S 1 U 92/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 92/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 22/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 179/17 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung weiteren Verletztengeldes und Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Der 1948 geborene Kläger erlitt am 17.01.2002 einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall, als er über eine Schwelle stolperte und sich hierbei den linken Knöchel verletzte. Der Durchgangsarzt Dr. B., C.-Hospital, untersuchte den Kläger am selben Tag und fertigte Röntgenaufnahmen des verletzten linken Sprunggelenks. In Auswertung der Röntgenaufnahmen ergab sich kein Anhalt für eine Fraktur des Vorfußes; er diagnostizierte ein Distorsionstrauma des linken Sprunggelenks und hielt die Dauer der Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von insgesamt drei Wochen für wahrscheinlich. Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte mehrere ärztliche Befundberichte bei. Daraus ergibt sich u. a., dass objektivierbare Befunde für einen vermuteten Morbus Sudeck nicht nachgewiesen werden konnten. Eine weitere sonographische Untersuchung führte zum Ausschluss der Diagnose einer Beinvenenthrombose. Bis einschließlich 17.03.2002 wurde dem Kläger Verletztengeld gewährt. Nachdem dieser geltend gemacht hatte, er sei auch weiterhin arbeitsunfähig, versuchte die Beklagte zunächst weitere Befundunterlagen beim Kläger beizuziehen. Dieser verweigerte die Vorlage. Daraufhin leitete die Beklagte das Verfahren zur Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens ein und informierte den Kläger mit Schreiben vom 21.06.2002 über die beabsichtigte Gutachterauswahl nach § 200 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Der vorgeschlagenen Untersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik widersprach der Kläger mit Schreiben vom 05.08.2002 und führte aus, dass er grundsätzlich nicht bereit sei, sich einer ärztlichen Begutachtung durch eine sich im Netzwerk der Berufsgenossenschaften stehende medizinische Institution zu unterziehen. Trotz weiteren intensiven Schriftverkehrs konnten sich die Beteiligten nicht auf die Auswahl eines Gutachters einigen. Mit Schriftsatz vom 28.07.2003 schlug die Beklagte nochmals mehrere Sachverständige vor und belehrte den Kläger gleichzeitig über seine Mitwirkungspflichten. Mit Bescheid vom 15.03.2004 lehnte sie die Gewährung weiterer Entschädigungsleistungen über den 17.03.2002 hinaus ab. Hiergegen legte der Kläger am 06.04.2004 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2004 zurückgewiesen wurde.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 15.10.2004 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Nach Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 15. August 2005 die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren vor dem hessischen Landessozialgericht (Az.: L 3 U 219/05) schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2006 folgenden Vergleich:

"1. Die Beklagte hebt den Bescheid vom 15.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2004 auf.

2. Die Beklagte ist nach Beiziehung der medizinischen Unterlagen des Klägers bereit, den Kläger bei Prof. D., E-Stadt, untersuchen und begutachten zu lassen.

3. Der Kläger ist bereit, sich bei Prof. Dr. D., E-Stadt, bzw. durch den von Prof. Dr. D. hinzugezogenen Arzt untersuchen und begutachten zu lassen. Zu diesem Zweck erklärt der Kläger sich mit der Beiziehung aller für erforderlich gehaltenen medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzte einschließlich der Röntgen- und MRT-Aufnahmen einverstanden. Die behandelnden Ärzte heißen: Dres. F., G., H., I., B., J., K., Prof. L. Die Anschriften dieser Ärzte und ggf. noch weiterer Ärzte, die mir heute nicht einfallen, reiche ich innerhalb von 14 Tagen der Beklagten schriftlich nach.

4. Die Beklagte erstattet dem Kläger 2/3 der außergerichtlichen Kosten.

5. Im Übrigen erklären die Beteiligten den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt."

Aufgrund dieses Vergleichs leitete die Beklagte ein neues Verwaltungsverfahren ein und zog umfangreiche Krankenunterlagen bei. Mit Schriftsatz vom 29. Februar 2008 beauftragte sie Prof. Dr. D. mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 27.04.2008 zu dem Ergebnis, seit dem 17.01.2002 bis zum Untersuchungstag bestehe Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit durch die Unfallfolgen. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage 100 v. H. Zu diesem Gutachten holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. ein. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 17. Mai 2008 zu dem Ergebnis, das Gutachten könne nicht überzeugen, denn ein regionales Schmerzsyndrom sei nicht nachgewiesen. Diese beratungsärztliche Stellungnahme leitete die Beklagte nochmals Prof. D. zu, der mit ergänzender Stellungnahme vom 27. Mai 2008 die Kernaussagen seines Gutachtens aufrecht erhielt. In einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.06.2008 verblieb auch Dr. M. bei seiner ursprünglich geäußerten Ansicht. Mit Bescheid vom 25.09.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente und Zahlung von Verletztengeld über den 17.03.2002 hinaus ab. Zur Begründung führte sie aus, das bei Prof. D. eingeholte Gutachten sei nicht verwertbar. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem am 17.11.2008 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch, den diese mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2010 zurückwies.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 19.05.2010 per Telefax beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Er ist der Ansicht, aufgrund des vor dem LSG am 25.07.2006 geschlossenen Vergleiches sei die Beklagte verpflichtet, die Ergebnisse des bei Prof. D. eingeholten Gutachtens in ihrem Bescheid zu übernehmen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.01.2002 weitere Entschädigungsleistungen in Form von Verletztengeld und später Verletztenrente nach einer MdE von 100 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Verfügung vom 25.10.2010 hingewiesen, die Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand dieser Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Zu dieser Verfahrensweise sind die Beteiligten ordnungsgemäß gehört worden und haben keine Einwendungen erhoben.

Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sachlich aber unbegründet. Der Bescheid vom 08.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2010 war nicht aufzuheben, denn der Kläger hat wegen des Arbeitsunfalls vom 17.01.2002 keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Geldleistungen in Form des Verletztengeldes bzw. der Verletztenrente.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Beklagte aufgrund des ausdrücklichen Textes des in dieser Sache vor dem hessischen Landessozialgericht am 25.07.2006 geschlossenen Vergleiches nicht verpflichtet ist, den Ergebnissen des Gutachters Prof. Dr. D. zu folgen. Aus dem Vergleichstext ergibt sich nur, dass sich die Beteiligten darauf geeinigt hatten, bei diesem Sachverständigen ein Gutachten einzuholen; dies ist geschehen. Somit war aufgrund der gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährung von Verletztengeld bzw. Verletztenrente in Auswertung dieses Gutachtens von der Beklagten zu entscheiden.

Dabei waren folgende Anspruchsgrundlagen anzuwenden: Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld besteht in der gesetzlichen Unfallversicherung in Anwendung der §§ 45, 46 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) soweit und solange Arbeitsunfähigkeit wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls eingetreten ist. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversiche¬rung – (SGB VII) erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versiche¬rungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, eine Rente. Dabei gilt im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ein zweistufiges Rentenprinzip. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Nach § 62 Abs. 3 SGB VII wird dann spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII kann bei der erstmaligen Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit nach der vorläufigen Entschädigung von dem Vom-Hundert-Satz der Minderung der Erwerbsfähigkeit der vorläufigen Entschädigung eine abweichende Feststellung getroffen werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Damit soll gewährleistet werden, dass etwaige körperliche Anpassungs- und Gewöhnungsprozesse bei der Feststellung einer Dauerrente berücksichtigt werden können. Letztlich kommt es bei Feststellung der Dauerrente somit einzig auf den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesundheitszustand an.

In Anwendung dieser Grundsätze war dem bei Prof. D. eingeholten Gutachten nicht zu folgen, denn dies konnte nicht mit dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit einen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis des Arbeitsunfalls vom 17.01.2002 und dem beim Kläger bestehenden komplexen regionalen Schmerzsyndrom begründen. Wie der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. in seiner Stellungnahme vom 17.05.2008 zu Recht ausgeführt hat, ist nach den dokumentierten Krankenunterlagen dieses Schmerzsyndrom wechselnder Natur, es ist teilweise in der direkten Folge nach dem Arbeitsunfall nicht nachgewiesen worden. Allein schon weil dieses zeitliche Loch besteht, kann ein Zusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Die Begründungen des Sachverständigen Prof. D. überzeugen hier nicht. Dem Kläger stehen deshalb keine weiteren Geldleistungen zu, die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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