L 17 U 296/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 64/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 296/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 61/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.06.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 22.01.1990 als Arbeitsunfall.

Der 1933 geborene Kläger war ab August 1962 als technischer Angestellter bei der Autobahndirektion N. beschäftigt, und zwar als Bauaufseher beim Bau von Bundesautobahnen (BAB) und als stellvertretender Autobahnmeister.

Am 23.01.1996 hatte er Antrag auf Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung gestellt. In diesem Verfahren wies er u.a. darauf hin, dass sich bei ihm ein Gehörsturz auf der Baustelle bei Straßenbauarbeiten 1990 ereignet habe. Mit Bescheid vom 27.08.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.11.1996 wurde der Antrag auf Anerkennung einer BK abgelehnt bzw. zurückgewiesen. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) verpflichtete sich die Beklagte durch Vergleich vom 23.10.1997, eine etwaige Schädigung des Klägers am Gehör durch das Ereignis vom Januar 1990 zu überprüfen und den Kläger insoweit rechtsbehelfsfähig zu verbescheiden. Der Kläger machte damals ein Knalltrauma im Januar 1990 als Ursache für seine Beschwerden (Kopfschmerzen, Pfeifen, Ohrensausen) geltend.

Der Kläger gab an, dass während Bauarbeiten auf der BAB am 22.01.1990 ein LKW unbekannten Typs von der Fahrbahn abgekommen sei, Absicherungsbaken mit schweren Stahlplatten seitlich erfasst und in seine Richtung geschleudert habe. Es habe mehrere starke Schläge - über 15 bis 30 Sekunden - gegeben, er habe sich ca. 2 bis 2,5 Meter entfernt zu Boden geschmissen. Seit dieser Zeit habe er nichts mehr gehört. Arbeitsunfähig krank war er vom 25.01. bis 09.02.1990 wegen eines Hörsturzes links. Der Kläger, der am 30.06.1993 wegen Rentenbezugs bei der Autobahndirektion ausgeschieden ist, hat - nach Aktenlage - den Vorgang seiner Dienststelle erstmals im Dezember 1997 geschildert.

Die Beklagte zog - aus den Unterlagen der Staatlichen Ausführungsbehörde für Unfallversicherung - einen Befundbericht des HNO-Arztes Dr.K. vom 05.11.1990 bei, den der Kläger am 17.09.1990 aufsuchte. Darin wird ein Hörsturz am linken Ohr im März 1990 - ohne Hinweis auf die Ursache - geschildert. Der Allgemeinarzt Dr.S. gab in seinen Befundberichten vom 18.04.1996 und 26.02.1998 an, der Kläger sei erstmals bei ihm am 22.01.1990 wegen Hörsturzes links mit Tinnitus - ohne Hinweis auf die Ursache - in Behandlung gewesen. Im Arztbericht des Kneippianum Bad W. vom 29.04.1996 wird ein linkseitiger Hörsturz mit seitdem bestehenden Tinnitus im Januar 1990 beschrieben.

Die Beklagte holte ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.D. vom 14.07.1998 ein. Dieser schloss sowohl ein Knalltrauma, akutes Lärmtrauma als auch einen akustischen Unfall aus, da ein Beurteilungspegel von über 120 dB(A) nicht nachgewiesen sei.

In einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 20.10.1998 wurde nach technischen Versuchen zur Feststellung der Lärmeinwirkung ein Maximallärmwert von 107 dB(A) angegeben. Mit Bescheid vom 03.11.1998 lehnte die Beklagte die Entschädigung des Gehörschadens links ab, da zwischen dem Gehörsturz und dem Ereignis vom 22.01.1990 kein ursächlicher Zusammenhang bestehe (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10.02.1999).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum SG Würzburg erhoben.

Der Zeuge A.M. hat am 19.10.1999 bestätigt, dass ihm der Kläger - ohne zeitliche Konkretisierung - berichtete, ein LKW habe eine Bake angefahren. Er habe sich zu Boden werfen müssen. Die Baken seien zum Teil aus Blech, zum Teil aus Kunststoff gewesen. Da der Kläger sich nicht krank meldete, habe er keine Veranlassung gesehen, eine Meldung zu schreiben.

Die Beklagte hat einen Befundbericht des Dr.S. vom 03.12.1999 beigezogen und eine Stellungnahme ihres TAD vom 31.01.2000 veranlasst. Dieser hat - wegen Unwägbarkeiten (LKW-Typ, gefahrene Geschwindigkeit, Warnbaken-Typ) - eine exakte Ermittlung des Schalldruckpegels als erschwert angesehen. Ein Schalldruckpegel von über 120 dB(A) sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.

Anschließend hat das SG ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.H. vom 03.07.2000 / 13.12.2000 eingeholt. Dieser hat die beidseitige geringgradige Schwerhörigkeit und den chronisch komplexen Tinnitus in Zusammenhang mit dem Ereignis vom 22.01.1990 gesehen. Er ist von einer MdE von 30 v.H. ausgegangen. Die Lärmeinwirkung durch den Aufprall des LKWs auf die Baken in unmittelbarer Entfernung des Klägers müsse aber über dem vom TAD gemessenen Schalldruckpegel von 107 dB(A) gelegen haben. Die TAD-Messung entspreche nicht dem tatsächlichen Schalldruckpegel. Die Beklagte hat dem unter Vorlage einer gutachtlichen Stellungnahme des Prof.Dr.B. vom 22.10.2000 widersprochen.

Auf Veranlassung des SG hat der Dipl.Ing. (FH) S. ein technisches Gutachten zur Feststellung von Lärmbelastung am 30.10.2001 erstellt. Unter Anordnung einer Versuchsreihe mit Metallbaken, eines LKW der Marke Mercedes Benz, einer angenommenen Geschwindigkeit von 80 km/h sowie bei einem Abstand des Messgerätes von 2 Metern von der mittleren angefahrenen Bake ergaben sich bei der Kombination Metall-Bake und Metall-Fuß Schalldruckpegel mit 119 bis 120 dB(A).

Dr.H. hat in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 07.03.2002 ausgeführt, dass bei einem Schalldruckpegel von 120 dB(A) der vorliegende Gesundheitsschaden des Klägers als Folge der akuten Lärmwirkung zu werten sei.

Die Beklagte hat ein Gutachten des Dr.D. vom 24.04.2002 vorgelegt, nach dem selbst bei Annahme eines noch leicht höheren Spitzenpegels ein Lärmtrauma mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei.

Mit Urteil vom 19.06.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Ereignis vom 22.01.1990 habe zwar so stattgefunden habe, wie es der Kläger geschildert habe. Die Voraussetzungen für ein akutes Schalltrauma seien aber nicht erfüllt. Der vom technischen Gutachter gemessene Spitzenwert von 120 dB(A) könne nur als Richtwert angenommen werden, da weder das Fabrikat des LKWs noch die tatsächliche Geschwindigkeit des Fahrzeuges bekannt seien. Dennoch liege dieser Spitzenwert unter der für ein Knalltrauma notwendigen Druckspitze. Gegen ein akutes Lärmtrauma spreche die äußerst kurze Expositionszeit von Sekundenbruchteilen. Die Annahme eines akustischen Unfalls schließe die fehlende, in der Zwangslage verdrehte Kopfhaltung aus.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, an der Richtigkeit der Versuchsdurchführung des technischen Gutachtens bestünden erhebliche Zweifel. Die Schalldruckpegelmessung habe auf einer Rasenfläche, anstatt auf einem Asphalt- bzw. Betonboden stattgefunden. Zudem seien die Mikrofone während der Nachstellung des Unfalls zu hoch platziert gewesen. Der Kläger hat hierzu ein ärztliches Attest des Dr.K. vom 07.10.2002 vorgelegt.

Sodann hat der Berichterstatter einen Befundbericht des Nervenarztes Dr.H. vom 20.01.2003, die Berufskrankheitsakte der Beklagten sowie die Akten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Würzburg beigezogen. Anschließend hat Dpl.Ing. S. in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 17.03.2003 ausgeführt, dass die Pegelabweichungen aufgrund Rasen- bzw. Asphaltoberfläche keinen wesentlichen Einfluss darstellen. Die Pegelunterschiede im Abstandsbereich zwischen der Mikrofonhöhe hätten zudem einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die ermittelten Pegelhöhen.

Sodann hat der HNO-Arzt Dr.S. ein Gutachten erstellt. In dem Gutachten vom 22.05.2003 / 15.07.2003 hat er durch das Ereignis vom 22.01.1990 allein oder wesentlich mitverursachte Gesundheitsstörungen im HNO-Bereich verneint.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 19.06.2002 sowie des Bescheides vom 03.11.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.02.1999 zu verurteilen, eine Hörminderung links sowie einen Tinnitus als Folgen des Arbeitsunfalles vom 22.01.1990 anzuerkennen und Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 19.06.2002 zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2003 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter in der Sache als Einzelrichter entscheidet.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung des Ereignisses vom 22.01.1990, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die Berufung ist nach § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus den Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen.

Ergänzend ist auszuführen, dass die vom Berichtserstatter vorgenommene weitere Sachaufklärung keine Anhaltspunkte erbracht hat, mit denen das Begehren des Klägers zu begründen wäre. Dies gilt insbesondere für die Stellungnahme des Dipl.Ing. S. und das Gutachten des Dr.S ... Der Berichterstatter ist davon ausgegangen, dass - wie das Vordergericht überzeugend zum Ausdruck brachte - das Ereignis vom 22.01.1990 so stattgefunden hat, wie es der Kläger - unterstützt durch den Zeugen M. - geschildert hat. Von wesentlicher Bedeutung, ob ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall vorliegt, ist bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen Schädigung und Gesundheitsstörungen, dass ein bestimmter Schallpegel erreicht bzw. überschritten wurde. Nach dem Gutachten des Dipl.Ing. S. vom 29.10.2001 war der Kläger einem Spitzen-Schallpegel von ca. 120 dB(A) für Sekunden bzw. Sekundenbruchteile ausgesetzt. Das Gutachten leidet aber daran, dass verschiedene, für eine genaue Schallpegelmessung erforderliche Faktoren nicht nachgewiesen sind, nämlich: Typ des LKWs, Geschwindigkeit des LKWs, Typ der Warnbaken sowie Zahl der angefahrenen Warnbaken.

Nach den Erkenntnissen des technischen Gutachten sind die Voraussetzungen für akute akustische Traumen nicht erfüllt. Akute Lärmtraumen und Knalltraumen setzen Lärmexpositionen von 130 bis 160 dB(A) über einige Stunden bzw. von mehr als 150 bis 160 dB(A) voraus (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S 413, 415). Dies ist beim Kläger nicht nachgewiesen.

Der Kläger kann sich auch nicht auf einen sog. akustischen Unfall stützen, der einen Schallpegel von mindestens 90 dB(A) erfordert (Schönberger aaO, S 414, 415). Ein Verdrehen des Kopfes (Halswirbelsäulen-Fehlbelastung) während des Ereignisses ist nicht nachgewiesen. Zudem lässt sich, wenn man der Aussage des Zeugen M. folgt, eine akute Hörstörung unmittelbar nach dem Ereignis nicht untermauern. Der Kläger hatte nur über Kopfschmerzen, nicht aber eine Hörstörung, geklagt.

Der Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens bedarf es nicht. Dr.S. hat in seiner Stellungnahme vom 15.07.2003 überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass die Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens für die gesamte psychische Situation des Klägers zwar von Bedeutung wäre. Bezüglich des Ursachenzusammenhangs könnten daraus aber keine neuen Erkenntnisse erwartet werden.

Das Urteil des SG Würzburg sowie die Bescheide der Beklagten sind daher nicht zu beanstanden. Die Berufung ist als unbegründet zurückzuweisen. Der Berichterstatter konnte im Einverständnis mit den Beteiligten anstelle des Senats entscheiden (§ 155 Abs 3, 4 SGG).

Über die vom Kläger anlässlich der Untersuchung durch Dr.S. am 10.04.2003 behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen wird die Beklagte einen rechtsmittelfähigen Bescheid erteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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