L 13 RA 254/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 651/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 254/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Juni 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 24.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die von der Beigeladenen zu 2) an die Beklagte im Wege der Nachversicherung für den Kläger entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1) gemäß den gesetzlichen Vorschriften zu übertragen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die der Beklagten für die Zeit vom 03.10.1983 bis 02.04.1992 überwiesenen Nachversicherungsbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung (Bayer. Versorgungskammer, Bayer. Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, Beigeladene zu 1) zu übertragen sind.

Der 1964 geborene Kläger war im o.g. Zeitraum Beamter im Polizeivollzugsdienst des Freistaats Bayern (letzte Amtsbezeichnung: Polizeioberkommissar). Nach dem Studium der Rechtswissenschaft war er Rechtsreferendar im Beamtenverhältnis auf Widerruf vom 08.04.1994 bis 10.06.1996. Nach der Bescheinigung zur Nachversicherung nach § 8 Abs.2 SGB VI vom 06.08.1996 hat die Bezirksfinanzdirektion (BFD) München für die beiden versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse Beiträge in Höhe von 84.970,80 DM an die Beklagte (Wertstellung: 22.08.1996) überwiesen. Seit 09.06.1997 ist der Kläger Pflichtmitglied bei der Beigeladenen zu 1). Aufgrund des am 13.05.1997 beim OLG München eingegangenen Antrages hat die Beklagte die ihr entrichteten Beiträge aus der versicherungsfreien Beschäftigung als Rechtsreferendar an die Beigeladene zu 1) übertragen.

Mit Bescheid vom 24.09.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab, die Beiträge aus der Beschäftigung im Polizeivollzugsdienst (03.10.1983 bis 02.04.1992) an die Beigeladene zu 1) zu überweisen. Ein Aufschubgrund nach § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI habe nicht vorgelegen, so dass eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk bis spätestens am 02.04.1993 und nicht erst ab 09.06.1997 hätte vorliegen müssen. Selbst wenn man von einer rechtzeitigen Antragsstellung ausgehe, habe bei Ablauf der Antragsfrist noch keine Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltsversorgung bestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es könne offen bleiben, ob ein Aufschubgrund vorgelegen habe. Bei einer Mitgliedschaft erst am 09.06. 1997 in der berufsständischen Versorgungseinrichtung habe bezüglich der Nachversicherung der Polizeidienstzeit die Jahresfrist des § 186 SGB VI nicht eingehalten werden können, gleichgültig, ob diese am 03.04.1992 oder am 03.04.1994 begonnen habe.

Mit der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, entgegen der Ansicht der Beklagten sei eine Aufschubentscheidung in Form einer Aufschubbescheinigung für den Aufschub der Nachversicherung nicht zwingend. Im Übrigen sei eine solche Aufschubentscheidung tatsächlich ergangen, wie das Telefonat vom 18.02.1992 mit der damaligen Sachbearbeiterin belege. Auf die gerügte Nichteinhaltung der Jahresfrist nach § 186 SGB VI komme es nicht an, da ein Aufschubtatbestand nach § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI vorgelegen habe. Er habe subjektiv den Willen gehabt, innerhalb der maßgeblichen Frist seinen Dienst als Rechtsreferendar aufzunehmen, was sein Schreiben vom 18.02.1992 belege. Auch objektiv sei es - bei einer Prüfungsvorbereitungszeit von eineinhalb Jahren und einer Korrekturzeit von sechs Monaten - hinreichend wahrscheinlich gewesen, dass er innerhalb von zwei Jahren wieder eine versicherungsfreie Beschäftigung aufnehmen werde. Er habe dies genau geplant und schon während des Polizeidienstes sein Studium betrieben. Zudem sei die Nachversicherung für die Zeiten des Polizeidienstes erst nach Beendigung des Referendardienstes erfolgt. Die Aufspaltung der Nachversicherung widerspreche dem Sinn der gesetzlichen Regelung, die eine effektive Alterssicherung bezwecke.

Durch Urteil vom 19.06.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen nach § 186 Abs.1 Nr.1 SGB VI seien nicht erfüllt, da die Pflichtmitgliedschaft bei der Bayer. Rechtsanwaltsversorgung ab 09.06.1997 sich nicht nahtlos an den Nachversicherungszeitraum (01.10.1983 bis 02.04.1992) angeschlossen habe. § 186 Abs.1 Nr.2 SGB VI scheitere, da der Kläger nach Ende des Polizeibeamtenverhältnisses (02.04.1992) nicht innerhalb eines Jahres, sondern erst am 09.06.1997 Pflichtmitglied des Versorgungswerks geworden und der Antrag auf Zahlung am 13.05. 1997 gestellt worden sei. Schließlich habe kein Aufschubtatbestand für die Jahresfrist des § 186 Abs.3 SGB VI wegen vorübergehender Unterbrechung nach § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB VI vorgelegen. Werde ein Beamter wegen der Aufnahme eines Studiums der Rechtswissenschaften aus dem Beamtenverhältnis entlassen, liege eine vorübergehende Unterbrechung der versicherungsfreien Beschäftigung im Sinne des § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB VI selbst dann nicht vor, wenn der Beamte beabsichtige, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Dienst seines bisherigen Dienstherrn zu treten.

Die zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) fristgerecht eingelegte Berufung stützt der Kläger im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen. Ein Aufschubtatbestand nach § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI habe bis zum 10.06.1996 (Bestehen der zweiten ju- ristischen Staatsprüfung) vorgelegen. Beim Ausscheiden aus dem Polizeivollzugsdienst am 02.04.1992 habe aufgrund seiner Leistungen kein Zweifel bestanden, dass er innerhalb von zwei Jah- ren nach erfolgreichem Abschluss des ersten juristischen Staats- examens als Referendar übernommen werde. Diese Prognose ergebe sich aus seinem Schreiben vom 18.02.1992 und dem Verhalten des Dienstherrn, der ihn nicht zwischenzeitlich nachversichert habe. Im Übrigen seien die Fristen des § 186 Abs.1 Nr.2 und Abs.3 SGB VI eingehalten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.06.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1998 zu verurteilen, die Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 03.10.1983 bis zum 02.04.1992 an die Bayer. Rechtsanwaltsversorgung zu überweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben keinen Antrag gestellt.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge, die Personalakte des Klägers, betreffend das Beamtenverhältnis von 1983 bis 1992, sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die vom früheren Dienstherrn (Beigeladener zu 2) an die Beklagte im Wege der Nachversicherung gezahlten Beiträge an die Bayer. Versorgungskammer (Bayer. Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, Beigeladene zu 1) übertragen wer- den. Die Voraussetzungen des § 186 Abs.1 Nr.2 sowie Abs.3 SGB VI sind erfüllt.

§ 186 Abs.1 und Abs.3 SGB VI setzen voraus, dass die nachzuversichernde Person innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung wird und innerhalb eines Jahres nach dem Eintritt der Voraussetzungen für die Nachversicherung den Antrag auf Entrichtung der Nachversicherungsbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung gestellt hat.

Vorliegend ist der Kläger nach Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung als Rechtsreferendar am 10.06.1996 (vgl. § 5 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB VI) am 09.06.1997 und damit in Jahresfrist Mitglied der Beigeladenen zu 1) geworden. Der Kläger hat auch die Frist des § 186 Abs.3 SGB VI eingehalten, weil der Antrag vom 10.05.1997 auf Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1) am 13.05.1997 beim Beigeladenen zu 2) und damit innerhalb der 1-Jahres-Frist des § 186 Abs.3 SGB VI eingegangen ist.

Die Jahresfrist, innerhalb der das Antragsrecht nach § 186 Abs.3 SGB VI auszuüben ist, beginnt nach dem Wortlaut des Gesetzes mit Eintritt der Voraussetzungen für die Nachversicherung. Nach dem ab 01.01.1992 geltenden Recht (vgl. Gesetz vom 18.12.1989, BGBl.I S.2261; Rechtsgrundlagen bis 31.12.1991: § 1403 RVO, §§ 124, 125 AVG) ist neben dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung zusätzlich erforderlich, dass ein Aufschubgrund nach § 8 Abs.2 Satz 1 sowie § 184 Abs.2 SGB VI nicht vorliegt. Eine sinnvolle Entscheidung über das Alterssicherungssystem, an das die Nachversicherungsbeiträge gezahlt werden sollen, kann bei Vorliegen eines Aufschubgrundes erst nach dessen Wegfall getroffen werden.

Entgegen der Auffassung des SG lagen beim Ausscheiden des Klägers aus dem Polizeivollzugsdienst zum 02.04.1992 die Voraussetzungen für einen Aufschub der Beitragszahlung gemäß § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI vor.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.07.1997, 4 RA 107/95, in: SozR 3-2600 § 8 SGB VI Nr.4) kommt es darauf an, ob im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung eine hinreichend sichere, auf objektiven Merk- malen beruhende Erwartung besteht, dass der Beschäftigte vom nächsten Tag an bzw. innerhalb von zwei Jahren eine erneute entsprechende Beschäftigung aufnimmt. Im Zeitpunkt des unversorgten Ausscheidens muss aufgrund einer Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine hinreichend sichere Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Beschäftigte so- fort oder innerhalb von zwei Jahren erneut eine Beschäftigung aufnehmen wird, in der er - unter Einbeziehung der bisherigen Nachversicherungszeiträume - wiederum wegen Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert sein wird. Eine hinreichende (subjektive und objektive) "Voraussichtlichkeit" ist nur gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände im Zeitpunkt des unversorgten Ausscheidens die Erwägungen, welche die Aufnahme einer anderen Beschäftigung sofort bzw. innerhalb von zwei Jahren nahe legen, so stark überwiegen, dass keine erheblichen Zweifel daran verbleiben. Keineswegs reichen vage Spekulationen über Möglichkeiten einer Wiedereinstellung aus. Entgegen der Beklagtenseite bestanden zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Polizeidienst zum 02.04.1992 keine erheblichen Zweifel, dass der Kläger innerhalb von zwei Jahren die erste juristische Staatsprüfung besteht und den Dienst als Referendar und damit eine versicherungsfreie Beschäftigung aufnimmt.

Der Wiederaufnahme einer versicherungsfreien Beschäftigung im vorgegebenen Zeitraum fehlt weder subjektiv noch objektiv die erforderliche Voraussehbarkeit.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 24.01.1992 sein seit 03.10.1983 bestehendes Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum 02.04.1992 gekündigt, um sein vor zweieinhalb Jahren begonnenes Jura-Studium erfolgreich beenden zu können. Am 18.02.1992 hat er beantragt, die Nachzahlung der Rentenversicherungsbeiträge auszusetzen, da er innerhalb der nächsten zwei Jahre voraussichtlich wieder in eine andere rentenversicherungsfreie Tätigkeit als Rechtsreferendar und damit als Beamte auf Widerruf eintreten werde. Der bisherige Dienstherr (Polizeipräsidium Oberbayern) ist diesem Aufschubbegehren insoweit nachgekommen, als er die BFD München um Aufschub der Nachversicherung gebeten hat. Die BFD hat dementsprechend erst nach Abschluss der Referendarzeit (08.04.1994 bis 10.06.1996) im August 1996 den Kläger sowohl wegen des Dienstes bei der Polizei als auch als Referendar bei der Beklagten nachversichert.

Nach dem bisherigen beruflichen Werdegang bestanden auch im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Polizeidienst im April 1992 aus objektiver Sicht keine erheblichen Zweifel, dass der Kläger - wie tatsächlich geschehen - diese Ziele nicht werde erreichen können. So hat er sein Abitur im Juni 1983 mit einer Durchschnittsnote von 2,1 und guten Leistungen in den für das Studium der Rechtswissenschaften wichtigen Fächer wie Deutsch und Mathematik abgeschlossen. Seine Karriere bei der Polizei hat er zielstrebig vorangetrieben und ist bis zum Polizeioberkommissar befördert werden. Das Studium an der Bayer. Beamtenfachhochschule hat er am 21.11.1986 mit dem akademischen Grad "Diplom-Verwaltungswirt (FH)" abgeschlossen. Der von ihm vorgesehene Vorbereitungszeit auf das erste juristische Staatsexamen von eineinhalb Jahren ist realistisch. Dass der Kläger im ersten Anlauf trotz einer Durchfallquote von etwa 30 % das erste Staatsexamen bestehen würde, war aufgrund seiner bisherigen Leistungen zu damaligen Zeitpunkt nicht zweifelhaft. Die anschließende Zeit von etwa einem halben Jahr nach dem schriftlichen Examen bis zur mündlichen Prüfung entspricht den üblichen Gegebenheiten. Wie bisher konnte er zu Recht auch davon ausgehen, dass er in Bayern im Anschluss an die mündliche Prüfung ohne weitere Wartezeit den Referendardienst werde beginnen können. Dass der Kläger dann den in § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI angegebenen Zeitraum von zwei Jahren um wenige Tage überschritten hat (Austritt aus der Polizei: 02.04.1992, Eintritt in den Referendardienst am 08.04.1994, Ernennungsurkunde vom 21.03. 1994), ist bei dieser Prognoseentscheidung unschädlich.

Damit haben die Voraussetzungen für einen Aufschub der Beitragszahlung gemäß § 184 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI in der Zeit vom 03.04.1992 bis 07.04.1994 vorgelegen. Der Aufschubgrund ist auch nicht weggefallen, da der Kläger am 08.04.1994 eine neue versicherungsfreie Beschäftigung als Rechtsreferendar aufgenommen hat. Der Nachversicherungsfall ist dann erst mit dem Ende des juristischen Vorbereitungsdienstes am 10.06.1996 eingetreten. Die weiteren Voraussetzungen des § 186 SGB VI haben, wie oben schon dargestellt, vorgelegen.

Nach alledem ist die Beklagte verpflichtet, den Nachversicherungsbetrag für die Zeit im Polizeivollzugsdienst (03.10.1983 bis 02.04.1992) an die Beigeladene zu 1) zu überweisen, wie dies bereits mit dem Nachversicherungsbetrag für die Referendarzeit geschehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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