993 nur 61,5 Stunden gearbeitet habe, hätten genügend freie Tage zur Verfügung gestanden, um die 516,84 DM als bezahlten Urlaub zu verbuchen. Der Betrag sei deshalb als laufendes Arbeitsentgelt zu betrachten. Im Klageverfahren hat der Ehemann der Klägerin eine auf das Verfahren S 23 KR 563/99 (S 37 KR 563/99) bezogene Vollmacht vom 5. Juni 2001 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 6. September 2002, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, abgewiesen.

Gegen das ihr am 21. September 2002 zugestellte Urteil hat ihr Ehemann am 8. Oktober 2002 Berufung eingelegt. Er ist mit Verfügung vom 9. Dezember 2002 um Übersendung einer Prozessvollmacht seiner Ehefrau, der Klägerin, für das Berufungsverfahren gebeten worden, weil sich seine im Schriftsatz vom 5. Juli 2001 enthaltene Vollmacht nur auf die Sache S 23 KR 563/99 (S 37 KR 563/99) und damit nur auf das erstinstanzliche Verfahren beziehe. Auf die gerichtliche Erinnerung vom 7. Februar 2003 hat er um Übersendung des Gesetzestextes gebeten, aus dem hervorgehe, dass eine neue Prozessvollmacht erforderlich sei. Das Gericht hat ihn mit Verfügung vom 3. März 2003 darauf hingewiesen, dass sich die bisherige Vollmacht (Schreiben vom 5. Juni 2001) ausdrücklich nur auf das Verfahren S 23 KR 563/99 (geändert in S 37 KR 563/99) und nicht auf ein etwaiges Berufungsverfahren beziehe. Zwar könne bei Ehegatten die Bevollmächtigung unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Da seine Ehefrau, die Klägerin, die Vollmacht aber ausdrücklich nur auf die 1. Instanz ausgestellt habe, begehre das Gericht die Vorlage einer Vollmacht, die sich ausdrücklich auch auf das Berufungsverfahren erstrecke. Der Ehemann der Klägerin hat daraufhin unter dem 24. März 2003 erwidert, aus keiner Silbe der Vollmacht vom 5. Juni 2001 gehe hervor, dass sich diese nur auf die1. Instanz beziehe. Das Gericht möge doch erst einmal einen Termin ansetzen, dann werde es schon noch sehen, ob es bei dieser Vollmacht verbleibe. Mit der Ladung vom 16. Juli 2003 zum Termin am 27. August 2003 ist dem Ehemann mitgeteilt worden, dass nach wie vor auf der Vorlage einer Vollmacht für das Berufungsverfahren bestanden werde. Ihm ist eine Frist zur Vorlage der Vollmacht bis zum 5. August 2003 gesetzt worden. Die gewünschte Vollmacht ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2003, in der weder die Klägerin noch ihr Ehemann erschienen sind, nicht vorgelegt worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. September 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1999 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Änderung der Bescheide vom 29. Juni 1993 und 7. April 1994 für die Zeit vom 3. Juni 1993 bis 20. Oktober 1994 (mit Ausnahme des 14., 19. und 21. August 1993) höheres Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat durfte trotz des Ausbleibens der Klägerin und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil beide ordnungsgemäß geladen und mit der Ladung darauf hingewiesen worden sind, dass auch im Falle ihres Ausbleibens entschieden werden könne (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist zwar statthaft (§143 SGG) und bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht der Zulassung. Es ist zum einen davon auszugehen, dass die begehrte Einbeziehung von 516,84 DM in den Lohnabrechnungszeitraum bei einem Anspruch von 495 Tagen insgesamt zu einem höheren Krankengeldanspruch als 500 EUR (1.000 DM) führen würde. Zum anderen betrifft die Berufung auch wiederkehrende bzw. laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die frist- und formgerechte Berufung (§ 151 SGG) ist aber unzulässig. Denn sie ist von einem vollmachtslosen Vertreter eingelegt worden. Dieser Mangel ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2003 nicht geheilt worden.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG können sich die Beteiligten in jeder Lage des Verfahrens durch prozessfähige Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Vollmacht ist schriftlich zu erteilen und zu den Akten bis zur Verkündung der Entscheidung einzureichen; sie kann auch zur Niederschrift des Gerichts erteilt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 1 SGG). Diese Voraussetzungen liegen für die am 8. Oktober 2002 eingelegte Berufung der Klägerin nicht vor. Es ist für das Berufungsverfahren keine gesonderte Vollmacht für den Ehemann der Klägerin vorgelegt worden. Es liegt lediglich die am 7. Juni 2001 beim Sozialgericht eingegangene, auf ihn ausgestellte Vollmacht vom 5. Juni 2001 vor, mit der die Klägerin ihm Vollmacht erteilt hat, sie "in der Sache S 23 KR 563/99", die später in die Zuständigkeit der Kammer 37 übergegangen ist, "zu vertreten". Diese Vollmacht, die keinen Hinweis enthält, dass sie die Einlegung eines Rechtsmittels einschließt, genügt den über § 153 Abs. 1 SGG auch für das Berufungsverfahren geltenden Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 SGG nicht. Sie lässt nicht erkennen, dass sich ihr Umfang auch auf das Rechtsmittelverfahren erstreckt. Dies ist aber erforderlich, um von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung ausgehen zu können (vgl. §§ 73 Abs. 4 Satz 1 SGG, 81, 84 - 86 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Zwar kann bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie die Bevollmächtigung unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 SGG), so dass von der Einreichung einer schriftlichen Vollmacht sogar abgesehen werden kann. Das Gericht ist dazu aber nicht verpflichtet. Bei § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Das Gericht darf deshalb nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der ohne schriftliche Vollmacht auftretende Vertreter eines Beteiligten immer eine wirksame Vollmacht besitze, nur weil er der Ehemann, Lebenspartner oder ein Verwandter in gerader Linie des Beteiligten ist (vgl. Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz vom 3. Februar 1972 – L 5 Lw 17/71, GVLAK RdSchr AH 24/72). In der Unterstellung einer Prozessvollmacht bei Ehegatten, Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie gem. § 73 Abs. 2 SGG liegt weder eine Prozessführungsbefugnis kraft Gesetzes noch eine Fiktion der Bevollmächtigung. Das Gericht kann jederzeit eine schriftliche Vollmacht anfordern und muss dies im Zweifelsfall tun (vgl. Bayerisches LSG vom 18. September 1997 – L 14 Ar 152/97, E-LSG SF-040). Hat das Gericht folglich - wie hier - Zweifel, ob der Ehegatte das Berufungsverfahren im Einverständnis oder mit Wissen des klagenden Versicherten betreibt, so kann es gleichwohl die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht fordern. Dies gilt auch dann, wenn sich aus der in der ersten Instanz vorgelegten Vollmachturkunde nicht zweifelsfrei ergibt, ob sich der Umfang der Vollmacht auch auf das Berufungsverfahren erstreckt. So liegt der Fall hier.

Da sich die Vollmacht vom 5. Juni 2001 vom Wortlaut nur auf das Klagverfahren erstreckte, lag keine zweifelsfreie Vollmacht für das Berufungsverfahren vor. Eine solche ist trotz der nach § 89 ZPO gebotenen und erfolgten Fristsetzung weder in der gesetzten Frist noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden. Die Prozesshandlungen des Ehemannes der Klägerin waren mangels Vollmacht schwebend unwirksam und sind, weil die angeforderte Vollmacht nicht vorgelegt worden ist, unwirksam geblieben. Die Berufung ist deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Ist die Berufung aber unzulässig, hat eine Sachentscheidung nicht mehr zu ergehen. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass er nicht zu erkennen vermag, dass die Zahlung der Urlaubsabgeltung von 516,84 DM im Februar 1993 (einmalig gezahltes Arbeitsentgelt) bei der Berechnung des Krankengeldes berücksichtigungsfähig sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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