L 2 B 10/02 KN KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 73/02 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 B 10/02 KN KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. September 2002 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet, weil das Sozialgericht (SG) im Ergebnis zur Recht entschieden hat, dass Kosten nicht zu erstatten sind.

Es kann unentschieden bleiben, ob die Kostenentscheidung hier auf § 102 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder auf § 193 Abs 1 Satz 3 SGG (in der Fassung vom 30. März 1998, BGBl I S 638) beruht, da nach beiden Vorschriften gerichtlich nach billigem (sachgemäßen) Ermessen zu beurteilen ist, inwieweit die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (vgl dazu Bundessozialgericht (BSG) E 6, 92, 93; 8, 178, 181; 14, 25, 26 sowie Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage 2002, § 193 Rdnr 12), wobei der Sach- und Streitstand zur Zeit der Erledigung zu berücksichtigen ist (Meyer-Ladewig aaO, Rdnrn 12 und 13; Zeihe, Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung, 8. Auflage, Stand Oktober 2002, Anmerkung 7a zu § 193). Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Frage der Kostenerstattung ist damit das Veranlassungsprinzip (Zeihe aaO), d. h. es ist darauf abzustellen, welchen Beteiligten die Durch- bzw. Fortführung des Klageverfahrens zuzurechnen ist.

Hiernach wird es in der Regel der Billigkeit entsprechen, wenn derjenige Kosten zu erstatten hat, der im Prozess - voraussichtlich - unterlegen wäre (BSG SozR Nr 4 zu § 193 SGG). Die allein am mutmaßlichen Prozessausgang orientiere Betrachtungsweise ist jedoch nicht in allen Fällen angemessen, da nach dem Veranlassungsprinzip auch immer mit zu berücksichtigen ist, ob und ggf. inwieweit der beklagte Sozialleistungsträger - keine - Veranlassung zur Klageerhebung geboten hat (Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, Stand April 2001, § 193 III/109 -60, 61-). Unentschieden bleiben kann, ob zur weiteren Begründung dieses der Billigkeit entsprechenden Grundsatzes auf § 93 der Zivilprozessordnung (ZPO) zurückzugreifen ist (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, aaO, Rdnr 12 einerseits und LSG NRW 1987, 1360 [LS] andererseits). Danach kann ausnahmsweise auch eine im Zeitpunkt der Erledigung nicht begründete Klage dann zu einer Kostenerstattungspflicht des beklagten Sozialleistungsträges führen, wenn und soweit dieser zur Durchführung des Klageverfahrens aus anderen Gründen veranlasst hat (Landessozialgericht Nordrhein Westfalen (LSG NRW) Beschlüsse vom 22.02.2002, Aktenzeichen (Az) L 2 B 8/01 U; vom 21.03.2001, Az L 2 B 24/00 KN-U; vom 15.09.1999, Az L 6 B 24/99 SB; vom 21.12.1998, Az L 6 B 14/98 SB, und vom 12.09.1994, Az L 6 S 9/94, jeweils mwN).

Danach gilt vorliegend das Folgende:

Die am 15. März 2002 erhobene Untätigkeitsklage war zunächst unzulässig, da im Zeitpunkt der Klageerhebung die dreimonatige Wartefrist, die mit der Einlegung des Widerspruchs am 28.12.2001 begonnen hatte, noch nicht abgelaufen war, § 88 Abs. 2 SGG in der neuen, seit dem 02.01.2002 geltenden Fassung (im Folgenden: nF) des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. Sozialgerichtsgesetz-Änderungsgesetz - SGGÄndG).

Auch wenn - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - ihr Widerspruch bereits am 28.12.2001 bei der Beklagten eingegangen ist, richtet sich die Bestimmung der für die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage maßgeblichen Wartefrist hier bereits nach § 88 Abs 2 nF. Denn diese Vorschrift ist zum 02.01.2002 in Kraft getreten, Art. 19 Satz 3 6. SGGÄndG, ohne dass gleichzeitig Übergangsregelungen beschlossen wurden (Umkehrschluss aus Art 17 Abs 2 6. SGGÄndG). Mit seinem Inkrafttreten beansprucht ein Gesetz, an Stelle des alten, zuvor geltenden Rechts alle einschlägigen Sachverhalte zu gestalten (BSG SozR 3-2600 § 301 Nr 3 mwN, insbesondere unter Hinweis auf BVerfGE 42, 263, 283). Ob etwas anderes gilt, wenn die einmonatige Wartefrist des § 88 Abs 2 SGG a.F. im Zeitpunkt des Inkrafttreten bereits abgelaufen war, kann unentschieden bleiben. Denn hier wurde das laufende Widerspruchsverfahren mit Inkrafttreten des § 88 Abs. 2 nF SGG von dieser Vorschrift erfasst, wodurch sich die für die Beklagte ursprünglich maßgebliche einmonatige Bearbeitungsfrist kraft Gesetzes auf 3 Monate verlängert hat.

Es kann offen bleiben, ob mit Ablauf dieser dreimonatigen Bearbeitungsfrist, also mit Ablauf des 28.03.2002, die zunächst unzulässige Klage zulässig geworden ist. Sie war jedenfalls unbegründet, weil die Beklagte vor Eintritt des erledigenden Ereignisses, nämlich der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2002 an die Kläger am 29.04.2002, zu keiner Zeit zur Erteilung des Widerspruchsbescheides hätte verurteilt werden dürfen. Sie hatte nämlich mit zureichendem Grund nicht früher entschieden, so dass das SG der Beklagen nach Eingang der Klageerwiderung eine angemessene Frist (etwa 4 Wochen) zur Entscheidung hätte setzten müssen, § 88 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 2 SGG.

Geht man - zutreffend - davon aus, dass die Wartefristen des § 88 SGG zugleich angemessene Fristen für eine Sachentscheidung darstellen, so erscheint es sachgerecht, diese jeweils um diejenigen Zeiträume zu verlängern, die im konkreten Fall für eine vom Normalfall abweichende Sachbe handlung erforderlich waren und deshalb einen zureichenden Grund dar stellen, (noch) nicht zu entscheiden. Dies bedeutet, dass für die Abhilfeprüfung der Ausgangsbehörde und die erneute volle Sachprüfung des Widerspruchsausschusses grundsätzlich eine (Überlegungs- und Entscheidungs-) Frist von insgesamt 3 Monaten zur Verfügung steht, die sich, z.B. bei Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen im Widerspruchsverfahren, entsprechend verlängern kann.

Einen solchen, die dreimonatige Bescheidungsfrist verlängernden Zeitraum stellen hier die am 08.01.2002 eingeleiteten weiteren Ermittlungen der Beklagen dar, die zunächst ihren Sozialmedizinischen Dienst in G ... befragt und alsdann auf dessen Rat die behandelnden praktischen Ärzte Dres. D ...-H ... und N ... erneut eingeschaltet hat. Deren Antwort ist bei der Beklagten etwa einen Monat später, nämlich am 12. 02. 2002 eingegangen. Damit verlängert sich hier die dreimonatige Frist um etwas mehr als einen Monat, so dass die Beklagte bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides mit zureichendem Grund noch nicht entschieden hatte.

Danach steht fest, dass die Beklagte die - vorzeitige - Klageerhebung nicht veranlasst hat, weil die Klägerin vor Ablauf der dreimonatigen Wartefrist nicht mit einer Entscheidung rechnen durfte. Auf eine Veranlassung der Klage wegen unterlassener Zwischenmitteilung kommt es wegen der verfrühten Klageerhebung nicht mehr an (vgl dazu LSG NRW aaO; LSG Berlin DAngVers 1993, 419 = HVBG-Info 1994, 83). Auch die Fortführung der zulässig gewordenen Klage hätte die Beklagte nicht veranlasst: Sie hat den Prozessbevollmächtigen der Klägerin bereits mit Schreiben vom 14.03.2002 mitgeteilt, dass der Vorgang zuständigkeitshalber von der Geschäftsstelle in G ...an die Hauptverwaltung in B ... abgegeben worden ist. Auch enthielt spätestens ihre - in Anbetracht der zwischenzeitlichen Klageerhebung noch rechtzeitige - Klageerwiderung vom 03. 04. 2002 detaillierte Angaben zum Stand des Verfahrens.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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