L 4 KR 39/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 10 KR 183/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 39/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 24. April 2003 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Sesseldreirad.

Die im ... 1952 geborene Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, ist Diplomingenieurökonom und als Verwaltungsangestellte bei einem Finanzamt beschäftigt. Sie ist Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50; außerdem sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt.

Im Juli 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versorgung mit einem Behinderten-Sesseldreirad zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, der Möglichkeit des Muskel-, Herz- und Kreislauftrainings, zur Erweiterung ihrer aktiven Freizeitbetätigung und zur Nutzung auf dem Arbeitsweg. Sie fügte die Verordnung des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. vom 22. Juni 2001 über ein behindertengerechtes Sesseldreirad sowie den Kostenvoranschlag der L. gGmbH vom 14. Juni 2001 in Höhe von 2.686,40 DM bei.

Mit Bescheid vom 27. Juli 2001 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Versorgung mit einem Therapie-Fahrrad falle nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handele sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand, weil dieses im überwiegenden Maße Merkmale eines handelsüblichen Fahrrades aufweise.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass Sesseldreirad werde in Einzelfertigung hergestellt und sei daher kein handelsübliches Fahrrad. Es werde zu Therapiezwecken für Behinderte eingesetzt, die nicht in der Lage seien, ein normales Fahrrad zu benutzen. Damit werde ein Trainingseffekt in den Beinmuskeln, wegen der nicht senkrechten Sitzhaltung auch in anderen Muskelgruppen erreicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Das Sesseldreirad stelle lediglich einen Ersatz für ein normales Fahrrad dar. Radfahren gehöre jedoch nicht zu den körperlichen Grundfunktionen, für deren Sicherstellung die gesetzliche Krankenversicherung einzutreten habe. Es ergebe sich auch keine Notwendigkeit für die Versorgung zur Durchführung therapeutischer Übungsbehandlungen, denn die Stärkung des Gesundheitszustandes begründe keinen Leistungsanspruch, da sie nicht primär auf die medizinische Bekämpfung einer Krankheit abziele.

Dagegen hat die Klägerin am 27. November 2001 beim Sozialgericht Cottbus Klage erhoben.

Durch den sehr eingeengten Bewegungsradius (30 Minuten Gehleistung ohne Beschwerden) sei sie in ihrem Grundbedürfnis auf Bewegung im Alltag und in der Freizeit stark eingeschränkt. Das Sesseldreirad sei kein Gegenstand des täglichen Lebens, da sich ein Gesunder ein solches nicht anschaffe. Hinzu komme ein Therapieeffekt bei Benutzung des Sesseldreirades. Die Versorgung sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil es nicht im Leistungskatalog der zugelassenen Leistungserbringer enthalten sei. Im Übrigen erweiterten die §§ 26, 31 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) die Anspruchsmöglichkeiten für den Schwerbehinderten. Das Therapiedreirad diene zudem der sportlichen Betätigung.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass das Radfahren ebenso wie das Autofahren der sozialen Eingliederung Behinderter zuzuordnen sei, wofür sie jedoch nicht zuständig sei. Therapeutische Wirkungen seien durch kostengünstigere Alternativen wie Krankengymnastik und Schwimmen zu erreichen, die ein jahreszeit- und witterungsunabhängiges Training ermöglichten. Zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit im Hinblick auf den zu bewältigenden Arbeitsweg sei die Rentenversicherung zuständig. Im Übrigen erweitere auch § 31 SGB IX nicht die für die Krankenversicherung maßgebliche Vorschrift über die Versorgung mit Hilfsmitteln des § 33 SGB V. Soweit medizinisch erforderlich, sei die Beklagte bereit, einen Rollator oder Rollstuhl zur Verfügung zu stellen.

Das Sozialgericht hat den Befundbericht des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. vom 27. Juni 2002 eingeholt, dem der Entlassungsbericht der Knappschaftsklinik W. vom 04. September 2001 beigefügt gewesen ist. Es hat außerdem Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten der Fachärztin für Orthopädie S. vom 12.November 2002 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. April 2003.

Nach Ansicht der Beklagten hat das Gutachten keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt. Durch die vorhandene Gehfähigkeit, das Zurücklegen einer Wegstrecke von 1 km in einer halben Stunde, sei das Grundbedürfnis der Fortbewegung erhalten. Der Therapieeffekt sei nicht entscheidend, denn nach dem Entlassungsbericht der Knappschaftsklinik W. sei es durch Krankengymnastik zu einer guten muskulären allgemeinen Stabilisierung gekommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juli 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2001 ihr ein Therapiedreirad (Sesseldreirad) unter Berücksichtigung eines Eigenanteils von 200 Euro zur Verfügung zu stellen.

Mit Urteil vom 24. April 2003 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es hat u. a. ausgeführt:

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Diese Voraussetzungen sind zwar nicht für die Tatbestandsalternative des Behinderungsausgleiches gegeben, wohl aber für die der Sicherung einer Krankenbehandlung.

Bei der Klägerin liegen folgende Erkrankungen vor:

kongenitale Luxationshüfte bds. mit Coxarthrose, links mehr als rechts, mit erheblicher muskulärer Insuffizienz rechts, geringer auch links,

chronisch rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom links bei Fehlstatik und muskulärer Dysbalance,

Verdacht auf beginnende retropatellar betonte Gonarthrose, rechts mehr als links,

Senk-Spreizfüße beidseits mit

Hallux valgus et rigidus beidseits sowie Hammerzehen II rechts und II-IV links,

Chronisches Zervikalsyndrom,

Adipositas,

Varicosis cruris, links mehr als rechts.

Bei der Klägerin besteht ferner eine Behinderung im Bereich beider Hüftgelenke mit Ausbildung von Abnutzungserscheinungen, links mehr als rechts, und verbunden mit einer erheblichen muskulären Insuffizienz und daraus resultierender Fehlstatik mit muskulärer Dysbalance.

Zu diesen Feststellungen gelangt die Kammer aufgrund des überzeugenden und widerspruchsfreien Gutachtens der Sachverständigen Dr. S ... Sie hat die Klägerin persönlich untersucht und hierbei die in der Akte vorhandenen Vorbefunde berücksichtigt. Die Kammer schließt sich daher ihren Feststellungen nach eigener Prüfung an.

b) Das Sesseldreirad wäre daher zwar geeignet, die bei der Klägerin bestehende Behinderung teilweise auszugleichen. Ob es auch erforderlich im Sinne von § 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V ist, kann dahinstehen. Denn die Klägerin kann die Versorgung mit einem Sesseldreirad bereits aus einem anderen Rechtsgrund beanspruchen.

c) Das Sesseldreirad ist geeignet und erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern.

aa) Durch regelmäßig verordnete physiotherapeutische Maßnahmen, durch ein von der Klägerin einmal wöchentlich in einer ambulanten Reha-Einrichtung absolviertes Trainingsprogramm (welches sie selbst finanziert) sowie durch die stationäre Heilmaßnahme im Sommer 2001 in W./Erzgebirge wurde eine Kräftigung der hüftgelenksführenden Muskulatur und der Rückenmuskulatur erzielt. Ferner konnte vermieden werden, dass die Beweglichkeit im Bereich der Hüftgelenke weitergehend eingeschränkt wird. Insgesamt wurden durch die stationäre Reha-Maßnahme die Beschwerden der Klägerin insgesamt deutlich gelindert.

Auch hinsichtlich dieser Feststellungen folgt die Kammer uneingeschränkt den Ausführungen der Sachverständigen Dr. S ...

bb) Durch die Benutzung des Sesseldreirades - auch insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen an - können diese Behandlungserfolge, insbesondere die Muskelkräftigung, gesichert werden. Zugleich wird hierdurch vermieden, dass sich die Beweglichkeit im Bereich der Hüftgelenke verschlechtert. Die Sicherung des Behandlungserfolgs beruht insoweit auf den regelmäßigen und gleichmäßigen Bewegungsübungen auf dem Sesseldreirad.

cc) Das Sesseldreirad ist auch erforderlich, da keine Hilfsmittel oder keine anderen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die kostengünstiger oder zumindest gleichgeeignet sind.

Durch regelmäßige (tägliche) krankengymnastische Übungsbehandlung könnten die oben genannten Behandlungserfolge in gleicher Weise sichergestellt werden. Dies ist für die Beklagte langfristig jedoch wesentlich kostenintensiver als die einmalige Versorgung der Klägerin mit einem Sesseldreirad. Die Klägerin ist geistig und körperlich in der Lage, das Sesseldreirad regelmäßig zu verwenden, und sie ist auch sehr motiviert, ihr Leiden selbst mitzubehandeln.

Zwar wird die - für die Behandlung angeborener beidseitiger Hüftluxationen regelmäßig erforderliche - Kräftigung der Muskulatur und das Beweglichhalten der Hüftgelenke üblicherweise mittels krankengymnastischer Übungsbehandlung erzielt. Hierzu ist anfangs eine kontinuierliche Anleitung durch eine Krankengymnastin oder Physiotherapeutin erforderlich, nach Erlernen der erforderlichen Übungen können diese teilweise selbständig und in häuslicher Übung durchgeführt werden. Dies gilt jedoch nur für einfache aktive Bewegungsabläufe und Anspannungsübungen. Passive Bewegungs- und Dehnungsübungen sowie komplexe Bewegungsabläufe können dauerhaft nur unter fachlicher Anleitung, teilweise unter zusätzlicher Nutzung von Trainingsgeräten, durchgeführt werden.

Dieser Teilaspekt der Therapie kann durch das Benutzen des Sesseldreirades weitestgehend ersetzt werden. Kosten für ärztlich verordnete krankengymnastische Übungsbehandlung würden somit in deutlich reduziertem Umfang anfallen, da etwa 6 bis 8 Einzelbehandlungen pro Monat einzusparen wären. Die täglich selbständig durchgeführten krankengymnastischen Übungen würden somit durch ein Sesseldreirad nicht vollständig ersetzt, sondern ergänzt.

Wollte man allerdings die Behandlungsmöglichkeiten und -erfolge, die mit dem Sesseldreirad zu erzielen sind, allein mit krankengymnastischer Übungsbehandlung sicherstellen, so wären etwa 8 bis 10 Behandlungen pro Monat erforderlich.

Auch hinsichtlich dieser Einschätzungen folgt die Kammer nach eigener Prüfung dem Gutachten der Sachverständigen Dr. S ... Die Sachverständige hat sich hierbei insbesondere mit den Einwänden der Beklagten auseinandergesetzt und diese mit überzeugender Argumentation entkräftet.

Sind somit 6 bis 8 krankengymnastische Übungsbehandlungen pro Monat durch den Einsatz des Sesseldreirades ersetzbar, ergibt sich für die Beklagte hierdurch, ausgehend von den Kosten einer krankengymnastischen Einzelbehandlung in Höhe von 11,99 Euro, ein jährlicher Einspareffekt von mindestens 863,28 Euro (6 Übungseinheiten monatlich x 12 Monaten x 11,99 Euro). Angesichts voraussichtlicher Anschaffungskosten für ein Sesseldreirad in Höhe von 1.373,53 Euro (2.686,40 DM) erweist sich die Versorgung mit diesem Hilfsmittel bereits nach 1 ½ Jahren als wirtschaftlicher.

Die von der Beklagten hiergegen vorgebrachten Einwände führen zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts überzeugt die Kammer nicht. In seinem Urteil vom 21. November 2002 (Az.: B 3 KR 8/02 R) hat der 3. Senat des BSG unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32) ausgeführt, dass ein Therapietandem nicht erforderlich sei, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, weil eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreiche, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung des dortigen Klägers erreichen könne, einschließlich der Stärkung von Muskulatur, Herz-Kreislauf-System, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl. Keinem der beiden BSG-Urteile ist jedoch zu entnehmen, auf Grund welcher medizinischen Feststellungen das BSG zu dieser rechtlichen Einschätzung gelangt. Dem Urteil vom 21. November 2002 ist lediglich zu entnehmen, dass ein von der dortigen Beklagten eingeholtes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ergeben habe, dass die Stärkung von Muskeln, Koordination und Balancegefühl durch regelmäßig durchgeführte Krankengymnastik erreicht werden könne. Das vom BSG bestätigte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen hatte ausgeführt, dass der Erfolg der ärztlichen Behandlung besser durch Krankengymnastik gesichert werden könne.

Anhand dieser pauschalen Feststellungen des MDK bzw. des LSG Nordrhein-Westfalen vermag die Kammer nicht das vom BSG gefundene Ergebnis nachzuvollziehen, Krankengymnastik erreiche "gezielter und vielseitiger" bei gleichzeitiger Stärkung von Herz-Kreislauf-System und Lungenfunktion die angestrebten gesundheitlichen Verbesserungen. Dem Urteil vom 20. November 2002 ist auch nicht zu entnehmen, ob das BSG gegebenenfalls aufgrund eigener Sachkunde zu den oben genannten medizinischen Feststellungen gelangt ist. Mithin genügt dieses Urteil den vom BSG selbst aufgestellten Anforderungen an die Beweiswürdigung nicht. Nach diesen Grundsätzen ist das Gericht, weicht es von medizinischen Feststellungen eines medizinischen Sachverständigengutachtens ab, verpflichtet darzulegen, aufgrund welcher eigener medizinischer Sachkunde es zu seinem abweichenden Ergebnis gelangt ist (BSG SozR Nr. 86, 87 zu § 128 SGG, Nr. 33 zu § 103 SGG).

Unabhängig hiervon hat die Sachverständige Dr. S. zumindest für den Fall der Versorgung der Klägerin mit einem Sesseldreirad nachvollziehbar dargelegt, dass Letzteres die wirtschaftlichere Vorgehensweise gegenüber ambulanter Krankengymnastik darstellt. Medizinische Einwände gegen diese Feststellungen der Sachverständigen hat die Beklagte nicht vorgebracht. Sie sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.

d) Sesseldreiräder stellen keine nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossene Hilfsmittel dar.

e) Allerdings ersetzt das Sesseldreirad einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Daher sind die für den ersetzten Gegenstand anfallenden Kosten - hier: Kosten für ein handelsübliches Fahrrad in Höhe von 200,00 Euro - als Eigenanteil vom Versicherten selbst zu tragen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 28).

Gegen das ihr am 14. Juli 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. August 2003 eingelegte Berufung der Beklagten.

Sie trägt vor: Die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung scheide von vornherein aus. Zu Recht habe das Sozialgericht einen Behinderungsausgleich verneint. Allerdings komme das Sesseldreirad auch nicht in Betracht, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Die Sachverständige S. habe selbst ausgeführt, dass sie eine genaue Zahl für jährlich anfallende Kosten für Krankengymnastik nicht angeben könne. Ihre Angaben beruhten lediglich auf einer Schätzung. Es sei zudem auch nicht vorhersehbar, wie viel krankengymnastische Behandlungen bei der Klägerin zukünftig erforderlich würden, da dies vom individuellen Krankheitsverlauf abhängig sei. Die vom Sozialgericht vorgenommene Hochrechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung erscheine fraglich. Umgekehrt gesehen bedeute die Hochrechnung zugleich, dass krankengymnastische Übungen 1 ½ Jahre lang kostengünstiger als das Sesseldreirad seien. Entscheidend sei nach Ansicht der Beklagten jedoch, dass eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreichend, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung, einschließlich der Stärkung von Muskulatur, Herz-Kreislauf-System, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl erreichen könne. Die witterungsbedingte Einsatzfähigkeit sei zudem ganz deutlich eingeschränkt, so dass ein ganzjähriger Einsatz für ein regelmäßiges Training nicht möglich sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 24. April 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es liege sehr wohl eine Beeinträchtigung der körperlichen Grundfunktion des Gehens vor. Diese Beeinträchtigung könne durch das Sesseldreirad ausgeglichen werden. Hinzu komme auch eine Entlastung der erkrankten Gelenke. Die Lausitz gehöre zu einer der wärmsten Gegenden im Bundesgebiet. Trotz einer in Cottbus herrschenden schwierigen Haushaltslage finde immer noch ein regelmäßiger Streu- und Schneeräumungsdienst statt, so dass das Sesseldreirad auch im Winter benutzt werden könne. Aus dem Gutachten der Sachverständigen S. folge die Wirtschaftlichkeit des Sesseldreirades. Soweit der Senat an der Beweiswürdigung der Sachverständigen Zweifel hege, müsse er selbst ggf. aus eigener Sachkunde darlegen, weswegen mit einer regelmäßigen Krankengymnastik dem Leiden der Klägerin sogar gezielter und vielseitiger Rechnung getragen werden könne.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 86 bis 100 und 123 bis 124 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ( ...), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt. Der Bescheid vom 27. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2001 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Sesseldreirad.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§ 27 bis 52 SGB V).

Ein Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V besteht, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V).

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 4 Satz 1 SGB V kann das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. Von dieser Ermächtigung ist mit der Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 13. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2237) in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 17. Januar 1995 (BGBl 1995, 44) - Hilfsmittel-Verordnung - Gebrauch gemacht worden.

Die Klägerin kann die Versorgung mit einem Sesseldreirad nicht schon deswegen beanspruchen, weil es vom Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. unter dem 22. Juni 2001 verordnet worden ist.

Der ärztlichen Verordnung kommt noch keine die Leistungsverpflichtung der Beklagten verbindlich regelnde Wirkung zu. Dies folgt zum einen daraus, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Krankenkassen unwirtschaftliche Leistungen nicht bewilligen dürfen und nach § 275 Abs. 3 Nr. 2 SGB V die Krankenkassen vor Bewilligung eines Hilfsmittels in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst prüfen lassen können, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Hiermit steht zum anderen in Einklang, dass nach den die Verordnungstätigkeit regelnden Bundesmantelverträgen (§ 30 Abs. 8 Satz 1 Bundesmantelvertrag - Ärzte; BMV-Ä; § 16 Abs. 8 Satz 1 Bundesmantelvertrag -Ärzte/Ersatzkassen; EKV-Ä) die Abgabe von Hilfsmitteln einer Genehmigung durch die Krankenkasse bedarf, soweit in ihren Bestimmungen nichts anderes vorgesehen ist (BSG Urteil vom 29. September 1997 - 8 RKn 27/96 in SozR 3-2500 § 33 Nr. 25; Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R in SozR 2-2500 § 33 Nr. 31).

Wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat, ohne dies allerdings im Einzelnen näher auszuführen, ist das Sesseldreirad nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen (dritte Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Da eine Behinderung bereits vorliegt, kommt ersichtlich die erste Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht in Betracht.

Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Eine Behinderung droht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX).

Die Klägerin leidet an einer Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit (vgl. Verordnung des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. vom 22. Juni 2001) infolge einer angeborenen Hüftluxation beidseits mit Coxarthrose und erheblicher muskulärer Insuffizienz bei daraus resultierender Fehlstatik und wiederkehrendem Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom mit Schmerzausstrahlung in das linke Bein (vgl. Befundbericht des genannten Arztes Dr. H. vom 27. Juni 2002 und Gutachten der Fachärztin für Orthopädie S. vom 12. November 2002). Bei diesem Zustand handelt es sich um eine bestehende Behinderung, denn er ist nicht alterstypisch und beeinträchtigt das Leben in der Gesellschaft.

Mit dem Sesseldreirad kann - entgegen der Sachverständigen S. - die genannte Behinderung ausgeglichen werden, denn es tritt an die Stelle eines sonst erforderlichen Gehens. Jedoch hat für einen solchen Behinderungsausgleich nicht die Beklagte mit den Mitteln der Krankenversicherung einzustehen.

Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln ist die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 1 Satz 1 SGB IX). Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes - Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation - und unter ihren besonderen Voraussetzungen (§ 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Versorgung mit Hilfsmitteln nur insoweit, als sie der Sicherung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dienen (vgl. BSG Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 44). Dazu gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen, Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfasst (BSG Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 31). Das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraumes ist hierbei nur als Basisausgleich zu verstehen und bedeutet nicht die vollständige Gleichstellung mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden. Soweit das allgemeine Grundbedürfnis, selbständig zu gehen, betroffen ist, fallen darunter nur diejenigen Entfernungen, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Allerdings ist hierbei nicht auf Wegstrecken jeder Art und Länge abzustellen, die ein Nichtbehinderter bei normalem Gehen zu Fuß noch bewältigen kann. Zu den vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens gehört vielmehr nur die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Besonderheiten des Wohnortes, die ggf. das Zurücklegen weiterer Strecken oder besonderer Strecken erfordern, sind nicht maßgeblich. Zum Grundbedürfnis des Gehens gehören daher nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer bzw. zur Unternehmung von Ausflügen in die Umgebung. Sportliche Betätigung im Freizeitbereich gehört ebenso wie das Laufen bzw. Rennen nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen bei Erwachsenen (BSG Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 31).

Soweit die Klägerin daher vorträgt, das begehrte Hilfsmittel werde aus beruflichen Gründen (zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit bzw. zur Bewältigung des Arbeitsweges) und wegen der Erweiterung der aktiven Freizeitbetätigung benötigt, handelt es sich um Gesichtspunkte, die im Rahmen der Versorgung durch die Krankenversicherung rechtlich ohne Belang sind.

Entgegen der Ansicht der Klägerin erweitert das SGB IX nicht die gegenüber der Krankenversicherung bestehenden Ansprüche des SGB V. Dies gilt insbesondere für § 26 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. § 31 SGB IX, soweit es also um die Versorgung mit einem Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Rehabilitation geht. Nach § 1 Satz 1 SGB IX erhalten zwar Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Zur Teilhabe werden insoweit auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbracht (§ 5 Nr. 1 SGB IX). Wie aus § 6 Abs. 1 SGB IX jedoch ersichtlich wird, werden solche Leistungen nicht nur von den gesetzlichen Krankenkassen, sondern auch von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung, den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung, den Trägern der Alterssicherung der Landwirte, den Trägern der Kriegsopferversorgung und denen der Kriegsopferfürsorge, den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den Trägern der Sozialhilfe erbracht. Mithin bestimmt § 7 Satz 2 SGB IX, dass sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten. Soweit daher Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung begehrt werden, bestimmt das SGB V, nach welchen Voraussetzungen solche Leistungen in Betracht kommen. Lediglich im Rahmen dieser Voraussetzungen können die Vorschriften des SGB IX lückenfüllend ergänzend herangezogen werden (vgl. § 7 Satz 1 SGB IX).

Das Sesseldreirad ist allerdings geeignet, den Bewegungsradius, der durch die eingeschränkte Gehfähigkeit begrenzt ist, zu erweitern. Nach Angaben der Klägerin in ihrer Klageschrift vom 27. November 2001 kann sie nur 30 Minuten ohne Beschwerden gehen. Der Arzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. hat in seinem Befundbericht vom 27. Juni 2002 angegeben, die Klägerin könne 50 bis 100 m zu Fuß zurücklegen; danach müsse sie eine Pause machen. Nach dem Entlassungsbericht der Knappschafts-Klinik W. vom 04. September 2001 gab die Klägerin bei der Abschlussuntersuchung an, Spaziergänge von 2 bis 3 km unter Benutzung eines Wanderstockes gut zu tolerieren. Schließlich hat die Sachverständige S. in ihrem Gutachten vom 12. November 2002 auf die Frage, welche Wegstrecke die Klägerin derzeit zu Fuß zurücklegen könne, sich auf die Angaben der Klägerin bezogen, wonach diese etwa 1 km in langsamen Gehtempo in etwa einer halben Stunde bewältigen könne. Auch wenn die Angaben teilweise sehr unterschiedlich sind, wird zumindest deutlich, dass die Klägerin noch in der Lage ist, selbständig einen kurzen Spaziergang zu machen bzw. im Nahbereich der Wohnung liegende Stellen zu erreichen. Die im Entlassungsbericht der Knappschafts-Klinik W. vom 04. September 2001 enthaltene Entfernungsangabe dürfte hierbei nicht den allgemeinen Zustand widerspiegeln, sondern stellt wohl das besonders günstige Ergebnis der unmittelbar zuvor vom 24. Juli bis 21. August 2001 durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme dar. Die Einschätzung des behandelnden Dr. H. im Befundbericht vom 27. Juni 2002 mag einen möglicherweise seinerzeit bestehenden - vorübergehend schlechteren - Zustand abbilden. Sie widerspricht jedenfalls deutlich der eigenen Beurteilung der Klägerin, sofern die Wegstrecke danach insgesamt auf 100 m beschränkt sein sollte. Die Angaben in diesem Befundbericht fügen sich jedoch dann in das von der Klägerin gezeichnete Bild ein, wenn damit nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die Klägerin eine längere Gehstrecke nicht zügig zurücklegen könne.

Wird angesichts dessen davon ausgegangen, dass die Klägerin somit 500 m in 15 Minuten zurücklegen kann, kann sie die vitalen Lebensbedürfnisse im Bereich des Gehens noch selbständig befriedigen. Mithin ist das Sesseldreirad nicht erforderlich, um ein allgemeines Grundbedürfnis zu gewährleisten.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts kann die Klägerin die Versorgung mit einem Sesseldreirad allerdings auch nicht beanspruchen, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern.

Der Senat folgt dem Sozialgericht mit der von ihm gegebenen Begründung zwar insoweit, dass dieses Hilfsmittel geeignet ist, den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Der Versorgung steht jedoch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V entgegen.

Nach dieser Vorschrift müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Notwendig in diesem Sinne ist ein Hilfsmittel, wenn die Sicherung der Krankenbehandlung nicht in gleichem Umfang mit einer kostengünstigeren und zumindest gleich geeigneten Maßnahme erreicht werden kann (BSG Urteil vom 29. September 1997 - 8 RKn 27/96 in SozR 3-2500 § 33 Nr. 25; Urteil vom 30. Januar 2001 - B 3 KR 6/00 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 39).

Nach der Sachverständigen S. können die bei der Klägerin bestehenden Abnutzungsveränderungen im Bereich beider Hüftgelenke weder durch ein Sesseldreirad (Therapiedreirad) noch durch sonstige medizinische Maßnahmen verhindert werden. Ziel kann es danach nur sein, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, durch Muskelkräftigung eine Verschlechterung der Beweglichkeit im Bereich der Hüftgelenke zu mindern. Es geht somit darum, die Verschlimmerung einer Krankheit zu verhüten.

Eine solche Verschlimmerung ist nach der Sachverständigen S. zu erwarten, wenn nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Dies liegt darin begründet, dass bei Inaktivität ein fortschreitender Muskelabbau im Bereich der Hüftgelenksmuskulatur eintritt, welcher eine Reduzierung der Hüftgelenksbeweglichkeit zur Folge hat. Der Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. hat in seinem Befundbericht vom 27. Juni 2002 ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Gelenkbeweglichkeit durch Muskeltraining erhalten bzw. aufgehalten werden kann. Dies ist nachvollziehbar.

Das angestrebte Ziel der Krankenbehandlung kann allerdings auch durch Versorgung mit einem Heilmittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 32 Abs. 1 SGB V) erreicht werden.

Heilmittel sind alle ärztlich verordneten Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen. Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen der physikalischen Therapie, der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie und der Ergo-Therapie (vgl. BSG Urteil vom 30. Januar 2001 - B 3 KR 6/00 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 39; Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinien) in der Fassung vom 06. Februar 2001 (Bundesanzeiger 2001, Beilage Nr. 118 a), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 21. Juni 2002 (Bundesanzeiger 2002 Nr. 179).

Nach der Sachverständigen S. kann das o. g. Ziel in gleicher Weise durch regelmäßige krankengymnastische Übungsbehandlung (täglich) sichergestellt werden. Soweit diese Sachverständige und im Anschluss daran das Sozialgericht gemeint haben, die krankengymnastische Übungsbehandlung sei gegenüber der einmaligen Verordnung des Sesseldreirades wesentlich kostenintensiver, vermag der Senat nicht zu folgen.

In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2003 hat die Sachverständige S. zur krankengymnastischen Übungsbehandlung ausgeführt, es bedürfe anfangs einer kontinuierlichen Anleitung durch einen Krankengymnasten bzw. Physiotherapeuten. Nach Anlernen der erforderlichen Übungen könnten diese teilweise selbständig und in häuslicher Umgebung durchgeführt werden. Dies gelte allerdings nur für einfache aktive Bewegungsabläufe und Anspannungsübungen.

Soweit dieser Teil der krankengymnastischen Übungsbehandlung betroffen ist, kann ersichtlich durch die Versorgung mit einem Sesseldreirad eine Kostenersparnis nicht eintreten. Die anfangs erforderliche fachkundige kontinuierliche Anleitung ist nicht durch das Sesseldreirad ersetzbar. Soweit diese Übungen teilweise selbständig und in häuslicher Umgebung durchgeführt werden können, bedarf es zu deren Durchführung nach dieser Sachverständigen auch nicht des Einsatzes des begehrten Hilfsmittels.

Darüber hinaus hat die Sachverständige S. beurteilt, passive Bewegungs- und Dehnungsübungen sowie komplexe Bewegungsabläufe könnten dauerhaft nur unter fachlicher Anleitung, teilweise unter zusätzlicher Nutzung von Trainingsgeräten, absolviert werden.

Auch hinsichtlich dieses Aspekts der krankengymnastischen Übungsbehandlung ist nicht ersichtlich, dass durch die Verordnung eines Sesseldreirades Kosten eingespart werden könnten. Die Nutzung eines solchen Hilfsmittels besteht in der aktiven Bewegung. Zur Durchführung der genannten passiven Bewegungs- und Dehnungsübungen ist es schon nicht geeignet, zumal fachliche Anleitung bzw. fachlicher Einsatz erforderlich ist. Dies gilt nach der Sachverständigen S. erst Recht für komplexe Bewegungsabläufe. Es handelt sich hierbei um die nicht selbständig von der Klägerin ausführbaren aktiven Übungsbehandlungen. Da für solche komplexe Bewegungsabläufe dauerhaft fachliche Anleitung erforderlich ist, scheidet die Nutzung des Sesseldreirades von vornherein zu diesem Zweck aus, denn es soll von der Klägerin selbständig, also ohne die erforderliche fachliche Anleitung, genutzt werden. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass es zur Beübung komplexer Bewegungsabläufe überhaupt eingesetzt werden könnte, da es in seinem Gebrauch im Wesentlichen nur eine gleichförmige Bewegung zulässt. Wie die Klägerin selbst während des Widerspruchsverfahrens vortrug, soll es den Trainingseffekt erreichen, der durch Fahrradfahren erzielt werden könnte. Die besondere Sitzhaltung, die eine rückenfreundliche gestreckte Beinhaltung ermöglicht (vgl. dazu auch das dem Kostenvoranschlag der L. gGmbH vom 14. Juni 2001 beigefügte Bild), ist zwar benutzerfreundlich; dadurch wird jedoch nicht die Durchführung komplexer Bewegungsabläufe erreichbar.

Nach der Sachverständigen S. ist mit der Benutzung eines Sesseldreirades überhaupt nur der Teilaspekt letztgenannter Übungstherapie insoweit ersetzbar, als es um die teilweise zusätzliche Nutzung von ansonsten (durch den Leistungserbringer von Heilmitteln) zur Verfügung gestellten Trainingsgeräten geht. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar. Wenn es zur Beübung komplexer Bewegungsabläufe, teilweise unter zusätzlicher Nutzung von Trainingsgeräten, immer der fachlichen Anleitung bedarf, können diese Trainingsgeräte nicht durch das begehrte Hilfsmittel, das ohne diese fachliche Anleitung benutzt werden soll, ersetzt werden.

Damit bleibt jedoch die krankengymnastische Übungsbehandlung im bisherigen Umfang weiterhin nötig. Sie kann aus den genannten Gründen gerade nicht durch die Versorgung mit einem Sesseldreirad ersetzt und damit teilweise reduziert werden.

Soweit die Sachverständige S. gleichwohl gemeint hat, es könnten ärztlich verordnete krankengymnastische Übungsbehandlungen eingespart werden, entbehrt dies einer schlüssigen Begründung. Der Arzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. hat in seinem Befundbericht vom 27. Juni 2002 auf die Frage, warum Krankengymnastik und vergleichbare therapeutische Mittel (z. B. Behindertensport) nicht ausreichend seien, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, geantwortet, "dann, wenn die muskuläre Insuffizienz zunimmt". Angesichts dessen deutet nichts darauf hin, dass die krankengymnastischen Übungsbehandlungen zur Verhütung einer Verschlimmerung unzureichend sind.

Die Ausführungen der Sachverständigen S. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2003 sind in Wahrheit zukunftsbezogen zu verstehen. Sie weist nämlich darauf hin, dass die Klägerin mit dem Sesseldreirad (Therapiedreirad) in der Lage ist, häufiger in der Woche und damit effektiver die (selbständig) durchführbaren krankengymnastischen Übungen auszuführen und damit die Ausdehnung der ärztlich verordneten krankengymnastischen Übungsbehandlung zu vermeiden. Damit wird jedoch nicht an dem gegenwärtigen Krankheitsbild der Klägerin, auf das es bei der Frage nach der Notwendigkeit des begehrten Hilfsmittels ankommt, sondern an ein zukünftiges Leistungsbild, das nicht sicher beurteilt werden kann, angeknüpft. Die Sachverständige S. selbst kommt zu dem Ergebnis, dass mit der Versorgung durch ein Sesseldreirad die täglich selbständig durchzuführenden krankengymnastischen Übungen nicht ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden. Wolle man, so die Sachverständige, die Behandlungsmöglichkeiten und -erfolge, die mit dem Sesseldreirad zu erzielen seien, allein mit krankengymnastischer Übungsbehandlung sicherstellen, wäre ein Vielfaches mehr an ambulanter ärztlich verordneter krankengymnastischer Übungsbehandlung erforderlich. Daran wird ersichtlich, dass das Sesseldreirad nicht dazu dient, die ausreichende krankengymnastische Übungsbehandlung zu vermeiden, sondern daneben und damit zusätzlich zur insoweit ausreichenden krankengymnastischen Übungsbehandlung treten soll. Es wird daher mit dem Sesseldreirad in Wahrheit eine nicht erforderliche Überversorgung begehrt.

Das Sesseldreirad ist sicherlich, wie jedes andere Therapiegerät, das von Gesunden zur Stärkung der Muskulatur und des Kreislaufes genutzt wird, geeignet, zukünftig eintretende krankhafte Zustände zu vermeiden bzw. zu verzögern. Solche Geräte - wie auch der von der Klägerin nach der in der mündlichen Verhandlung gemachten Angabe benutzte Heimtrainer - sind, jedenfalls dann, wenn - wie hier - spezifische Behandlungsmaßnahmen nicht ersetzt werden können, dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten zuzurechnen. Nach § 1 Satz 2 SGB VI sind die Versicherten für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu eintragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden.

Darüber hinaus erscheint die Ansicht des Sozialgerichts, bei dem Sesseldreirad handele es sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, zweifelhaft.

Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind solche Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet werden. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (BSG Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 9/97 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 27).

Die Klägerin trug zwar im Widerspruchsverfahren vor, das Sesseldreirad werde in Einzelfertigung hergestellt und zu Therapiezwecken für Behinderte eingesetzt, die ein normales Fahrrad nicht benutzen könnten. Der Umstand der Einzelfertigung spricht hierbei jedoch nicht notwendigerweise dafür, dass es speziell für Behinderte hergestellt wird. Grund dafür kann auch sein, dass wegen der geringen Zahl der Nachfrage eine Produktion "auf Halde" unzweckmäßig und unwirtschaftlich ist. Behindertenspezifisch wird ein solches Sesseldreirad nur dann, wenn entweder bei der Herstellung individuelle Besonderheiten des (behinderten) Benutzers berücksichtigt werden oder es bestimmte allgemeine Merkmale aufweist, die generell auf einen bestimmten Personenkreis von Behinderten abgestellt sind (z. B. Rollstühle).

Für das von der Klägerin begehrte Sesseldreirad lässt sich eine Entwicklung und Herstellung speziell für Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen nicht zweifelsfrei feststellen. Nach der dem Kostenvoranschlag der L. gGmbH vom 14. Juni 2001 beigefügten Beschreibung sind die gefederten Sesseldreiräder "für die Freizeitgestaltung von Behinderten und Nichtbehinderten konzipiert". Von daher spricht vieles dafür, das Sesseldreirad als Sonderform des Fahrrads anzusehen.

Die Berufung der Beklagten hat daher Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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