L 9 EG 157/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 EG 49/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 157/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 19. bis 24. Lebensmonat (10.02. mit 09.08.1994) ihrer Tochter B. streitig.

I.

Die 1963 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, ist die Mutter des 1992 geborenen Kindes. Sie lebte seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog B. und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Unterlagen des Beklagten über den Bezug von Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den 1. mit 18. Lebensmonat des Kindes liegen nicht mehr vor.

Der am 21.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 18.04.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C 262/96, könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass des Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1992 geborene Kind hätte spätestens am 09.08.1994 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf berief sich die Klägerin auf Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80; sie habe weder einen Antrag auf LErzg stellen noch das Vorverfahren durchlaufen oder Klage erheben können, da man ihr Antragsformulare nicht ausgehändigt bzw. einen ausgefüllten Antrag nicht entgegengenommen habe. Der Rechtsbehelf blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.07.2002).

II.

Das angerufene Sozialgericht (SG) Bayreuth wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 02.06.2003 im Wesentlichen mit der Begründung ab, der am 21.02.2002 gestellte streitgegenständliche Antrag reiche gemäß Art.3 Abs.2 BayLErzGG höchstens (für zwei Monate) bis zum 22.12.2001 zurück, rage also nicht in den möglichen Anspruchszeitraum (10.02. mit 09.08.1994) hinein. Insoweit kommt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels einer gesetzlichen Frist im Sinne des § 27 SGB X einerseits und aufgrund der vom Gesetzgeber verfolgten Absicht andererseits nicht in Betracht, das Erzg möglichst zeitnah während der tatsächlichen Erbringung der Erziehungsleistungen zu gewähren. Selbst wenn eine falsche Beratung seitens des Beklagten vorläge, könnte aufgrund der auch für den dann gegebenenfalls heranzuziehenden Herstellungsanspruch maßgeblichen Vier-Jahresfrist des § 44 Abs.4 SGB X ein Anspruch hinsichtlich einer Zeit vor dem 01.01.1998 nicht begründet werden. Schließlich habe der EuGH Ansprüche türkischer Staatsangehöriger auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner im Kindergeldrecht ergangenen Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.

III.

Mit der rechtzeitig zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, ohne das Rechtsmittel allerdings zu begründen. Der Klägerbevollmächtigte, der das Empfangsbekenntnis für eine - am 07.01.2004 abgesandte - Terminsmitteilung zum 29.01.2004 nicht zurückgesandt hatte, erschien in dem neu angesetzten Verhandlungstermin vom 26.02.2004 erst nach der einseitig durchgeführten mündlichen Verhandlung und nach der geheimen Beratung.

Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen.

Der Antrag der Klägerin lautet sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.06.2003 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2002 zu verurteilen, ihr für das 1992 geborene Kind B. Landeserziehungsgeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.06.2003 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Erzg-Akte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 26.02.2004.

Entscheidungsgründe:

Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.

Der Senat entscheidet trotz Ausbleibens des Klägerbevollmächtigen im Termin zur mündlichen Verhandlung, denn letzterer, der erst nach der geheimen Beratung erschienen ist, wurde in der am 07.02.2004 mit Zustellungsurkunde zugestellten Terminsmitteilung vom 04.02.2004 ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen. Im Übrigen hat er einen Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht gestellt.

Rechtsgrundlage für die Gewährung bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl. 1989 S.206). Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union besaß (Nr.5).

Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonats endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen war. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit deren Beginn (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von 5/6 des maßgeblichen BErzg gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).

In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewilligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn. 1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1988 in Bayern, lebte im Anspruchszeitraum mit ihrer 1992 geborenen Tochter B., für die ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Zur Überzeugung des Senats steht dem Anspruch auch die Nr.5 der Vorschrift nicht entgegen. Zwar besaß die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedsstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten, wie der Senat im Einzelnen in seiner vom BSG durch Urteil vom 29.01.2002, B 10 EG 2/01 R, bestätigten Entscheidung vom 20.12.2000 (L 9 EG 7/00) dargelegt hat.

Wie das BSG in seiner letzten Entscheidung vom 18.02.2004, B 10 EG 10/03 R, darüberhinaus ausführlich dargelegt und damit ein Urteil des Senats vom 30.06.2003, L 9 EG 59/02, in einem gleichgelagerten Fall ausdrücklich bestätigt hat, kann sich die Klägerin nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 auf die unmittelbare Anwendung des Diskriminierungsverbots in Art.3 Abs.1 des ARB Nr.3/80 nicht berufen, da sie LErzg für Zeiten vor dem Erlass der Sürül-Entscheidung begehrt, aber erst lange danach einen Leistungsantrag gestellt hat. Es steht ihr zur Überzeugung des Senats auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf LErzg zu. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich das oben genannte Urteil des BSG sowie die einschlägigen Urteile des Senats vom 30.06.2003, L 9 EG 29/02, L 9 EG 43/02, L 9 EG 59/02, L9 EG 17/03 und L 9 EG 53/03 sowie schließlich vom 24.07.2003, L 9 EG 16/03, verwiesen.

Insgesamt hat der Beklagte daher zu Recht LErzg versagt.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war der Beklagte, der für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die der Klägerin im Berufungsverfahren zu ihrer Rechtsverfolgung entstanden sind.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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