L 11 AL 327/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 335/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 327/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) sowie die Erstattung zu Unrecht bezogener Alhi und zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1960 geborene, ledige Kläger war bis 31.12.1996 als Kundendiensttechniker beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch den Konkurs des Arbeitgebers. Vom 01.01.1997 bis 30.12.1997 bezog der Kläger Arbeitslosengeld (Alg), anschließend beantragte er Alhi. Dabei verneinte er die Fragen nach Einkommen und Vermögen, den Bezug einer Verletztenrente (817,83 DM) gab er jedoch an. Ab 31.12.1997 erhielt er von der Beklagten Alhi nach einem Bemessungsentgelt von 1.030,00 DM (Bescheid vom 15.12.1997). Auch im Fortzahlungsantrag vom 01.12.1998 verneinte er weiterhin das Vorhandensein von Vermögen oder Einkommen. Im Dezember 1998 wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger Freistellungsaufträge erteilt hatte. Die Ermittlungen ergaben das Vorhandensein von Wertpapier- sowie Sparvermögen. Mit Bescheid vom 19.01.1999 (nicht angefochten) hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi mit Wirkung ab 22.01.1999 ganz auf, weil der Kläger über ein Vermögen von 121.872,79 DM verfüge und er deshalb nicht bedürftig sei. Mit weiterem Bescheid vom 09.04.1999 nahm die Beklagte auch die Entscheidung vom 15.12.1997 mit Wirkung ab 31.12.1997 zurück. Der Kläger habe zum 31.12.1997 über ein Vermögen in Höhe von 106.173,00 DM verfügt, das nach Abzug eines Freibetrages von 8.000,00 DM zumutbar verwertbar sei. Deshalb liege ab 31.12.1997 für 95 Wochen (98.173: 1.030) Bedürftigkeit nicht vor. Er habe mithin Alhi in Höhe von 9.631,08 DM ohne Rechtsgrund erhalten. Dieser Betrag sowie zu Unrecht zur Kranken- und Pflegeversicherung abgeführte Beiträge in Höhe von 3.900,05 DM seien von ihm zu erstatten.

Den Widerspruch des Klägers - dieser brachte vor, das Vermögen diene der Alterssicherung; er habe 1988 einen schweren Unfall erlitten, so dass seine Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. gemindert sei - wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.1999 zurück. Nur kapitalbildende Lebensversicherungen und von Kreditinstituten angebotene vergleichbare Anlageformen dienten der Alterssicherung, nicht jedoch Wertpapiervermögen.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 09.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.1999 aufzuheben. Nach der Rechtsprechung des BSG handele es sich bei seinem Vermögen um sogenanntes Schonvermögen. Dieses habe er bereits 1988 zum Zweck der Alterssicherung angelegt. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes bestünden für ihn praktisch keinerlei Vermittlungsmöglichkeiten mehr. Es liege mithin ein atypischer Fall vor. Er beziehe lediglich eine Unfallrente in Höhe von 444,67 EUR.

Die Beklagte hat entgegnet, es fehle am objektiven Nachweis der Zweckbestimmung "Alterssicherung". Im Übrigen sei nach neuester Ansicht ein Vermögen von 1.000,00 DM/Lebensjahr zur Altersvorsorge ausreichend, so dass selbst dann - wenn man der Auffassung des Klägers folgen könne - zumindest 60.000,00 DM verwertbar seien.

Mit Urteil vom 24.07.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Vermögen zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt gewesen sei. Die objektiven Begleitumstände sprächen gegen eine Geldanlage zur Alterssicherung. Trotz der Unfallfolgen hätten für den 1960 geborenen Kläger noch Vermittlungsmöglichkeiten bestanden. Auch die spekulative Anlageform (Aktienfonds) deute nicht auf Alterssicherung hin.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Das SG habe verkannt, dass auch eine Geldanlage in Aktienfonds der Alterssicherung diene. Dabei habe das SG die langfristige Komponente dieser Anlageform und den Zeitpunkt der Anlage (Anfang/Mitte der 90er Jahre) völlig übersehen. Trotz knapper finanzieller Mittel habe er die Anlagen gehalten. Dass es nicht möglich gewesen sei, ihn zu vermitteln, spreche für die Richtigkeit frühzeitiger Alterssicherung. Bei entsprechenden Aktiengewinnen hätte er später eine Eigentumswohnung erwerben wollen. Eine Anlageberatung sei nicht erfolgt und auch kein Anlagekonzept erstellt worden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Sozialgericht Würzburg vom 24.07.2002 zurückzuweisen.

Der Senat hat M. B. durch seinen Berichterstatter als Zeugen uneidlich vernommen. Auf dessen Aussage vom 26.06.2003 wird verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Leistungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen, denn die Beklagte hat wegen des Fehlens von Bedürftigkeit die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 31.12.1997 bis 21.01.1999 zu Recht aufgehoben.

Der Senat konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs.2 SGG).

Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung der Alhi-Bewilligung ist § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X. Nach § 45 Abs.2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Der Kläger hat im Alhi-Antrag die Fragen nach Einkommen und Vermögen wahrheitswidrig verneint. Dies geschah zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Legaldefinition § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 2.Halbs.SGB X). Bereits auf Grund der verständlichen Fragestellung im Antragsformular musste dem Kläger klar sein, dass er Einkommen und Vermögen anzugeben hatte. Auch in dem ihm ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose wird auf die entsprechenden Auskunftspflichten hingewiesen (vgl. hierzu auch § 60 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil -SGB I-). Damit kann dem Kläger wenigstens grob fahrlässige Unkenntnis über seine Mitwirkungspflichten vorgeworfen werden (BSG SozR 4100 § 103 Nrn.36, 37). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger die Hinweise nicht verstanden haben könnte. Die irrige Annahme, das vorhandene Vermögen sei Schonvermögen und müsse deshalb nicht angegeben werden, exkulpiert den Kläger nicht, denn die rechtliche Würdigung seiner Angaben ist Sache der Beklagten.

Die Alhi-Bewilligung erfolgte von Anfang an rechtswidrig, denn der Kläger hatte ab 31.12.1997 mangels Bedürftigkeit für 95 Wochen (§ 9 Arbeitslosenhilfeverordnung - AlhiV) keinen Anspruch auf Alhi.

Gemäß § 134 Satz 1 Nr.3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der Fassung vom 24.03.1997 (gültig ab 01.04.1997 bis 31.12.1997) hatte Anspruch auf Alhi u.a. wer bedürftig war. Der Arbeitslose war bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestritt oder bestreiten konnte und das Einkommen, das nach § 138 zu berücksichtigen war, die Alhi nach § 136 nicht erreichte (§ 137 Abs.1 AFG i.d.F. vom 21.12.1993 - gültig ab 01.01.1994 bis 31.12.1997). Der Arbeitslose war nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen ... die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt war (§ 137 Abs 2 AFG). Unter welchen Voraussetzungen die Gewährung von Alhi mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse offenbar nicht gerechtfertigt war, konkretisierten die §§ 6 ff der auf der Grundlage der Ermächtigungsgrundlage in § 137 Abs.3 AFG erlassenen AlhiV i.d.F. vom 24.06.1996 (gültig ab 01.04.1996 bis 28.06.1999). Nach § 6 Abs.2 Satz 1 AlhiV war Vermögen verwertbar, soweit seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden konnten. Diese Anforderungen erfüllten die Wertpapiere des Klägers (für Belegschaftsaktien BayLSG, Urteil vom 24.07.2003 - L 10 AL 354/01 -).

Nach §§ 6 Abs.3 Satz 2 Nr.3, 7 AlhiV war nicht zumutbar insbesondere die Verwertung von Vermögen, das zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bzw. das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb eines Hausgrundstücks/Eigentumswohnung bestimmt war. Letztere Verwendungsmöglichkeit ist vorliegend nicht relevant, weil sich der vom Kläger gegebenenfalls beabsichtigte Erwerb einer Eigentumswohnung zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Alhi (BSG SozR 3-4220 § 6 Nr.8) noch nicht konkretisiert hatte. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.12.2002 - B 7 AL 126/01 R) ist zur Eingrenzung des Begriffs "nachweislich zum alsbaldigen Erwerb ... bestimmt" zu fordern, dass sich die Erwerbsabsichten auf ein konkretes Objekt begrenzt haben und sowohl der Kaufpreis als auch die weiteren Einzelheiten des Kaufvertrags derart feststehen müssen, dass entweder ein notariell beglaubigter Vorvertrag über den Erwerb eines Hausgrundstücks geschlossen, ein Notartermin zum Abschluss eines endgültigen Kaufvertrags vereinbart oder ein vergleichbarer Stand der Verhandlungen gegeben ist. Das war vorliegend noch nicht der Fall.

Zur Alterssicherung war das Vermögen ebenfalls nicht bestimmt. Dies ergibt sich bereits aus den Angaben des Klägers im Erörterungstermin vom 26.06.2003. Zwar behauptet der Kläger, sein Vermögen diene der Alterssicherung. Diese subjektive Zweckbestimmung steht aber nicht im Einklang mit den objektiven Begleitumständen bei der Anlage des Vermögens, da diese nicht anhand der objektiven Kriterien - z.B. der Vertragsgestaltung bei der Vermögensanlage, dem Alter des Versicherten, seinen Familienverhältnissen - nachvollziehbar sind (BSG SozR 3-4220 § 6 Nr.6). Der Kläger hatte kein Anlagekonzept, nach dem z.B. das Vermögen und seine Erträge erst nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben genutzt werden sollten. Es fehlt also an einer zielgerichteten Anlage zur Deckung einer Versorgungslücke im Alter (Urteil BayLSG vom 24.07.2003 - L 10 AL 354/01 -). Zwar trägt der Kläger vor, trotz knapper finanzieller Mittel das Vermögen nicht angetastet zu haben. Daraus allein kann aber noch nicht auf eine Anlage zur Alterssicherung geschlossen werden. Nach seinem Vorbringen befürchtet der Kläger auf Grund des 1988 erlittenen Unfalls - die Unfallfolgen sind nach seinen Angaben mit einem GdB von 30 v.H. bewertet -, dass ihm der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt. Davon ist aber nicht auszugehen, denn der Kläger hält sich selbst in seiner Verfügbarkeit nicht für eingeschränkt (siehe seine Angaben in den Leistungsanträgen) und auch der von der Beklagten gehörte Internist Dr.E. hielt im Gutachten vom 10.02.1997 den Kläger noch für fähig, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Büromaschinenmechanikers weiterhin vollschichtig zu verrichten. Darüberhinaus lassen weder sein Beruf noch sein Alter - der Kläger war zu Beginn des Alhi-Bezugs im Dezember 1997 erst 37 Jahre - auf einen verschlossenen Arbeitsmarkt schließen.

Da somit die Voraussetzungen des § 6 Abs.3 Satz 2 AlhiV zu verneinen sind, ist das Vorliegen des Auffangtatbestandes des § 6 Abs.3 Satz 1 AlhiV zu prüfen. Diese Bestimmung lautet: "Die Verwertung (des Vermögens) ist zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann." Die darin geforderte Unbilligkeit war beim ledigen Kläger, der für keine Angehörigen zu sorgen hatte, nicht gegeben.

Die Beklagte war daher berechtigt, die Alhi-Bewilligung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Hierbei hatte sie kein Ermessen auszuüben (§ 330 Abs.2 SGB III). Gemäß § 50 SGB X ist der Kläger zur Erstattung der zu Unrecht bezogenen Alhi verpflichtet. Rechtsgrundlage für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bildet § 335 Abs.1 und 5 SGB III. Die Erstattungsbeträge hat die Beklagte zutreffend errechnet; Einwände hiergegen hat der Kläger nicht erhoben.

Die Berufung des Klägers war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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