L 11 AL 138/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 1026/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 138/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.03.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von höherem Konkursausfallgeld (Kaug).

Der 1950 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde im Rahmen eines Werkvertrags vom 08.05.1996 zwischen der deutschen Firma B. Baustahlservice GmbH (W.) und der Firma D. , I. (D.) für Baustahlarmierungsarbeiten auf der Baustelle Tunnel S. , S. , eingesetzt. Mit Bescheiden vom 12.08.1996/06.06.1997 sicherte die Beklagte die Erteilung von Arbeitserlaubnissen für die im Rahmen des genannten Werkvertrags eingesetzten türkischen Arbeitnehmer zu. Der Kläger erhielt eine Arbeitserlaubnis vom 26.08.1996 bis 31.12.1997.

Am 26.11.1997 beantragte der Geschäftsführer der deutschen Niederlassung der D., A. J. (A.J.), beim Amtsgericht München die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der deutschen Niederlassung. Diese war nicht im Handelsregister eingetragen. Mit Beschluss vom 09.12.1997 wies das Amtsgericht den Antrag mangels Masse ab.

Am 22.12.1997 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt Stuttgart Kaug. Nach der Verdienstbescheinigung vom 25.09.1998 - ausgestellt durch den Geschäftsführer A.J. - stand lediglich Arbeitsentgelt für den Zeitraum 01.10.1997 bis 18.11.1997 in Höhe von 3.218,80 DM aus. Unter Annahme eines Kaug-Zeitraums vom 26.08.1997 bis 25.11.1997 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 12.10.1998 Kaug in Höhe von 3.218,80 DM.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Kaug müsse auch für September 1997 gewährt werden. Im Übrigen sei die Kaug-Höhe nicht nachvollziehbar. Die von A.J. angegebenen Lohnzahlungen seien unzutreffend. Nach dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.01.1999 stünde ihm für die Monate September bis November 1997 11.232,00 DM Lohn zu.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe überhaupt keinen Anspruch auf Kaug, da kein inländisches Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Er sei im Rahmen eines Werkvertrags aus der Türkei entsandt worden.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen: Er sei durch die deutsche Niederlassung seines Arbeitgebers beschäftigt worden. Auch wenn man davon abweichend unterstelle, dass er im Rahmen eines Werkvertrags entsandt worden sei, hätte er in Anwendung des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (AEntG) der deutschen Rechtsordnung unterlegen. Im Übrigen hätten gemäß § 185 Abs 2 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) auch solche Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, die nicht im Inland einkommensteuerpflichtig seien.

Mit Urteil vom 26.03.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Der geltend gemachte weitergehende Anspruch auf Kaug sei schon deswegen nicht begründet, weil der Kläger überhaupt keinen Anspruch auf die Leistung habe. Der wirtschaftliche Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses habe weiterhin in der Türkei gelegen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Der Kaug-Anspruch sei nicht durch Einstrahlung iS § 5 Abs 1 Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) ausgeschlossen, denn sein Arbeitgeber sei die deutsche Niederlassung der türkischen Gesellschaft gewesen. Sämtliche beschäftigten türkischen Arbeitnehmer seien durch diese Firma in einer Arbeitsunterkunft in S. untergebracht und täglich im Firmenbus zur Baustelle gefahren worden. Vom Geschäftsführer A.J. habe er einmal 150,00 DM als Vorschuss auf den Arbeitslohn erhalten. Es habe sich mithin um eine konzerninterne Entsendung aus dem Ausland entsprechend der Rechtsprechung des BSG gehandelt. Außerdem habe das SG die Implikationen des AEntG übersehen. Nach § 1 AEntG sei bei entsandten türkischen Bauarbeitern deren Beschäftigungsverhältnis einem inländischen gleichgestellt. Wenn kein Werkvertrag angenommen werden könne, hätte dies im Rahmen der ungenehmigten Arbeitnehmerüberlassung auch Auswirkungen auf den Kaug-Anspruch.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.03.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Kaug in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kaug. Er sei als entsandter Arbeitnehmer des türkischen Unternehmens D. in Deutschland im Rahmen eines Werkvertrags eingesetzt worden. Bei der deutschen Niederlassung der D. habe es sich um eine unselbstständige Zweigniederlassung gehandelt, die nicht in das Handelsregister eingetragen worden sei. Es hätten daher die Vorschriften des Entsendestaates weiter gegolten, als wäre der Kläger in der Türkei beschäftigt gewesen. Dies ergebe sich auch aus dem Schlussprotokoll zum Regierungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei vom 30.04.1964 idF des Zusatzabkommens vom 02.11.1984.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Insolvenzakten des Klägers, Betriebsakte der D.) sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen weitergehenden Anspruch auf Kaug.

Die Entscheidung konnte durch den Berichterstatter ergehen, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 155 Abs 3, 4 SGG).

Auf den vorliegenden Fall sind noch die Vorschriften der §§ 141 a ff Arbeitsförderungsgesetz (AFG) anzuwenden. Sie sind zwar gemäß Art 82 Abs 2 Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24.03.1997 am 01.01.1999 außer Kraft getreten, sind aber weiterhin anzuwenden, wenn das Insolvenzereignis vor dem 01.01.1999 eingetreten ist (Art 1 § 430 Abs 5 AFRG). Dies war hier der Fall.

Gemäß § 141 b Abs 1 Satz 1 AFG hatte ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hatte.

Anknüpfungspunkt war hiernach die Eröffnung eines Konkursverfahrens im Inland, also nach deutschem Recht (BSG SozR 4100 § 141 a Nr 6, BSG Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 30/00 R -). Der Eröffnung des Konkursverfahrens stand nach § 141 b Abs 3 Nr 1 AFG die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse gleich.

Da vorliegend das Amtsgericht - Konkursgericht - eine Entscheidung getroffen hat, ist nicht mehr gemäß § 141 b Abs 3 Nr 2 AFG zu prüfen, ob der Arbeitgeber in Deutschland tatsächlich einen "Betrieb" mit den Anforderungen einer gewerblichen Niederlassung hatte. Daher kann jedenfalls unter Berufung auf das Fehlen eines Betriebs in Deutschland der Anspruch auf Kaug nicht abgelehnt werden (BSG Urteil vom 08.02.2001 aaO Abschn 2 Abs 3). In der Tat hat die Beklagte ua. unter Hinweis auf den Beschluss des Konkursgerichts Kaug gewährt.

Allerdings liegt hierin keine die Beklagte oder die Gerichte bindende Bewilligung "dem Grunde nach". Die Bindungswirkung eines Bescheides reicht nämlich nur so weit, wie über den Anspruch entschieden ist. Bei der Gewährung einer Leistung werden grundsätzlich nur die Entscheidungen über Art und Höhe und gegebenenfalls Dauer der Leistung bindend, nicht jedoch die Auffassung der Behörde über die Voraussetzungen der bewilligten Leistung (BSG SozR 1300 § 44 Nr 38). Der Bescheid vom 12.10.1998 enthält damit keine bindende Entscheidung dahingehend, dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis des Klägers um ein solches iS § 141 b AFG gehandelt hat (BSG SozR 3-4100 § 141 b Nr 9).

Im vorliegenden Fall ist entscheidend, dass der Kläger nicht Arbeitnehmer der deutschen Zweigniederlassung war, für die deren Geschäftsführer A.J. am 26.11.1997 Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt hat. Zwar trägt der Kläger vor, er und seine türkischen Arbeitskollegen seien in Deutschland durch die hiesige Niederlassung betreut worden (Bustransfer von der Unterkunft zum Arbeitsplatz, einmalige Zahlung eines Lohnanteils in Höhe von 150,00 DM). Damit ist die deutsche Niederlassung jedoch nicht zu einem von der Hauptniederlassung unabhängigen eigenständigen Arbeitgeber des Klägers geworden.

Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Kläger im Rahmen eines Werkvertrags in Deutschland eingesetzt wurde, den die türkische Hauptniederlassung mit dem deutschen Auftraggeber B. Baustahlservice GmbH (W.) geschlossen hatte. Im Rahmen dieses Werkvertrags vom 08.05.1996 hat die Beklagte die Erteilung von Arbeitserlaubnissen für die eingesetzten türkischen Arbeitnehmer - mithin auch für den Kläger - zugesichert und dem Kläger eine Arbeitserlaubnis auch erteilt. Die Beschäftigung des Klägers in Deutschland hatte daher ihre Grundlage ausschließlich in dem von der türkischen Zentrale mit dem deutschen Auftraggeber abgeschlossenen Werkvertrag. Ein davon abweichender Arbeitsvertrag des Kläger mit der deutschen Niederlassung existiert nicht (vgl hierzu BSG SozR 4100 § 141 b Nr 28; Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 RdNr 61) und wurde vom Kläger auch nicht vorgelegt. Aus dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.01.1999 ergibt insoweit nichts anderes. Aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse blieb somit der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses weiterhin in der Türkei.

Bei dem Kläger handelte es sich um einen entsandten Arbeitnehmer gemäß Art 6 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei vom 30.04.1964 (BGBl II 1965 S 1169) idF des Zusatzabkommens vom 02.11.1984 (BGBl II 1986 S 1040). Wird danach ein Arbeitnehmer eines Unternehmens mit dem Sitz im Gebiet der einen Vertragpartei vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt, um dort eine Arbeit für Rechnung dieses Unternehmens auszuführen, so gelten für ihn die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei für die Dauer der Beschäftigung im Gebiet der zweiten Vertragspartei so weiter, als wäre er an dem Ort beschäftigt, an dem das Unternehmen seinen Sitz hat (Art 6 Abs 1). Damit lag beim Kläger während des Einsatzes im Rahmen des Werkvertrags ein inländisches Beschäftigungsverhältnis nicht vor, denn sein Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber der Hauptniederlassung galt als weiterbestehend (BayLSG, Urteil vom 08.10.2002 - L 11 AL 41/99 -).

Hieran ändert auch die Anwendung des AEntG nichts. Mit diesem Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen wird lediglich die Anwendung deutscher tarifvertraglicher Regelungen gesetzlich vorgeschrieben. Damit ist zwischen den Parteien z.B. nicht deutsches Arbeitsrecht vereinbart worden, was ein Indiz für ein inländisches Beschäftigungsverhältnis sein könnte (Peters-Lange aaO).

Der Kläger hätte somit gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kaug gehabt, folglich hat er keinen Anspruch auf höheres Kaug. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.02.2003 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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