L 3 U 129/13

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 69/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 129/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 11/18 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für Beschäftige in der Gummiindustrie in den 1980er Jahren ist die Exposition gegenüber dem aromatischen Amin 2-Naphthylamim im Vollbeweis gesichert.
2. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist das Krebsrisiko beim Menschen nach inhalativer und dermaler Aufnahme des Alterungsschutzmittels
Phenyl-2-Naphthylamin (P2NA) am Arbeitsplatz in der Gummiindustrie deutlich erheblicher zu bewerten als bisher angenommen.
3. Hinsichtlich des Nachweises einer kumulativen Exposition gegenüber urothelkanzerogenen Aminen im mg-Bereich und damit der Forderung nach einer Mindestdosis oder Schwellendosis herrscht kein Konsens in der Wissenschaft.
4. Eine mehrmonatige berufliche Einwirkung durch 2-Naphthylamin kann zur Verursachung eines Harnblasenkarzinom genügen, da dieses Amin das größte kanzerogene Potenzial hat.
5. Zwischen der berufsbedingten Aufnahme von 2-Naphthylamin und der Aufnahme durch den Konsum von Tabak besteht ein mehr als additiver Synergismus.
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 2013 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2012 verurteilt, ihren Bescheid vom 21. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 zurückzunehmen und bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 1301 der Anlage 1 der BKV anzuerkennen.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1301 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

Der 1959 geborene Kläger erlernte von 1976 bis 1978 den Metzgerberuf. Nach dem Wehrdienst arbeitete er von 1980 bis 1981 in einem Sägewerk, danach bis 1982 bei der Firma FA1 in D-Stadt in der Metallbearbeitung als Maschinenbediener und anschließend bis 1983 als Verkaufsfahrer für FA2. Nach einer ca. einjährigen Arbeitslosigkeit arbeitete er von 1984 bis 1986 für das Zeitarbeitsunternehmen FA3. Während dieser Zeit war er als Leiharbeitnehmer für 14 Monate bei der Firma FA4 in der Gummifertigung und für drei Monate bei der Firma FA5 im Bereich Recycling von Industriekatalysatoren sowie bei FA6 als Testfahrer beschäftigt. In den Jahren 1987, 1988 war er als Bauhelfer und Lkw-Fahrer und in den Folgejahren bis 1997 im Werksschutzdienst tätig. Seit 1998 ist der Kläger bei der Firma FA7 im Postdienst eingesetzt.

Im Oktober 2001 wurde bei dem Kläger ein Harnblasentumor diagnostiziert und von der behandelnden Klinik Tecklenburger Land der Verdacht auf Vorliegen einer BK gemeldet.

Die Firma FA1 teilte am 19. Dezember 2002 mit, der Kläger sei vom 27. Juli 1981 bis 28. Februar 1982 in der Automobil-Kolbenfertigungsreihe beschäftigt, gewesen. Er habe Kolbenrohlinge in eine Bearbeitungsmaschine eingespannt und bearbeitet. Dabei sei er mit wasserlöslichen Bohrölemulsionen in Kontakt gekommen. Die für die Firma FA1 zuständige Edel- und Unedelmetall-BG teilte hierzu am 16. April 2003 mit, die Firma FA1 habe von der Firma FA8 Kühlschmierstoffe bezogen, es sei wahrscheinlich das Produkt "FA8 xxx" eingesetzt worden. Falls Kühlschmierstoffe aromatische Amine enthalten hätten, seien diese ungefährlich, da beim üblichen Umgang aromatische Amine nicht freigesetzt werden könnten (so die Ausführungen in Mehrtens-Perlebach, Vorkommen und Gefahrenquellen für BK Ziffer 1301).

Die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie (BG-Chemie) gab Auskunft über die Beschäftigung des Klägers bei der Firma FA4 Gummiwarenfabrik GmbH und führte unter dem 15. Juli 2003 aus, der Mitgliedsbetrieb habe seit 1993/1994 seine Produktion eingestellt. Es gäbe keine Ansprechpartner, die Auskunft zu den dortigen Arbeitsplätzen geben könnten. Deshalb sei der Kläger zu den Verhältnissen an seinem Arbeitsplatz befragt worden. Bei der Firma FA4 seien Gummiteile für die Automobilindustrie, wie z.B. Schläuche und Gummimanschetten, hergestellt worden. Der Kläger habe in einer ca. 70 x 25 x 6 m großen Halle, in der 1 bis 14 Einspritzpressen gestanden hätten, gearbeitet. Er habe den Plastifizierschnecken die Gummimischung, die in Form von 1 bis 1,50 m langen Bändern angeliefert worden sei, von Hand zuführen müssen. Außerdem habe er die fertig vulkanisierten Teile der Form entnommen und auf einen Wagen oder in eine Gitterbox gelegt. Danach habe er die Formhälften mit einem Trennmittel für den nächsten Arbeitstakt eingesprüht. Um welches Trennmittel es sich dabei gehandelt habe, habe der Kläger nicht mehr sagen können. Er habe bei seiner Tätigkeit als Hitzeschutz Baumwollhandschuhe getragen. Eine Absaugung habe es nicht gegeben. Bei der Betrachtung der Exposition des Klägers gegenüber Stoffen, die Blasenkrebs auslösen könnten, müssten Alterungsmittel in Form von Phenyl-1-Naphthylamin (P1NA) bzw. Phenyl-2-Naphthylarnin (P2NA), wie sie in der Gummiindustrie verwendet worden seien, diskutiert werden. Diese enthielten in der Regel 2-Naphthylamin als Verunreinigung, welches im Merkblatt des BMA zur BK Nr. 1301 als Auslöser für Harnwegskrebs genannt werde. Mangels konkreter Erkenntnisse im Einzelfall wurde die Exposition des Klägers von der BG Chemie auf der Basis eines Rundschreibens der BG Chemie "Blasenkrebs durch aromatische Amine in der Gummiindustrie, Hinweise zur Ermittlung der Exposition" vom 19. Januar 2001 geschätzt. Die Tätigkeit des Klägers wurde dem im Rundschreiben definierten Arbeitsbereich 1 zugeordnet, welcher Tätigkeiten an Einspritzpressen einbezieht. Für die 14 Monate nach 1980 wurde bei einer im Rundschreiben genannten Tagesdosis von 11,5 ng für 2-Naphthylamin eine kumulative Dosis zwischen 2760 und 3220 ng errechnet.

Zur Firma FA5 Katalysatorenfertigung teilte die BG-Chemie unter dem 28. Oktober 2003 mit, der Akte des seit dem 30. September 1988 gelöschten Mitgliedsbetriebes sei zu entnehmen, dass sich der Betrieb mit der Herstellung von Katalysatoren für Abluftreinigung und Energierückgewinnung beschäftigt habe. Hierzu seien Edelmetalle und metallische Trägermaterialien eingesetzt worden. Die Akte enthalte keine Hinweise auf mögliche Gefahrstoffexpositionen. Beim Demontieren und Reinigen von Filtern könne es kurzzeitig zu Staubexpositionen gekommen sein. Diese Tätigkeiten seien in nicht allzu kurzen Abständen durchgeführt worden. Aufgrund des Produktionsverfahrens sei der Einsatz von aromatischen Aminen ausgeschlossen.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Prof. Dr. Dr. D., Institut für Arbeits-Physiologie an der Universität Dortmund, am 14. Januar 2004 ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Er gelangte zu der Beurteilung, eine Exposition des Klägers bei der Firma FA4 gegenüber 2 Naphthylamin in Höhe einer kumulativen Gesamtdosis von der Größenordnung von 3.000 ng sei nicht ausreichend, um eine Harnblasenkrebserkrankung zu verursachen. Eine diskutierte Schwellendosis für eine BK-Anerkennung nach Ziffer 1301 liege um einen Faktor von 3.000 bis 4.000 über diesem Bereich. Sehr wahrscheinlich sei demgegenüber eine Genese aufgrund des Rauchverhaltens des Klägers mit einer Tagesmenge von 12 bis 15 Zigaretten. Gegenüber diesem Sachverhalt träten mögliche berufliche Kausalitäten zurück.

Mit Bescheid vom 21. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, Entschädigungsleistungen wegen der Harnblasenerkrankung könnten nicht erbracht werden, da eine BK nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV bzw. als Erkrankung nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht vorliege.

Hiergegen erhob der Kläger am 30. September 2004 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main – Sozialgericht – (S 8 U 2165/04). Das Sozialgericht holte von Priv.-Doz. Dr. E., Kommissarischer Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, ein Gutachten vom 8. August 2005 ein. Gegenüber dem Sachverständigen gab der Kläger an, ab seinem 16. Lebensjahr habe er bis 1979 drei bis vier Zigaretten täglich geraucht, bis 1980 fünf Zigaretten und danach bis 2001 maximal 12 Zigaretten täglich, ab 2001 seien es acht Zigaretten am Tag gewesen. Priv.-Doz. Dr. E. hat die Firma FA1 nach dem damals verwandten Kühlschmierstoff befragt und die Auskunft erhalten, es sei der wassermischbare Kühlschmierstoff FA8 xxx-B verwandt worden. Die entsprechenden Sicherheitsdatenblätter wurden von der Firma FA1 übersandt. Des Weiteren ließ sich Priv.-Doz. Dr. E. von dem leitenden Technischen Aufsichtsbeamten (TAB) der BG-Chemie, Dr. G., die verfügbaren Ordner bezüglich der Firma FA4 aushändigen. In seinem Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, der Kühlschmierstoff FA8 xxx-B sei ein Mineralölraffinat mit einem Aromatengehalt von 5 %, dem Emulgatoren, organische Stickstoffverbindungen, langkettige Alkohole und Wasser beigemischt seien. Es sei biozidfrei, ohne Chlor, Schwefel und Phosphor. Es sei nicht nitrosierbar und entspreche somit der TRGS 611. Die nicht vorhandene Nitrosierbarkeit gewährleiste, dass zum einen keine möglicherweise krebserzeugenden Nitrosamine entstünden. Für das Krankheitsbild des Klägers sei zu berücksichtigen, dass aromatische Amine beim üblichen Gebrauch, entsprechend der Expertise des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD), nicht vorhanden seien. Somit sei anlässlich des Arbeitsverhältnisses bei der Firma FA1 nicht von einer Exposition gegenüber den kanzerogenen aromatischen Aminen auszugehen. Die Firma FA4 betreffend hätten die Betriebsakten des TAD für den vorliegenden Fall keine verwertbaren Informationen bezüglich Erkrankungen an Harnblasenkarzinomen oder arbeitshygienischen Maßnahmen bezüglich aromatischer Amine enthalten. 1971 sei eine Messung durchgeführt worden, die jedoch überwiegend Feinstaub, Quarz, quarzhaltigen Feinstaub, Mineralöl-Aerosole und Mineralöldämpfe und Aerosole betroffen habe. Des Weiteren seien am Kammerofen und am Temperschrank insbesondere Nitrosamine gemessen worden. Im Jahr 1987 seien Messungen Nitrosamine, Formaldehyd und andere Aldehyde betreffend durchgeführt worden. Außerdem habe eine Feinstaubmessung, eine Quarzmessung und eine Messung von Nickel und seinen Verbindungen stattgefunden, auch Zinkoxid und Blei seien kontrolliert worden. Somit könne auch nach Beiziehung der verfügbaren Unterlagen der nicht mehr bestehenden Firma FA4 nicht festgestellt werden, in welcher luftgetragenen Konzentration möglicherweise aromatische Amine am Arbeitsplatz des Klägers vorgelegen hätten. Deshalb sei als Grundlage der Zusammenhangsbeurteilung die vom TAB durchgeführte Berechnung für den Arbeitsbereich des Klägers heranzuziehen. Danach sei eine kumulative Dosis durch die Verwendung von Trennmitteln und die Tätigkeit an einer sog. Einspritzpresse mit maximal 3.220 ng Beta-Naphthylamin berechnet worden. Das bei dem Kläger festgestellte Harnblasenkarzinom könne durch aromatische Amine ursächlich entstehen. Bei dem Kläger liege aber auch ein außerberuflicher, konkurrierender Faktor in Form des Zigarettenrauchens vor. Auch im Zigarettenrauch sei 2-Naphthylamin enthalten. Eine Zigarette enthalte 1,7 ng 2 Naphthylamin. Für den Zeitraum 1975 bis 1979 errechne sich durch den Rauchkonsum bei drei Zigaretten täglich eine kumulative Dosis von 189.653,7 ng 2 Naphthylamin und bei einer Annahme von vier Zigaretten täglich eine Gesamt-Dosis von 192.135,7 ng 2-Naphthylamin. Demgegenüber sei die beruflich ermittelte Dosis von maximal 3.220 ng 2-Naphthylamin deutlich niedriger und liege bei etwa einem 60stel der durch Zigarettenrauch inhalierten Dosis. Es sei deshalb evident, dass die beruflich erworbene, kumulative Dosis des 2-Naphthylamins gegenüber der außerberuflichen kumulativen Dosis durch das Zigarettenrauchen eindeutig mit einem nahezu 60stel nachrangig zu betrachten sei. Somit sei beim Abwägen der Ursachen davon auszugehen, dass dem beruflichen Faktor keine wesentliche Teilursächlichkeit zukomme. Der Erkrankungszeitpunkt für das Harnblasenkarzinom des Klägers liege mit 41 Jahren unter der im Allgemeinen anzunehmenden Altersstruktur. Epidemiologische Studien bestätigten, dass bei einem Rauchkonsum von 1 bis 14 Zigaretten pro Tag mit einem mehr als zweifach häufigeren Auftreten der Harnblasenkarzinome gegenüber den Nichtrauchern zu rechnen sei. Im Falle des Klägers könne eine sog. Vorverlagerung des Erkrankungszeitpunktes nicht aufgrund der niedrigen kumulativen Dosis am Arbeitsplatz mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden. Eine Gefährdung durch 2-Naphthylamin durch das Rauchen habe bereits vor der Aufnahme der gefährdenden Tätigkeit bei Firma FA4 bestanden. Zusammenfassend könne die haftungsausfüllende Kausalität für das Vorliegen einer BK der Nr. 1301 der Anlage 1 der BKV nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Mit Urteil vom 7. März 2006 wies das Gericht die Klage daraufhin ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung zum Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt (Landessozialgericht) ein, welche unter dem Aktenzeichen L 3 U 85/06 geführt wurde.

Auf Antrag des Klägers holte das Landessozialgericht ein arbeitsmedizinisches Fachgutachten bei Prof. Dr. H. ein. Auf Anregung des Sachverständigen wurden dabei weitere Ermittlungen zur Verwendung von Mineralölen bei den Firmen FA4, FA1 und FA5 sowie zu der Art der bei der Firma FA5 verwendeten Edelmetalle und metallischen Trägermaterialien aufgenommen.

Zur Verwendung von Mineralölen bei der Firma FA4 führte der TAD der BG-Chemie- aus, laut Messbericht vom 11. Oktober 1991 seien bei der Firma FA4 in der Mischerei und der Endbearbeitung auch messbare Konzentrationen von Mineralöldämpfen festgestellt worden. Mineralöl sei üblicherweise ein Bestandteil von Gummimischungen. Als Produkt aus Rohöl könnten Mineralöle polyzyklische Verbindungen enthalten. Unter diese Verbindungsklasse falle von den im Merkblatt zur BK 1301 genannten aromatischen Aminen nur das 2-Naphthylamin. Nach BGIA-Ringbuchanhang 9101/2, 5. Anstrich seien an zehn Rohölproben Untersuchungen auf 2-Naphthylamin bei einer Nachweisgrenze von 1 ppm negativ verlaufen. Es könne deshalb ausgeschlossen werden, dass der Kläger infolge von Kontakt mit Mineralölen gegenüber 2-Naphthylamin exponiert gewesen sei.

Zur Firma FA5 wurde angegeben, in der Fertigung seien lockere Gebilde von Stahlspänen galvanisch mit Edelmetallen (Platin/Palladium) beschichtet und dann in einem Ofen eingebrannt worden. Eine staubförmige Exposition sei bei diesem Vorgang in wässrigen Systemen auszuschließen.

Die BG Metall-Nord-Süd gab nach Befragen einer Sicherheitsfachkraft der Firma FA1 an, in der Kolbenbearbeitung sei damals der Kühlschmierstoff FA8 xxx verwandt worden. Die Anwendungskonzentration habe maximal 5 % betragen, dem Konzentrat seien 95 % Wasser zugegeben worden. Die Firma FA8 teilte in einem Schreiben vom 6. Februar 2009 mit, FA8 xxx sei erstmals im Oktober 1992 produziert worden, aromatische Amine, krebserzeugende Schwermetalle, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe oder sonstige krebserzeugende Stoffe seien darin nicht enthalten.

In seinem Gutachten vom 17. November 2009 führte der Sachverständige Prof. Dr. H. aus, zur Abschätzung der quantitativen Exposition des Klägers gegenüber 2-Naphthylamin sei sein Arbeitsplatz bei der Firma FA4 dem Arbeitsbereich 1 zugeordnet worden, für welchen die Exposition nach 1980 mit 11,5 ng pro Tag errechnet worden sei. Anlass für die Zuordnung sei offensichtlich, dass Tätigkeiten an Einspritzpressen ausdrücklich zu denen des Arbeitsplatzbereiches 1 gezählt werden. Der Kläger habe jedoch nicht an Einspritzpressen, die in der Halle zu 1 bis 14 Exemplaren gestanden hätten, gearbeitet. Vielmehr habe er Gummimischung den sogenannten Plastifizierschnecken von Hand zuführen und die fertig vulkanisierten Teile der Form entnehmen und auf einen Wagen oder eine Gitterbox legen müssen. Seine Tätigkeit sei demnach viel eher dem Arbeitsbereich 2 zuzuordnen, einem Bereich in welchem große Teile bzw. Teile mit einer Oberfläche von etwa 1 m² vulkanisiert werden, wie z.B. Autoreifen. Die Schläuche und Gummimanschetten, die bei der Gummiwarenfabrik FA4 hergestellt worden seien, dürften größenordnungsmäßig den Autoreifen entsprechen. Nach dem technischen Report 9.100 "Aromatische Amine" (BGIA, 2008) ergebe sich dann eine fünffach höhere kumulative Exposition. Aber auch diese könne aus arbeitsmedizinischer Sicht noch nicht mit Sicherheit als ausreichend für die Verursachung eines Harnblasenkarzinoms angesehen werden. Es stelle sich die Frage, wie plausibel die angestellten Modellrechnungen und ihre Anwendung im vorliegenden Fall seien. Die Unsicherheit der Anwendung derartiger Schätzwerte im Einzelfall sei groß, so dass der Schätzwert kein Vertrauen mehr verdiene. Er gelange zu dem Ergebnis, dass die reale Exposition des Klägers gegenüber 2 Naphthylamin während der 12 bis 14 Monate seiner Tätigkeit bei der Firma FA4 nicht bekannt sei, nicht ermittelt werden konnte und über die existierenden Modellrechnungen nicht vertrauenswürdig abgeschätzt werden könne. Es sei nicht einmal sichergestellt, dass die Firma FA4 hinsichtlich ihrer Rezepturen und Produktionsverfahren den Werken der Gummiindustrie zugeordnet werden könne, für welche die Modellrechnungen angestellt worden seien. Zur Frage, welche Antioxidantien bei der Firma eingesetzt worden seien und in welchem Umfang, lägen keine Ermittlungsergebnisse vor. Im vorliegenden Fall könne der aus der Modellrechnung abgeleitete Schätzwert aber auch nach dem epidemiologischen Kenntnisstand nicht als Kriterium für die Anerkennung einer BK herangezogen werden. Denn auch das Verbot der Verwendung von 2-Naphthylamin in der Gummiindustrie habe das erhöhte Risiko für Harnblasenkrebs nicht vollständig ausschalten können. Dies habe eine Studie an über 11.000 Arbeitern der Gummiindustrie ergeben. Nach Golka et al. (2004) könne das weiterhin bestehende Risiko von komplexen Gemischen ausgehen, welche polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten, oder von Nitrosaminen. Die vorliegenden epidemiologischen Befunde sprächen dagegen, dass allein die aromatischen Amine für das erhöhte Harnblasenkrebsrisiko verantwortlich seien. Dass polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe Harnblasenkrebs erzeugten, sei nicht mehr in Zweifel zu ziehen. Auch Nitrosamine als Arbeitsplatzkanzerogene hätten an Arbeitsplätzen der Gummiindustrie nachgewiesen werden können. Der Nachweis des Nitroso-di-n-butylamins als luftgängiger Schadstoff bei der Firma FA4 mit messbaren Konzentrationen von 0,1 bis 0,2 ng/m³ sei dokumentiert. Bei dieser Luftkonzentration könne die krebserzeugende Verbindung täglich nur in einer Menge inhalativ aufgenommen werden, die um Größenordnungen unterhalb der im Tierexperiment wirksamen Dosen liege. Selbst wenn man unterstelle, dass ein Mehrfaches dieser Dosis auf dem Hautwege aufgenommen worden sei, könne die Exposition gegenüber Nitrosodinbutylamin nur als eine Teilursache der Krebserkrankung angesehen werden, deren Bedeutung hinter der des inhalativen Zigarettenrauchens deutlich zurückstehe. Für eine Exposition gegenüber Nitrosaminen bei der Firma FA1 existierten keine hinreichenden Belege. Der eingesetzte Kühlschmierstoff der Firma FA8 habe nativ keine nitrosierbaren Amine enthalten. Zum Harnblasenkrebsrisiko bei der Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen lägen nur spärliche Daten vor. Allerdings sei ein steigender Gehalt an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen abhängig von der Dauer des Gebrauchs der Kühlschmiermittel nachgewiesen. Ob diese als ursächlich anzusehen seien für das erhöhte Harnblasenkrebsrisiko nach einer Expositionszeit von 20 Jahren sei nicht geklärt. Wegen der gering bemessenen Konzentrationen im Falle des Klägers und namentlich wegen der kurzen Beschäftigungsdauer bei der Firma FA1 könne eine wesentliche Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in dieser Zeit nicht als belegt angesehen werden. Es kämen aber auch die bei der Firma FA4 analytisch nachgewiesenen Mineralöldämpfe sowie die Vulkanisationsdämpfe al PAH-haltige Gemische in Betracht. Im Falle des Klägers gelangte er zu dem Ergebnis, eine überzeugende Erklärung für die Erkrankung an Harnblasenkrebs in dem sehr frühen Alter und ohne familiäre Belastung könne aus der Betrachtung der ermittelten beruflichen Exposition nicht gefunden werden. Zwar sei eine Exposition gegenüber aromatischen Aminen und auch gegenüber Nitrosaminen belegt, höchstwahrscheinlich habe auch eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bestanden. Es komme jedoch aufgrund erwiesener hinreichender Höhe weder eine dieser Expositionen als wesentliche Teilursache in Betracht, noch gelte dies für ihre Kombination. Es sei auch nicht wissenschaftlich zu begründen, dass das durch Zigarettenrauchen bedingte Risiko durch die Gesamtheit der beruflichen Expositionen entscheidend gesteigert worden sei. Abgesehen von der Möglichkeit, dass die wesentliche Ursache der Erkrankung bisher übersehen worden sei bzw. nicht habe aufgefunden werden können, bestehe die Möglichkeit einer gravierenden Fehleinschätzung für die Einwirkung von 2-Naphthylamin während der 12 bis 14 Monate der Beschäftigung bei der Firma FA4. Versicherungsrechtlich könne aber aufgrund dieser Möglichkeit die Anerkennung einer BK nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV nicht empfohlen werden, es sei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zu belegen. Diese sei wissenschaftlich auf der Grundlage der bisher vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht ableitbar.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2011 wies das Landesozialgericht daraufhin die Berufung des Klägers zurück.

Am 12. August 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung der Ablehnung der BK Nr. 1301 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialdatenschutz und Verwaltungsverfahren – SGB X mit der Begründung, das Landesozialgericht habe zu Unrecht kein arbeitstechnisches Sachverständigengutachten eingeholt. Es gebe nach wie vor Ermittlungslücken. Eine tatsächliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen habe stattgefunden, wobei es das Erfordernis einer Mindestdosis für das Auftreten von Blasenkrebs nicht gebe. Der Einwand des Rauchens sei laienhaft, es bestehe eine wechselseitige Verstärkung in den Auswirkungen, es sei auch nicht berücksichtigt, dass bestimmte Schadstoffe erst im Körper selbst aromatische Amine bilden würden.

Mit Bescheid vom 22. November 2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 21. April 2004 gemäß § 44 SGB X ab. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des Bescheids. In den Gutachten und Gerichtsverfahren habe bereits eine ausführliche Diskussion der arbeitsmedizinischen Beurteilung stattgefunden.

Der Kläger erhob am 22. Dezember 2011 Widerspruch und machte geltend, sein beruflicher Kontakt mit gefährdenden Stoffen passe zeitlich und sachlich mit der vorzeitigen Erkrankung an Harnblasenkrebs zusammen. Es müsse ein arbeitstechnisches Sachverständigengutachten eingeholt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Seine am 23. April 2012 beim Sozialgericht Frankfurt am Main – Sozialgericht – (S 23 U 69/12) erhobene Klage hat der Kläger damit begründet, die Beklagte habe die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfallversicherung verletzt, wonach auch eine wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Bedingung ausreiche. Dies sei im Fall des Klägers gegeben. Bei der streitgegenständlichen Listen-BK gebe es zudem keinen Dosisgrenzwert.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Überprüfungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Der jetzige Vortrag bringe keine neuen Erkenntnisse oder Tatsachen. Mit dem Vortrag des Klägers habe sich schon das Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 27. Juni 2011 auseinandergesetzt und dessen schlüssigen Ausführungen schließe sich das Sozialgericht an. Demnach könne mangels konkreter Erkenntnisse im vorliegenden Einzelfall die mögliche Exposition des Klägers gegenüber 2-Naphthylamin als Alterungsschutzmittel (Antioxidationsmittel) bei der Firma FA4 nur anhand der in der Gummiindustrie gewonnenen Erkenntnisse (Rundschreiben der BG-Chemie vom 19. Januar 2001) geschätzt werden. Unabhängig davon, ob man die Tätigkeit des Klägers nach den in diesen Hinweisen beschriebenen vier Arbeitsbereichen dem Arbeitsbereich 1 (Tätigkeit an Walzwerken, Einspritzpressen, im Labor, an jeder Art von Durchlauf-Vulkanisation) oder dem Arbeitsbereich 2 (Vulkanisation von Teilen mit großer Oberfläche wie Autoreifen, Kesselvulkanisation von Krümmern, Etagenpressen) zuordne, ergebe sich nur eine kumulative Dosis von maximal 3.220 ng 2-Naphtylamin (so Priv.-Doz. Dr. E. bei Zuordnung zum Arbeitsbereich 1) bzw. einer Dosis von maximal 5 x 3.220 (=16.100) ng 2-Naphthylamin (so Prof. Dr. H. bei Zuordnung zum Arbeitsbereich 2). Weder Priv.-Doz. Dr. E. noch Prof. Dr. H. hätten das von ihnen jeweils unterstellte Ausmaß der beruflichen Exposition gegenüber 2-Naphthylamin als wesentliche Teilursache für die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers bewertet, weil dieser berufliche Risikofaktor bei Abwägung gegenüber dem außerberuflichen Risikofaktor – dem Rauchverhalten des Klägers – deutlich zurücktrete. Werde lediglich das Rauchverhalten des Klägers in dem Zeitraum von 1975 bis 1979 berücksichtigt und lediglich ein Rauchkonsum von 3 Zigaretten täglich zu Grunde gelegt errechne sich eine kumulative Dosis von 189.653,7 ng 2-Naphthylamin, also eine um ein Vielfaches höhere Belastung als aus der beruflichen Exposition. Der Tatbestand der BK Nr. 1301 sehe zwar keinen konkreten Belastungsgrenzwert für aromatische Amine vor, auch könne eine Mindestexpositionsmenge für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht gefordert werden, weil es diesbezüglich keinen Konsens gebe. Dies bedeute jedoch nicht, dass jede geringe Exposition als wesentlicher Verursachungsfaktor anzuerkennen sei, wenn außerberufliche Risiken vorlägen, die um ein Vielfaches höher seien.

Gegen den ihm am 21. Juni 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Juli 2013 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und im Wesentlichen geltend gemacht, eine Neubewertung der arbeitstechnischen Bedingungen anhand des aktuellen BK-Reportes 1/2014 (aromatische Amine) ergebe das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anerkennung der BK Nr. 1301. Bei dem Beta-Naphthylamin handele es sich um ein besonders gefährliches Amin, welches nach kurzzeitiger Exposition ein Krebsleiden auslösen könne. Im Merkblatt zur BK Nr. 1301 werde auch erwähnt, dass bereits nach einer Expositionszeit von 3 Monaten gegen 2 Naphthylamin berufliche Harnblasenkarzinome möglich seien.

Die Beklagte hat während des Berufungsverfahrens die Expositionsbedingungen des Klägers auf der Grundlage des neuen BK-Reports 1/2014 neu bewerten lassen. In seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2014 hat der Präventionsdienst eine Exposition des Klägers bei der Firma FA4 mit einer Gesamtdosis 2-Naphthylamin von 0,06 – 0,07 mg berechnet. Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Diplom-Chemikers und Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. J. vom 10. Februar 2014 vorgelegt, wonach eine Risikoverdopplung für Urothelkarzinome erst im einstelligen mg-Bereich gegeben ist. In einer weiteren von der Beklagten vorgelegten arbeitsmedizinischen Stellungnahme des Prof. Dr. L., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin vom 26. Oktober 2015 wird ausgeführt, trotz des deutlich geringeren Lebensalters des Klägers als durchschnittlich bei der Erstdiagnose beobachtet, sei auch eine zeitliche Vorverlagerung des Krankheitsgeschehens durch die berufliche Exposition nicht mit Wahrscheinlichkeit ableitbar. Zu dem Vorbringen des Klägers teilte Prof. Dr. L. mit, richtig sei zwar, dass das Merkblatt zur BK von einer möglichen Expositionszeit von 3 Monaten ausgehe. Die durchschnittlich beobachtete Expositionszeit liege indes bei 13 Jahren. Richtig sei auch, dass bei Kanzerogenität eine Schwellendosis nicht genannt werden könne, vorliegend trete aber die Bedeutung der kumulativen beruflichen Expositionsdosis von nur 0,06 - 0,07 mg 2-Naphthylamin deutlich hinter das erhöhte Risiko durch den inhalativen Tabakrauchkonsum von mehr als 26 Jahren bei dem Kläger zurück.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat ein arbeitsmedizinisches Fachgutachten von Prof. Dr. H. vom 8. November 2016 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt im vorliegenden Fall spreche das deutlich, nämlich um 33 Jahre vorverlegte Erkrankungsalter des Klägers für eine exogen, vor allem beruflich bedingte Verursachung. Ein weiterer Hinweis ergebe sich aus der Tätigkeit in einem Risikoberuf als Kunststoffverarbeiter bzw. Metallbearbeiter. Zwischen dem hier mäßigen Zigarettenkonsum als konkurrierender Krebsursache und der beruflichen Einwirkung bestehe ein mehr als additiver Synergismus. Durch den BK-Report 1/2014 "Aromatische Amine" sei die kumulative Aufnahme von 2-Naphthylamin an Arbeitsplätzen der Gummiindustrie neu bewertet worden und ein exorbitanter Anstieg des angenommenen Risikos dargelegt worden. Denn nach Exposition gegenüber von Phenyl-2-Naphthylamin (P2NA) würden 0,5 bis 1 % der aufgenommenen Menge im menschlichen Organismus durch Dephenylierung in 2-Naphthylamin umgewandelt. Eine blasenkrebserzeugende Wirkung von P2NA gehe damit nicht nur wegen des darin enthaltenen 2-Naphthylamins aus, sondern wegen der Umwandlung auch von der Verbindung selbst. Damit ergäben sich gravierende Unterschiede in der angenommenen täglichen Gesamtdosis an 2 Naphthylamin in den Arbeitsbereichen der Gummiindustrie. Wegen des erheblich vorverlegten Erkrankungsalters komme dabei nur eine "worst-case-Betrachtung" in Frage. Für den Arbeitsplatz des Klägers bei der Firma FA4, der nach der Tabelle 8.3 des Reports dem Arbeitsbereich 2 zuzuordnen sei, sei nunmehr eine vierfach höhere Aufnahme an 2-Naphthylamin zu unterstellen und damit eine Steigerung der täglichen 2 Naphthylamin-Aufnahme um den Faktor 200. Der daraus resultierende Wert von 0,644 mg erhöhe sich unter Annahme einer oberen Toleranzgrenze von 20 % auf 0,773 mg. Dabei sei eine Bystander-Exposition noch nicht eingerechnet und auch nicht ein weiterer Betrag durch die dermale Aufnahme des P2NA sowie die Einwirkung des o Toluidins, welches nach dem BK-Report obligatorisch an Arbeitsplätzen der Gummiindustrie sei. Auch habe die Aufnahme von 2-Naphthylamin durch Hautkontakt mit Bohr- und Schneidölen bei der (nicht mehr existenten) Firma FA1 keine Beachtung gefunden. Im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne könnten diese Einwirkungen nicht hinweg gedacht werden, ohne dass es bei dem Kläger im Alter von 41 Jahren zum Harnblasenkrebs gekommen wäre. Die berufsbedingte Exposition habe zusammen mit der nicht versicherten Exposition gegenüber Tabakrauch den Harnblasenkrebs des Klägers hinreichend wahrscheinlich mit verursacht. Die außerberuflichen Einwirkungen des Zigarettenrauchs seien dabei nicht überragend, zumal der Kläger nur mäßig geraucht habe und aus der Raucheranamnese mit etwas mehr als 12 Pack-Jahren eine Risikoverdopplung für Harnblasenkrebs nicht ableitbar sei.

Nach einer von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K., Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin vom 20. Dezember 2016 kommt dem Zigarettenrauchen die überragende Bedeutung zu. Denn gegen eine berufliche Verursachung würde die extreme Abweichung zur üblichen Expositionszeit und Latenzzeit bei der BK Nr. 1301 sprechen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich auch bei Harnblasenkarzinomen ein Rückgang des Erkrankungsrisikos mit zunehmendem Abstand zur Exposition zeige. Bei dem Kläger sei die Exposition gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen bereits 1986 beendet gewesen, dies bedeute, dass bis zum Auftreten der Erkrankung über 15 Jahre keine berufliche Exposition mehr vorgelegen habe, während der eindeutige außerberufliche Risikofaktor des inhalativen Zigarettenrauchens fortgesetzt bestanden habe.

Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat dazu in seiner Stellungnahme vom 15. März 2017 entgegnet, er halte daran fest, dass hier die berufliche Aufnahme von 2-Naphthylamin und o-Toluedin zu einer Risikoverdoppelung führen konnte. Im Übrigen gebe es neuere Erkenntnisse nach Veröffentlichung des BK-Reports 1/2014 u. a. zu dem Alterungsschutzmittel P2NA. So gebe es nach den Ergebnissen der Prüfung durch "Weiss et al. 2014" nunmehr keine Zweifel mehr, dass auch die Verbindung P2NA selbst (und nicht nur 2-Naphthylamin) hautgängig sei. Bei in die Haut aufgenommenem P2NA bilde sich indes ein Depot, aus dem langsam, aber kontinuierlich P2NA freigesetzt werde, so dass von längeren Einwirkungszeiten als bisher angenommen, auszugehen sei. Hinzu kommt nach Prof. Dr. H. als neue Erkenntnis, dass 2-Naphthylamin auch aus der Gasphase dermal aufgenommen werden könne. Wie weit sich dadurch die von ihm errechnete kumulative Dosis im vorliegenden Fall erhöhe, sei zurzeit nicht abschätzbar; sie erhöhe sich aber.

Der Senat hat daraufhin eine wissenschaftliche Stellungnahme zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand bei der beruflichen Verursachung des Harnblasenkrebses durch aromatische Amine und zur Würdigung der von Prof. Dr. H. dargelegten "neuen Erkenntnisse" von Prof. Dr. M., Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) der DGUV, vom 24. Juli 2017 eingeholt. Prof. Dr. M. hat in dem zusammen mit dem Dipl. Chemiker N. erstellten Gutachten ausgeführt, Prof. Dr. H. sei insoweit zuzustimmen, als durch die neuen Erkenntnisse zur Hautpenetration von P2NA und der feststellten Depotwirkung in der Haut sich auch im vorliegenden Fall die berufsbedingte Dosis an 2 Naphthylamin erhöhe. Diese Erhöhung falle jedoch aus quantitativer Sicht nur marginal aus, eine kumulative 2-Naphthylamindosis im mg-Bereich sei vor dem Hintergrund der kurzen Expositionsdauer von maximal 14 Monaten im vorliegenden Fall nicht zu erwarten. Dies gelte auch bei hypothetischem dermalen Kontakt zu P2NA-haltigen Schmierfetten. Nicht zuzustimmen sei der Auffassung von Prof. Dr. H., dass sich eine dermale 2 Naphthylamin-Aufnahme aus der Gasphase unter den gegebenen Arbeitsplatzbedingungen erhöhend auf die Gesamtdosis auswirke, denn 2-Naphthylamin liege aufgrund seines vergleichsweise hohen Siedepunkts und dem niedrigen Dampfdruck nicht in relevantem Ausmaß in der Gasphase vor.

Prof. Dr. H. hat dazu in seiner Stellungnahme vom 30. November 2017 mitgeteilt, aus der Modellberechung des Prof. Dr. M. resultiere eine wesentliche Unterschätzung der quantitativen Einwirkung. Gravierend bei dessen Fehleinschätzung wirke sich die Unterstellung intakter Haut der Hände und Unterarme am Arbeitsplatz aus. Hautläsionen einschließlich Verletzungen, die den Schutzmantel der Epidermis partiell außer Kraft setzten, seien bei Arbeitnehmern mit Tätigkeiten wie beim Kläger unvermeidbar; dieser selbst habe davon berichtet. Die Hautpenetration von P2NA könne dadurch bis zu einer Zehnerpotenz ansteigen. Es sei auch von einer längeren Einwirkungszeit als bei den von Prof. Dr. M. angeführten 6 Stunden bei Experimenten mit Hausschweinen auszugehen. Denn das beim Menschen auf die Hände und Unterarme gelangte P2NA müsste dann bei Schichtende komplett entfernt worden sein, was bei der lipophilen Matrix kaum denkbar sei. Auch aus der konterminierten Kleidung, insbesondere den Ärmeln sei eine weitere Einwirkung zu unterstellen, sogar noch an den folgenden Tagen in täglich zunehmender Höhe. Schließlich widerspreche die ausschließlich auf P2NA ausgerichtete Modellrechnung des Prof. Dr. M. dem BK-Report 1/2014, wonach 2-Naphthylamin nicht nur aus P2NA freigesetzt werden kann, sondern auch aus anderen Alterungsschutzmitteln mit einer Verunreinigung an 2-Naphthylamin. Zu berücksichtigen wären daher auch Staufferfette und Öle. Hinsichtlich der von Prof. Dr. M. als Matrix P2NA in Anschlag gebrachten Staub sei auch bei geringen Mengen eine erhebliche Einwirkung zu unterstellen, denn an der Kleidung, an Händen und Armen sowie an der Arbeitsplatzumgebung sei die Möglichkeit einer Freisetzung durch Abrieb gegeben, was zur inhalativen und dermalen Aufnahme von P2NA führen müsse. Selbst wenn man nur für einen Teil der von ihm aufgelisteten Realitäten eine worst-case-Betrachtung anstelle, gelange man somit zu einer quantitativ wesentlichen Einwirkung.

Prof. Dr. M. hat dazu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 5. März 2018 ausgeführt, er bleibe dabei, auch unter zusätzlicher Berücksichtigung weiterer neuer Erkenntnisse zur dermalen Aufnahme von P2NA und 2-Naphthylamin ergebe sich im vorliegenden auch unter hypothetischer Annahme der Verwendung von P2NA-haltigen Schmierfetten noch keine kumulative Exposition im Sinne eines verdoppelten Risikos. Erst im Szenario einer arbeitstäglichen, vollschichtigen dermalen Exposition über einen Zeitraum von ca. 17 Jahren (ca. 4.100 Arbeitstage bei zwei kontaminierten Handinnenflächen) wäre die kumulative Dosis von 6 mg 2-Naphthylamin, die mit einer Risikoverdoppelung für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms assoziiert sei, erreicht worden. Fraglich sei letztlich, ob der Kläger überhaupt gegenüber P2NA exponiert gewesen sei, denn die Verwendung von P2NA sei in Folge einer Erfassungsaktion der damaligen BG Chemie bis 1980 in vielen Gummifabriken eingestellt worden. Ein Umgang des Klägers mit P2NA-haltigen Schmierfetten (bei der Firma FA1) sei nicht wahrscheinlich, da der Einsatz von P2NA in entsprechenden Schmierfetten aus westdeutscher Produktion nach dem BK-Report I/2014 nicht belegt sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2012 zu verurteilen, den Bescheid vom 21. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 zurückzunehmen und bei ihm eine BK nach der Nr. 1301 der Anlage 1 der BKV anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, nach der zutreffenden Darlegung des Prof. Dr. M. sei auch unter Berücksichtigung der neuen medizinischen Erkenntnisse im vorliegenden Fall nicht von einer quantitativ so erhöhten berufsbedingten Dosis durch 2-Naphthylamin auszugehen, dass der erforderliche Schwellenwert von 6 mg bezüglich 2-Naphthylamin erreicht werde. Zudem sei nach Prof. Dr. M. die Exposition des Klägers gegenüber P2NA ungesichert. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die vom Kläger im Dezember 2017 beantragte Anerkennung einer BK Nr. 1321 mit Bescheid vom 7. März 2018 angesichts der sehr geringen Exposition durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) abgelehnt worden sei.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, denn die Prozessbevollmächtigten wurden in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Nach Auffassung des Senats ist die Beklagte auf Grund des Überprüfungsantrags des Klägers verpflichtet, ihren früheren bestandskräftigen Bescheid vom 21. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 zurückzunehmen und bei dem Kläger eine BK nach der Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Vorliegend war die Entscheidung der Beklagten, die betreffende BK nicht anzuerkennen (und deshalb keine Leistungen zu erbringen) fehlerhaft.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 1301 bezeichnet: "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine".

Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist zunächst, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts dabei nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 118 Rdnr. 5 m.w.N.). Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).

Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. Einwirkungskausaliät) und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Als Beweismaßstab genügt für die ursächlichen Zusammenhänge statt des Vollbeweises die hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).

Bei dem Kläger ist im Oktober 2001 im Lebensalter von 41 Jahren ein Harnblasentumor im Stadium pTaG1 diagnostiziert worden sowie ein erstes Rezidiv am 18. November 2003 und ein zweites Rezidiv im Januar 2005. Eine Erkrankung im Sinne der BK Nr. 1301 ist damit im Vollbeweis gesichert.

Der Kläger war während seiner versicherten Tätigkeit auch gegenüber aromatischen Aminen exponiert.

Bezüglich der versicherten Tätigkeit des Klägers bei der Firma FA4 in der Gummifertigung (ca. 12 bis 14 Monate in den Jahren 1984 bis 1986) hält der Senat die Exposition gegenüber 2-Naphthylamin im Vollbeweis für gesichert und die Einwirkungskausalität für gegeben. Denn bis in die 1980er Jahre wurde in der Gummiindustrie dem Rohgummi in der sog. Mischerei P2NA als Alterungsschutzmittel zugesetzt, welches herstellungsbedingt mit dem aromatischen Amin 2-Naphthylamin verunreinigt war. Arbeitnehmer in der Mischerei aber auch aus anderen Bereichen einer Gummifabrik wie der Kläger waren daher häufig gegenüber P2NA-haltigen Stäuben exponiert. Dies führte zu einer inhalativen Exposition, aber auch zu einer Ablagerung der P2NA-haltigen Stäube auf der Haut (IPA-Journal 03/2014, Seite 18). Der Gefahrstoff wurde zwar in Folge einer Erfassungsaktion der damaligen BG Chemie in vielen Gummifabriken eingestellt, wie Prof. Dr. M. in seiner Stellungnahme vom 5. März 2018 ausgeführt hat. Dies hat indes nicht zur völligen Beseitigung des höheren Risikos für die Beschäftigten in diesem Industriezweig geführt (vgl. dazu Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., Seite 16; das Rundschreiben der BG Chemie vom 19. Januar 2001 mit Anlage Bl. 96 ff. VA I; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seite 1182; BK-Report I/2014, Aromatische Amine, 8 Gummiindustrie, Seiten 55, 56 und Tabelle 8.3 hinsichtlich der geschätzten Gesamtdosis nach 1980). Auch der Präventionsdienst der Beklagten ist hinsichtlich der Beschäftigung des Klägers bei der Firma Gummi FA4 von einer gesicherten Exposition gegenüber 2-Naphthylamin ausgegangen (vgl. dessen Stellungnahme vom 18. Dezember 2014 im Berufungsverfahren).

Der Gefahrstoff 2-Naphthylamin gehört zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung zugemessen wird. In der MAK-Werte-Liste der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe ist dieses Amin in die Kategorie 1 (beim Menschen krebserregend) eingestuft (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung – BKV –, Stand: Januar 2018, M1301, Seite 15). Allen krebserzeugenden aromatischen Aminen ist gemeinsam, dass sie an sich nicht krebserzeugend sind. Erst in der Verstoffwechslung entstehen aus den Ausgangsmolekülen krebserzeugende Zwischenprodukte in der Harnblase (Mehrtens/Brandenburg, a. a. O.).

Zu berücksichtigen ist zudem die Einwirkung des Gefahrstoffs o-Toluidin während der Tätigkeit des Klägers bei der Firma FA4. Dieses aromatische Amin ist in Alterungsschutzmitteln enthalten und nach dem BK-Report I/2014 obligatorisch an Arbeitsplätzen der Gummiindustrie, worauf Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 8. November 2016 hingewiesen hat (übereinstimmend insoweit Dr. K. in ihrer Stellungnahme vom 20. Dezember 2016). Auch die Exposition gegenüber diesem Gefahrstoff ist im Vollbeweis gesichert, wobei dessen Wirkpotenz nach Prof. Dr. H. deutlich geringer ist als die des 2-Naphthylamins (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O.).

Eine Einwirkung von 2-Naphthylamin im Zusammenhang mit Schmierfettumgang hält der Senat indessen nicht im Vollbeweis für gesichert. Prof. Dr. H. geht von einer Exposition des Klägers gegenüber 2-Naphthylamin während dessen Tätigkeit bei der ebenfalls nicht mehr existenten Firma FA1 in D-Stadt in der Metallbearbeitung als Maschinenbediener aus, und zwar durch täglichen Hautkontakt mit Scheid- und Bohrölen. Prof. Dr. M. hat diesbezüglich (Stellungnahme vom 5. März 2018) ausgeführt, dass der Einsatz von P2NA in entsprechenden Schmierfetten aus westdeutscher Produktion (wozu die Firma FA8 gehört) nicht belegt sei. Dies entspricht den Erkenntnissen im BK-Report 1/2014, 13 Metallindustrie, Seite 114.

Nach Auffassung des Senats hat die Exposition des Klägers während seiner versicherten Tätigkeit bei der Firma FA4 in der Gummiindustrie gegenüber dem Gefahrstoff 2 Naphthylamin zusammen mit der nicht berufsbedingten Einwirkung dieses Stoffes durch Tabak hinreichend wahrscheinlich die bei ihm festgestellte Krebserkrankung der Harnwege mit verursacht.

Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Versicherungsfalles basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer ersten Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d.h. - so die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der möglicherweise aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann durch Wertung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die wesentlich sind, weil sie rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris).

Der naturwissenschaftliche Zusammenhang (1. Prüfungsstufe) zwischen der berufsbedingten Dosis an 2-Naphthylamin und der Krebserkrankung ist gegeben. Es überwiegen im vorliegenden Fall die Indizien deutlich, die für eine Mitverursachung sprechen.

Der Senat hat im Berufungsverfahren zur Beurteilung des Zusammenhangs den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Aufnahme von 2-Naphthylamin an Arbeitsplätzen der Gummiindustrie ermittelt und seiner Beurteilung zu Grunde gelegt. Demnach ist nach dem BK-Report 1/2014 das Krebsrisiko beim Menschen nach Aufnahme von Phenyl-2-Naphthylamin (P2NA) deutlich erheblicher zu bewerten als bisher angenommen. Nach dem Report (s. unter "8 Gummiindustrie", Seite 56; vgl. auch IPA-Journal 03/2014, Seite 18) ist ein Gummiwerker nicht nur durch in inhalative Aufnahme von Stäuben (P2NA und seine Verunreinigung durch 2-Naphthylamin) belastet, wovon noch Prof. Dr. E. in seinem Gutachten vom 5. August 2005 im Verfahren L 3 U 85/06 ausgegangen ist. Vielmehr ergibt sich beim Hautkontakt zu Arbeitsstoffen, die P2NA enthalten, eine dermale Exposition gegenüber der 2-Naphthylamin-Kontaminante, da dieser Stoff sehr gut durch die Haut penetriert. Zudem geht eine blasenkrebserzeugende Wirkung von P2NA nicht nur wegen des darin enthaltenen 2-Naphthylamins aus, sondern auch von der Verbindung selbst, da sie im menschlichen Organismus in 2-Naphthylamin umgewandelt werden kann. P2NA wird nach Aufnahme in den Körper zu einem geringen Anteil (0,5 1 %) zum 2-Naphthylamin verstoffwechselt. Das über eine Stoffwechselkaskade aus dem P2NA durch Dephenylierung freigesetzte 2-Naphthylamin kann somit zusätzlich zur inneren Gesamtbelastung mit 2-Naphthylamin beitragen. Weitere Studien nach der Veröffentlichung dieses Reports haben zudem, wie von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. M. übereinstimmend dargelegt, zu der Erkenntnis geführt, dass nicht nur 2-Naphthylamin hautgängig ist, sondern auch die Verbindung P2NA selbst (Stellungnahme des Prof. Dr. H. vom 15. März 2017; Stellungnahme des Prof. Dr. Brüning vom 24. Juli 2017; IPA-Journal 03/2014, Seite 18 ff.). Zu beachten ist dabei, dass in die Haut aufgenommenes P2NA dort ein Depot bildet, aus dem langsam aber kontinuierlich P2NA freigesetzt wird. Dadurch verlängern sich die Einwirkungszeiten und es erhöht sich letztlich die berufsbedingte Dosis an 2-Naphthylamin.

Die Einwirkung durch 2-Naphtyhlamin während der Tätigkeit des Klägers bei der Firma FA4 in der Gummiindustrie war nicht nur der Art nach, sondern auch nach Dauer und Intensität geeignet, die Krebserkrankung zusammen mit der nicht versicherten Exposition gegenüber Tabakrauch im naturwissenschaftlichen Sinne mit zu verursachen (vgl. zu der Voraussetzung der Qualität und Quantität des Gefahrstoffes Brandenburg in JurisPK-SGB VII; § 9 Rdnrn. 67 ff.).

Für diese Feststellung stützt sich der Senat insbesondere auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 8. November 2016 und seinen Stellungnahmen im Berufungsverfahren. Der Sachverständige geht auf Grund der neuen Erkenntnisse zur Risikobewertung nach Aufnahme des Alterungsschutzmittels P2NA bzw. des über Verstoffwechslung im menschlichen Körper freigesetzte 2-Naphthylamin entgegen den Ausführungen in seinem früheren Gutachten vom 17. November 2009 im Verfahren L 3 U 85/06 davon aus, dass die Aufnahme von 2-Naphthylamin am Arbeitsplatz des Klägers bei der Firma Gummi FA4 quantitativ von erheblicher Bedeutung gewesen ist und nicht nur als gering einzustufen ist. Die entgegenstehende Auffassung des Prof. Dr. M. vermag den Senat nicht zu überzeugen. Prof. Dr. M. verneint die Mitursächlichkeit des Gefahrstoffs für die Verursachung der Krebserkrankung mit der Begründung, dies könne nur bei einer kumulativen Dosis von 6 mg 2-Naphthylamin angenommen werden, die bei dem Kläger nach keiner Modellberechnung erfüllt sei angesichts der kurzen Tätigkeit in der Gummiindustrie von 14 Monaten. Hinsichtlich des Nachweises einer kumulativen Exposition gegenüber urothelkanzerogenen Aminen im mg-Bereich und damit der Forderung nach einer Mindestdosis oder Schwellendosis herrscht indessen kein Konsens in der Wissenschaft, wie Prof. Dr. H. in seiner Stellungnahme vom 15. März 2017 dargelegt hat (vgl. zu dem Stand der Diskussion: T. Weiß, J. Henry, T. Brüning, Berufskrankheit 1301, Bewertung der beruflichen (Mit )Verursachung von Harnblasenkrebserkrankungen unter Berücksichtigung der quantitativen Abschätzung der Einwirkung der aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4 Aminodiphenyl und o-Toluidin, in: ASUMed 2010, Seiten 231, 233; Dietrich Henschler, Klaus Norpoth, Heinz Walter Thielmann, Hans-Joachim Woitowitz, Blasenkrebs durch aromatische Amine als Berufskrankheit: Zur Validität der neuen berufsgenossenschaftlichen Dosisgrenzwerte, ZblArbeitsmed 2012, Seite 73). Im Übrigen hat auch Prof. Dr. L. in seiner von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Stellungnahme vom 26. Oktober 2015 ausgeführt, es sei richtig, dass bei Kanzerogenität eine Schwellendosis nicht genannt werden könne, zudem seien die diesbezüglichen Berechnungen von N. et al. aus Tierversuchen nicht einfach auf den Menschen übertragbar. Bei der Formulierung des Tatbestandes der BK Nr. 1301 hat der Verordnungsgeber auch auf die Angabe eines konkreten Belastungsgrenzwerts verzichtet. Der Verzicht auf die Angabe konkreter Belastungsarten und Belastungsgrenzwerte bei der Formulierung von BK-Tatbeständen geschah dabei vielfach bewusst, um bei der späteren Rechtsanwendung Raum für die Berücksichtigung neuer, nach Erlass der Verordnung gewonnener oder bekannt gewordener Erkenntnisse zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - juris Rdnr. 18 ff. m.w.N.). Im Merkblatt zur BK Nr. 1301 (Bek. des BMA vom 12. Juni 1963, BArbBl. Arbeitsschutz 1964, 129) ist hierzu unter IV. "Hinweise für die ärztliche Beurteilung" ausgeführt, dass Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege im Allgemeinen nach mehrjähriger, gelegentlich auch mehrmonatiger Exposition mit aromatischen Aminen entstehen; noch Jahrzehnte nach Aufgabe des gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzes können sie in Erscheinung treten." Eine Mindestexpositionsmenge ist weder in dem Merkblatt zu BK Nr. 1301 noch in den späteren, das Merkblatt aktualisierenden wissenschaftlichen Stellungnahmen enthalten (vgl. dazu Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 1301, Seiten 1 11). Ein Modell zur Ableitung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen wurde für 2 Naphthylamin, 4-Aminodiphenyl und o-Toluidin zwar vorgeschlagen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, 18.6.2.2.1, Seite 1182 unter Hinweis auf Weiß/Henry/Brüning in ASU 45(2010) 222 ff.). Es gibt jedoch keine sicheren epidemiologischen Erkenntnisse zur Risikoschätzung (Ausnahme Tabakrauch).

Der Senat hält die Beurteilung des Prof. Dr. H. hinsichtlich der inhalativen und der dermalen Aufnahme der Gefahrstoffe am konkreten Arbeitsplatz des Klägers in der Gummiindustrie für überzeugend. In welcher Höhe die Exposition jeweils erfolgt ist, lässt sich nicht mehr genau feststellen, weil die Firma FA4 ihre Produktion 1993/1994 eingestellt hat und Ansprechpartner, die Auskunft zu den dortigen Arbeitsplätzen geben könnten nicht vorhanden sind. In einem solchen Fall ist aber eine lebensnahe Beweiswürdigung zu praktizieren. Bei den aufgetretenen Beweisschwierigkeiten sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in die auch Billigkeitserwägungen einfließen dürfen, an dem Vollbeweis keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Für den Umfang der Exposition genügt deshalb eine Schätzung, wenn ausreichende Grundlagen hierfür vorhanden sind (so Urteile des Senats vom 21. Februar 2017 – L 3 U 9/13 – , vom 16. Juni 2015 – L 3 U 141/10 – und vom 31. August 2010 – L 3 U 162/05 – jeweils juris mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. September 2011 – L 6 U 5889/06; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Anmerkung 26.2 zu § 9 SGB VII). Prof. Dr. H. hat in einer nachvollziehbaren und lebensnahen "worst-case-Betrachtung" unter Zugrundelegung und Würdigung der Angaben des Klägers zum Arbeitsplatz und den Kenntnissen über die Arbeitsplätze in der Gummiindustrie dargelegt, dass die Aufnahme der betreffenden Gefahrstoffe durch den Kläger quantitativ erheblich gewesen ist. Der Senat hält sowohl die Zuordnung der Tätigkeit des Klägers in den Arbeitsbereich 2 der Gummiindustrie als auch die Berechnung des Prof. Dr. H. im Gutachten vom 8. November 2016 für nachvollziehbar, wonach allein die Neubewertung des Risikos nach den Ergebnissen des BK-Reports 1/2014 die Aufnahme einer täglichen Gesamtdosis von 2-Naphthylamin in Höhe von 0,773 mg nahe legt (Aufnahme von 2 Naphthylamin durch damit verunreinigtes P2NA inhalativ und dermal). Hinzukommen die Einwirkung als Bystander und die Einwirkung des o-Toluidins. Zusätzlich ist zudem wie oben ausgeführt nach den neuesten Erkenntnissen zu berücksichtigen, dass P2NA selbst hautgängig ist, in der Haut ein Depot bildet mit der Folge längerer Einwirkungszeiten, und sich damit die berufsbedingte Dosis an 2-Naphthylamin letztlich erhöht. Selbst wenn eine genaue quantitative Abschätzung des Beitrags der dermalen Aufnahme von P2NA zur Gesamtbelastung mit 2-Naphthylamin derzeit nach Prof. Dr. M. noch nicht möglich ist (Stellungnahme vom 24. Juli 2017), so vermag der Senat Prof. Dr. M. nicht darin folgen, dass im vorliegenden Fall nur von einer geringen Erhöhung der Gesamtbelastung mit 2-Naphthylamin auszugehen ist. Vielmehr überzeugt Prof. Dr. H. bei seiner Einschätzung, dass bei Arbeitnehmern mit Tätigkeiten wie bei dem Kläger Hautläsionen einschließlich Verletzungen, die den Schutzmantel der Epidermis partiell außer Kraft setzen, praktisch unvermeidbar sind und die Hautpenetration von P2NA dadurch bis zu einer Zehnerpotenz ansteigen kann. Weiterhin überzeugt die Einschätzung von Prof. Dr. H., dass erheblich längere Einwirkungen nach Schichtende zu unterstellen sind, da das beim Menschen auf Hände und Unterarme gelangte P2NA ansonsten komplett entfernt worden sein müsste, was bei der lipophilen Matrix kaum denkbar sei. Auch aus der kontaminierten Kleidung, insbesondere den Ärmeln, ist daher eine weitere Einwirkung zu unterstellen, dies sogar noch an den folgenden Tagen in täglich zunehmender Höhe. Nachvollziehbar ist auch die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. H., dass es durch die in Ansatz zu bringende Matrix für P2NA Staub an der Arbeitsplatzumgebung, an der Kleidung wie an Händen und Armen zur Möglichkeit einer Freisetzung durch Abrieb kommt, welches zur inhalativen und oralen Aufnahme von P2NA auch bei geringen Staubmengen führt. Zutreffend weist Prof. Dr. H. darauf hin (Gutachten vom 8. November 2016), dass bei der Schätzung der konkreten Exposition auch der Arbeitsschutz zu berücksichtigen ist, also ob effektive lüftungstechnische Anlagen installiert, dauerhaft betrieben und in ihrer Funktion im Hinblick auf die zu schützenden Arbeitsplätze kontrolliert wurden. Am Arbeitsplatz des Klägers hat es indes eine Absaugung nicht gegeben. Auch wenn die Quantität im Nachhinein nicht konkret bestimmt werden kann. ist in der Gesamtschau nicht von einer nur geringen Exposition auszugehen (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 21. Februar 2017, a. a. O.).

Die kurze Expositionsdauer von 12 bis 14 Monaten steht der Einschätzung einer erheblichen Einwirkung durch die berufsbedingte Exposition nicht entgegen, denn wie ausgeführt, können nach dem Merkblatt zu dieser BK auch mehrmonatige Expositionen mit aromatischen Aminen genügen, um Krebs der Harnwege zu verursachen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass mit 2-Naphthylamin eines der Amine mit dem größten Potenzial im Hinblick auf die Entstehung von Harnwegskarzinomen am konkreten Arbeitsplatz des Klägers eingewirkt hat. Schließlich spricht mit Prof. Dr. H. insbesondere das deutlich vorverlegte Erkrankungsalter des Klägers mit 41 Jahren für eine berufliche Verursachung. Denn das mittlere Erkrankungsalter bei Harnblasenkrebs liegt in der Allgemeinbevölkerung nach Prof. Dr. H. bei 73 Jahren und schon ein um etwa 10 Jahre und mehr zeitlich vorgezogenes Erkrankungsalter gilt als typisch für einen exogen, vor allem beruflich verursachten Harnblasenkrebs.

Die Tatsache, dass der Kläger durch 2-Naphthylamin außer am Arbeitsplatz auch durch seinen Konsum von Tabak belastet war (Raucher zwischen 1975 - 2005 mit 3 bis 12 Zigaretten/Tag, kumuliert etwas mehr als 12 Packungsjahre; vgl. zur Berechnung die Stellungnahme von Dr. L. vom 26. Oktober 2015), der ebenfalls diesen Gefahrstoff enthält, führt nicht dazu, der beruflichen Belastung eine objektive Mitursächlichkeit abzusprechen. Vielmehr besteht zwischen Zigarettenkonsum und beruflicher Einwirkung ein mehr als additiver Synergismus, wie Prof. Dr. H. in seinem Gutachten unter Hinweis auf entsprechende Studien überzeugend dargelegt hat. Nach den neuen Erkenntnissen zum Krebsrisiko im Arbeitsbereich der Gummiindustrie kann vorliegend nicht (mehr) angenommen werden, dass das durch Zigarettenrauchen bedingte Risiko um ein Vielfaches höher gewesen ist als die Gefährdung am konkreten Arbeitsplatz des Klägers. Das außerberufliche Risiko war hier nicht überragend. Ohne die zusätzliche Belastung durch die Gefahrstoffe am Arbeitsplatz wäre der Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof Dr. H. nicht in dem für Harnblasenkrebs frühen Alter von 41 Lebensjahren erkrankt, zumal er mit ca. 12,5 Packungsjahren nur mäßig geraucht hat. Soweit Prof. Dr. M. für die Annahme einer (Mit)Ursächlichkeit der beruflich bedingten Exposition auf eine Risikoverdopplung abstellt, entspricht dies nicht dem aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, unabhängig davon, dass das Gesetz in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII das Kriterium einer Risikoverdoppelung als Voraussetzung einer BK-Anerkennung auch nicht erwähnt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. März 2017 B 2 U 6/15 R – juris Rdnr. 19).

Bei der Gefahrstoffexposition am Arbeitsplatz des Klägers, die im Zusammenwirken mit dem Tabakkonsum die Erkrankung verursacht hat, handelt es sich um eine wesentliche (Teil-)Ursache.

Die auf der 2. Prüfungsstufe der Kausalität zu prüfende Wesentlichkeit einer Bedingung ist eine reine Rechtsfrage (vgl. zur Theorie der wesentlichen Bedingung BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 6/15 R – juris Rdnr. 23 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung und Literatur). Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden und beantwortet sich nach dem Schutzzweck der jeweiligen Norm (grundlegend P. Becker, MedSach 2007, 92; Spellbrink, MedSach 2017, 51, 55). Die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen. Wesentlich ist dabei nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat.

Im Rahmen der hier maßgeblichen BK Nr. 1301 soll die gesetzliche Unfallversicherung vor Krebserkrankungen durch aromatische Amine schützen und im Falle einer solchen Erkrankung Leistungen gewähren. Da der Verordnungsgeber keinen Schwellenwert festgeschrieben hat, der überschritten sein muss, damit die BK Nr. 1301 festgestellt werden kann, zeigt bereits die Normformulierung, dass die betreffenden Gefahrstoffe auch niedrigschwellig als gefährlich eingestuft werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017, a. a. O.). Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Versicherte zudem in dem gesundheitlichen Zustand geschützt, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert wird. Dem Schutz steht vorliegend somit nicht entgegen, dass der Kläger schon vor Beginn seiner Tätigkeit bei der Firma FA4 geraucht hat. Wenn wie vorliegend ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung nicht deshalb verneint werden, weil eine außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet war, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen (BSG, Urteil vom 30. März 2017, a. a. O.). Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Schutz auch bei bestehenden sonstigen gesundheitlichen Risiken (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris). Abgesehen davon hat im vorliegenden Fall gerade das Zusammenwirken der Ursachen Schadstoffexposition gegenüber 2-Naphthylamin am Arbeitsplatz und durch privaten Tabakkonsum zu dem Auftreten der Erkrankung in dem für Harnblasenkrebs sehr frühen Lebensalter des Klägers geführt. Die Teilursache Schadstoffexposition gegenüber Naphthylamin am Arbeitsplatz ist für die Erkrankung rechtlich wesentlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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