L 13 RA 45/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 1291/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 45/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. August 2002 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2000 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.10.1998 bis 31.08.2000.

Der 1968 geborene Kläger ist seit 06.07.1998 als selbständiger Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer M. zugelassen und damit Pflichtmitglied in der Bayer. Versorgungskammer, Bayer. Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (Beigeladene). Die Beklagte hat die ihr im Wege der Nachversicherung (vgl. § 8 Abs. 2 SGB VI) für den Kläger als Rechtsreferendar (07.04.1995 - 08.07.1997) entrichteten Beiträge im September 1998 an die Beigeladene weitergeleitet.

Mit Bescheid vom 30.11.1999 lehnte die Beklagte den Antrag vom 04.10.1998 auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten ab. Der Kläger sei zwar aufgrund der Zulassung als Rechtsanwalt Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerkes. Er sei jedoch beim jetzigen Arbeitgeber (Bank für Gemeinwirtschaft, , F.) als Jurist nicht anwaltlich beschäftigt. Dort sei er weder berufsspezifisch tätig noch führe diese nicht anwaltliche Beschäftigung allein zur Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer und im Versorgungswerk.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Befreiung für die am 01.10.1998 aufgenommene abhängige Beschäftigung als Jurist im Vorstandssekretariat der BfG Bank sei nicht zulässig, weil es sich hier um keine berufsständische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Nach der vorgelegten Bescheinigung des Arbeitgebers sei der Kläger als Jurist tätig, gegen die Zulassung als Rechtsanwalt bestünden keine Bedenken. Es sei daher anzunehmen, dass es sich bei der abhängigen Beschäftigung um eine berufsfremde - nicht anwaltliche - Beschäftigung handele. Der Arbeitgeber habe sie auch nicht als solche bezeichnet. Die besonderen Voraussetzungen für die Erstreckung der Befreiung nach § 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auch auf eine berufsfremde Beschäftigung (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI) lägen nicht vor.

Aufgrund der Beschäftigung als Rechtsanwalt bei E. und Y. , D. AG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, befreite die Beklagte den Kläger ab 01.09.2000 von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (vgl. Bescheid vom 23.10.2000, Antrag vom 12.09.2000). Das Beschäftigungsverhältnis endete zum 30.04.2003. Nach Auskunft der Beigeladenen übernimmt die Bundesagentur für Arbeit die Beiträge für die Zeit der Arbeitslosigkeit seit 01.05.2003 gemäß § 207 SGB III.

Mit der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag wiederholt. Er sei nach der Bestätigung seines Arbeitgebers rechtsberatend und damit berufsspezifisch anwaltlich tätig gewesen. Es bestehe daher ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht ab 01.10.1998. Die Anstellungsverträge für die Tätigkeit bei der BfG Bank ab 01.10.1998 und beim neuen Arbeitgeber (E. und Y. , F.) ab 01.09.2000 wurden vorgelegt.

Das SG hat die Bayer. Versorgungskammer, Bayer. Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung nach § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen (Beschluss vom 23.07.2002). Die Beigeladene hat eine Bestätigung des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 15.05. 2000 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs.3 Nr. 1 SGB VI vorgelegt. Danach stehe angestellt tätigen Mitgliedern des Versorgungswerks, die auch zur Rentenversicherung pflichtversichert seien, das Recht auf Befreiung von dieser Versicherungspflicht nach § 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu. Die Pflichtmitglieder erfüllten auch die Befreiungsvoraussetzungen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI

Durch Urteil vom 22.08.2002 hat das SG die Beklagte verurteilt, die Befreiung des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.10.1998 auszusprechen. Rechtsgrundlage für die Befreiung von Angestellten von der Versicherungspflicht sei § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Zwar müsse beim Ausüben mehrerer Tätigkeiten über die Versicherungspflicht jeder einzelnen Tätigkeit entschieden werden. Über § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI solle jedoch sichergestellt werden, dass eine vorübergehende, auch berufsfremde versicherungspflichtige Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führe. Vorliegend habe der Versorgungsträger für solche Zeiten den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Daran sei der Träger der Rentenversicherung gebunden.

Gegen das am 29.01.2003 zugestellten Urteil des SG richtet sich die fristgemäß zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Beklagten. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestünden entgegen dem SG nicht. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 SGB VI sei nicht einschlägig, da das Arbeitsverhältnis weder infolge der Eigenart noch vertraglich im Voraus befristet gewesen sei. Auch lägen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 SGB VI nicht vor. Denn der Kläger habe als Jurist bei der BfG Bank keine anwaltliche Tätigkeit ausgeübt. Eine ausdrückliche Bestätigung, dass der Kläger im Vorstandssekretariat der BfG Bank als Rechtsanwalt und damit berufsspezifisch beschäftigt gewesen sei, sei weder aus dem Schreiben der BfG Bank vom 06.07.1999 (richtig wohl: 21.06.1999) noch aus dem Schreiben an die Rechtsanwaltskammer F. vom 13.11.1998 zu ersehen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.08.2002 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2000 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht lägen nach dem Versorgungsgesetz und der Satzung vor. Als angestelltes Mitglied der Rechtsanwaltsversorgung habe er ein Recht auf Befreiung. Zudem erfüllten Pflichtmitglieder des Versorgungswerkes die Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Dies belege das Schreiben des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 15.05.2000 (vgl. § 6 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI). Der Arbeitgeber habe bestätigt, dass er rechtsberatend tätig geworden sei. Eine ausdrückliche Bezeichnung "Rechtsanwalt oder Syndikus", wie sie die Beklagte nunmehr verschärfend fordere, sei nicht erforderlich. Dass der Anstellungsvertrag die zukünftige Tätigkeit nicht genau beschreibe, sei bei dem vorliegenden Standardarbeitsvertrag nicht ungewöhnlich. Weitere Voraussetzungen seien nicht zu erfüllen. Eine Nichtbefreiung von der Pflichtversicherung bedeute für ihn den Verlust der in der Zeit von Oktober 1998 bis August 2000 gezahlten Arbeitgeberbeiträge.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des SG hat der Kläger keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeit bei BfG Bank in der Zeit vom 01.10.1998 bis 31.08.2000.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Befreiung ist § 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 SGB VI. Der Anspruch ist entgegen dem SG nicht schon deshalb begründet, wenn die nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI zuständige oberste Verwaltungsbehörde (hier das Bayer. Staatsministerium des Innern) gegenüber der Beigeladenen das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und in der Versorgungseinrichtung) mit Schreiben vom 15.05.2000 bestätigt hat. Denn die Beklagte und die Gerichte sind nur insoweit gebunden, als das Bestätigungserfordernis nach § 6 Abs. 3 SGB VI reicht. Dies gilt für die Beschränkung und Erstreckung der Befreiung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB VI nicht (vgl. KassKomm-Gürtner, SGB VI, § 6, Rdnr. 24, Bearbeitungsstand Sept. 2003).

Eine Erstreckung der Befreiung für die vom Kläger im streitigen Zeitraum ausgeübte Tätigkeit kraft Gesetzes (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI) kommt nicht in Betracht. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel der Alterssicherungssysteme führt; sie gilt insbesondere für die Zeit des Wehrdienstes (vgl. Fraktionsentwurf- RRG 1992, S. 152). Erforderlich ist stets eine vorhergehende Entscheidung des Rentenversicherungsträger über die Befreiung von der Versicherungspflicht, an der es hier schon fehlt. Zudem ist das Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nicht erfüllt, wonach die Tätigkeit "infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt" ist. Nach dem Arbeitsvertrag vom 28.09.1998 ist ein Dauerarbeitsverhältnis und kein Zeitarbeitsvertrag vereinbart worden. Trotz der kurzen Dauer (Oktober 1998 bis August 2000) war das Arbeitsverhältnis nicht im Voraus zeitlich beschränkt vereinbart. Unerheblich ist, dass die Beigeladene den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften bei Zahlung der Beiträge gewährleistet (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI). Denn diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

Der Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht ist auch nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 SGB VI gegeben. Danach ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Anders als nach dem bis zum 31.12.1991 geltenden Recht (vgl.§ 7 Abs. 2 AVG) erfolgt die Befreiung nicht mehr personenbezogen nach der Berufsgruppe, sondern tätigkeitsbezogen. Danach kann der Versicherte nur für eine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit, nicht aber für eine berufsfremde (juristische) Beschäftigung oder Tätigkeit zugunsten der Rechtsanwaltsversorgung befreit werden (so auch LSG Hamburg, L 3 RA 45/02, Urteil vom 20.01.2004). Eine anwaltliche Beschäftigung hat der Versicherte als Jurist bei der BfG Bank jedoch nicht ausgeübt.

Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt unabhängiges Organ der Rechtspflege. Nach § 2 Abs. 1 BRAO übt der Rechtsanwalt einen freien Beruf aus. Eine Tätigkeit als Rechtsanwalt setzt nicht nur voraus, dass Rechtsangelegenheiten anstehen und eine rechtsberatende, rechtsentscheidende, rechtsanwendende und rechtsvermittelnde Tätigkeit ausgeübt werden. Als Angehöriger eines freien Berufes ist der Rechtsanwalt Anbieter ideeller, persönlich verantworteter und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit erbrachter Leistungen. Es sind ihm Dienste höherer Art aufgetragen, bei denen das Streben nach Gewinn, wie es der gewerblichen Wirtschaft zueigen ist, zurücktritt. Die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit des Rechtsanwalts ist insbesondere eine solche vom Staat und von den von ihm vertretenen Parteien oder sonstigen Auftraggebern. Für einen in einem Unternehmen tätigen Juristen bedeutet dies, dass seine Tätigkeit nicht notwendig anwaltlicher Art ist, sondern auch weisungsgebunden sein kann und dann konsequenterweise auch den anwaltlichen Standespflichten unterliegt. Um der rechtsberatenden Tätigkeit als Syndikus im Unternehmen anwaltliche Qualität zu verleihen, müssen besondere Voraussetzungen wie Unabhängigkeit, Weisungsunabhängigkeit in der Vertretung seines Rechtsstandpunktes und die Freiheit zur Ablehnung von Mandaten gewährleistet sein (vgl. Roxin, NJW 1995, 19).

Eine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum ist durch die Arbeitgeberauskunft vom 21.06.1999 nicht nachgewiesen. Danach hatte der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit im Vorstandssekretariat im Zusammenhang mit der gremienmäßigen Betreuung gemäß seinem Aufgabengebiet auch rechtsberatend Fragen des Satzungs- und Vertretungsrechts der Bank zu prüfen und war - soweit nicht ausschließlich von der Rechtsabteilung zu erledigen - im Übrigen in die Meinungsbildung sonstiger Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Grundsatzabteilung eingebunden. Daraus ergibt sich, dass der Kläger - neben anderen Aufgaben - mit juristischen Fragestellungen befasst war. Eine ausdrückliche Bestätigung, dass der Kläger im Vorstandssekretariat der BfG Bank als Rechtsanwalt beschäftigt war, hat der Arbeitgeber nicht ausgestellt.

Auch das Schreiben der BfG Bank an die Rechtsanwaltskammer F. vom 13.11.1998 kann eine berufsspezifische Beschäftigung des Klägers nicht belegen. Die dort gemachten Angaben zur Freistellung seitens des Arbeitgebers haben es dem Kläger ermöglicht, die erforderliche Anwaltszulassung zu erlangen, um neben seinem Angestelltenverhältnis als freier Rechtsanwalt tätig zu werden. Eine Aussage darüber, ob der Beschäftigung bei der BfG Bank anwaltlichen Charakter gehabt hat, fehlt jedoch. Schließlich ergeben sich auch aus dem Anstellungsvertrag vom 28.09.1998 keine Hinweise auf eine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit.

Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte ihre Befreiungspraxis nicht "verschärft". Die Voraussetzungen für die Befreiung hat die Beklagte dem Kläger im November 1998 und nachfolgend im März und April 1999 dargelegt. Die vorgelegte Bestätigung der BfG Bank vom 21.06.1999 erfüllt, wie bereits dargestellt, diese Anforderungen nicht. Dass der Arbeitgeber nunmehr - anders als früher - eine solche Erklärung unmittelbar im Formblattantrag nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI abgeben kann, verändert die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Befreiung nicht.

Nach alledem besteht kein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den streitigen Zeitraum (01.10.1998 - 31.08.2000). Die Entscheidung des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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