S 10 U 54/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 54/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 U 59/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenleistungen wegen Tod ihres Ehemanns durch eine Berufskrankheit (BK).

Der 1942 geborene N (Versicherter) stellte am 21.05.2002 selber bei der Beklagten einen Rentenantrag wegen seiner Krebserkrankung, die er auf beruflichen Kontakt mit Asbest, Blei, Zink, Quecksilber, Arsen und Trichloräthylen während seiner Berufstätigkeit als Schlosser im Kohlekraftwerk T in der Zeit vom 01.04.1966 bis 31.03.1999 zurückführte. Nach Auskunft der F-Kraftwerke GmbH hatte der Versicherte Kontakt zu Asbest, handelsüblichen Fetten und Ölen und Kaltreinigern mit dem Wirkstoff Trichlorethan. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten errechnete für den Versicherten 25,6 Asbestfaserjahre und verneinte die Einwirkung anderer krebserregender Stoffe im Arbeitsbereich des Versicherten. Am 17.06.2002 verstarb der Versicherte bei sich zuhause. Die Beklagte veranlasste mit Einverständnis der Klägerin eine Obduktion durch N1 vom "D" in C. Der Pathologe gelangte in seinem Gutachten vom 20.09.2002 zu dem Ergebnis, dass der Tod durch Leberausfall infolge des vorliegenden Dickdarmkarzinoms mit Metastasen in Lymphknoten, Lunge und insbesondere der Leber eingetreten sei. Daneben hätten eine Minimalasbestose und Pleuraplaques im Sinne einer BK 4103 bestanden. Diese Veränderungen seinen aber ohne Krankheitswert und nicht Teilursache für den Eintritt des Todes. Eine BK 4104 habe nicht vorgelegen, da beim Versicherten kein primäres Lungenkrebsleiden bestanden habe. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.10.2002 Hinterbliebenenleistungen wegen einer BK 4103 und 4104 ab. Durch gesonderten Bescheid vom 26.11.2002 stellte Beklagte nochmals fest, dass das zum Tode führende Dickdarmkrebsleiden schicksalhaft entstanden und keine sonstige Berufskrankheit sei. Die dagegen von der Klägerin eingelegten Widersprüche wurden von der Beklagten mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 19.02.2003 zurückgewiesen.

Die dagegen am 13.03.2002 erhobenen Klagen sind verbunden worden durch Beschluss vom 22.05.2003. Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor:

"Die Parteien streiten im wesentlichen darum, ob eine Berufskrankheit nach Ziffer 1302 BKV vorliegt. Die Beklagte ist der Auffassung, der an einem Dickdarmkarzinom leidende und infolge eines Leberzerfalls verstorbene Ehemann der Klägerin sei schicksalhaft erkrankt gewesen. Eine kausale Verbindung zu einer in der Berufskrankheitenverordnung anerkannten toxischen Substanz liege nicht vor.

Die Klägerin hält diesen Kausalzusammenhang gleichwohl für gegeben. Unstreitig war der verstorbene Ehemann der Klägerin von 1966 bis 1998, also immerhin 32 Jahre (!), im Kraftwerk T beschäftigt. Das Kraftwerk verseucht durch hochtoxische Emissionen nicht nur seine Mitarbeiterschaft, sondern auch die Anlieger. Insbesondere sind die Anliegergrundstücke derartig kontaminiert, dass nach Auskunft des Chemischen Untersuchungsamtes der Stadt H die Abtragung der oberen Erdschichten nötig ist und der Konsum von Früchten und Gewächsen aus den umliegenden Gärten und Feldern Mensch und Tier unzuträglich ist.

Es ist geradezu absurd zu glauben, dass ein Mitarbeiter, der 32 Jahre lang diesen toxischen Einwirkungen ausgesetzt war, keine berufskrankheitstypischen Schäden davongetragen hat. Es mag sein, dass das Dickdarmkarzinom und der dadurch eingetretene Leberzerfall für sich gesehen keine Berufskrankheiten waren. Sie waren jedoch unmittelbare Folgen der als karzinogen bekannten und anerkannten Schwermetalleinwirkungen, insbesondere von Blei, Zink, Quecksilber, aber auch von Arsen und Asbest."

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 16.10.2002 und vom 26.11.2002 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19.02.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen zu gewähren wegen Tods ihres Ehemannes infolge einer Berufskrankheit,

hilfsweise,

weitere Ermittlungen durchzuführen, da davon auszugehen ist, dass N1 nicht den Ehemann der Klägerin obduziert hat, da dieser 167 cm groß war und nicht 183 cm, wie im pathologischen Gutachten angegeben ist. Außerdem hatte der Verstorbene dunkle Haare und keine grauen Haare.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und die Klägerin dadurch nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Hinterbliebenenleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, weil der Tod ihres Ehemanns nicht im Sinne von § 63 SGB VII infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Der Versicherte ist nicht infolge einer Berufskrankheit verstorben.

Die Kammer stützt sich insoweit auf das von der Beklagten eingeholte und im Wege des Urkundsbeweises verwertete Gutachten des Pathologen N1. Danach ist in medizinischer Hinsicht davon auszugehen, dass beim Versicherten geringfügige asbestbedingte Veränderungen von Lungengewebe und Brustfell im Sinne einer BK 4103 vorlagen, die aber für den Todeseintritt ohne Bedeutung waren. Der Versicherte ist auch nicht an einer BK 4104 verstorben. Bei ihm hat weder im Sinne dieser BK ein primärer Lungenkrebs bzw. Kehlkopfkrebs vorgelegen, noch hat ein derartiges Leiden zu seinem Tod geführt. Der Tod des Versicherten ist durch Leberausfall infolge des vorliegenden Dickdarmkarzinoms mit Metastasen in Lymphknoten, Lunge, und insbesondere der Leber eingetreten.

Der zum Tode führende Dickdarmkrebs beim Versicherten ist keine BK. Der Versicherte hatte nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten keinen Kontakt zu krebserregenden Stoffen außer zu Asbest. Asbest verursacht aber keinen Dickdarmkrebs (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 1188). Ausweislich der Definition der BK 4104 führt Asbest nur zu Krebs der Lunge oder des Kehlkopfs und allein dieser Krebs kann als BK anerkannt werden.

Nach dem Ermittlungsergebnis der Beklagten hatte der Versicherte keinen beruflichen Kontakt zu den von ihm angeschuldigten Stoffen Blei, Zink, Quecksilber und Arsen. Diese auf den Angaben der Kraftwerksbetreiberin beruhende Beurteilung erscheint überzeugend. Das Sozialgericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Verbrennung von Kohle in einem Kohlekraftwerk Blei, Zink, Quecksilber und Arsen freigesetzt werden. Es ist auch nicht ersichtlich, wie die im Kraftwerk befindlichen Arbeiter verseucht werden können, da hohe Schornsteine dafür sorgen, dass die Abgase und Stäube erst in großer Entfernung niedergehen.

Aber selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Versicherte entgegen der Auskunft seiner früheren Arbeitsgeberin gegenüber diesen Stoffen exponiert war, so ist der bei ihm aufgetretene Dickdarmkrebs dennoch keine BK. Das ergibt sich ohne weiteres aus der einschlägigen Literatur, die der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingehend dargelegt worden ist. Die Klägerin hat nicht einen einzigen Beleg für ihre gegenteilige Ansicht benennen können.

Quecksilber ist nicht krebserregend (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, a.a.O. S. 1301; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, M 1102 Seite 6)). Zinkchromat als BK 1103 führt nach derzeitigem Wissensstand nur zu Lungenkrebs (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, a.a.O. S. 1147, 1171, 1302). Arsen ist als BK 1108 anerkannt und führt lediglich zu Lungen- und Hautkrebs (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, a.a.O. S. 1155). Blei führt als anerkannte BK 1101 zu Koliken und zu Schäden des Nervensystems aber nicht zu Krebs (vgl. Mehrtens/Perlebach, a.a.O. M 1101).

Wenn man entgegen der Auskunft der Arbeitgeberin zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Versicherte bei Reinigungsarbeiten tatsächlich Kaltreiniger mit Trichloräthylen (Trichlorethen) statt des nicht kanzerogenen Trichlorethan verwendet hat, so ist der Dickdarmkrebs dennoch keine BK 1302. Denn Trichloräthylen würde zunächst das zentrale Nervensystem geschädigt haben (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, a.a.O. S. 1312, 1314). Die Einwirkung würde dann allenfalls zu Nierenzellkrebs (vgl. zusprechendes Urteil der Kammer vom 10.12.2001 in S 10 U 3/00) oder zu Leberkrebs geführt haben aber nicht zu Dickdarmkrebs. Gesicherte Erkenntnisse zur Verursachung von Krebs durch Trichloräthylen an irgendeinem Organ liegen bisher nicht vor (vgl. Mehrtens/Perlebach, a.a.O. M 1302, Seite 15).

Das Sozialgericht war an einer Entscheidung nicht gehindert durch den Hinweis der Klägerin auf eine in dem pathologischen Gutachten enthaltene Falschangabe bezüglich Körpergröße und Haarfarbe ihres Ehemanns. Das Gericht hat trotz dieser Unrichtigkeit keinen Zweifel, dass der Pathologe N1 den Körper des Versicherten untersucht hat. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass sich in der Pathologie in C zeitgleich zur Untersuchung mehrere Leichen von älteren Männern mit Dickdarmkrebs und Asbesteinlagerungen befanden und dort durch Unachtsamkeit verwechselt werden konnten. Es muss sich nach der Überzeugung der Kammer um einen bloßen Schreibfehler im Gutachten handeln.

Wenn aber tatsächlich eine andere Person als der Versicherte von N1 obduziert wurde, musste die Klage erst Recht abgewiesen werden. Denn dann ist es unmöglich, den Beweis zu erbringen, dass beim Ehemann der Klägerin eine Berufskrankheit vorgelegen und zum Tode geführt hat. Nach einer Verwechselung wäre nämlich nicht nur die falsche Person in der Pathologie untersucht worden, es müsste anschließend auch die falsche Person unter dem Namen des Versicherten beerdigt worden sein. Der Körper des Ehemanns der Klägerin stände folglich für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung, weil er unter falschem Namen an einem nicht bekannten Ort bestattet worden ist.

Die Kostenentscheidung der Klage beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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