L 16 B 31/04 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 31/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 31/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 17. März 2004 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig, längstens bis zum 31.12.2004, an dem Modellvorhaben "Akupunktur" gemäß der Vereinbarung der Beteiligten vom 09. Januar 2001 weiter teilnehmen zu lassen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 30.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beteiligten vereinbarten die Teilnahme des Klägers an dem Modellvorhaben "Akupunktur" (Vereinbarung vom 09.01.2001) und ergänzten den entsprechenden Vertrag mit Wirkung vom 01.04.2003 dahin, dass sich die teilnehmenden Vertragsärzte verpflichteten, nicht weniger als sechs geeignete Patienten pro Quartal in die randomisierte Studie einzubringen (§8 Abs. 4 Satz 1). Nachdem der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht nachgekommen war, kündigte die Antragsgegnerin die Vereinbarung mit Schreiben vom 16.09.2003 mit sofortiger Wirkung. Der Antragsgegner hat sich gegen diese Kündigung gewandt, weil es ihm aufgrund seines Patientenstammes nicht möglich gewesen sei, entsprechend geeignete Patienten in ausreichender Zahl zu melden. Zum anderen hat er die Auffassung vertreten, er habe nach der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe eine Beratung durch die Ethik-Kommission durchführen lassen müssen. Diese habe aber erst mit Schreiben vom 25.08.2003 seine Beteiligung als unbedenklich eingestuft.

Seinen Antrag, ihn vorläufig an dem Modellvorhaben weiter zu beteiligen, den der Antragsteller auch damit begründet hat, dass ihm erhebliche wirtschaftliche Verluste bis hin zur Existenzgefährdung seiner Praxis infolge des Wegfalls der Möglichkeit einer Versorgung entsprechender Schmerzpatienten mittels Akupunktur zu Lasten der Antragsgegnerin drohten, hat das Sozialgericht (SG) Detmold mit Beschluss vom 17.03.2004 zurückgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Da sich der Antragsteller mit seinem Antrag gegen die Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages im Sinne der §§ 53 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) wendet, weil der Vertrag über die Teilnahme an dem Modellvorhaben "Akupunktur" (§§ 63 ff. SGB V - Gesetzliche Krankenversicherung -) die vertragliche Erweiterung der abrechnungsfähigen Leistungen gegenüber der Antragsgegnerin zum Inhalt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 10.02.2003 - L 16 B 121/02 KR ER), kommt dem Widerspruch des Antragstellers gegen die Kündigung der Vereinbarung durch die Antragsgegnerin keine aufschiebende Wirkung zu. Da hierdurch jedoch in die Rechte des Antragstellers eingegriffen worden ist, kann das Gericht in der Hauptsache nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der für den Erlass einer derartigen Sicherungsanordnung erforderliche Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.m.V. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -) sind glaubhaft.

Die Kündigung des Vertrages erweist sich bei der erforderlichen summarischen Prüfung als rechtswidrig. Dabei kann dahinstehen, ob die Ergänzungsvereinbarung vom 11.03.2003 wirksam ist oder inwieweit die Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe das vertragswidrige Verhalten des Antragstellers rechtfertigen könnte, denn jedenfalls hatte die Antragsgegnerin kein Recht zur fristlosen Kündigung des Vertrages.

Die Ergänzungsvereinbarung vom 11.03.2003 sieht lediglich vor, dass bei der Nichterreichung der zu meldenden Anzahl von Patienten eine Kündigung der Vereinbarung den vertragsschließenden Verbänden und Krankenkassen vorbehalten ist. Damit enthält diese Regelung einen Sonderkündigungsgrund gegenüber den Bestimmungen der §§ 9, 12 der Vereinbarung vom 09.01.2003. Hieraus folgt jedoch nicht die Befugnis der Antragsgegnerin, bei Verstoß gegen die Pflichten der Ergänzungsvereinbarung eine fristlose Kündigung auszusprechen. Nach ihrem Wortlaut "behalten sich ... eine Kündigung dieser Vereinbarung vor" enthält § 8 Abs. 4 Satz 2 i.d.F. der Ergänzungsvereinbarung ein solches Recht nicht. Da die §§ 9, 12 Abs. 3 des Vertrages jeweils besondere Gründe für eine fristlose außerordentliche Kündigung aufführen, kann § 8 Abs. 4 Satz 2 i.d.F. der Ergänzungsvereinbarung daher nur dahin verstanden werden, dass ein Verstoß des Arztes gegen die Meldepflicht des § 8 Abs. 4 Satz 1 i.d.F. der Ergänzungsvereinbarung eine ordentliche Kündigung rechtfertigt, d.h. nur eine solche unter Einhaltung der Frist des § 12 Abs. 2 des Vertrages. Die Nichterfüllung der zusätzlich vereinbarten Meldepflicht kann auch nicht den Gründen, die nach §§ 9, 12 Abs. 3 des Vertrages die fristlose Kündigung rechtfertigen, gleichgestellt werden. Denn zum einen handelt es sich nur um eine Nebenpflicht, deren Verletzung keine Gefährdung des Modellvorhabens unmittelbar nach sich zieht; zum anderen hatte der Antragsteller Gründe aufgeführt, warum ihm die Meldung geeigneter Patienten in ausreichender Zahl nicht möglich gewesen ist.

Soweit sich die Antragsgegnerin für ihre gegenteilige Auffassung auf den Beschluss des Senats vom 10.02.2003 - L 16 B 121/02 KR ER - bezieht, verkennt sie, dass dieser Entscheidung ein anders gelagerter Sachverhalt zugrundelag. Der dortige Beschwerdeführer hatte vorsätzlich und fortgesetzt gegen seine Hauptverpflichtung aus dem Vertrag verstoßen, so dass eine ernstliche Gefährdung des Modellvorhabens gegeben war.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Insoweit ist es unerheblich, ob die Kündigung des Vertrages durch die Antragsgegnerin sich Existenz gefährdend auf seine Praxis auswirkt, wie er behauptet, wogegen allerdings spricht, dass sich bereits vor der Kündigung im Jahr 2002 seine Betriebseinnahmen gegenüber 2001 fast halbiert hatten. Andererseits betragen die Einnahmen aufgrund der Behandlung der Versicherten der Beklagten im Rahmen des Modellvorhabens ca. 30.000,- Euro im Jahr (Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 10.03.2003). Daher droht dem Antragsteller aufgrund seines Ausschlusses von dem Modellvorhaben eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Einbuße, die er nach seinem glaubhaften Vorbringen auch nicht anderweitig kompensieren kann. Zur Abwendung dieser für ihn wesentlichen Nachteile bedarf es daher des Erlasses der begehrten Anordnung. Insbesondere kann der Antragsteller zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) nicht auf die Durchführung eines möglichen Schadensersatzprozesses gegen die Antragsgegnerin angesichts der insoweit regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten und anderweitigen Unwägbarkeiten eines derartigen Verfahrens verwiesen werden. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 25.02.2004 - L 16 B 106/03 KR ER - Gegenteiliges angedeutet hat, hält er hieran nicht fest.

Da der Antrag des Antragstellers auch in der Hauptsache erkennbar Erfolg haben muss, steht dem Erlass der begehrten Anordnung nicht entgegen, dass er zu einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache führt (vgl. BVerfG, NJW 2000, 160). Allerdings hat der Senat im Hinblick auf die ohnehin befristete Dauer des Modellvorhabens und die zukünftige Veränderbarkeit der Vertragsgrundlagen die Befristung der begehrten weiteren Teilhabe des Antragstellers für angemessen erachtet.

Der Beschwerde war daher mit der auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beruhenden Kostenentscheidung stattzugeben.

Die Streitwertfestsetzung trägt gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 13 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers am Ausgang des Verfahrens für eine Dauer von zwei Jahren Rechnung. Dabei war entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht auf seinen Umsatz, sondern auf den zu erwartenden Gewinn abzustellen, den der Senat mit der Hälfte der entsprechenden Einnahmen in Höhe von 30.000,- Euro pro Jahr angesetzt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved