L 11 KA 106/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KA 33/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 106/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 62/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2003 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beigeladenen zu 9), die Kosten des Klägers im Widerspruchsverfahren vor dem Beklagten zu tragen.

In einem Nachbesetzungsverfahren erteilte der Zulassungsausschuss für Ärzte Köln dem Kläger die Zulassung und gab dem Zulassungsantrag des Beigeladenen zu 9) nicht statt (Beschluss vom 14.11.2001). Dagegen legte der Beigl. zu 9) Widerspruch ein, der jedoch erfolglos blieb (Beschluss des Beklagten vom 27.03.2002).

Der Kläger beantragte, dem Beigl. zu 9) die ihm entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Der Beklagte lehnte mit Beschluss vom 31.07./08.08.2002 den Antrag ab und führte zur Begründung aus, für eine Überbürdung der dem Kläger im Verwaltungsverfahren entstandenen Kosten auf den Beigl. zu 9) fehle es an einer Rechtsgrundlage. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X finde auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung und könne auch nicht aus Gleichheitsgründen herangezogen werden. Zwar habe das BSG eine entsprechende Anwendung der genannten Bestimmungen aus Gründen der Gleichbehandlung für geboten erklärt, wenn sich ein Vertragsarzt mit Erfolg gegen den Widerspruch einer Drittbehörde zur Wehr gesetzt habe. Dieser Sachverhalt liege hier jedoch nicht vor, weil der Widerspruch nicht von einer Drittbehörde, sondern von einem anderen Arzt eingelegt worden sei. Die Gründe, die das BSG veranlasst hätten, eine entsprechende Anwendung von § 63 SGB X für geboten zu erachten, träfen auf die vorliegende Konstellation nicht zu. Dass der Kläger durch seine Beteiligung am Verwaltungsverfahren möglicherweise einen Rechtsnachteil habe abwenden können, reiche zur Gleichstellung der Sachverhalte nicht aus. Es könne einem von einem Verwaltungsakt unmittelbar betroffenen Arzt nicht verwehrt sein, ohne Kostenrisiko die Rechtmäßigkeit des ihm belastenen Verwaltungsakt in einer zweiten Verwaltungsinstanz überprüfen zu lassen.

Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei gezwungen gewesen, an dem Widerspruchsverfahren teilzunehmen, das der Beigl. zu 9) eingeleitet hatte, um sich dagegen zu wehren, dass die für ihn positive Entscheidung des Zulassungsausschusses im Widerspruchsverfahren aufgehoben werde. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten zitierten Entscheidung des BSG ergebe sich die Kostentragungspflicht des Beigeladenen zu 9), da dieser ein noch stärkeres Interesse am Ausgang des Verfahrens hatte, als im vom BSG entschiedenen Fall die notwendig zu beteiligende Krankenkasse.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Beschlusses vom 08.08.2002, zugestellt am 12.08.2002, dem Beigeladenen zu 9) die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Nr. 312/01 vor dem Beklagten aufzuerlegen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat in Ergänzung seines Beschlusses vorgetragen, § 63 Abs. 1 SGB X sei keine geeignete Rechtsgrundlage für einen Kostenausgleich unter ärztlichen Beteiligten eines Verfahrens vor dem Berufungsausschuss.

Mit Urteil vom 07.05.2003 hat das Sozialgericht (SG) Köln den Beklagten verurteilt, dem Beigl. zu 9) die außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen.

Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, eine direkte Anwendung von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheide aus, da diese Vorschrift nicht die Kostenerstattung eines Drittbeteiligten betreffe. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei jedoch analog anzuwenden. Die Kammer sehe eine Gesetzeslücke darin, dass der Gesetzgeber diesen regelungsbedürftigen Sachverhalt nicht gesehen habe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung des § 63 SGB X eine abschließende Regelung habe treffen wollen. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers, die sich auch in § 193 SGG wiederspiegele, ergebe sich, dass derjenige, der mit seinem Rechtsmittel Erfolg hat, die ihm durch seine Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Kosten erstattet erhält. Die Interessenlage des Klägers entspreche vollständig der eines erfolgreichen Widerspruchsführers, so dass eine ungleiche Behandlung nicht gerechtfertigt wäre. Dies gelte insbesondere auch insoweit, als die Kosten der erfolgreichen Abwehr eines Drittwiderspruches seitens einer Krankenkasse dem unterlegenen Widerspruchsführer nach der Rechtsprechung des BSG auferlegt werden. Dem lasse sich auch nicht entgegen halten, es könne einem von einem Verwaltungsakt unmittelbar betroffenen Arzt nicht verwehrt werden, ohne Kostenrisiko die Rechtmäßigkeit des ihm belastenden Verwaltungsaktes in einer zweiten Verwaltungsinstanz überprüfen zu lassen.

Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Auch unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sei eine Anspruchsgrundlage nicht zu erkennen. Eine analoge Anwendung von § 63 Abs. 1 SGB X scheide schon deshalb aus, weil die Bestimmung keine Regelung enthalte, die entsprechend angewandt werden könne. Sie gewähre lediglich dem Widerspruchsführer einen Vorteil. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass einem Drittbeteiligten eines isolierten Vorverfahrens die ihm erwachsenen Aufwendungen zu erstatten sind, gebe es nicht. Dies gelte nicht einmal für gerichtliche Verfahren, wie § 12 a Arbeitsgerichtsgesetz zeige. Auch das SGG kenne ein solches Prinzip nicht. Für das allgemeine Verwaltungsverfahren sei höchstrichterlich entschieden, dass ein Drittbeteiligter im isolierten Vorverfahren mangels bundesrechtlicher Rechtsgrundlage keinen Erstattungsanspruch habe. Es bestehe auch keine planwidrige Lücke, die durch eine Analogie zu schließen sei.

Der Beklagte hat weiter auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, wonach es keinen allgemein verbindlichen Rechtsgedanken des Inhalts gebe, dem in einem Widerspruchsverfahren obsiegenden Bürger sei stets ein Anspruch auf Erstattung seiner Kosten zuzubilligen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger und die Beigl. zu 2) halten das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die übrigen Beteiligten haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen im Verfahren vor dem Beklagten durch den Beigl. zu 9).

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus der analogen Anwendung von § 63 Abs. 1 SGB X.

Die Vorschrift des § 63 Abs. 1 SGB X ist aus mehreren Gründen nicht unmittelbar anwendbar. Einerseits besteht nach dem Wortlaut der Vorschrift ein Anspruch auf Kostenerstattung nur bei einem erfolgreichen Widerspruch. Andererseits wird eine Kostentragungspflicht lediglich des Rechtsträgers angeordnet, dessen Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen hat. Der Kläger begehrt jedoch eine Kostenerstattung durch einen Drittbeteiligten, dessen Widerspruch erfolglos war.

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 11.12.1985 (BSGE 59, 216) und 18.12.1996 (SozR 3-1300 § 63 Nr. 9) an, dass die Vorschrift des § 63 Abs. 1 SGB X analog anzuwenden ist, wenn der durch einen Bescheid des Zulassungsausschusses begünstigte Arzt sich vor dem Berufungsausschuss erfolgreich gegen den Widerspruch einer der in § 96 Abs. 4 Satz 1 SGB V genannten Körperschaften verteidigt und erreicht, dass deren Widerspruch zurückgewiesen oder zurückgenommen wird. Anstelle des Zulassungsausschusses, der den Verwaltungsakt erlassen hat, ist in diesen Fällen der mit seinem Rechtsbehelf unterlegene Widerspruchsführer gehalten, dem Arzt die zur Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten zu erstatten. Die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs. 1 SGB X, die hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs die erfolgreiche Abwehr eines Drittwiderspruchs dem Erfolg eines eigenen Widerspruchs gleichstellt, ist auch für das Verfahren der kassenärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung bekräftigt worden (BSG, SozR 1300 § 63 Nr. 12).

Damit steht fest, dass ein Anspruch aus § 63 Abs. 1 SGB X im Verfahren vor dem Beklagten gegenüber dem jeweiligen Widerspruchsführer immer dann besteht, wenn ein Arzt sich gegen einen Widerspruch erfolgreich verteidigt.

Die vorliegende Fallkonstellation unterscheidet sich von den vom BSG entschiedenen Fällen allein darin, dass der Widerspruchsführer (und Kostenschuldner) keine Körperschaft, sondern eine natürliche Person, nämlich der Konkurrent des Klägers im Nachbesetzungsverfahren ist. Dieser Unterschied ist jedoch für die analoge Anwendung von § 63 Abs. 1 SGB X nicht erheblich. Denn nach der o.g. Rechtsprechung des BSG ist kostentragungspflichtig ein gemäß § 96 Abs. 4 Satz 1 SGB V Widerspruchsberechtigter, dessen Widerspruch erfolglos war. Zum Kreise der Widerspruchsberechtigten gemäß § 96 Abs. 4 Satz 1 SGB V zählen aber neben den Krankenkassen (Verbänden) und der Kassenärztlichen Vereinigung auch die am Verfahren vor dem Beklagten beteiligten Ärzte. Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, dass eine Differenzierung zwischen den in § 96 Abs. 4 Satz 1 SGB V genannten Widerspruchsberechtigten vorzunehmen ist. Denn das BSG hat in den o.g. Entscheidungen auch darauf abgestellt, dass der Grundsatz besteht, dass derjenige, der ohne Erfolg einen Rechtsbehelf ergreift, dem zur Verteidigung seiner Rechtsposition gezwungenen Verfahrensgegner die dadurch entstehenden Aufwendungen zu ersetzen hat. Es wird also gerade nicht auf eine Vergleichbarkeit der Kostenschuldner (Körperschaften - natürliche Personen), sondern allein auf die Position des Kostengläubigers abgestellt.

Soweit der Beklagte darauf abstellt, das § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X vom Grundsatz her den Widerspruchsführer allein einen Vorteil zukommen lassen will (soweit der Widerspruch erfolgreich ist), ist dies zwar zutreffend, jedoch steht dies einer analogen Anwendung der Vorschrift nicht entgegen. Denn auch in den vom BSG entschiedenen Fällen war nicht der Widerspruch im eigentlichen Sinne erfolgreich, sondern der Erfolg des beteiligten Arztes lag allein darin, dass er den Widerspruch eines Dritten erfolgreich abgewehrt hat.

Für die vom Senat vorgenommene analoge Anwendung von § 63 Abs. 1 SGB X spricht auch, dass bei einer gerichtlichen Kostenentscheidung sowohl gemäß § 193 SGG a.F. als auch nach § 197 a SGG dem Rechtsmittelführer auch die außergerichtlichen Kosten des im Rechtsmittelverfahren obsiegenden Konkurrenten auferlegt werden. Zu diesen Kosten zählen auch die im Widerspruchsverfahren vor dem Beklagten entstandenen Aufwendungen.

Soweit der Beklagte auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht und des Bundesverwaltungsgerichts hinweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn die für das Gerichtsverfahren vorgesehenen Kostenregelungen des SGG und der VwGO weisen erhebliche Unterschiede auf und müssen deshalb auch hinsichtlich der Kostenregelungen für das vorgeschaltete Widerspruchsverfahren nicht zwangsläufig übereinstimmend ausgelegt werden. Die besondere Ausgestaltung des Verfahrens vor den Berufungs- und Beschwerdeausschüssen als eigenständiges, dem gerichtlichen Rechtsmittelverfahren nachgebildetes Verwaltungsverfahren rechtfertigt eine abweichende Interpretation der für den Bereich des Sozialgesetzbuches geltenden Kostenerstattungsregelung jedenfalls insoweit, als es um die Anfechtung von Entscheidungen der Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen durch die kraft Gesetzes Berechtigten geht (BSG, SozR 3-1300 § 63 Nr. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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