L 3 AL 164/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AL 1333/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 164/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einen Leistungsempfänger, der keine unrichtigen Angaben gemacht hat, kann dann nicht vorgeworfen werden, er habe die Rechtswidrigkeit eines Bewilligungsbescheides grob fahrlässig nicht erkannt, wenn die Hinweise in den ihm zur Verfügung stehenden Merkblättern und im Bescheid selbst nicht so eindeutig und ohne Weiteres verständlich gehalten sind, dass hierdurch zumindest erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides geweckt werden müssen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 07. Juni 2002 wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) teilweise aufgehoben hat und eine entsprechende Erstattung fordert.

Die am ...1944 geborene, verheiratete Klägerin war in der Zeit vom 01.09.1960 bis zum 30.06.1996 als Verkäuferin beschäftigt.

In der Zeit vom 01.05.1995 bis 31.12.1995 erzielte sie monatlich je 1.868,00 DM in 27,5 Arbeitsstunden. Zu Beginn des Jahres 1996 war auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin die Steuerklasse IV ohne Kinderfreibetrag eingetragen.

Nach Arbeitslosmeldung bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19.07.1996 antragsgemäß für die Zeit vom 01.07.1996 an Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 195,00 DM wöchentlich nach einem anfänglichen wöchentlichen Bemessungsentgelt (BE) von 430,00 DM in Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz. Zum 01.06.1998 wurde mit Bescheid vom 25.06.1998 das BE auf 450,00 DM dynamisiert und Alg in Höhe von 199,50 DM gezahlt.

Nachdem die Klägerin auf ihrer Lohnsteuerkarte mit Wirkung ab dem 01.08.1998 die Steuerklasse V hatte eintragen lassen und dies am 03.07.1998 der Beklagten mitgeteilt hatte, wurde den Leistungen ab dem 01.08.1998 bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit Ablauf des 28.08.1998 die Leistungsgruppe D, allgemeiner Leistungssatz zugrunde gelegt. Bei im Übrigen unveränderten Bemessungskriterien ergab sich ein Zahlbetrag von 136,15 DM wöchentlich (Bescheid vom 09.07.1998).

Mit Bescheid vom 02.09.1998 bewilligte die Beklagte auf den Antrag der Klägerin ab 29.08.1998 Anschluss-Arbeitslosenhilfe i. H. v. 91,63 DM wöchentlich. Der Berechnung lagen die Leistungsgruppe D, allgemeiner Leistungssatz, ein BE von 450,00 DM sowie ein Anrechnungsbetrag aus Einkommen von 28,66 DM zugrunde.

Am 28.01.1999 nahm die Beklagte einen Aktenvermerk über eine persönliche Vorsprache des Ehemannes der Klägerin auf, wonach die Klägerin ab 01.01.1999 die Steuerklasse IV gewählt hatte. Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 19.02.1999 Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 01.01.1999 nach einem BE von 450,00 DM in Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz i.H.v. 178,78 DM. In der Folgezeit ist keine Angabe geänderter Verhältnisse aktenkundig.

Am 07.07.1999 beantragte die Klägerin die Fortzahlung von Alhi und gab an, am 25.02.1999 sei eine Änderung der Lohnsteuerklasse erfolgt. Sie habe mit Wirkung ab dem 01.03.1999 die Steuerklasse V gewählt, da ihr Ehemann ab dem 01.03.1999 eine bis 31.08.1999 befristete ABM aufgenommen habe, in welcher er einen Verdienst i.H.v. 1.800,00 DM monatlich erziele.

Die Beklagte errechnete unter Zugrundelegung des Einkommens des Ehegatten (2.166,87 DM brutto) einen Anrechnungsbetrag von 43,53 DM pro Woche.

Im Anhörungsschreiben nach § 24 SGB X gab sie der Klägerin Gelegenheit, sich innerhalb von 2 Wochen ab Zugang dieses Schreibens zu folgendem Sachverhalt zu äußern:

"Sie haben vom 01.03.1999 bis 28.08.1999 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 2.637,17 DM zu Unrecht bezogen, weil sie seit dem 01.03.1999 die Steuerklasse gewechselt haben und ihr Ehegatte in einem Beschäftigungsverhältnis stehen.

Nach den mir vorliegenden Unterlagen haben Sie die Überzahlung verursacht, da Sie die leistungserhebliche Änderung in Ihren Verhältnissen nicht angezeigt haben."

Hierzu äußerte sich die Klägerin mit Schreiben vom 05.09.1999 dahin, dass sie bereits 1998 viel Ärger mit der Steuerklasse gehabt habe. Dass sie nunmehr 1999 wieder Ärger damit habe, könne doch wohl nicht wahr sein. Im Übrigen habe ihr Mann am 20.02.1999 die Nachricht vom Arbeitsamt Dresden erhalten, ab dem 01.03.1999 wieder eine ABM-Stelle zu bekommen. Deshalb sei er am 25.02.1999 in das Rathaus gegangen, um die Steuerklasse zu ändern. Noch an diesem Tag habe sie dem Arbeitsamt (Leistungsstelle) die Steuerklassenänderung gemeldet. Sie sei in verschiedene Zimmer geschickt worden, dann habe man zu ihr gesagt, es gehe seinen Gang, es werde in den Computer eingegeben und sie könne nach Hause gehen. Ihr Ehemann habe wegen dieser Sache mehrmals bei der Leistungsstelle angerufen. Man habe da zu ihm gesagt, es sei in Ordnung, er brauche nicht mehr anzurufen. Sie habe ihre Pflicht getan und sei sich keiner Schuld bewusst.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27.09.1999 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.03.1999 bis 28.08.1999 teilweise i.H.v. insgesamt 2.637,17 DM auf und forderte die Erstattung dieses Betrages gemäß § 50 SGB X. Die Aufhebungsentscheidung begründete sie damit, dass die Klägerin aufgrund des Steuerklassenwechsels ab 01.03.1999 anstelle der Leistungsbemessung nach Leistungsgruppe A eine Leistung nach der Leistungsgruppe D hätte erhalten müssen. Ihr hätten anstelle 178,78 DM wöchentlich nur 76,79 DM wöchentlich zugestanden.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie führte aus, dass sie und ihr Ehemann am 25.02.1999 zum Ändern der Steuerklasse zusammen auf das Ordnungsamt gegangen seien. Noch an diesem Tage hätten sie beide in der für sie zuständigen Leistungsstelle des Arbeitsamtes die Steuerkarte vorgelegt. Die Mitarbeiterin der Beklagten habe sich die Lohnsteuerkarte angesehen, etwas notiert und dann gesagt, es gehe seinen Gang. Auf die Frage ihres Ehemannes, ob das mit der Steuerkarte in Ordnung gehe, habe man ihnen gesagt, die Mitarbeiterin sei nicht zuständig. Der zuständigen Kollegin, die zu Mittag sei, werde es anschließend berichtet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zum Gegenstand der Entscheidung ist angegeben, dass der Widerspruchsbescheid über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.09.1999 "wegen der teilweisen Aufhebung der Bewilligung von Alhi sowie Erstattung des überzahlten Betrages infolge eines Steuerklassenwechsels ab 01.03.1999" entscheide. Am 01.03.1999 sei der Steuerklassenwechsel wirksam geworden. Damit sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des vorangegangenen Verwaltungsaktes über die Alhi vorgelegen hätten, eingetreten. Die Entscheidung über die Bewilligung der Leistung sei daher ab 01.03.1999 gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III teilweise aufgehoben worden.

Hiergegen hat die Klägerin am 26.11.1999 Klage beim Sozialgericht Dresden (SG) erhoben. In Ergänzung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren hat sie vorgetragen, dass in dem Zimmer, welches sie am 25.02.1999 im Arbeitsamt Dresden betreten habe, zwei junge Frauen anwesend gewesen seien, die gesagt hätten, die Kollegin, die für sie zuständig sei, sei zur Zeit zu Tisch, aber sie würden ihr einen Zettel hinlegen. Das werde dann im Computer eingegeben; sie könne nach Hause gehen.

Aus der von ihr vorgelegten Kopie der Steuerkarte für das Jahr 1999 ist ersichtlich, dass am 25.02.1999 die Änderung der Eintragung vorgenommen wurde. Weiter hat die Klägerin dem SG die Bescheide über Alhi für die Zeit ab dem 25.08.1998 bis zum 28.08.2000 sowie über Alg für die Zeit vom 01.06.1998 bis 28.08.1998 überlassen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 07.06.2002 hat die Klägerin zunächst angegeben, beim letzten Wechsel der Lohnsteuerklasse sei sie nicht persönlich beim Arbeitsamt gewesen. Ihr Ehegatte habe dort noch am Tage der Änderung der Lohnsteuerklasse diese dem Arbeitsamt mitgeteilt. Ihr Ehemann habe alle Angelegenheiten mit dem Arbeitsamt für sie erledigt. Nach Vorhalt von Blatt 99 der Verwaltungsakte hat sie erklärt, sie erinnere sich, mit ihrem Mann zusammen beim Arbeitsamt gewesen zu sein, um den Wechsel 1999 mitzuteilen. An der Tür der für sie zuständigen Beraterin habe ein Zettel gehangen, man solle sich in einem bestimmten Zimmer melden. Dies habe sie auch getan und dort einer jungen Frau die Änderung der Lohnsteuerkarte mitgeteilt. Ob danach ein Bescheid gekommen sei, könne sie nicht sagen, weil diese Sachen immer ihr Mann gemacht habe. Sie habe sich die Bescheide nicht angesehen, weil immer alles ihr Mann gemacht habe. Sie habe die Bescheide aber gelesen, meistens mit ihrem Mann zusammen.

Mit Urteil vom 07.06.2002 hat das SG der Klage stattgegeben. Der Lohnsteuerklassenwechsel sei zwar nach § 137 Abs. 4 Ziff. 2 SGB III mit der Folge zu berücksichtigen gewesen, dass der Klägerin anstelle der nach Leistungsgruppe A erbrachten Leistungen nur Leistungen nach Leistungsgruppe D zugestanden hätten. Unter Berücksichtigung des von der Klägerin geschilderten Sachverhaltes sei die Kammer jedoch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen in den Verhältnissen nicht nachgekommen sei, so dass als Aufhebungsgrundlage nur § 48 Abs. 1 S. 2 Ziff. 4 SGB X i.V.m. § 330 SGB III in Betracht komme. Die gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörung sei vor Erlass des Bescheides am 27.09.1999 jedoch nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dem Bescheid vom 27.09.1999 sei nicht zu entnehmen, dass sich die Beklagte mit der Stellungnahme der Klägerin zum Anhörungsschreiben argumentativ auseinandergesetzt habe. Dies mache jedoch das Wesen der Anhörung aus.

Im Übrigen habe die Beklagte die Klägerin nicht zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen angehört. Neben der Verletzung der Mitteilungspflicht sei ihr auch vorgeworfen worden, in zumindest grob fahrlässiger Weise nicht erkannt zu haben, dass ihr Leistungen nach der Lohnsteuerklasse IV nicht mehr zugestanden hätten. Hierzu sei jedoch keine Anhörung erfolgt. Im Bescheid vom 27.09.1999 habe die Behörde der Klägerin nicht mitgeteilt, dass sie davon ausgehe, diese habe nicht erkannt, unrechtmäßig Leistungen bezogen zu haben. Eine Heilung des Verfahrensfehlers ergebe sich auch nicht aus den Ausführungen der Klägerin im Widerspruchsschreiben. Jedenfalls im Anwendungsbereich des SGB X, das die Anhörungsobliegenheit der Behörde zu einem subjektiven Verfahrensrecht des Betroffenen mit Abwehranspruch bei dessen Verletzung ausgestaltet habe, liege in der bloßen Einlegung des Widerspruchs keine Heilung der unterlassenen Anhörung. Es reiche insoweit auch nicht, dass die Klägerin möglicherweise von sich aus Angaben zu dem hier entscheidungsrelevanten Sachverhalt gemacht habe. Äußerungen im Widerspruchsverfahren allein führten nicht dazu, dass die erforderliche Anhörung der Klägerin hierdurch wirksam nachgeholt worden wäre.

Eine Änderung der Rechtslage sei insoweit auch nicht durch die Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X durch das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl. I 1983) eingetreten.

Da keine der in § 24 Abs. 2 SGB X genannten Ausnahmen das Absehen von der Anhörung rechtfertige, sei der Verwaltungsakt wegen dieses Verfahrensfehlers aufzuheben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 11.07.2002 beim Sächsischen LSG eingegangen ist.

Die Beklagte ist der Auffassung, zwar seien der angefochtene Bescheid und auch der Widerspruchsbescheid fehlerhaft, weil die Begründung unvollständig sei. Es sei nicht darauf eingegangen worden, dass die teilweise Aufhebung der Bewilligungsentscheidung auch darauf beruhe, dass die Klägerin das Einkommen, das ihr Ehemann aus seiner Erwerbstätigkeit erzielt habe, nicht angezeigt habe. Dieser Fehler sei auch im Verfahren vor dem SG nicht festgestellt worden, was jedoch gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X unschädlich sei. Die Klägerin habe die Bedeutung der Steuerklasse für die Höhe der Alhi gekannt. Sie habe gewusst, dass dem Arbeitsamt die geänderte Steuerklasse besonders anzuzeigen gewesen sei. Die vollständige Akte beinhalte nichts, was auf eine entsprechende Meldung schließen ließe. Unstreitig dürfe im Übrigen sein, dass die Klägerin das Einkommen ihres Ehemannes aus der am 01.03.1999 begonnenen Beschäftigung nicht gemeldet habe. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X sei daher die Beklagte berechtigt gewesen, den Anspruch teilweise aufzuheben und die überzahlte Leistung wieder zurückzuverlangen.

Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Klägerin die Änderung der Steuerklasse angezeigt habe, sei die Entscheidung auf § 48 Abs. 2 Nr. 4 SGB X zu stützen. Die Klägerin habe gewusst, dass ihr nach der Änderung der Steuerklasse nur verringerte Alhi zugestanden habe. Zumindest hätten sich ihr Zweifel an der rechtmäßigen Zahlung aufdrängen müssen, weil - anders als früher - bei einem Wechsel der Steuerklasse keine Änderung der Alhi-Höhe eingetreten sei.

Auf eine fehlerhafte Anhörung nach § 24 SGB X könne das Urteil nicht gestützt werden. Das SG verkenne, dass die Klägerin nur zu den Tatsachen anzuhören gewesen sei, auf welche das Arbeitsamt die Entscheidung habe stützen wollen und gestützt habe. Es habe die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X stützen wollen und es auch getan. Aus Sicht des Amtes sei daher nur zu dieser Tatsache anzuhören gewesen. Die Anhörung sei auch nicht deswegen fehlerhaft gewesen, weil das Arbeitsamt auf die von der Klägerin bei der Anhörung dargestellten Umstände nicht eingegangen sei. Die dann eventuell unvollständige Begründung des Bescheides mache die Anhörung nicht fehlerhaft.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 07. Juni 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihr sei zwar bekannt, dass Änderungen der Steuerklassen anzuzeigen seien. Dieser Pflicht sei sie auch mehrfach zusammen mit bzw. durch ihren Ehemann nachgekommen. Auf mehrmalige Nachfrage im Amt sei stets die Antwort gegeben worden, dass alles seinen Gang gehe, man brauche sich nicht mehr zu melden. Es verwundere daher, dass dennoch die angezeigte Änderung in den Akten nicht zu finden sei. Die Mitteilungspflicht gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X könne nicht mehr beinhalten, als die Steuerklassenänderung mehrmalig im Amt an zuständiger Stelle anzugeben.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X lägen ebenfalls nicht vor. Sie habe nicht gewusst, dass ihr Anspruch auf Alhi wegen der erfolgten Steuerklassenänderung teilweise weggefallen sei.

Auch habe sie die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt. Vielmehr habe sie darauf vertraut, dass die gewährte Alhi der geänderten Situation angepasst werde. Dieses Vertrauen in die Behörde, die ja mehrmalig bestätigt habe, dass die Änderung zur Kenntnis genommen worden sei, führe zu keiner groben Sorgfaltspflichtverletzung.

Selbst wenn man dies aber annähme, wäre der angefochtene Bescheid gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X wegen fehlender Anhörung rechtswidrig.

Die Klägerin hat eine Aufstellung ihres schulischen und beruflichen Werdeganges eingereicht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 EUR übersteigt, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG. Die Berufung ist auch innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

2. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Die Klägerin hat zwar - wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat - in der Zeit vom 01.03.1999 bis zum 28.08.1999 Alhi in materiell-rechtlich nicht zustehender Höhe bezogen.

Dem Grunde nach hatte die Klägerin die Voraussetzungen für die gewährte Leistung gemäß § 190 Abs. 1 i. V. m. § 198 Satz 1, § 118, 122 SGB III erfüllt. Sie war arbeitslos und hatte sich beim Arbeitsamt gemeldet. Einen Anspruch auf Alg hatte sie nicht, weil sie nach Entstehen ihres vorangegangenen Stammrechts auf Alg keine (neue) Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Die besonderen Voraussetzungen gemäß § 190 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 191 Abs. 1 Satz 1 lagen wegen des Vorbezuges von Alg vor.

Die Klägerin war auch - wie aus § 190 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 193 und § 194 SGB III folgt - in einem einen Zahlungsanspruch auslösenden Ausmaß bedürftig.

Für die Zeit bis zum 28.02.1999 hatte die Beklagte die Höhe der Alhi zutreffend nach Maßgabe des § 195 SGB III i. V. m. § 198 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. §§ 133, 136, 137 SGB III ermittelt. Sie hat das gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB III wegen das vor der Entstehung des Anspruchs auf Alhi maßgebliche Bemessungsentgelt zugrunde gelegt, nach dem das Alg zuletzt bemessen wurde. Gemäß § 137 Abs. 2 Nr. 1 SGB III war die Klägerin, solange auf ihrer Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse IV eingetragen war, der Leistungsgruppe A zuzuordnen. Ausgehend hiervon hat die Beklagte die Leistung gemäß der nach § 151 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 198 Satz 2 Nr. 4 SGB III im Rahmen des § 195 SGB III zu beachtenden Leistungsentgeltverordnung für das Jahr 1999 zutreffend festgesetzt. Hiernach ergab sich bei einem Bemessungsentgelt von wöchentlich 450 DM der Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz, ein wöchentlicher (Höchst-)Betrag von 178,78 DM.

Die mit Wirkung zum 01.03.1999 erfolgte Änderung der Lohnsteuerklasse war gemäß § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III i. V. m. § 198 Satz 1 Nr. 4 SGB III ab dem 01.03.1999 deswegen zu berücksichtigen, weil sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklasse ein gegenüber der bisherigen Lohnsteuerklassenwahl geringerer Anspruch auf Alhi ergab. Nach der Leistungsverordnung für das Jahr 1999 betrug der (Höchst-)Anspruch auf Alhi in der Leistungsgruppe D, allgemeiner Leistungssatz, bei einem Bemessungsentgelt von 450 DM 120,33 DM wöchentlich. Da ab dem 01.03.1999 auch das neu hinzugekommene Einkommen des Ehemannes der Klägerin zu berücksichtigen war, das die Beklagte intern zutreffend gemäß § 194 SGB III ermittelt hatte, war die Alhi gemäß § 195 Satz 2 SGB III um diesen Anrechnungsbetrag (43,53 DM/Woche) zu vermindern. Der Klägerin stand daher materiellrechtlich ab dem 01.03.1999 nur noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von 76,70 DM wöchentlich zu.

Der von der Beklagten geforderten Erstattung steht jedoch die Bindungswirkung (§ 77 SGG) des Bewilligungsbescheides vom 19.02.1999 entgegen.

Die Bindungswirkung dieses nach seinem Erlass bezüglich der Leistungshöhe rechtswidrig gewordenen Bewilligungsbescheides konnte die Beklagte nicht rechtmäßig durchbrechen, weil hinsichtlich eines Betrages von 58,43 DM wöchentlich die Voraussetzungen der §§ 48 SGB X, 330 Abs. 3 SGB III nicht vorlagen (hierzu siehe unten 2.2) und hinsichtlich eines weiteren Teilbetrages von 43,53 DM wöchentlich die gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörung nicht erfolgt ist (s. unten 2.1.).

Im Einzelnen:

2.1. Gemäß § 24 SGB X ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte des Beteiligten eingreift. Entscheidungserhebliche Tatsachen i. S. v. § 24 Abs. 1 SGB X sind alle Tatsachen, auf welche die Behörde den Verfügungssatz - nach ihrer rechtlichen Ansicht - objektiv hat stützen wollen (vgl. von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., Rdnr. 8 zu § 24 SGB X m. w. N.). Da die Beklagte die Aufhebungsentscheidung der Höhe nach auch auf die Tatsache stützen wollte, dass Einkommen des Ehegatten in Höhe von 43,53 DM wöchentlich anzurechnen war, hätte sie diese Tatsache der Klägerin mitteilen müssen. Im Anhörungsschreiben ist diese Tatsache jedoch nicht enthalten. Lediglich wird dort - in diesem Kontext schwer verständlich - darauf hingewiesen, dass Alhi auch deswegen zu Unrecht bezogen worden sei, weil der Ehegatte in einem Beschäftigungsverhältnis stehe. Im weiteren Text des Anhörungsschreibens wird jedoch nicht darauf abgestellt, dass nicht die Beschäftigung des Ehegatten an sich, sondern das hieraus bezogene Einkommen die Leistungshöhe beeinflusse, vielmehr wird allein betont, dass die leistungserhebliche Änderung in den Verhältnissen nicht angezeigt worden sei. Lediglich zu dieser mittelbar vorgeworfenen Verletzung von Mitteilungspflichten hat die Klägerin denn auch Stellung genommen, indem sie - bezogen auf die Beschäftigung des Ehegatten - letztlich bei wertender Betrachtung ausgeführt hat, dass diese dem Arbeitsamt ohnehin hätte bekannt sein müssen, da er die ABM-Stelle vom Arbeitsamt vermittelt bekommen habe.

Von der Anhörung konnte insoweit auch nicht gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X abgesehen werden. Die in dieser Vorschrift für Anpassungsbescheide normierte Ausnahme erstreckt sich lediglich auf das dem Betroffenen bekannte anzunehmende Einkommen. Da die Berechnung des auf die Alhi anzurechnenden Einkommens jedoch ein komplexer Vorgang ist, der dem Laien nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass hier "bekannte" Tatsachen zugrunde gelegt werden. Vielmehr ist - damit der Zweck des § 24 Abs. 1 SGB X gewahrt ist, die Mitteilung des anzurechnenden Einkommens erforderlich, um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden und den Betroffenen in die Lage zu versetzen, sich im Rahmen der Anhörung sachgerecht zu äußern.

Die gemäß § 41 Abs. 2 SGB X sowohl in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a. F.) wie auch in der ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung (n. F.) - zu unterschiedlichen Zeitpunkten - mögliche Heilung des Verfahrensfehlers ist nicht dadurch erfolgt, dass die Klägerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens die Möglichkeit gehabt hätte, sich zu äußern (vgl. hierzu Wiesner in von Wulffen, a. a. O., Rdnr. 7 zu § 41 m. w. N.). Für eine solche Heilung muss der Bescheid alle entscheidungserheblichen Tatsachen so unterbreiten, dass der Betroffene sie als entscheidungserheblich erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann (vgl. Wiesner, a. a. O., sowie von Wulffen, Rdnr. 10 zu § 24 SGB X m. w. N.). So liegt der Fall hier jedoch gerade nicht, da der Klägerin im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wie auch im weiteren Verlauf des Vorverfahrens nicht mitgeteilt wurde, dass die Aufhebungsentscheidung teilweise auch auf der Anrechnung des Einkommens ihres Ehegattens beruhte, obwohl die Beklagte ihre Entscheidung hierauf stützen wollte.

Der vom Sozialgericht festgestellte Anhörungsmangel liegt somit - wenn auch aus anderem Grund als vom SG angenommen - tatsächlich vor. Die Beklagte hat in der Berufungsschrift selbst ausgeführt, dass die teilweise Aufhebung der Bewilligungsentscheidung auch darauf beruhte, dass die Klägerin das Einkommen nicht angegeben hatte, das ihr Ehemann aus seiner Erwerbstätigkeit erzielte und dass dieses Einkommen die Höhe des Aufhebungsbetrages maßgeblich mitbestimmt hat. Hierzu hat die Klägerin sich in keinem Stadium des Verfahrens äußern können. Diese Tatsache wurde nämlich in keinem Anhörungsschreiben oder sonstigen Schreiben der Beklagten und auch weder im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid noch im Widerspruchsbescheid angegeben.

Der Anhörungsmangel kann gemäß § 41 Abs. 2 SGB X a. F. nicht mehr geheilt werden. § 41 Abs. 2 SGB X n. F. gilt nicht für Verfahren, in denen - wie hier - die letzte Verwaltungsentscheidung vor dem 01.01.2001 getroffen wurde (vgl. Urteile des BSG vom 12.06.2001 - B 4 RA 37/00 R und B 4 RA 4/01 R, Entscheidung des Senats vom 22.02.01 - L 3 AL 56/00). Die angefochtenen Bescheide waren - insoweit die Aufhebung auf der Anrechnung des Einkommens des Ehegatten der Klägerin beruhte - gemäß § 42 S. 2 SGB X aufzuheben.

2.2. Die Bindungswirkung des rechtswidrig gewordenen Bewilligungsbescheides vom 19.02.1999 hätte angesichts dessen, dass in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Erlass dieses Bescheides zugrunde lagen, durch den Steuerklassenwechsel eine wesentliche Änderung eingetreten war, nur dann durchbrochen werden können, wenn die Voraussetzungen des § 48 SGB X vorgelegen hätten.

Nach dieser Norm ist dann, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.

Bei dem hier gegebenen Sachverhalt kommen lediglich die Fallgestaltungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X in Betracht. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit - der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2 - hierzu siehe unten 2.2.1.) oder - der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4 - s. hierzu unten 2.2.2.).

2.2.1. Da der Klägerin nicht zu widerlegen ist, dass sie die Lohnsteuerklassenänderung angezeigt hat, entfällt insoweit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X.

Diese Vorschrift greift auch nicht insoweit ein, als die Beklagte der Klägerin den Vorwurf gemacht hat, sie habe die Arbeitsaufnahme des Ehegatten am 01.03.1999 nicht rechtzeitig mitgeteilt. Dafür, dass die Klägerin diese Mitteilung vorsätzlich unterlassen hätte, spricht nichts. Die Mitteilung ist jedoch auch nicht grob fahrlässig unterblieben. Es ist nicht festzustellen, dass die Klägerin ihre Mitteilungspflicht unter Berücksichtigung ihrer individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ihre Sorgfaltspflichten insoweit in außergewöhnlich hohem Maße, d. h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß (vgl. zu dieser Definition der groben Fahrlässigkeit Wiesner in von Wulffen, a. a. O., Rndr. 24 zu § 45 SGB X m. w. N.), verletzt hätte.

Für den Laien, auch den "normalen" Leistungsempfänger stellt sich die Beklagte als eine Einheit dar. Da der Ehemann die ABM, die er zum 01.03.1999 aufnahm, vom Arbeitsamt vermittelt bekommen hatte, kann nach Ansicht des Senats unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des konkreten Falles der Klägerin nicht als grob fahrlässig angelastet werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass das Arbeitsamt um diese Tätigkeit wisse. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Leistungsempfänger, der Alhi bezieht und dessen Ehegatte ebenfalls im Leistungsbezug der Beklagten steht, davon ausgehen kann, dass die leistungsrelevanten Daten des Ehegatten dem Arbeitsamt bekannt sind und der für den Leistungsempfänger zuständige Sachbearbeiter Zugriff auf die entsprechenden Daten des Ehegatten des Leistungsempfängers hat. Ein Hinweis darauf, dass dies nicht so ist, ist keinem der Merkblätter der Beklagten, zu entnehmen.

2.2.2. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X für die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Alhi im Streitraum liegen nicht vor.

Nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies bedeutet, dass die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit die in ihrer Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt haben, mithin außer Acht gelassen haben musste, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen (Wiesner in: von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., Rdnr. 24 zu § 45 SGB X, BSG, Urteil vom 08.02.2001, Az.: B 11 AL 21/00 R). Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand wird im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit begründen, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder ohne Weiteres hat erkennen können und die Aushändigung noch nicht zu lange zurücklag (Wiesner, a. a. O., m. w. N.). Der Klägerin war jedoch angesichts des Hinweises in dem Merkblatt, welches sie zeitnah (bei Alhi-Antragstellung am 04. Juli 1998) erhalten hatte, nicht ohne Weiteres einleuchtend und nachvollziehbar, dass mit dem Datum der Wirksamkeit der Steuerklassenänderung die Leistungsbewilligung nicht mehr zutraf. Im Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten", Stand April 1998, wird auf Seite 17 in einer tabellarischen Übersicht dargestellt, welche Leistungsgruppe welcher Lohnsteuerklasse zugeordnet ist. Allerdings ist der Hinweis gegeben, dass dann, wenn Ehegatten die Steuerklassen gewechselt haben, die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprechen müssen. Wenn dies aber nicht der Fall sei, würden die dem Verhältnis der Löhne entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Berechnung der Leistung verwendet. Aus Sicht des Leistungsempfängers ergibt sich hiermit kein "Automatismus" dergestalt, dass die Änderung der Steuerklasse in seinem Einzelfall auch tatsächlich eine Änderung der zugrunde zu legenden Leistungsgruppe nach sich zieht. Darüber hinaus kann der Leistungsempfänger daraus schließen, dass die Frage, ob der Steuerklassenwechsel im konkreten Fall Auswirkungen auf die Leistungsgruppe und damit Leistungshöhe hat, vom Arbeitsamt geprüft wird.

Auch aus den jeweiligen Bewilligungsentscheidungen der Beklagten ergaben sich keine so eindeutigen und ohne Weiteres verständlichen Informationen, dass sich darauf ein Vorwurf gegenüber der Klägerin stützen ließe, sie habe grob fahrlässig nicht erkannt, dass ihr ab dem 01.03.1999 Alhi materiellrechtlich nur noch in geringerer Höhe als bewilligt zustand. Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind (BSG, Urteil vom 08.02.2001, Seite 7, Az: B 11 AL 21/00 R). Eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen oder zur Kenntnis zu nehmen, besteht, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Andererseits ist ein Antragsteller, der selbst zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Der Antragsteller darf vielmehr davon ausgehen, dass die Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben umsetzt. Im vorliegenden Fall kann der Klägerin nicht widerlegt werden, dass sie die geänderte Lohnsteuerkarte mit dem Hinweis auf die Änderung vorgelegt hat. Angesichts dessen und der Tatsache, dass nach dem Vorstehenden der Inhalt des Merkblattes für Arbeitslose keine eindeutige Einordnung in die Leistungsgruppe darlegte, konnte sich eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße nur dann ergeben, wenn sich die Fehlerhaftigkeit aus der Bescheidbegründung selbst ergab. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Dem Leistungsempfänger, der - wovon hier auszugehen ist - zutreffende Angaben zu seinen die Höhe der Leistung bestimmenden tatsächlichen Verhältnissen gemacht hat, ist grobe Fahrlässigkeit nur vorzuwerfen, wenn der Fehler ihm bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt" (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001, Seite 7, Az: B 11 AL 21/00 R). Dies ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

Auf dem Bescheid über Alg ab dem 01.06.1998 ist die Leistungsgruppe A angegeben. Auf dem Bescheid vom 09.07.1998 über die Änderung des Alg ab 01.08.1998 ist als Leistungsgruppe D - mit einer Raute gekennzeichnet - angegeben. Die Raute bedeutet, dass eine Änderung vorgenommen worden war. Auf der Rückseite hieß es, dass es für die Höhe der Leistungsentgelte wesentlich auf die Höhe des Steuerabzugs ankomme. Die einzelnen Lohnsteuerklassen spiegelten sich in den Leistungsgruppen wieder. Danach folgt ein Schema, aus welchem ersichtlich ist, welche Steuerklasse welcher Leistungsgruppe zugeordnet ist. Anschließend heißt es: "Die Leistungsgruppe entspricht der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse (ist das nicht der Fall, konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden, weil nach den Arbeitslöhnen beider Ehegatten eine unzweckmäßige Lohnsteuerkombination gewählt wurde)."

Auf dem Änderungsbescheid über Alhi ab dem 17.09.1998 ist die Leistungsgruppe D eingetragen.

Auf dem Änderungsbescheid vom 19.02.1999 über die Alhi ab 01.01.1999 bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 28.08.1999 ist die Leistungsgruppe A (gekennzeichnet mit einer Raute - dies bedeutet eine Änderung) angegeben.

Auf der Rückseite heißt es: Für die Höhe der Leistungsentgelte kommt es wesentlich auf die Höhe des Steuerabzugs an. Die einzelnen Lohnsteuerklassen spiegeln sich in den einzelnen Leistungsgruppen wider: (Es folgt eine tabellarische Aufstellung, welche Steuerklasse welcher Leistungsgruppe zuzuordnen ist.) Die Leistungsgruppe entspricht der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse (ist das nicht der Fall, konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden, weil nach den Arbeitslöhnen beider Ehegatten eine unzweckmäßige Lohnsteuerkombination gewählt wurde)."

Mit dieser Formulierung wird nicht hinreichend klar, dass die gewählte Steuerklasse zugrunde zu legen war. Vielmehr wird zum Ausdruck gebracht, dass diese Steuerklasse nicht unbedingt auch für die Leistungsgruppenzuordnung maßgeblich sein muss. Wenn darauf hingewiesen wird, dass (u. a.) ein Lohnsteuerklassenwechsel dann nicht berücksichtigt werden konnte, weil nach den Arbeitslöhnen beider Gatten eine unzweckmäßige Lohnsteuerklassenkombination gewählt worden sei, kann im Gegenteil der Eindruck entstehen, dass die Beklagte geprüft hat, welche Leistungsgruppe zugrunde zu legen ist und dann bewusst die im Bescheid angegebene als zutreffend zugrunde gelegt hat. Hiervon konnte die Klägerin auch im vorliegenden Fall ohne grobe Fahrlässigkeit ausgehen, da sie - wie ihre Einlassungen im Verwaltungsverfahren gezeigt haben -, davon ausgegangen ist, dass der Beklagten das Einkommen des Ehemannes bekannt war.

Die Angaben der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben nicht ergeben, dass diese etwa über besondere Kenntnisse der Auswirkungen des Lohnsteuerklassenwechsels - insbesondere im Leistungsrecht der Beklagten - verfügt hätte.

Auch kann der Klägerin angesichts sowohl des beruflichen und schulischen Werdeganges wie auch der Schriftstücke, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach selbst verfasst hat, nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe - angesichts der Komplexität des Vorganges der Einkommensanrechnung des Ehegatten - erkennen können bzw. grob fahrlässig nicht erkannt, dass Einkommen anzurechnen gewesen wäre und sich damit die Alhi hätte verringern müssen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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