S 18 KR 36/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 36/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 184/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid der Beklagten vom 16.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kosten in Höhe von 6961,50 EUR auf der Grundlage der eingetretenen Genehmigungsfiktion zu erstatten.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung für eine Mammareduktionsplastik streitig.

Die 1954 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte mit Schreiben vom 11.05.2015 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Brustreduktion. Zur Begründung legte sie u.a. ein Attest ihrer Frauenärztin, Frau Dr. C., vor, wonach bei ihr eine Hypermastie beidseits vorliege. Dies führe zu ständigen Verspannungen und Problemen im HWS-Bereich. Deswegen sei die Klägerin schon seit Jahren in osteopathischer Behandlung. Eine Brustverkleinerung beidseits sei indiziert. Zudem legte sie das Attest von Dr. D., Chefarzt der Klinik für Plastische und Äthetische Chirurgie am Markus Krankenhaus vor. Dieser bestätigt ebenfalls eine Makromastie beidseits. Speziell die durch die Menopause verursachte Größenprogredienz sei nunmehr so belastend, dass die Klägerin deutliche Rücken- und Nackenbeschwerden habe. Aus fachärztlicher Sicht bestehe die Indikation zur Operation.

Mit Schreiben vom 13.05.2015 forderte die Beklagte bei der Klägerin weitere Unterlagen an. Sobald diese vorlägen, werde der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet.

Mit Schreiben vom 27.05.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie über den Antrag nicht abschließend entscheiden könne, da die Klägerin die angeforderten Unterlagen bisher nicht vorgelegt habe.

Die Klägerin informierte die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 01.06.2015, das ihr der Facharztbericht noch nicht vorliege. Mit Schreiben vom 11.06.2015 legte die Klägerin die Unterlagen vor.

Am 24.06.2015 veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den MDK. Dieser veranlasste am 30.06.2015 die persönliche Begutachtung der Klägerin am 08.07.2015. Im Gutachten vom 10.07.2015 kam der MDK zu der Einschätzung, dass die Mammahypertrophie beidseits keine Erkrankung im Sinne des SGB V darstelle. Zu empfehlen wäre eine konservative Behandlung, Fortführung der orthopädischen Behandlung, Heilmittel-Versordnungen, Bewegungsübungen in Eigenregie und regelmäßiges Training zum Aufbau der Rückenmuskulatur.

Mit Bescheid vom 16.07.2015 lehnte die Beklagte auf dieser Grundalge den Antrag ab.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass sie unter ständigen Spannungskopfschmerzen leide. Sie setzte seit Jahren die Empfehlungen ihrer Osteopathin um. Aber alles helfe nicht gegen die ständigen Schmerzen. Deshalb habe sie sich zu einer Operation entschieden. Weiter legte sie ein Attest des Dr. D. vor. Dieser führte u.a. aus, dass durch die Empfehlungen im MDK-Gutachten bestätigt werde, dass bei der Klägerin ein Behandlungsbedarf bestehe. Es sei die Frage, wie viele konservative Maßnahmen und teure Spezialwäsche der Klägerin zugemutet werden könne, um eine Operation zu vermeiden.

Der MDK kam auch in seinem weiteren Gutachten vom 01.10.2015 zu der Einschätzung, dass die konservativen Maßnahmen noch nicht erschöpft seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 01.12.2016 ließ die Klägerin die Operation durchführen. Dafür entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 6961,50 EUR.

Am 02.12.2015 hat die Klägerin Klage erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2015 zu verurteilen, die für die Mammareduktionsplastik entstandenen Kosten in Höhe von 6961,50 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte von Frau C. und Herrn Dr. E. beigezogen.

Im Rahmen der Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid trägt die Beklagte vor, dass aus ihrer Sicht die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingehalten worden sei. Die Klägerin sei mit Schreiben vom 27.05.2015 rechtzeitig vor Ablauf der Frist am 03.06.2015 informiert worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 16.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin die Mammareduktionsplastik als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Die Klägerin hatte darauf einen Anspruch aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V. Die Beklagte hat der Klägerin deshalb nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die entstandenen Kosten zu erstatten.

Nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ist die Krankenkasse zu Erstattung der entstandenen Kosten verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. (§ 13 Abs. 3a Satz 5 und 6 SGB V)

Die beantragte Mammareduktionsplastik galt nach Ablauf der dreiwöchigen Frist als genehmigt. Die Klägerin hat spätestens am 13.05.2015 bei der Beklagten die Leistung beantragt. Innerhalb der Frist von drei Wochen bis zum 03.06.2015 wurde über diesen Antrag nicht entschieden.

Die Frist ist durch die Einschaltung des MDK nicht auf fünf Wochen verlängert worden. Eine Fristverlängerung setzt voraus, dass die Beklagte die Klägerin nicht nur darüber informiert, dass der MDK eingeschaltet wird. Sie muss auch darüber informieren, bis zu welchem Tag sich die Entscheidungsfrist verlängert. "Will eine Krankenkasse den Eintritt der Genehmigungsfiktion eines Antrags auf Krankenbehandlung hinausschieben, muss sie den Antragsteller von einem hierfür hinreichenden Grund und einer taggenau bestimmten Fristverlängerung jeweils vor Fristablauf in Kenntnis setzen" (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, 2. Leitsatz, juris).

Die Klägerin hat bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Bei der Mammareduktionsplastik handelt es sich um eine erforderlich Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Es ist nicht notwendig, dass die Operation objektiv erforderlich war. "Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen." (BSG, Urteil vom 08.03.2016, b 1 KR 25/15 R, Rdnr. 26) Ihrer Art nach handelt es sich bei der Mammareduktionsplastik um eine Leistung, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Da der Klägerin die Operation ärztlicherseits empfohlen wurde, durfte sie diese für geeignet und erforderlich halten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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