L 4 KR 526/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 KR 1786/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 526/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen des Eintritts der Genehmigungsfiktion.
2. Eine Gynäkomastie Grad 2 bis 3 der Brust stellt eine Krankheit dar. Der Kläger durfte eine Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust aufgrund der fachlichen Befürwortung durch die ihn behandelnden Ärzte für erforderlich halten.
3. Hinsichtlich der Voraussetzungen der Rücknahme einer fingierten Genehmigung folgt der Senat der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der 1955 geborene Kläger begehrt die Kostenübernahme für eine Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung der linken Brust.

Am 24.07.2015 wurde der Beklagten der Kostenübernahmeantrag der Klinik und Poliklinik für plastische Chirurgie des Klinikums I. vom 01.07.2015 für die Durchführung einer Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung links bei druckschmerzhafter Gynäkomastie Grad 2 bis 3 bei dem Kläger übermittelt. Mit Schreiben vom 31.07.2015 wies die Beklagte darauf hin, dass eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) erforderlich sei. Mit Schreiben vom 14.09.2015 forderte die Beklagte von den behandelnden Ärzten weitere Unterlagen an. Eine Information des Klägers erfolgte nicht.

In seiner Stellungnahme vom 01.10.2015 kam der MDK zu dem Ergebnis, eine medizinische Indikation für den Eingriff sei nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 09.10.2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab und verwies dabei auf die Stellungnahme des MDK. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 23.10.2015 Widerspruch und wies auf die psychische Belastung durch die Gynäkomastie aufgrund der Brustkrebserkrankung seiner Ehefrau im Jahr 2008 und die zunehmenden Schmerzen hin.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2015 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Es liege keine Krankheit vor, die der Behandlung bedürfe. Eine Entstellung sei nicht gegeben. Auch unter dem Gesichtspunkt der psychischen Beeinträchtigung sei die Beklagte nicht leistungspflichtig. Der Kläger hat am 22.12.2015 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Es liege eine behandlungsbedürftige Gynäkomastie vor. Die Therapie diene auch der Vorbeugung der Entstehung von Brustkrebs.

Das SG hat ein fachinternistisches Gutachten des Dr. W. M. eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 17.03.2016 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass kein krankhafter und behandlungsbedürftiger Befund vorliege. Es bestehe eine geringgradige Gynäkomastie, die nicht dramatisch auffalle. Ein Brustkrebs sei ausgeschlossen worden. Bei insgesamt erheblicher Adipositas bestehe offensichtlich eine vermehrte Fetteinlagerung. Es handle sich um ein geringgradiges medizinisches und vor allem kosmetisches Problem. Zunächst wäre eine deutliche Gewichtsreduktion anzustreben.

Auf Antrag des Klägers hat das SG Dr. M. E. zum ärztlichen Sachverständigen nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ernannt. Dieser ist in seinem fachradiologischen Gutachten vom 28.07.2016 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass durchaus ein behandlungsbedürftiger Zustand vorliege. Zwar habe sich kein Anhaltspunkt für einen malignen Prozess ergeben. Gynäkomastien stellten aber im täglichen Leben eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung dar, da sie ständig zu Missempfindungen und Irritationen führten.

Mit Schreiben vom 11.08.2016 hat die Beklagte dem SG "entsprechend § 96 SGG" den Verwaltungsakt vom 11.08.2016 übersandt. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den fiktiven Bescheid vom 29.08.2015 für die Zukunft aufgehoben. Die Frist zur Entscheidung sei am 28.08.2015 abgelaufen. Mit der Fristüberschreitung gelte die konkret beantragte Leistung als genehmigt. Es handle sich um einen sog. fiktiven begünstigenden Verwaltungsakt. Dieser sei aber rechtswidrig, er könne unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen werden. Es fehle an der Erforderlichkeit der beantragten Leistung zum Zeitpunkt der Fristüberschreitung am 29.08.2015. Dies habe der MDK durch sein Gutachten vom 01.10.2015 festgestellt. Der fiktive Genehmigungsbescheid sei daher rechtswidrig, weil er gegen materielles Recht verstoße.

Das Vertrauen des Klägers auf den Bestand des fiktiven Genehmigungsbescheides sei auch nicht schutzwürdig, da die Leistung noch nicht erbracht worden sei und der Kläger keine Vermögendispositionen getroffen habe. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 09.10.2015 die beantragte Maßnahme abgelehnt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei es dem Kläger ersichtlich gewesen, dass ein Anspruch auf die Leistung nicht bestanden habe.

Unter Abwägung aller Umstände sei das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsaktes höher zu bewerten als der bisher nicht bestehende Vertrauensschutz in die fiktive Genehmigung. Bei Bestand der fiktiven Genehmigung würde die Versichertengemeinschaft unrechtmäßig mit den Kosten belastet. Die Krankenkasse dürfe nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben führen und Mittel für diese Aufgaben und die Verwaltungskosten verwenden. Sie habe sämtliche unrechtmäßigen Ausgaben zu unterlassen. Andere abwägungsrelevante Gesichtspunkte, die in die Ermessenserwägung einzustellen seien, seien nicht erkennbar.

Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 11.08.2016 weiter den Antrag auf Kostenübernahme für eine Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung der linken Brust abgelehnt, soweit der Bescheid vom 09.10.2015 sowie der Widerspruchsbescheid vom 01.12.2015 durch Eintritt der Genehmigungsfiktion bereits überholt gewesen seien. Ein Anspruch auf die begehrte Krankenhausbehandlung sei nicht gegeben. Der MDK habe unter Berücksichtigung der eingereichten Befundberichte und Dokumentationen festgestellt, dass beim Kläger, was den Zustand der Brust betreffe, keine Krankheit vorliege, die der ärztlichen Behandlung bedürfe. Unter dem Gesichtspunkt der psychischen Beeinträchtigung sei die Beklagte ebenfalls nicht leistungspflichtig. Die gesetzlichen Krankenkassen seien nicht verpflichtet, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten für den operativen Eingriff in einen im Normbereich liegenden Körperzustand zu tragen. Eine Leistungspflicht ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger wegen einer Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Der Bescheid ersetze den Bescheid vom 09.10.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2015 und werde daher gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 10.10.2016 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2015, sowie der Bescheide vom 11.08.2016 verurteilt, dem Kläger die mit Schreiben vom 24.07.2015 beantragte und mit Fiktivbescheid vom 29.08.2015 genehmigte "Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links" als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Zwischen den Beteiligten sei seit dem Schriftsatz der Beklagten vom 11.08.2016 unstreitig, dass die am 25.07.2015 beantragte "Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung der Brust linksseitig" wegen Fristüberschreitung gemäß § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) per Gesetz mit Wirkung ab 29.08.2015 fiktiv genehmigt worden sei. Strittig sei jedoch, inwieweit der Fiktivbescheid gemäß § 45 SGB X im Schriftsatz vom 11.08.2016 mit der Begründung wieder aufgehoben habe werden können, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt die fiktive Genehmigung noch nicht in Anspruch genommen habe. Die Beklagte gehe davon aus, dass kein Vertrauenstatbestand im Sinne von § 45 SGB X vorhanden sein könne, der beachtlich wäre.

Der Kläger beziehe sich darauf, dass im Endeffekt unter Betonung der generalpräventiven Zielsetzungen des Gesetzgebers dem Interesse des Versicherten am Bestand der rechtmäßig zu Stande gekommenen Genehmigungsfiktion ein höheres Gewicht zukomme als dem fiskalischen Interesse der Solidargemeinschaft. Andernfalls würde der gesetzgeberische Wille unterlaufen und ad absurdum geführt.

Die Klage sei als Anfechtungsklage zulässig und auch trotz des vorher ergangenen Fiktivbescheides erforderlich, da die weiteren Bescheide einen der Genehmigungsfiktion vom 29.08.2015 entgegenstehenden Rechtsschein setzten. Die Anfechtungsklagen gegen den Aufhebungsbescheid nach § 45 SGB X sowie den Bescheid bezüglich der erneuten Ablehnung der begehrten medizinischen Maßnahmen (beide vom 11.08.2016) seien im vorliegenden Rechtsstreit ohne erneutes Widerspruchsverfahren zulässig.

Der dabei überwiegend in Bezug genommene Fiktivbescheid sei war zwar mangels eines Erkennens durch die Parteien ursprünglich nicht zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht worden und sei auch nicht nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2015 ergangen. Dennoch sei er jedenfalls analog unter § 96 Abs. 1 SGG zu subsumieren. Die Einbezugswirkung des § 96 SGG betreffe auch die während des Gerichtsverfahrens erlassenen Bescheide vom 11.08.2016 mit ihrer Funktion als Bescheid nach § 45 SGB X hinsichtlich des Fiktivbescheides und der erneuten Ablehnung des materiellen Leistungsantrags.

Im Übrigen sei auch die mit Schriftsatz vom 26.09.2016 erfolgte Klageerweiterung (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG) um eine echte Leistungsklage (auf Sachleistung) zulässig. Die prozessuale Situation im Falle einer Fiktivgenehmigung entspreche der Situation, dass ein erteilter Bewilligungsbescheid von der Verwaltungsbehörde nicht vollzogen werde. Genau wie dort brauche es auch hier für ein Klageverfahren keines Verwaltungsaktes mehr.

Die Klage sei auch in vollem Umfang begründet. Der Fiktivbescheid vom 29.08.2015 habe Bestand und sei nicht wirksam aufgehoben worden. Zu Recht werde bei Fiktivbescheiden darauf hingewiesen, dass zwar der ergangene Fiktivbescheid (hier vom 29.08.2015) denselben Rechtscharakter habe wie ein im Normalverfahren ergangener Bescheid. Er könne also grundsätzlich auch gemäß § 45 SGB X aufgehoben werden. In der Prüfungssystematik des § 45 SGB X müssten aber andere Schwerpunkte gesetzt werden als die von der Beklagten gewählten. Als unbestreitbare Ausgangsbedingung müsse hier von einer Begünstigungswirkung des Fiktivbescheides ausgegangen werden. Die tatbestandlichen Ausschluss-Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X lägen ebenfalls unbestreitbar nicht vor.

Allerdings müsste vorliegend jedenfalls die Regelvermutung des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X verneint werden, weil durch den Kläger - da er die fiktive Genehmigung noch nicht zur Leistungsbeschaffung verwendet habe - weder erbrachte Leistungen verbraucht noch eine Vermögensdisposition getroffen worden sei. In derartigen Fällen werde nicht nur vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ein Rücknahme-Bescheid angedacht (vgl. Urteil vom 23.02.2016, L 5 KR 351/14, Juris, Rn. 48 a. E.; signifikant zurückhaltender das BSG, vgl. Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, Juris, Rn. 31), sondern es fänden sich auch diesbezüglich Befürworter in der Kommentarliteratur (Schifferdecker in Kassler Kommentar, § 13 SGB V, Rn. 140; Noftz in Hauck/Noftz, § 13 SGB V, Rn. 58 l, Nr. 7). Diese Sichtweise müsse jedoch um eine Prüfung des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergänzt werden.

Die regelhaften Beispiele aus § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X begründeten nur eine Vermutung und gälten eben nur "in der Regel". Eine Abwägung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X sei damit nicht zwangsläufig entbehrlich (Merten in Hauck/Noftz, § 45 SGB X, Rn. 14). Grundlage der in Satz 1 geforderten Abwägung zwischen dem Vertrauen des Versicherten und dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme sei vorliegend der durch die Genehmigungsfiktion begründete Naturalleistungsanspruch (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V), dem der - den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende - naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspreche (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V; siehe dazu BSG, a.a.O., Rn. 25). Beide gehörten also als alternative Ausprägungsformen der Fiktivbescheid-Ausführung zusammen und könnten nicht etwa gegeneinander ausgespielt werden (vgl. die diesbezüglich problematische Interpretation bei Helbig, Juris PK, § 13 SGB V, Rn. 68 ff.). Nur auf diese Weise würden i.ü. auch erst die mittellosen Versicherten ausreichend in den Schutz der gesetzlichen Vorschrift einbezogen (BSG, a.a.O., Rn. 25). Das Vertrauen der mittellosen Versicherten könne sich gar nicht auf die eigene Leistungsbeschaffung stützen. Ihr Vertrauen gründe sich vielmehr zwangsläufig auf die gesetzlichen Voraussetzungen für das Entstehen des Fiktivbescheides bzw. auf diesen selbst. Einer diesbezüglichen Verkürzung der Rechtswirkungen des Fiktivbescheides über § 45 SGB X auf finanziell leistungsfähige Versicherte müsse vielmehr entgegengetreten werden. Daneben sei im Rahmen von § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X bei der Begrenzung des öffentlichen Interesses an einer Bescheidrücknahme der Sanktionscharakter des § 13 Abs. 3a SGB V zu beachten (vgl. dazu: BSG, a.a.O., Rn. 25). Dies ergebe sich zwanglos daraus, dass die Behörde durch die drohende fiktive Genehmigung im Interesse der Versicherten - und damit letztlich im öffentlichen Interesse - zu einer schnelleren Entscheidungsfindung gelangen solle. Nicht nur dass dieser Gedanke (was hier allerdings nicht streitgegenständlich sei), auch Überlegungen zur Ausweitung auf das Widerspruchsverfahren nahe legen könnte, müsse - mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) - verhindert werden, dass die beklagte Krankenkasse im Regelfall mittellosen Versicherten die Wirkung der Fiktivgenehmigung über § 45 SGB X vorenthalte bzw. wieder nehme, während sie bei finanziell leistungsfähigen Versicherten, die bereits Aufwendungen finanzieller Art getätigt hätten und dies auch könnten, hieran gehindert sein solle. Sachliche Differenzierungsgründe für diese unterschiedliche Behandlungsweise - die auch den vorliegenden Fall präge - seien nicht erkennbar.

Da § 45 SGB X bereits aus den o.g. Gründen keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Fiktivbescheides habe darstellen können, sei es nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit (§ 45 Abs. 1 SGB X) des Fiktivbescheides und damit auf eine Diskussion der beiden eingeholten Gutachten angekommen.

Die Beklagte hat am 26.10.2016 Berufung beim Bayerischen LSG eingelegt. Das SG habe die Beklagte ausschließlich mit der Begründung zur Übernahme der Operationen im Wege der Sachleistung verurteilt, dass die Genehmigungsfiktion eingetreten, aber nicht wirksam wieder aufgehoben worden sei. Die Beklagte habe während des laufenden Gerichtsverfahrens der ersten Instanz mit Bescheid vom 11.08.2016 die bis dahin ohne Kenntnis der Beteiligten eingetretene Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a SGB V unter Berücksichtigung der relevanten Abwägungen nach § 45 SGB X zurückgenommen. Der Gerichtsbescheid des SG setze sich nicht mehr damit auseinander, ob die Versorgung tatsächlich notwendig wäre, sondern nur noch damit, dass die eingetretene Genehmigungsfiktion nicht wirksam zurückgenommen werden könne. Hiergegen richte sich die Berufung. Das SG sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Genehmigungsfiktion durch den Bescheid vom 11.08.2016 nicht wirksam aufgehoben worden sei. Das SG gehe davon aus, dass eine Rücknahme nach § 45 SGB X unter keinen Umständen möglich sei, weil der Gesetzgeber selbst schon eine Wertung zugunsten des Bestands der Genehmigungsfiktion getroffen habe. Hierfür finde sich jedoch keinerlei Ansatzpunkt im Gesetz. Die Rechtsfrage sei noch nicht umfassend höchstrichterlich beantwortet. Leistungen, die nicht bereits kostenpflichtig in Anspruch genommen worden seien, müssten deshalb bezogen auf ihre individuellen Besonderheiten betrachtet werden. Kosmetische Operationen würden nie in den Zuständigkeitsbereich der GKV fallen, plastische Operationen könnten grundsätzlich in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen medizinisch notwendig sein. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger nicht davon ausgehen dürfen und sei nach den Gesamtumständen auch nicht davon ausgegangen, dass es sich bei der beantragten Leistung um eine solche des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung handeln werde. Ein besonderes Schutzbedürfnis sei daher nicht ersichtlich. Selbst wenn die Rechtsprechung des BSG so verstanden werden müsste, dass nur solche Genehmigungsfiktionen aufgehoben werden könnten, denen im Fiktionsbescheid selbst und in dessen Verfahren ein Fehler immanent sei, würde dies hier gerade vorliegen, denn es handle sich nicht um eine Leistung, die der Fiktion zugänglich sei.

Der Kläger hat vorgetragen, der Gutachter Dr. E. habe festgestellt, dass bei ihm ein behandlungsbedürftiger krankhafter Zustand vorliege. Es handle sich keinesfalls um eine kosmetische Operation. Im Übrigen bedürfe der krankhafte Zustand regelmäßiger Ultraschall- und Mammographiekontrollen, was zu erheblichen Mehrkosten führe. Auch bestehe mit Eintritt der Genehmigungsfiktion ein Anspruch auf die beantragte Leistung, eine Prüfung der medizinischen Notwendigkeit der beantragten Leistung finde daher nicht mehr statt. Bei der Vertrauensschutzabwägung müsse das Interesse des Versicherten am Bestand der rechtmäßig zustande gekommenen Genehmigungsfiktion ein höheres Gewicht haben. Ansonsten wären mittellose Versicherte, die sich eine Leistung aus finanziellen Gründen nicht leisten könnten, entgegen dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 07.12.2017 hat die Beklagte mitgeteilt, angesichts der jüngsten Entscheidung des BSG vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R, bleibe die Berufung vorerst aufrechterhalten.

In der mündlichen Verhandlung am 22.02.2018 hat die Beklagtenvertreterin ausgeführt, dass es sich nach ihrer Ansicht vorliegend bereits nicht um eine Krankheit handle, so dass eine Genehmigungsfiktion nicht eintreten habe können. Der Vorsitzende hat hierzu darauf hingewiesen, dass die verordnenden Ärzte der TU M-Stadt eine Gynäkomastie Grad 2 bis 3 angenommen hätten. Ferner wurde der Beklagtenvertreterin entgegengehalten, dass die Beklagte hinsichtlich der Genehmigungsfiktion einen Aufhebungsbescheid erlassen hat. Die Beklagtenvertreterin hat weiter ausgeführt, dass der Kläger nicht hätte davon ausgehen können, dass die beantragten Maßnahmen erforderlich seien. Auch hierzu hat der Vorsitzende auf den Bericht des Klinikums I. vom 01.07.2015 verwiesen. Die Beklagtenvertreterin hat auf den im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten klägerischen Schriftsatz vom 22.02.2016 und dessen Anlagen hingewiesen. Hieraus ergebe sich insbesondere, dass kein Brustkrebs vorliege und auch sonst keine Krankheit. Deshalb habe der Kläger subjektiv nicht davon ausgehen können, dass eine Krankheit vorliege und die Operation notwendig sei. Hierzu hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers auf die dort enthaltenen Diagnosen verwiesen, die eine Krankheit darstellten. Im Übrigen wird auf die Niederschrift der Sitzung verwiesen.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10.10.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Leistungsablehnung und die Rücknahme der Genehmigung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit einer Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links zu versorgen.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat aufgrund fingierter Genehmigung seines Antrags einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit der beantragten Operation. Dass die Beteiligten erst im Klageverfahren den Eintritt der Genehmigungsfiktion erkannt haben, spielt hierbei keine Rolle. Die fingierte Genehmigung ist nicht erloschen. Insbesondere ist ihre Rücknahme rechtswidrig. Auch die Ablehnung der beantragten Leistung verletzt den Kläger wegen der ihr entgegenstehenden fiktiven Genehmigung in seinen Rechten. Gegenstand des Rechtsstreits sind in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung, § 56 SGG, zusammen verfolgte drei zulässige Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage auf Versorgung mit einer Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links, die Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung und die Anfechtungsklage gegen die während des erstinstanzlichen Verfahrens zum Gegenstand des Rechtsstreits gewordene Rücknahmeentscheidung. Die vom Kläger erhobene allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist zulässig. Die kraft Fiktion erfolgte Genehmigung einer beantragten Leistung steht einer Bewilligung durch Leistungsbescheid gleich, dem Versicherten steht unmittelbar aus der fingierten Genehmigung ein Anspruch auf Versorgung mit der Leistung zu. Die daneben im Wege der objektiven Klagehäufung erhobene isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung, mit der die Beklagte eine neue Sachentscheidung getroffen hat, ist zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R).

Das SG musste weiter auf Klage über die Rücknahme der fingierten Genehmigung entscheiden. Sie ist zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden, § 96 Abs. 1 SGG. Danach wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Die Rücknahme der fingierten Genehmigung änderte in diesem Sinne die Ablehnungsentscheidung. Ein späterer Verwaltungsakt ändert oder ersetzt dann einen früheren, angefochtenen, wenn er den Verfügungssatz des Ursprungsbescheides ersetzt, abändert oder unter Aufrechterhaltung des Rechtsfolgenausspruchs dessen Begründung so modifiziert, dass sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt ändert. Es genügt auch, wenn der spätere in die Regelung des früheren Verwaltungsakts eingreift und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert. In diesem Sinne änderte die Rücknahme der fingierten Genehmigung die angefochtene Ablehnungsentscheidung. Die Rücknahmeentscheidung hob die fingierte Genehmigung auf. Die Rücknahmeentscheidung änderte mit der darin liegenden und der mit gleichem Bescheid ausdrücklich ausgesprochenen Leistungsablehnung für die Zukunft zugleich die ursprünglich ergangene Ablehnungsentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 15/17 R).

Der bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte und damit leistungsberechtigte Kläger hat einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für die von ihm beantragten Leistungen. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist eingetreten, die Leistung gilt als genehmigt, die Beklagte ist zur Übernahme der Kosten verpflichtet. Der Antrag der Klägerin betraf eine Leistung, die der Kläger für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der GKV lag. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an.

Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) entgegen. § 13 Abs. 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von deren Anforderungen ab, indem er in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine Krankenkasse einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs. 3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V obsolet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 15/17 R).

Die von dem Kläger begehrte Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Der Kläger durfte die beantragte Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links aufgrund der fachlichen Befürwortung durch die ihn behandelnden Ärzte der Klinik und Poliklinik für plastische Chirurgie des Klinikums I. für erforderlich halten. Die ihn behandelnden Ärzte des Klinikums I. diagnostizierten bei dem Kläger eine druckschmerzhafte Gynäkomastie Grad 2 bis 3 der linken Brust - somit eine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V - und rieten aufgrund dieser Diagnose zur Durchführung der Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung links. Der Kläger durfte daher die Leistung subjektiv für erforderlich halten, eine Krebserkrankung musste hierfür offensichtlich nicht vorliegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Kläger nach Eintritt der Genehmigungsfiktion die ablehnende Entscheidung der Beklagten zugegangen ist. Der Kläger musste bei seiner subjektiven Einschätzung auch nicht berücksichtigen, dass der MDK und der Sachverständige nach § 106 SGG eine OP-Indikation verneint haben. Denn hiervon hat er jeweils erst deutlich nach Ablauf der nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V maßgeblichen Frist erfahren. Der Ablauf dieser Frist ist der späteste mögliche Zeitpunkt, auf den bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger die streitgegenständlichen Eingriffe für erforderlich halten durfte, abzustellen ist (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 12.01.2017, L 4 KR 37/15). Denn mit Ablauf der Frist ist - soweit die übrigen Voraussetzungen vorliegen - die Genehmigungsfiktion eingetreten. Spätere Erkenntnisse des Klägers bleiben für die maßgebliche subjektive Einschätzung außer Betracht.

Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der maßgeblichen Fünf-Wochen-Frist. Die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V ist abgelaufen. Gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt.

Vorliegend stand der Beklagten eine Frist von fünf Wochen ab Antragseingang zur Verfügung, weil sie eine Stellungnahme des MDK für erforderlich hielt und den Kläger darüber unterrichtet hat. Maßgeblich für den Fristbeginn war der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Die Frist begann am 25.07.2015 zu laufen, denn der maßgebliche Antrag des Klägers ging der Beklagten am 24.07.2015 zu (vgl. § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB). Die Frist endete am 29.08.2015 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Maßgeblich ist - wie im Falle der Entscheidung durch einen bekanntzugebenden Verwaltungsakt - der Zeitpunkt der Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller, nicht jener der behördeninternen Entscheidung. Die Beklagte beschied den Antrag nicht bis zum Fristablauf am 29.08.2015, sondern erst später mit Erlass des Bescheides vom 09.10.2015.

Die entstandene Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene des Klägers - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. In diesem Sinne ist eine Krankenkasse nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Die Voraussetzungen eines Erlöschenstatbestands sind nicht erfüllt. Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistung (Bescheid vom 09.10.2015, Widerspruchsbescheid vom 01.12.2015) weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf. Das SG hat die Rücknahme der Genehmigung (Bescheid vom 11.08.2016) zutreffend aufgehoben, denn sie ist rechtswidrig. Die Genehmigung hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt.

Die Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Versorgung mit einer Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links. Die Rücknahmevoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Genehmigung rechtmäßig ist. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Voraussetzung der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist nach der klaren Gesetzesregelung, dass der begünstigende Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Daran fehlt es. Maßstab der Rechtmäßigkeit der Genehmigung ist § 13 Abs. 3a SGB V. Nach dem Regelungssystem soll die Genehmigungsfiktion die Berechtigten vom Risiko entlasten, dass eine beantragte Leistung nicht in den Leistungskatalog der GKV fällt. § 13 Abs. 3a SGB V begründet einen eigenen Anspruch der Berechtigten, den ihnen das Gesetz kraft Genehmigungsfiktion durch fingierten Verwaltungsakt zuerkennt. Mit der Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V wird der nicht zeitgerechten Entscheidung der Krankenkasse über einen Leistungsantrag begegnet. Der berechtigte Antragsteller soll schnell Gewissheit erlangen, ob ihm die beantragte Leistung zusteht. Die Krankenkasse ist nach Eintritt der Genehmigungsfiktion zur Erstattung der Kosten verpflichtet, die dem Berechtigten durch Selbstbeschaffung einer erforderlichen Leistung entstanden sind, § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Gleichen Schutz wie bei Selbstverschaffung gewährt der Eintritt der Genehmigungsfiktion für Versicherte, die Erfüllung ihres kraft Genehmigungsfiktion entstandenen Anspruchs als Sachleistung von ihrer Krankenkasse verlangen. Unter Wahrung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) wird damit sichergestellt, dass Versicherte ihren Sozialleistungsanspruch nicht nur dann realisieren können, wenn sie die sofortige Selbstbeschaffung vorfinanzieren können. Eine Genehmigung ist rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen - wie vorliegend - erfüllt sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 15/17 R).

Die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch. Wie dargelegt sind nach der Gesetzeskonzeption die Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs für die Rechtmäßigkeit des Eintritts der Genehmigungsfiktion grundsätzlich ohne Belang (vgl. BSG, Urteil vom 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R). Unerheblich ist, ob die fingierte Genehmigung im Widerspruch zum materiellen Recht hinsichtlich der Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag Begehrten steht. Auch die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V gehört zum materiellen Recht. Sie hat nämlich materiell-rechtliche genehmigte Leistungsansprüche zum Gegenstand. Eine Abkehr von der Regelung des § 45 Abs. 1 SGB X ist damit nicht zu rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 15/17 R).

Soweit die Beklagte auf die Entscheidung des 3. Senats des BSG vom 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R) Bezug genommen hat, ergibt sich auch hieraus keine andere Beurteilung. Zwar hat der 3. Senat in der zitierten Entscheidung ausgeführt, er neige im Unterschied zum Urteil des 1. Senats des BSG vom 08.03.2016 zu der Auffassung, dass die durch § 13 Abs. 3a S.7 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X aufgehoben werden könne, wobei deren Voraussetzungen an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen seien. Sei die - nach den Feststellungen des LSG vorliegend möglicherweise eingreifende - fingierte Genehmigung auf eine Leistung gerichtet, auf die der Versicherte keinen Sachleistungsanspruch nach dem Recht der GKV habe, könne sie daher nach dem Verständnis des Senats unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X jedenfalls zurückgenommen werden, solange der Versicherte noch keinen Gebrauch von ihr gemacht, d.h. solange er sich die Leistung noch nicht selbst beschafft und noch keine Kosten veranlasst habe (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R).

Der Senat teilt bezüglich der Voraussetzungen der Rücknahme einer fingierten Genehmigung die dargestellte Rechtsauffassung des 1. Senats des BSG. Ausschlaggebend hierfür ist, dass auf diese Weise die Gleichbehandlung von Versicherten, die eine fiktiv bewilligte Leistung nicht vorfinanzieren können, mit finanziell besser gestellten Versicherten gewährleistet wird.

Das gilt nun auch vor dem Hintergrund, dass der 3. Senat nach Urteilsverkündung im dortigen Verfahren in seiner Sitzung vom 15.03.2018 über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme von fiktiven Genehmigungen mit der Begründung nicht entschieden hat, der Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion für die Ansprüche der dortigen Kläger auf Versorgung mit Hilfsmitteln sei nicht eröffnet und die Bescheide, mit denen die beklagten Krankenkassen in den Fällen die vermeintlich nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetretene fiktive Genehmigung zurückgenommen hätten, seien damit ins Leere gegangen.

Die Genehmigung der Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt, § 39 Abs.2 SGB X. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht. Umstände, die die Genehmigung entfallen lassen könnten, wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Jedenfalls genügt es hierfür nicht, dass die Stellungnahme des MDK und das vom SG nach § 106 SGG eingeholte Gutachten, dem das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten widerspricht, eine behandlungsbedürftige Erkrankung verneint haben. Die Durchführung der Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust links ist nach den tatsächlichen Verhältnissen durchführbar. Die Leistung ist auch aus rechtlichen Gründen nicht unmöglich geworden.

Die Ablehnungsentscheidung verletzt den Kläger in seinem sich aus der Genehmigung seines Antrags ergebenden Leistungsanspruch.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Bei Verkündung des vorliegenden Urteils stand noch nicht fest, ob der 3. Senat des BSG in seiner Sitzung am 15.03.2018 bezüglich der Frage der Zurücknahme fingierter Genehmigungen den Großen Senat des BSG (§ 41 SGG) anrufen würde.
Rechtskraft
Aus
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