Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 AS 12274/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2832/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 120/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2015 werden zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin auch die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Einkommen aus einer Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit der Klägerin als Bezirksverordnete.
Die 1965 geborene, alleinstehende Klägerin ist seit 2006 Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung F-K (BVV) und erhielt laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II. Die Wahl zur BVV und den Bezug einer Aufwandsentschädigung teilte sie dem Beklagten im Jahr 2006 mit. Nach einer internen Stellungnahme der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg vom 27. März 2006 handelte es sich entsprechend der späteren Weisung vom 21. Januar 2008 bei der Aufwandsentschädigung für BVV-Mitglieder um privilegiertes Einkommen.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 6. Oktober 2011, mit dem sie angab, nicht über Einkommen oder sonstige Einnahmen zu verfügen, mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 für die Zeit vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 742 EUR. Mit Änderungsbescheid vom 3. November 2011 unter Berücksichtigung der Mitteilung der Klägerin, zum 1. November 2011 über ein monatliches Arbeitsentgelt von 180 EUR aus einer Beschäftigung zu verfügen, reduzierte der Beklagte den Leistungsbetrag für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 30. April 2012 um 64 EUR und setzte diesen mit Änderungsbescheid vom 26. November 2011 für denselben Zeitraum unter Anpassung des erhöhten Regelbedarfssatzes ab 1. Januar 2012 (374 EUR) neu fest.
Auf den nachfolgenden Weiterbewilligungsantrag der Klägerin bewilligte ihr der Beklagte mit Bescheid vom 2. April 2012 für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Berücksichtigung des von ihr ausschließlich angegebenen Erwerbseinkommens von 180 EUR in Höhe von 688 EUR monatlich.
Mit ihrem Weiterbewilligungsantrag vom 15. Oktober 2012 gab die Klägerin auf die im überarbeiteten Antragsvordruck (Anlage EK – 04.2012) enthaltene Frage zur Ausübung einer u.a. ehrenamtlichen Tätigkeit und ggf. dem Bezug einer steuerfreien Aufwandsentschädigung ihre Tätigkeit als Bezirksverordnete sowie den Erhalt einer Grundentschädigung von 335 EUR zuzüglich Fahrgeldentschädigung in Höhe von 41 EUR für August 2012 (Abrechnung der BVV vom 31. Juli 2012) an.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 bewilligte ihr der Beklagte vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November 2012 bis 30. April 2013 in Höhe von insgesamt 688 EUR.
Mit zwei Änderungsbescheiden vom 13. November 2012 für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 und vom 1. November 2012 bis 30. April 2013 erkannte der Beklagte einen höheren Unterkunftsbedarf der Klägerin an und berücksichtigte für August 2012 die Einkünfte aus der Bezirksverordnetentätigkeit, welches er im Widerspruchsverfahren mit Abhilfebescheid vom 13. Dezember 2012 zurücknahm mit dem Hinweis auf eine erneute Prüfung.
Dem Widerspruch der Klägerin gegen eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung (Bescheid vom 25. Januar 2013; Erstattungssumme 1.134 EUR) für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2011 half der Beklagte ab.
Mit weiterem Bescheid vom 25. Januar 2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 10. Oktober 2011 in der Fassung der im Einzelnen genannten Änderungsbescheide für die Zeit vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 teilweise in Höhe von monatlich 189 EUR auf und forderte eine Erstattung von insgesamt 1.150 EUR.
Mit einem dritten Bescheid vom 25. Januar 2013 hob er den Bescheid vom 3. April 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 teilweise in Höhe von monatlich 193 EUR auf und forderte die Erstattung von insgesamt 1.158 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2013 hinsichtlich der Leistungszeiträume vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 und vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück mit der wesentlichen Begründung: Die Klägerin habe in Bezug auf den Bewilligungszeitraum vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 grob fahrlässig ihre Mitteilungspflicht in Bezug auf den Anspruch auf Grundentschädigung, der nach der konstituierenden Sitzung der BVV am 26. Oktober 2011 entstanden sei, verletzt. Zwar seien die nachfolgenden Änderungsbescheide von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil die Grundentschädigung – bereinigt – bedarfsmindernd hätte berücksichtigt werden müssen. Die Klägerin könne sich aber nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie in wesentlicher Beziehung sowie hinsichtlich ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht habe. Die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012 sei teilweise der Höhe nach rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin zu jener Zeit die Wahl zur BVV bereits angenommen habe. Sie habe erkennen können, dass sie hätte sämtliche Einkünfte angeben müssen, die dann auf ihren Anspruch nach Einkommensbereinigung anzurechnen gewesen wären. Der Klägerin sei grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil auch in den bisherigen Antragsformularen nach "sonstigen Einnahmen" gefragt worden sei; es habe nicht ihr oblegen zu bewerten, ob es sich bei der Bezirksverordnetenentschädigung um bedarfsminderndes Einkommen handelte. Der Beklagte habe jedenfalls keinen Anlass zur Nachfrage gehabt, ob die Klägerin auch für die neue Legislaturperiode zur BVV gewählt worden sei und hieraus Einkünfte erzielte.
Mit Bescheid vom 30. April 2013 hob der Beklagte die Bescheide vom 18. Oktober, 13. November, 24. November, 13. Dezember und 17. Dezember 2012 auf und bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2013 Leistungen in Höhe von monatlich 559 EUR unter Berücksichtigung der bereinigten Einkommen aus dem Arbeitsentgelt und der BVV-Tätigkeit. Mit weiterem Bescheid vom 30. April 2013 gewährte er der Klägerin vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2013 unter Berücksichtigung dieser Einkommen in Höhe von 599 EUR monatlich. Zum 30. Juni 2013 endete das geringfügige Arbeitsverhältnis der Klägerin, welches der Beklagte mit vorläufigem Bescheid vom 15. Mai 2013 für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 31. Oktober 2013 berücksichtigte.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin (Schreiben vom 4. Oktober 2013) hinsichtlich der Bescheide betreffend die Leistungszeiträume vom 1. November 2012 bis 31. Oktober 2013 ab. Die Aufwandsentschädigung setze sich aus der Grundentschädigung, den Sitzungsgeldern und der Fahrgeldentschädigung zusammen. Hinsichtlich der Grundentschädigung handele es sich, wie bereits höchstrichterlich entschieden sei (BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R –), um keine zweckbestimmte Leistung. Für November und Dezember 2012 sei die Aufwandsentschädigung bislang gar nicht vom Bedarf abgesetzt worden. Im Übrigen seien die Freibeträge zutreffend berücksichtigt worden, so dass kein Zugunstenbescheid ergehen dürfe.
Ihre am 17. Mai 2013 (S 82 AS 12274/13), 4. Oktober 2013 (S 172 AS 23854/13) und 13. Februar 2014 (S 27 AS 5073/14) vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klagen hat das SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Das SG hat sodann mit Urteil vom 4. November 2015 die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 25. Januar 2013 in Bezug auf die Leistungszeiträume vom 1. November 2011 bis 31. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2014 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beklagte habe mit den Bescheiden vom 25. Januar 2013 zu Unrecht die zugrunde liegenden Leistungsbescheide aufgehoben und die Erstattung von Leistungen gefordert. Bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide vom 3. November und 26. November 2011 sei die Klägerin für die neue Legislaturperiode in die BVV gewählt worden, weshalb ein Anspruch auf die Grundentschädigung bestanden habe, so dass die Bewilligungen von Anfang an rechtswidrig gewesen seien. Es handle sich bei der Aufwandsentschädigung – wie zu Recht höchstrichterlich entschieden worden sei – nicht um eine zweckbestimmte Einnahme; verfassungsrechtliche Bedenken beständen insofern nicht. Die Klägerin habe zwar die ihr obliegende Mitteilungspflicht verletzt. Sie könne sich aber auf Vertrauensschutz berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung ab 1. November 2011 nicht mindestens infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, wie eine intensive Befragung in der mündlichen Verhandlung ergeben habe. Ihr gutgläubiges Vertrauen in die Richtigkeit der Leistungsberechnungen, welches darauf beruhe, dass ihr vom Beklagten mitgeteilt worden sei, dass Aufwandsentschädigungen für Mitglieder der BVV nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet würden, könne nicht als grob fahrlässig angesehen werden. Es habe darüber hinaus eine Weisung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg vom 21. Januar 2008 bestanden, wonach eine Anrechnung nicht erfolgen solle. Hierauf vertrauend habe sie entsprechende Angaben in den Weiterbewilligungsanträgen unterlassen. Dies sei vom Beklagten auch für die vorangehende Legislaturperiode (2006 bis 2011) nicht beanstandet worden. Zwar sei die Klägerin grundsätzlich zu vollständigen Angaben verpflichtet. Eine im Einzelfall abweichende Wertung sei aber vor dem Hintergrund geboten, dass sich der Klägerin keine konkreten Zweifel hätten aufdrängen müssen, nachdem sie gewohnheitsmäßig auf der Grundlage einer vom Beklagten gegebenen Auskunft gehandelt habe. Sie habe auch keine als grob fahrlässig zu wertende Veranlassung gehabt, anzunehmen, dass sich die Verwaltungspraxis angesichts des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – geändert habe, nachdem in den entsprechenden Antragsvordrucken unveränderte pauschal nach sonstigen Einnahmen gefragt worden sei. Erst mit den überarbeiteten Formularen sei nach der Ausübung eines Ehrenamtes gefragt worden, woraufhin die Klägerin ihre Tätigkeit als Bezirksverordnete und den Bezug der Grundentschädigung unverzüglich angegeben habe. Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand der Leistungsbewilligungen sei auch unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig gewesen. Bei dieser Sachlage scheide eine Erstattung überzahlter Leistungen aus. Die Überprüfungsbescheide (Bescheid vom 6. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2013 und der Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014) seien dagegen rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, dass ihr unter Abänderung der zugrundeliegenden Bewilligungs-, Änderungs- und Widerspruchsbescheide für den Zeitraum vom 1. November 2012 bis 31. Oktober 2013 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung der von ihr bezogenen Aufwandsentschädigung für ihre Tätigkeit als Bezirksverordnete bewilligt würden. Sie sei zwar im streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach nach dem SGB II anspruchsberechtigt gewesen. Die bewilligten Leistungen seien aber der Höhe nach nicht zu beanstanden. Insbesondere die Aufwandsentschädigung sei, wie bereits höchstrichterlich entschieden, keine zweckbestimmte Einnahme, die von der Berücksichtigung als Einkommen auszunehmen wäre. Dies sei auch unter Berücksichtigung ihrer politischen Tätigkeit als Mandatsträgerin nicht zu beanstanden.
Gegen das Urteil richten sich die Berufungen des Beklagten und der Klägerin.
Der Beklagte macht geltend, die Klägerin habe erkennen müssen, dass sie verpflichtet war, sämtliche Einnahmen anzugeben. Die Antragsvordrucke seien auch seinerzeit klar und unmissverständlich gewesen. Sie hätte – zumal angesichts ihrer Kenntnisse als Bezirksverordnete – nicht darauf vertrauen dürfen, dass Einnahmen im Rahmen der BVV-Tätigkeit auch zukünftig nicht angerechnet würden. Mit im Intranet veröffentlichter, geänderter Weisungslage ab 11. April 2011 habe sich in Bezug auf die Aufwandsentschädigungen die Verwaltungspraxis des Beklagten geändert. Hätte die Klägerin ihr Einkommen aus der BVV-Tätigkeit angegeben, hätte er aufgrund der nunmehr geltenden Weisungslage eine entsprechende Entscheidung getroffen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 4. November 2015 zu ändern, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 4. November 2015 zu ändern, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, den Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr unter Änderung der Bescheide vom 30. April 2013 in der Fassung des Bescheides vom 15. Mai 2013 für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Oktober 2013 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne Anrechnung der Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit als Bezirksverordnete zu bewilligen.
Sie trägt vor, vor Kenntnis von dem überarbeiteten Weiterbewilligungsantrag vom 15. Oktober 2012 habe sie keine Veranlassung gehabt, die Einkünfte aus dem Ehrenamt anzugeben. Der Beklagte selbst habe die Änderung der Verwaltungspraxis aufgrund des Urteils des BSG vom 26. Mai 2011 erst mit deutlicher Verspätung vorgenommen. Insofern könne sie sich auf Vertrauen berufen. Dass sich die Verwaltungspraxis des Beklagten geändert habe, sei ihr erst im Oktober 2012 aufgrund der neuen Antragsformulare bewusst geworden. Die Auskunft vom 27. März 2006 habe letztlich auf ihrer Kandidatur zur BVV beruht, weil zu klären gewesen wäre, ob Aufwandsentschädigungen für BVV-Mitglieder auf das Arbeitslosengeld II angerechnet würden. Diese Auskunft sei durch eine entsprechende Weisung der Regionaldirektion Brandenburg vom 12. Januar 2008 bekräftigt worden. Im Übrigen habe der Beklagte die Nichtangabe der Aufwandsentschädigung in der gesamten Legislaturperiode zuvor geduldet, obgleich er von der Tätigkeit der Klägerin als Bezirksverordnete Kenntnis hatte. Indes sei auch in den Folgezeiträumen die Aufwandsentschädigung nicht als Einkommen anzurechnen, weil ihre Tätigkeit als BVV-Mitglied unmittelbar im Verfassungsrecht seine Wurzeln habe und es sich daher um eine zweckbestimmte Einnahme handle, die die Ausübung des Mandats gewährleisten solle. Die Offenlegung ihrer Hilfebedürftigkeit bewirke einen ungerechtfertigten und gleichheitswidrigen Eingriff in ihre politische Arbeit als demokratisch gewählte Volksvertreterin. Selbiges gelte für die Pflicht, Auslagen über 200 EUR nachweisen zu müssen. Dies begründe darüber hinaus eine Ungleichbehandlung gegenüber BVV-Mitgliedern, die einer entsprechenden Kontrolle ihrer politischen Arbeit nicht ausgesetzt seien. Die Klägerin sei auch in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit eingeschränkt, da sie die Aufwandsentschädigung anstelle der ihr andernfalls gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einsetzen müsse.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Berufungen sowohl der Klägerin als auch des Beklagten sind unbegründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.
Gegenstand der Berufung des Beklagten sind die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 25. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2013 wegen einer Gesamtforderungshöhe von 2.308 EUR. Diese Bescheide sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG); das SG hat sie daher zu Recht aufgehoben.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der zugrunde liegenden Leistungsbewilligungen für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 31. Oktober 2012 ist § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz Nr. 2 und 3, Abs. 4 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X –, § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – SGB III. Die hiermit geregelten Voraussetzungen für eine Rücknahme eines unanfechtbaren, rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit sind nicht sämtlich erfüllt.
Zwar sind die Bescheide in formeller Hinsicht (§§ 24, 33 SGB X) nicht zu beanstanden. Die ursprünglichen Bewilligungsbescheide waren auch von Anfang an rechtswidrig, indem auf die dem Grunde nach gemäß §§ 7, 9, 11 SGB II der erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Klägerin zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ihre Einnahmen aus der Tätigkeit als Bezirksverordnete nicht angerechnet wurden. Bei der wegen der BVV-Tätigkeit gezahlten Aufwandsentschädigung handelt es sich nicht um zweckbestimmte Einnahmen i.S.d. § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II (idF der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. 1 S. 850] der seit dem 1. April 2011 geltenden Fassung; vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – juris Rn. 18 bereits zu § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II a.F.). Danach sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen. Solches ist bei der der Klägerin geleisteten Aufwandsentschädigung nicht der Fall.
Das Amt der Bezirksverordneten ist eine ehrenamtliche Tätigkeit, für die diese nach § 11 Abs. 4 Bezirksverwaltungsgesetz Berlin (idF vom 10. November 2011, GVBl. 2011, 692) eine Aufwandsentschädigung erhalten. Im Einzelnen geregelt ist diese im Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen, der Bürgerdeputierten und sonstiger ehrenamtlich tätiger Personen (vom 29. November 1978; GVBl. 1978, 2214 – DepEntschG BE 1978 –) sowie in der dazu gehörenden Verordnung. Gemäß § 1 DepEntschG BE 1978 erhalten die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen nach Maßgabe dieses Gesetzes Aufwandsentschädigung und Erstattung der Dienstreisekosten. Die Aufwandsentschädigung setzt sich zusammen aus der Grundentschädigung, den Sitzungsgeldern und der Fahrgeldentschädigung. Aus § 2 DepEntschG BE 1978 folgt, dass die Grundentschädigung der Bezirksverordneten monatlich 15 vom Hundert der Entschädigung beträgt, die ein Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin nach § 6 Abs. 1 des Landesabgeordnetengesetzes erhält; der Betrag ist auf den nächsten durch fünf teilbaren Betrag abzurunden. Sie wird gezahlt von dem Tage des ersten Zusammentritts der Bezirksverordnetenversammlung an bis zum Ende des Monats, in dem die Wahlperiode abläuft (§ 5 Abs. 2 Satz 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes). Zum 1. Januar 2013 erhöhte sich die Grundentschädigung der Bezirksverordneten auf 345 EUR ausweislich einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 4. Dezember 2012. Den zugrundeliegenden Regelungen lässt sich ein weitergehender Zweck als die – wegen des Ausfalls anderweitiger Erwerbsmöglichkeiten – Sicherung des Lebensunterhalts nach Absetzung der notwendigen Aufwendungen nicht entnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – juris Rn. 18 f.). Bereits für die frühere, bis zum 31. März 2011 geltende Rechtslage haben die für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) gefordert, dass die Leistungen zu einem ausdrücklich genannten Verwendungszweck gewährt werden muss, der über den durch die Zahlung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II verfolgten Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts hinausgeht, wie es für den seit 1. April 2011 geltenden § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II ausdrücklich geregelt worden ist. Einen abweichenden Verwendungszweck hat das BSG etwa für die Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) angenommen, weil in den §§ 1, 11 Abs. 1 BAföG als zwei nebeneinander ausdrücklich genannten Zweckbestimmungen sowohl die Deckung des Lebensunterhalts während der Ausbildung als auch die Deckung der Kosten der Ausbildung genannt werden; verneint wurde dies andererseits für das Ausbildungsgeld, weil sich weder in dem Wortlaut der Regelungen noch entstehungsgeschichtlich Anhaltspunkte dafür fanden, dass der Gesetzgeber mit dem Ausbildungsgeld eine besondere, über die Lebensunterhaltssicherung hinausgehende Zwecksetzung verfolgt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 KG 2/14 R – juris Rn. 21 m.w.N.).
Gegebenenfalls verfassungsrechtlich bedenkliche Wertungswidersprüche zum Steuerrecht, die unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung nicht hinzunehmen wären, ergeben sich hierdurch nicht. Eine "echte" Steuerbefreiung in Höhe eines Pauschalbetrages ist mit § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG nicht verbunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – a.a.O. Rn. 20). Wie im Übrigen vom SG ausführlich dargelegt worden ist, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (vgl. § 153 Abs. 2 SGG), wird auch im Übrigen Verfassungsrecht aufgrund der bereinigten Anrechnung der Aufwandsentschädigung nicht verletzt. Insbesondere beeinträchtigt der Nachweis der Hilfebedürftigkeit auch im Umfang der behaupteten notwendigen Ausgaben nicht das politische Mandat der Klägerin. Sie verkennt insofern, dass sie als Bezirksverordnete keine Sonderstellung in Bezug auf Leistungen der Existenzsicherung, die nachweislich Hilfebedürftigkeit voraussetzen, genießt.
Zwar regelt § 330 Abs. 2 SGB III, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese – im Wege einer gebundenen Entscheidung, also ohne Ermessen – auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Indes kann sich die Klägerin, wie vom SG zutreffend entschieden, auf Vertrauen berufen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dahinstehen kann, ob die zweifellos unvollständigen Angaben der Klägerin hinsichtlich ihrer BVV-Einnahmen kausal die Rechtswidrigkeit der Leistungsbescheide angesichts einer ab April 2011 geänderten Weisungslage verursacht haben. Hiergegen könnte sprechen, dass diese Weisungslage – wie sich auch aus den der Klägerin gegenüber im Laufe des Jahres 2011 ergangenen Leistungsbescheiden ergibt, tatsächlich verwaltungsintern erst später umgesetzt wurden. Denn auch zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin die ihr obliegende Mitteilungspflicht nicht grob fahrlässig verletzt, was sich nach ihrer persönlichen und zweifelsohne ausgeprägten Urteils- und Kritikfähigkeit, ihrem Einsichtsvermögen und Verhalten richtet sowie nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, dh eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 – 7 Rar 13/79 – aaO juris Rn. 27).
Wie vom SG ausführlich dargelegt worden ist, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls verwiesen wird (vgl. § 153 Abs. 2 SGG), ist nach den hier gegebenen konkreten Umständen des Einzelfalls eine grobe Fahrlässigkeit im vorstehenden Sinne einer besonders groben und subjektiv schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung der Klägerin zu verneinen. Dem Beklagten war, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, seit 2006 für die bis Anfang 2011 andauernde Wahlperiode die Tätigkeit der Klägerin als Bezirksverordnete und der Bezug der daraus folgenden Grundentschädigung bekannt. Den Beteiligten war bewusst, dass die Nichtanrechnung der Aufwandsentschädigung nach einem längeren Prozess der Diskussion im Wege der gängigen Verwaltungspraxis gehandhabt wurde. Sie entsprach für die jedenfalls bis Anfang 2011 geltenden Bewilligungszeiträume der generellen Weisungslage des Beklagten. Zu Recht hat das SG insofern ausgeführt, dass es grundsätzlich zwar der Klägerin obliegt, sämtliche Fragen in den Antragsvordrucken vollständig zu beantworten, welches sie hinsichtlich der schon vor den geänderten Antragsvordrucken erfragten Einnahmen unstreitig unterlassen hat. Auch entbinden sie subjektive Fehler in der rechtlichen Würdigung nicht von der Verpflichtung zu insgesamt vollständigen Angaben. Gleiches gilt für eine vermeintlich schon zuvor bestehende Kenntnis des Leistungsträgers – hier von der BVV-Tätigkeit –, auf die sich der Antragsteller grundsätzlich nicht berufen kann. Indes vertraute sie auf eine entsprechende, durch Bewilligungsbescheide seit 2006 kontinuierlich angewandte und auch ihr gegenüber kommunizierte Verwaltungspraxis, ohne dass die Nichtangabe ihrer – seinerzeit bekannten – BVV-Einnahmen bis zum Ablauf der Wahlperiode seitens des Beklagten je beanstandet wurde. Bei dieser – aus den konkreten Umständen des vorliegenden Falls – sich ergebenden Sachlage kann ihr, wie vom SG entschieden, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Selbiges gilt für eine vermeintlich grob fahrlässig fehlende Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheide (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X), die sich ihr vorliegend nicht aufdrängen musste, zumal die neue Weisungslage tatsächlich auch seitens des Beklagten ihr gegenüber nicht umgesetzt worden war.
Hiernach liegen, wie ebenfalls zutreffend vom SG entschieden worden ist, die Voraussetzungen für die geltend gemachten Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 SGB X nicht vor, so dass die Bescheide, wie geschehen, insgesamt zu kassieren waren.
Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls unbegründet. Gegenstand insoweit ist der Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 (der den früheren Überprüfungsbescheid vom 6. Juni 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2013 hinsichtlich des Zeitraums von November 2011 bis April 2013 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X ersetzt hat) in Bezug auf die Bewilligungszeiträume vom 1. Januar bis 31. Oktober 2013, nachdem für November und Dezember 2012 keine Anrechnung der BVV-Entschädigung erfolgt ist. Auch insofern ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden. Der allein noch gegenständliche Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Der Beklagte hat es zu Recht im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X abgelehnt, der Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 2013 höhere Leistungen unter Änderung der Bescheide vom 30. April 2013 in der Fassung des Bescheides vom 15. Januar 2013 nach dem SGB II ohne Anrechnung der bezogenen BVV-Aufwandsentschädigung zu gewähren. Zwar steht der mit Bescheid vom 30. April 2013 für den Zeitraum bis zum 30. April 2013 vorgenommenen Aufhebung früherer Bescheide und der hiermit vorgenommenen Bewilligung geringerer Leistungen unter (bereinigter) Anrechnung auch der BVV-Entschädigung grundsätzlich das Verbot der Verböserung im Widerspruchsverfahren entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/11b AS 67/06 – juris Rn. 18). Indes lagen hier – anders als im früheren Zeitraum – die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor (vgl. BSG, a.a.O.). Denn der Klägerin war, wie sie selbst im Verfahren eingeräumt hat, jedenfalls seit Oktober 2012 und zumindest auf der Grundlage der neuen Antragsformulare bewusst, dass eine anteilige Anrechnung der Aufwandsentschädigung zu erfolgen hätte, welches der Beklagte mit dem diesen Zeitraum betreffenden endgültigen Bescheid vom 13. November 2012 (in der Fassung der Bescheide vom 24. November, 13. Dezember und 17. Dezember 2012) lediglich hinsichtlich der von ihr nachgewiesenen Aufwandsentschädigung für August 2012 umgesetzt hatte. Bei dieser Sachlage muss davon ausgegangen werden, dass sie die Rechtswidrigkeit der mit Bescheid vom 30. April 2013 aufgehobenen früheren Bescheide hinsichtlich der Nichtanrechnung der Aufwandsentschädigung kannte bzw. nach ihrer subjektiven Erkenntnismöglichkeit zumindest grob fahrlässig nicht kannte. Im Übrigen wird wegen der Frage der grundsätzlichen Anrechenbarkeit der Aufwandsentschädigung auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Eine Korrektur der Bescheide wegen einer fehlerhaften Berechnung der der Klägerin zustehenden Leistungen hat nicht zu erfolgen. Fehler hinsichtlich der Höhe der Leistungsberechnung insbesondere der Höhe der Anrechnung des bereinigten Einkommens sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Einkommen aus einer Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit der Klägerin als Bezirksverordnete.
Die 1965 geborene, alleinstehende Klägerin ist seit 2006 Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung F-K (BVV) und erhielt laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II. Die Wahl zur BVV und den Bezug einer Aufwandsentschädigung teilte sie dem Beklagten im Jahr 2006 mit. Nach einer internen Stellungnahme der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg vom 27. März 2006 handelte es sich entsprechend der späteren Weisung vom 21. Januar 2008 bei der Aufwandsentschädigung für BVV-Mitglieder um privilegiertes Einkommen.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 6. Oktober 2011, mit dem sie angab, nicht über Einkommen oder sonstige Einnahmen zu verfügen, mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 für die Zeit vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 742 EUR. Mit Änderungsbescheid vom 3. November 2011 unter Berücksichtigung der Mitteilung der Klägerin, zum 1. November 2011 über ein monatliches Arbeitsentgelt von 180 EUR aus einer Beschäftigung zu verfügen, reduzierte der Beklagte den Leistungsbetrag für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 30. April 2012 um 64 EUR und setzte diesen mit Änderungsbescheid vom 26. November 2011 für denselben Zeitraum unter Anpassung des erhöhten Regelbedarfssatzes ab 1. Januar 2012 (374 EUR) neu fest.
Auf den nachfolgenden Weiterbewilligungsantrag der Klägerin bewilligte ihr der Beklagte mit Bescheid vom 2. April 2012 für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Berücksichtigung des von ihr ausschließlich angegebenen Erwerbseinkommens von 180 EUR in Höhe von 688 EUR monatlich.
Mit ihrem Weiterbewilligungsantrag vom 15. Oktober 2012 gab die Klägerin auf die im überarbeiteten Antragsvordruck (Anlage EK – 04.2012) enthaltene Frage zur Ausübung einer u.a. ehrenamtlichen Tätigkeit und ggf. dem Bezug einer steuerfreien Aufwandsentschädigung ihre Tätigkeit als Bezirksverordnete sowie den Erhalt einer Grundentschädigung von 335 EUR zuzüglich Fahrgeldentschädigung in Höhe von 41 EUR für August 2012 (Abrechnung der BVV vom 31. Juli 2012) an.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 bewilligte ihr der Beklagte vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November 2012 bis 30. April 2013 in Höhe von insgesamt 688 EUR.
Mit zwei Änderungsbescheiden vom 13. November 2012 für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 und vom 1. November 2012 bis 30. April 2013 erkannte der Beklagte einen höheren Unterkunftsbedarf der Klägerin an und berücksichtigte für August 2012 die Einkünfte aus der Bezirksverordnetentätigkeit, welches er im Widerspruchsverfahren mit Abhilfebescheid vom 13. Dezember 2012 zurücknahm mit dem Hinweis auf eine erneute Prüfung.
Dem Widerspruch der Klägerin gegen eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung (Bescheid vom 25. Januar 2013; Erstattungssumme 1.134 EUR) für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2011 half der Beklagte ab.
Mit weiterem Bescheid vom 25. Januar 2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 10. Oktober 2011 in der Fassung der im Einzelnen genannten Änderungsbescheide für die Zeit vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 teilweise in Höhe von monatlich 189 EUR auf und forderte eine Erstattung von insgesamt 1.150 EUR.
Mit einem dritten Bescheid vom 25. Januar 2013 hob er den Bescheid vom 3. April 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 teilweise in Höhe von monatlich 193 EUR auf und forderte die Erstattung von insgesamt 1.158 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2013 hinsichtlich der Leistungszeiträume vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 und vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück mit der wesentlichen Begründung: Die Klägerin habe in Bezug auf den Bewilligungszeitraum vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 grob fahrlässig ihre Mitteilungspflicht in Bezug auf den Anspruch auf Grundentschädigung, der nach der konstituierenden Sitzung der BVV am 26. Oktober 2011 entstanden sei, verletzt. Zwar seien die nachfolgenden Änderungsbescheide von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil die Grundentschädigung – bereinigt – bedarfsmindernd hätte berücksichtigt werden müssen. Die Klägerin könne sich aber nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie in wesentlicher Beziehung sowie hinsichtlich ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht habe. Die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012 sei teilweise der Höhe nach rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin zu jener Zeit die Wahl zur BVV bereits angenommen habe. Sie habe erkennen können, dass sie hätte sämtliche Einkünfte angeben müssen, die dann auf ihren Anspruch nach Einkommensbereinigung anzurechnen gewesen wären. Der Klägerin sei grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil auch in den bisherigen Antragsformularen nach "sonstigen Einnahmen" gefragt worden sei; es habe nicht ihr oblegen zu bewerten, ob es sich bei der Bezirksverordnetenentschädigung um bedarfsminderndes Einkommen handelte. Der Beklagte habe jedenfalls keinen Anlass zur Nachfrage gehabt, ob die Klägerin auch für die neue Legislaturperiode zur BVV gewählt worden sei und hieraus Einkünfte erzielte.
Mit Bescheid vom 30. April 2013 hob der Beklagte die Bescheide vom 18. Oktober, 13. November, 24. November, 13. Dezember und 17. Dezember 2012 auf und bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2013 Leistungen in Höhe von monatlich 559 EUR unter Berücksichtigung der bereinigten Einkommen aus dem Arbeitsentgelt und der BVV-Tätigkeit. Mit weiterem Bescheid vom 30. April 2013 gewährte er der Klägerin vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2013 unter Berücksichtigung dieser Einkommen in Höhe von 599 EUR monatlich. Zum 30. Juni 2013 endete das geringfügige Arbeitsverhältnis der Klägerin, welches der Beklagte mit vorläufigem Bescheid vom 15. Mai 2013 für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 31. Oktober 2013 berücksichtigte.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin (Schreiben vom 4. Oktober 2013) hinsichtlich der Bescheide betreffend die Leistungszeiträume vom 1. November 2012 bis 31. Oktober 2013 ab. Die Aufwandsentschädigung setze sich aus der Grundentschädigung, den Sitzungsgeldern und der Fahrgeldentschädigung zusammen. Hinsichtlich der Grundentschädigung handele es sich, wie bereits höchstrichterlich entschieden sei (BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R –), um keine zweckbestimmte Leistung. Für November und Dezember 2012 sei die Aufwandsentschädigung bislang gar nicht vom Bedarf abgesetzt worden. Im Übrigen seien die Freibeträge zutreffend berücksichtigt worden, so dass kein Zugunstenbescheid ergehen dürfe.
Ihre am 17. Mai 2013 (S 82 AS 12274/13), 4. Oktober 2013 (S 172 AS 23854/13) und 13. Februar 2014 (S 27 AS 5073/14) vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klagen hat das SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Das SG hat sodann mit Urteil vom 4. November 2015 die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 25. Januar 2013 in Bezug auf die Leistungszeiträume vom 1. November 2011 bis 31. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2014 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beklagte habe mit den Bescheiden vom 25. Januar 2013 zu Unrecht die zugrunde liegenden Leistungsbescheide aufgehoben und die Erstattung von Leistungen gefordert. Bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide vom 3. November und 26. November 2011 sei die Klägerin für die neue Legislaturperiode in die BVV gewählt worden, weshalb ein Anspruch auf die Grundentschädigung bestanden habe, so dass die Bewilligungen von Anfang an rechtswidrig gewesen seien. Es handle sich bei der Aufwandsentschädigung – wie zu Recht höchstrichterlich entschieden worden sei – nicht um eine zweckbestimmte Einnahme; verfassungsrechtliche Bedenken beständen insofern nicht. Die Klägerin habe zwar die ihr obliegende Mitteilungspflicht verletzt. Sie könne sich aber auf Vertrauensschutz berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung ab 1. November 2011 nicht mindestens infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, wie eine intensive Befragung in der mündlichen Verhandlung ergeben habe. Ihr gutgläubiges Vertrauen in die Richtigkeit der Leistungsberechnungen, welches darauf beruhe, dass ihr vom Beklagten mitgeteilt worden sei, dass Aufwandsentschädigungen für Mitglieder der BVV nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet würden, könne nicht als grob fahrlässig angesehen werden. Es habe darüber hinaus eine Weisung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg vom 21. Januar 2008 bestanden, wonach eine Anrechnung nicht erfolgen solle. Hierauf vertrauend habe sie entsprechende Angaben in den Weiterbewilligungsanträgen unterlassen. Dies sei vom Beklagten auch für die vorangehende Legislaturperiode (2006 bis 2011) nicht beanstandet worden. Zwar sei die Klägerin grundsätzlich zu vollständigen Angaben verpflichtet. Eine im Einzelfall abweichende Wertung sei aber vor dem Hintergrund geboten, dass sich der Klägerin keine konkreten Zweifel hätten aufdrängen müssen, nachdem sie gewohnheitsmäßig auf der Grundlage einer vom Beklagten gegebenen Auskunft gehandelt habe. Sie habe auch keine als grob fahrlässig zu wertende Veranlassung gehabt, anzunehmen, dass sich die Verwaltungspraxis angesichts des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – geändert habe, nachdem in den entsprechenden Antragsvordrucken unveränderte pauschal nach sonstigen Einnahmen gefragt worden sei. Erst mit den überarbeiteten Formularen sei nach der Ausübung eines Ehrenamtes gefragt worden, woraufhin die Klägerin ihre Tätigkeit als Bezirksverordnete und den Bezug der Grundentschädigung unverzüglich angegeben habe. Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand der Leistungsbewilligungen sei auch unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig gewesen. Bei dieser Sachlage scheide eine Erstattung überzahlter Leistungen aus. Die Überprüfungsbescheide (Bescheid vom 6. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2013 und der Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014) seien dagegen rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, dass ihr unter Abänderung der zugrundeliegenden Bewilligungs-, Änderungs- und Widerspruchsbescheide für den Zeitraum vom 1. November 2012 bis 31. Oktober 2013 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung der von ihr bezogenen Aufwandsentschädigung für ihre Tätigkeit als Bezirksverordnete bewilligt würden. Sie sei zwar im streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach nach dem SGB II anspruchsberechtigt gewesen. Die bewilligten Leistungen seien aber der Höhe nach nicht zu beanstanden. Insbesondere die Aufwandsentschädigung sei, wie bereits höchstrichterlich entschieden, keine zweckbestimmte Einnahme, die von der Berücksichtigung als Einkommen auszunehmen wäre. Dies sei auch unter Berücksichtigung ihrer politischen Tätigkeit als Mandatsträgerin nicht zu beanstanden.
Gegen das Urteil richten sich die Berufungen des Beklagten und der Klägerin.
Der Beklagte macht geltend, die Klägerin habe erkennen müssen, dass sie verpflichtet war, sämtliche Einnahmen anzugeben. Die Antragsvordrucke seien auch seinerzeit klar und unmissverständlich gewesen. Sie hätte – zumal angesichts ihrer Kenntnisse als Bezirksverordnete – nicht darauf vertrauen dürfen, dass Einnahmen im Rahmen der BVV-Tätigkeit auch zukünftig nicht angerechnet würden. Mit im Intranet veröffentlichter, geänderter Weisungslage ab 11. April 2011 habe sich in Bezug auf die Aufwandsentschädigungen die Verwaltungspraxis des Beklagten geändert. Hätte die Klägerin ihr Einkommen aus der BVV-Tätigkeit angegeben, hätte er aufgrund der nunmehr geltenden Weisungslage eine entsprechende Entscheidung getroffen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 4. November 2015 zu ändern, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 4. November 2015 zu ändern, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, den Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr unter Änderung der Bescheide vom 30. April 2013 in der Fassung des Bescheides vom 15. Mai 2013 für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Oktober 2013 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne Anrechnung der Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit als Bezirksverordnete zu bewilligen.
Sie trägt vor, vor Kenntnis von dem überarbeiteten Weiterbewilligungsantrag vom 15. Oktober 2012 habe sie keine Veranlassung gehabt, die Einkünfte aus dem Ehrenamt anzugeben. Der Beklagte selbst habe die Änderung der Verwaltungspraxis aufgrund des Urteils des BSG vom 26. Mai 2011 erst mit deutlicher Verspätung vorgenommen. Insofern könne sie sich auf Vertrauen berufen. Dass sich die Verwaltungspraxis des Beklagten geändert habe, sei ihr erst im Oktober 2012 aufgrund der neuen Antragsformulare bewusst geworden. Die Auskunft vom 27. März 2006 habe letztlich auf ihrer Kandidatur zur BVV beruht, weil zu klären gewesen wäre, ob Aufwandsentschädigungen für BVV-Mitglieder auf das Arbeitslosengeld II angerechnet würden. Diese Auskunft sei durch eine entsprechende Weisung der Regionaldirektion Brandenburg vom 12. Januar 2008 bekräftigt worden. Im Übrigen habe der Beklagte die Nichtangabe der Aufwandsentschädigung in der gesamten Legislaturperiode zuvor geduldet, obgleich er von der Tätigkeit der Klägerin als Bezirksverordnete Kenntnis hatte. Indes sei auch in den Folgezeiträumen die Aufwandsentschädigung nicht als Einkommen anzurechnen, weil ihre Tätigkeit als BVV-Mitglied unmittelbar im Verfassungsrecht seine Wurzeln habe und es sich daher um eine zweckbestimmte Einnahme handle, die die Ausübung des Mandats gewährleisten solle. Die Offenlegung ihrer Hilfebedürftigkeit bewirke einen ungerechtfertigten und gleichheitswidrigen Eingriff in ihre politische Arbeit als demokratisch gewählte Volksvertreterin. Selbiges gelte für die Pflicht, Auslagen über 200 EUR nachweisen zu müssen. Dies begründe darüber hinaus eine Ungleichbehandlung gegenüber BVV-Mitgliedern, die einer entsprechenden Kontrolle ihrer politischen Arbeit nicht ausgesetzt seien. Die Klägerin sei auch in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit eingeschränkt, da sie die Aufwandsentschädigung anstelle der ihr andernfalls gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einsetzen müsse.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Berufungen sowohl der Klägerin als auch des Beklagten sind unbegründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.
Gegenstand der Berufung des Beklagten sind die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 25. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2013 wegen einer Gesamtforderungshöhe von 2.308 EUR. Diese Bescheide sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG); das SG hat sie daher zu Recht aufgehoben.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der zugrunde liegenden Leistungsbewilligungen für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 31. Oktober 2012 ist § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz Nr. 2 und 3, Abs. 4 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X –, § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – SGB III. Die hiermit geregelten Voraussetzungen für eine Rücknahme eines unanfechtbaren, rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit sind nicht sämtlich erfüllt.
Zwar sind die Bescheide in formeller Hinsicht (§§ 24, 33 SGB X) nicht zu beanstanden. Die ursprünglichen Bewilligungsbescheide waren auch von Anfang an rechtswidrig, indem auf die dem Grunde nach gemäß §§ 7, 9, 11 SGB II der erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Klägerin zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ihre Einnahmen aus der Tätigkeit als Bezirksverordnete nicht angerechnet wurden. Bei der wegen der BVV-Tätigkeit gezahlten Aufwandsentschädigung handelt es sich nicht um zweckbestimmte Einnahmen i.S.d. § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II (idF der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. 1 S. 850] der seit dem 1. April 2011 geltenden Fassung; vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – juris Rn. 18 bereits zu § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II a.F.). Danach sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen. Solches ist bei der der Klägerin geleisteten Aufwandsentschädigung nicht der Fall.
Das Amt der Bezirksverordneten ist eine ehrenamtliche Tätigkeit, für die diese nach § 11 Abs. 4 Bezirksverwaltungsgesetz Berlin (idF vom 10. November 2011, GVBl. 2011, 692) eine Aufwandsentschädigung erhalten. Im Einzelnen geregelt ist diese im Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen, der Bürgerdeputierten und sonstiger ehrenamtlich tätiger Personen (vom 29. November 1978; GVBl. 1978, 2214 – DepEntschG BE 1978 –) sowie in der dazu gehörenden Verordnung. Gemäß § 1 DepEntschG BE 1978 erhalten die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen nach Maßgabe dieses Gesetzes Aufwandsentschädigung und Erstattung der Dienstreisekosten. Die Aufwandsentschädigung setzt sich zusammen aus der Grundentschädigung, den Sitzungsgeldern und der Fahrgeldentschädigung. Aus § 2 DepEntschG BE 1978 folgt, dass die Grundentschädigung der Bezirksverordneten monatlich 15 vom Hundert der Entschädigung beträgt, die ein Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin nach § 6 Abs. 1 des Landesabgeordnetengesetzes erhält; der Betrag ist auf den nächsten durch fünf teilbaren Betrag abzurunden. Sie wird gezahlt von dem Tage des ersten Zusammentritts der Bezirksverordnetenversammlung an bis zum Ende des Monats, in dem die Wahlperiode abläuft (§ 5 Abs. 2 Satz 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes). Zum 1. Januar 2013 erhöhte sich die Grundentschädigung der Bezirksverordneten auf 345 EUR ausweislich einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 4. Dezember 2012. Den zugrundeliegenden Regelungen lässt sich ein weitergehender Zweck als die – wegen des Ausfalls anderweitiger Erwerbsmöglichkeiten – Sicherung des Lebensunterhalts nach Absetzung der notwendigen Aufwendungen nicht entnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – juris Rn. 18 f.). Bereits für die frühere, bis zum 31. März 2011 geltende Rechtslage haben die für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) gefordert, dass die Leistungen zu einem ausdrücklich genannten Verwendungszweck gewährt werden muss, der über den durch die Zahlung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II verfolgten Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts hinausgeht, wie es für den seit 1. April 2011 geltenden § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II ausdrücklich geregelt worden ist. Einen abweichenden Verwendungszweck hat das BSG etwa für die Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) angenommen, weil in den §§ 1, 11 Abs. 1 BAföG als zwei nebeneinander ausdrücklich genannten Zweckbestimmungen sowohl die Deckung des Lebensunterhalts während der Ausbildung als auch die Deckung der Kosten der Ausbildung genannt werden; verneint wurde dies andererseits für das Ausbildungsgeld, weil sich weder in dem Wortlaut der Regelungen noch entstehungsgeschichtlich Anhaltspunkte dafür fanden, dass der Gesetzgeber mit dem Ausbildungsgeld eine besondere, über die Lebensunterhaltssicherung hinausgehende Zwecksetzung verfolgt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 KG 2/14 R – juris Rn. 21 m.w.N.).
Gegebenenfalls verfassungsrechtlich bedenkliche Wertungswidersprüche zum Steuerrecht, die unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung nicht hinzunehmen wären, ergeben sich hierdurch nicht. Eine "echte" Steuerbefreiung in Höhe eines Pauschalbetrages ist mit § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG nicht verbunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – a.a.O. Rn. 20). Wie im Übrigen vom SG ausführlich dargelegt worden ist, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (vgl. § 153 Abs. 2 SGG), wird auch im Übrigen Verfassungsrecht aufgrund der bereinigten Anrechnung der Aufwandsentschädigung nicht verletzt. Insbesondere beeinträchtigt der Nachweis der Hilfebedürftigkeit auch im Umfang der behaupteten notwendigen Ausgaben nicht das politische Mandat der Klägerin. Sie verkennt insofern, dass sie als Bezirksverordnete keine Sonderstellung in Bezug auf Leistungen der Existenzsicherung, die nachweislich Hilfebedürftigkeit voraussetzen, genießt.
Zwar regelt § 330 Abs. 2 SGB III, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese – im Wege einer gebundenen Entscheidung, also ohne Ermessen – auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Indes kann sich die Klägerin, wie vom SG zutreffend entschieden, auf Vertrauen berufen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dahinstehen kann, ob die zweifellos unvollständigen Angaben der Klägerin hinsichtlich ihrer BVV-Einnahmen kausal die Rechtswidrigkeit der Leistungsbescheide angesichts einer ab April 2011 geänderten Weisungslage verursacht haben. Hiergegen könnte sprechen, dass diese Weisungslage – wie sich auch aus den der Klägerin gegenüber im Laufe des Jahres 2011 ergangenen Leistungsbescheiden ergibt, tatsächlich verwaltungsintern erst später umgesetzt wurden. Denn auch zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin die ihr obliegende Mitteilungspflicht nicht grob fahrlässig verletzt, was sich nach ihrer persönlichen und zweifelsohne ausgeprägten Urteils- und Kritikfähigkeit, ihrem Einsichtsvermögen und Verhalten richtet sowie nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, dh eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 – 7 Rar 13/79 – aaO juris Rn. 27).
Wie vom SG ausführlich dargelegt worden ist, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls verwiesen wird (vgl. § 153 Abs. 2 SGG), ist nach den hier gegebenen konkreten Umständen des Einzelfalls eine grobe Fahrlässigkeit im vorstehenden Sinne einer besonders groben und subjektiv schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung der Klägerin zu verneinen. Dem Beklagten war, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, seit 2006 für die bis Anfang 2011 andauernde Wahlperiode die Tätigkeit der Klägerin als Bezirksverordnete und der Bezug der daraus folgenden Grundentschädigung bekannt. Den Beteiligten war bewusst, dass die Nichtanrechnung der Aufwandsentschädigung nach einem längeren Prozess der Diskussion im Wege der gängigen Verwaltungspraxis gehandhabt wurde. Sie entsprach für die jedenfalls bis Anfang 2011 geltenden Bewilligungszeiträume der generellen Weisungslage des Beklagten. Zu Recht hat das SG insofern ausgeführt, dass es grundsätzlich zwar der Klägerin obliegt, sämtliche Fragen in den Antragsvordrucken vollständig zu beantworten, welches sie hinsichtlich der schon vor den geänderten Antragsvordrucken erfragten Einnahmen unstreitig unterlassen hat. Auch entbinden sie subjektive Fehler in der rechtlichen Würdigung nicht von der Verpflichtung zu insgesamt vollständigen Angaben. Gleiches gilt für eine vermeintlich schon zuvor bestehende Kenntnis des Leistungsträgers – hier von der BVV-Tätigkeit –, auf die sich der Antragsteller grundsätzlich nicht berufen kann. Indes vertraute sie auf eine entsprechende, durch Bewilligungsbescheide seit 2006 kontinuierlich angewandte und auch ihr gegenüber kommunizierte Verwaltungspraxis, ohne dass die Nichtangabe ihrer – seinerzeit bekannten – BVV-Einnahmen bis zum Ablauf der Wahlperiode seitens des Beklagten je beanstandet wurde. Bei dieser – aus den konkreten Umständen des vorliegenden Falls – sich ergebenden Sachlage kann ihr, wie vom SG entschieden, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Selbiges gilt für eine vermeintlich grob fahrlässig fehlende Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheide (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X), die sich ihr vorliegend nicht aufdrängen musste, zumal die neue Weisungslage tatsächlich auch seitens des Beklagten ihr gegenüber nicht umgesetzt worden war.
Hiernach liegen, wie ebenfalls zutreffend vom SG entschieden worden ist, die Voraussetzungen für die geltend gemachten Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 SGB X nicht vor, so dass die Bescheide, wie geschehen, insgesamt zu kassieren waren.
Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls unbegründet. Gegenstand insoweit ist der Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 (der den früheren Überprüfungsbescheid vom 6. Juni 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2013 hinsichtlich des Zeitraums von November 2011 bis April 2013 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X ersetzt hat) in Bezug auf die Bewilligungszeiträume vom 1. Januar bis 31. Oktober 2013, nachdem für November und Dezember 2012 keine Anrechnung der BVV-Entschädigung erfolgt ist. Auch insofern ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden. Der allein noch gegenständliche Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2014 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Der Beklagte hat es zu Recht im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X abgelehnt, der Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 2013 höhere Leistungen unter Änderung der Bescheide vom 30. April 2013 in der Fassung des Bescheides vom 15. Januar 2013 nach dem SGB II ohne Anrechnung der bezogenen BVV-Aufwandsentschädigung zu gewähren. Zwar steht der mit Bescheid vom 30. April 2013 für den Zeitraum bis zum 30. April 2013 vorgenommenen Aufhebung früherer Bescheide und der hiermit vorgenommenen Bewilligung geringerer Leistungen unter (bereinigter) Anrechnung auch der BVV-Entschädigung grundsätzlich das Verbot der Verböserung im Widerspruchsverfahren entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/11b AS 67/06 – juris Rn. 18). Indes lagen hier – anders als im früheren Zeitraum – die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor (vgl. BSG, a.a.O.). Denn der Klägerin war, wie sie selbst im Verfahren eingeräumt hat, jedenfalls seit Oktober 2012 und zumindest auf der Grundlage der neuen Antragsformulare bewusst, dass eine anteilige Anrechnung der Aufwandsentschädigung zu erfolgen hätte, welches der Beklagte mit dem diesen Zeitraum betreffenden endgültigen Bescheid vom 13. November 2012 (in der Fassung der Bescheide vom 24. November, 13. Dezember und 17. Dezember 2012) lediglich hinsichtlich der von ihr nachgewiesenen Aufwandsentschädigung für August 2012 umgesetzt hatte. Bei dieser Sachlage muss davon ausgegangen werden, dass sie die Rechtswidrigkeit der mit Bescheid vom 30. April 2013 aufgehobenen früheren Bescheide hinsichtlich der Nichtanrechnung der Aufwandsentschädigung kannte bzw. nach ihrer subjektiven Erkenntnismöglichkeit zumindest grob fahrlässig nicht kannte. Im Übrigen wird wegen der Frage der grundsätzlichen Anrechenbarkeit der Aufwandsentschädigung auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Eine Korrektur der Bescheide wegen einer fehlerhaften Berechnung der der Klägerin zustehenden Leistungen hat nicht zu erfolgen. Fehler hinsichtlich der Höhe der Leistungsberechnung insbesondere der Höhe der Anrechnung des bereinigten Einkommens sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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