L 5 KR 394/16 KL

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 394/16 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Satzung einer Krankenkasse ist die Genehmigung zu versagen, wenn diese Ansprüche auf zusätzliche Leistungen gemäß § 11 Abs 6 SGB V an eine ungekündigte Mitgliedschaft bindet.
I. Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 29.07.0216 und 16.01.2017 wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Satzungsgenehmigung für zusätzliche Leistungen iSd § 11 Abs. 6 SGB V.

1. Die Klägerin ist eine bundesweite Krankenkasse iSd § 4 SGB V mit ca. 26.500 Mitgliedern und Sitz in A-Stadt. Im Jahr 2016 plante sie Änderungen ihrer Satzung, u.a. die Verknüpfung der Kostenerstattung bei zusätzlichen Leistungen nach § 11 Abs. 6 SGB V mit einer ungekündigten Mitgliedschaft sowie namentlich die Unterbringung von Begleitpersonen im Familienzimmer. Dazu übersandte die Klägerin der Beklagten als zuständige Genehmigungsbehörde die geplanten Änderungen vorab. Diese teilte mit Mail vom 16.06.2016 mit, dass die oben genannten Bestimmungen nicht genehmigt werden könnten. Am 21.06.2016 beschloss der Verwaltungsrat der Beklagten gleichwohl die entsprechenden Änderungen (29. Satzungsnachtrag Ziff. 4, Art. I § 12 Abs. VIII a und Abs. VIII c.). Nach Anhörungsschreiben vom 13.07.2016 genehmigte die Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2016 die Satzungsänderungen mit Ausnahme der benannten Regelungen, deren Genehmigung abgelehnt wurde.

2. Gegen die Teilablehnung der Genehmigung hat die Klägerin mit Schreiben vom 03.08.2016 Klage zum Bayer. LSG erhoben mit dem Begehren, die Beklagte zur vollumfänglichen Genehmigung des 29. Satzungsnachtrags zu verpflichten. Mit Schriftsatz vom 24.10.2016 hat die Klägerin die Klage beschränkt und nur noch die Genehmigung begehrt, per Satzung Kostenerstattungsansprüche für zusätzliche Leistungen mit der ungekündigten zu verknüpfen. Begründend hat sie vorgetragen, die Satzungsänderung halte den Rahmen der Selbstverwaltungsautonomie der Klägerin ein und bewege sich im ihr eingeräumten Gestaltungsspielraum. § 11 Abs. 6 SGB V berechtige die Krankenkassen zu einer autonomen Auslegung und Ausgestaltung in ihrem Sinne, insoweit könne also höherrangiges Recht nicht verletzt werden. Diese Einschätzungsprärogative der Kassen sei der Aufsicht der Beklagten entzogen, die teilweise Versagung der Genehmigung überschreite die zulässige maßvolle Aufsicht, auf welche die Beklagte beschränkt sei. Die Verknüpfung der zusätzlichen Satzungsleistung mit einer ungekündigten Mitgliedschaft stelle lediglich eine Voraussetzung der Kostenerstattung von Satzungsleistungen dar, welche sich auf die Dauer der Leistung beziehe. Insoweit bedürfe der Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich seiner Voraussetzungen einer Ausgestaltung. Dies sei zumindest eine vertretbare Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Das Sachleistungsprinzip des § 2 Abs. 1 SGB V bleibe unberührt.

Wirtschaftlich sei die Verknüpfung einer ungekündigten Mitgliedschaft erforderlich, da die Inanspruchnahme von Satzungsleistungen trotz Kündigung der Mitgliedschaft die Finanzplanung der Kassen erschwere, weil diese Leistungen allein von der Kasse und unabhängig vom Gesundheitsfonds finanziert würden. Zudem werde das System der Zusatzleistungen pervertiert, falls Versicherte durch Kassenwechsel bestimmte Leistungen mehrfach in Anspruch nehmen könnten (Verhinderung des "Krankenkassen-Hopping"). Die Versicherten hätten es selbst in der Hand, ob und wann sie die Mitgliedschaft kündigten, die Regelung sei transparent und vorhersehbar und im Hinblick auf das Sozialleistungssystem sachlich veranlasst. Schließlich seien gleichartige Satzungsbestimmungen von namentlich benannten Kassen durch die jeweiligen Landesbehörden genehmigt wurden. Dies bestätige den Ausgestaltungspielraum der Krankenkassen im Rahmen des § 11 Abs. 6 SGB V, der ihnen aufgrund der Selbstverwaltungsautonomie zu gewähren und von den Aufsichtsbehörden unangetastet zu lassen sei.

Die Beklagte hat die streitgegenständliche Teilablehnung der Genehmigung damit begründet, dass die begehrte Änderung gegen zwingendes Recht verstoße. Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB V entstünden grundsätzlich gemäß § 40 Abs. 1 SGB I. Im Rahmen des § 11 Abs. 6 SGB könnten die Kassen nach der Systematik des SGB V weder Leistungsvoraussetzungen noch das Mitgliedschaftsrecht regeln bzw. deren gesetzlichen Grundlagen ändern. Eine Befugnis, Leistungsvoraussetzungen zu bestimmen, wie dies in § 65a SGB V geregelt sei, sehe § 11 Abs. 6 SGB V nicht vor. Damit fehle es an der erforderlichen Rechtsgrundlage der Änderung, die Klägerin überschreite somit ihre Satzungsbefugnisse. Das berechtigte Vertrauen der Versicherten müsse geschützt werden. Aus wirtschaftlicher Sicht kenne das SGB V kennt keine Refinanzierung, das Prinzip der Solidargemeinschaft sei nicht gestört, wenn die Kündigung nach dem Versicherungsfall ausgesprochen werde. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen in § 173f. SGB V müssten Kassen stets mit Mitgliederwechseln rechnen. Die Grenzen einer maßvollen Rechtsaufsicht seien daher nicht überschritten. Die Genehmigungen einiger Landesaufsichtsbehörden können wegen des Grundsatzes "keine Gleichbehandlung im Unrecht" zu keiner anderen Rechtsauffassung führen.

Mit Schriftsatz vom 10.03.2017 präzisierte die Klägerin den streitgegenständlichen Passus der Satzung dahingehend, dass nunmehr auf die ungekündigte Mitgliedschaft bei Antragstellung abzustellen sei (Beschluss des Verwaltungsrats, 30. Satzungsnachtrag, Nr. 4 Art. I § 12 Abs. VIII S. 2). Auch dafür wurde die Genehmigung von der Beklagten auf Antrag der Klägerin vom 21.12.2016 nach einer entsprechenden Ankündigung per Mail vom 30.12.2016 mit Bescheid vom 16.01.2017 abgelehnt.

Die Beklagte hat gegen eine Einbeziehung des Bescheids vom 16.01.2017 in das Verfahren gemäß § 96 SGG eingewandt, es handele sich um zwei verschiedene Genehmigungsverfahren. Sie hat jedoch die Sachdienlichkeit der Einbeziehung des Bescheides vom 16.01.2017 in das Berufungsverfahren nach § 99 Abs. 1 SGG bejaht.

Die Klägerin beantragt,
die Teilablehnungsbescheide der Beklagten vom 29.07.2016 und 16.01.2017 insoweit abzuändern, als der Passus "ist an eine ungekündigte Mitgliedschaft der Versicherten zum Zeitpunkt der Antragstellung geknüpft" (§ 12 Abs. VIII S. 2 Satzungsnachtrag) abgelehnt wird,

hilfsweise,
die Beklagte zur Genehmigung des Passus "ist an eine ungekündigte Mitgliedschaft der Versicherten zum Zeitpunkt der Antragstellung geknüpft" (§ 12 Abs. VIII S. 2 Satzungsnachtrag) zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und der Vorträge der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

1. Das Bayer. LSG ist für die Klage funktionell, sachlich und örtlich im ersten Rechtszug zuständig (§ 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

Der Senat kann offenlassen, ob es sich bei der Klage um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) oder um eine Aufsichtsklage (§ 54 Abs. 3 SGG) handelt. Denn auch mit der Aufsichtsklage kann die Vornahme einer begünstigenden Aufsichtsanordnung begehrt werden, hier die Erteilung einer beantragten Satzungsgenehmigung, welche die Aufsichtsbehörde abgelehnt hat, wenn wie vorliegend der Versicherungsträger geltend macht, dass er auf die Vornahme dieses Akts einen Rechtsanspruch habe. Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG).

Ebenfalls kann der Senat offenlassen, ob die Einbeziehung des Bescheids vom 16.01.2017 nach § 96 oder § 99 SGG zu erfolgen hat, denn in jedem Fall liegen die Voraussetzungen einer sachdienlichen Klageänderung, im Sinne der Klageerweiterung, gemäß § 99 Abs. 1 SGG vor.

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Genehmigung der streitgegenständlichen Satzungsänderung. Sie ist daher durch die strittigen Teilablehnungsbescheide der Beklagten vom 29.07.2016 und 16.01.2017 im angegriffenen Umfange nicht in ihren Rechten verletzt.

a) Nach § 195 Abs. 1 SGB V bedarf die Satzung einer Krankenkasse der Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde, hier der Beklagten. Diese ist zuständige Aufsichtsbehörde der Klägerin, eines bundesunmittelbaren Versichersicherungsträgers (§ 90 SGB IV iVm Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG). Das Genehmigungserfordernis gilt auch für Satzungsänderungen wie vorliegend. Nur wenn eine verfahrensmäßig ordnungsgemäß zustande gekommene Satzungsänderung mit geltendem Recht vereinbar ist, besteht nach § 195 Abs. 1 SGB V ein Anspruch auf die Genehmigung im Wege eines Verwaltungsakts.

Die Genehmigung der Aufsichtsbehörde ist ein staatliches Mitwirkungsrecht, das wie andere staatlichen Mitwirkungsrechte nach Motivation und Ausgestaltung nicht Teil der allgemeinen Staatsaufsicht ist, sondern Mitwirkung des Staates an Einzelmaßnahmen der Versicherungsträger nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB IV, so dass § 87 Abs. 1 SGB IV insoweit nicht zur Anwendung kommt. Die Prüfungskompetenz ist aufgrund des Vorrangs und des Gestaltungsrechts der Selbstverwaltung bei vom Gesetzgeber bewusst implementierten Wettbewerb der Krankenkassen auf die Rechtsaufsicht beschränkt (Peters in KassKomm, 97. EL, Dezember 2017, SGB V, § 195 Rz. 4, Engelhard in Hauck/Noftz, SGB, 01/10, § 195 Rz. 5, Schneider-Danwitz in Schlegel/Voelzke, juris-PK, 3. Aufl., 2016, § 195 SGB V, Rz. 17; Rspr. des BSG, bspw. Urt. v. 24.04.2002, Az.: B 7/1 A 1/00 R). Daher darf die Aufsichtsbehörde im Genehmigungsverfahren nur nachprüfen, ob die Satzungsbestimmungen mit dem geltenden Recht im Einklang stehen. Der Prüfungsmaßstab der Aufsichtsbehörde richtet sich somit nach den rechtlichen Vorgaben für das Verhalten des Versicherungsträgers, das Gegenstand der Maßnahme ist (BSG, Urt. v. 31.05.2016, Az.: B 1 A 2/15 mwN).

Die Rechtsaufsicht erlaubt eine Genehmigungsablehnung daher nur, wenn die Satzung oder Satzungsänderung gegen höherrangiges Recht verstößt. Die mangelnde Genehmigungsfähigkeit in diesen Fall wird als selbstverständlich angesehen und ist daher in § 194 Abs. 2 SGB V (anders als im früheren § 323 RVO) nicht eigens genannt. Ein Verstoß liegt vor, wenn die Satzung gegen Verfassungsrecht, einfaches Gesetzesrecht oder Verordnungsrecht verstößt. Einfaches Gesetzesrecht ist verletzt, wenn eine Satzungsregelung gesetzliche Vorgaben der GKV nicht hinreichend beachtet und Leistungen einschränkt, sie nicht im Sinne des Gesetzes ausgestaltet oder ihre Inanspruchnahme gesetzwidrig erschwert (vgl. Peters in KassKomm, 97. EL, Dezember 2017, SGB V, § 194 Rz. 21).
Bei der Feststellung eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht besteht weder Spielraum für eine entsprechende Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Krankenkassen noch für eine maßvolle Rechtsaufsicht durch die Aufsichtsbehörden.

b) Verfahrensverstöße sind nicht festzustellen. Ein Verstoß der Beklagten gegen die Kooperationspflicht im Genehmigungsverfahren liegt nicht vor.
Die Beklagte ist gegenüber der Klägerin zu kooperativem Verhalten verpflichtet (BSG, Urt. v. 06.10.1988, Az.: 1 RR 7/86). Ein Verstoß gegen diese Kooperationspflicht ist nicht ersichtlich, insbesondere hat die Beklagte ihre Rechtsansichten bereits jeweils im Rahmen von Vorprüfungsverfahren mitgeteilt und die Klägerin vor Erlass der Bescheide nochmals angehört. Es war also für die Klägerin erkennbar, dass bei Beschlussfassung durch den Verwaltungsrat die entsprechende Teilablehnung erfolgen wird.

c) Die Anwendung o.g. Rechtsgrundsätze ergibt, dass die streitgegenständliche Satzungsregelung aufgrund der Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorgaben des Mitgliedschafts- und Leistungsrechts der GKV nicht genehmigungsfähig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigung, da die von ihr beschlossene Satzungsänderung im hier strittigen Umfange der Koppelung von zusätzlichen Leistungen gem. § 11 Abs. 6 SGB V an eine ungekündigte Mitgliedschaft mit zwingendem Recht unvereinbar ist. Die begehrte Satzungsänderung ist nicht von der Rechtsgrundlage des § 11 Abs. 6 SGB V gedeckt. Insoweit werden die Leistungsansprüche der Mitglieder der Beklagten unter Verstoß gegen das SGB V eingeschränkt. Die Beklagte überschreitet daher ihre gesetzlich zugewiesenen Aufsichtsrechte durch die Teilablehnung der Genehmigung nicht.

Die Satzungsänderung schränkt das Recht auf Kostenerstattung der zusätzlichen Satzungsleistungen gem. § 11 Abs. 6 SGB V dergestalt ein, dass mit dem Erfordernis einer ungekündigten Mitgliedschaft bei Antragstellung eine im Gesetz nicht vorhandene Voraussetzungen der Leistungserbringung eingeführt wird. Der vom Gesetzgeber geschaffene Wettbewerb zwischen den Krankenkassen soll im Rahmen des § 11 Abs. 6 SGB V durch die Handlungsmöglichkeiten der Kassen auf der Leistungsseite gestärkt werden. Dazu haben die Krankenkassen einen weiten Gestaltungsspielraum erhalten (BT-Drs. 17/6906, S. 53). Die Erweiterung um zusätzliche Leistungen zu Wettbewerbszwecken ermächtigt jedoch nicht gleichzeitig zu einem beschränkenden Eingriff in die Strukturelemente des Versicherungsprinzips und des Mitgliedschaftsrechts.

(aa) Das SGB V knüpft den Anspruch auf Leistungen - Naturalleistungen wie Kostenerstattung - an das Vorliegen der Mitgliedschaft. Gemäß §§ 186 ff. SGB V beginnt die vollumfängliche Leistungsberechtigung mit dem ersten Tag der Mitgliedschaft, Wartezeiten kennt das SGB V nicht. Sie endet frühestens mit dem letzten Tag der Mitgliedschaft, § 19 Abs. 1 SGB V iVm §§ 189 ff. SGB V, spätestens dem Ende der sozialen Auslauffristen (§ 19 Abs. 2 SGB V). Das Mitgliedschafts- bzw. Versicherungsverhältnis in einer GKV begründet ein allgemeines Anwartschaftsrecht auf Leistungen bei Konkretisierung speziell normierter versicherter Risiken (vgl. Noftz in Hauck/Noftz SGB V, 3/13, § 19, Rz. 4 mwN).

Die Sachleistungspflicht gemäß § 2 Abs. 2 SGB V einer Krankenkasse und im Gegenzug der Sachleistungsanspruch der Versicherten (§ 40 SGB I, § 2 Abs. 1 SGB V) ist nicht von der Mitgliedschaft zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls, sondern von der Mitgliedschaft im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung abhängig (BSG, Urt. v. 14.10.2014, Az.: B 1 KR 18/13 R). Für Kostenerstattungsansprüche wie vorliegend gilt nach Sinn und Zweck des § 19 SGB V, dass während der Mitgliedschaft entstandene Geldleistungsansprüche von der Kasse auch nach Ende der Mitgliedschaft zu erfüllen sind (BSG, Urt. v. 03.07.2012, Az.: B 1 KR 25/11 R mwN).
§ 19 SGB V ist zwingendes Recht und gilt nach der Systematik des SGB V (3. Kapitel: Leistungen - Zweiter Abschnitt: Gemeinsame Vorschriften) grundsätzlich für alle Leistungen der GKV, also für Sachleistungen ebenso wie für Geldleistungen (inklusive der Kostenerstattungen § 13 SGB V). Dem Regelungsgehalt des § 19 SGB V kommt somit auch für Satzungsleistungen Geltung zu (vgl. Noftz, aaO, Rz. 5 mwN). Satzungsleistungen nach § 11 Abs. 6 SGB V wie vorliegend stellen keine Leistungen eigener Art dar, sie sind vielmehr eine Weiterentwicklung der Regelversorgung. Mit dieser stehen sie nämlich nach der Gesamtsystematik im unmittelbaren Zusammenhang (BT-Drucks. 17/6906, S. 53).

(bb) § 19 SGB regelt die Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Leistungsansprüche der Versicherten abschließend. Die Regelung ist ein wesentliches Strukturelement der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Vorschrift bewirkt einen Spannungsausgleich zwischen der finanziellen Belastung der Solidargemeinschaft und der Schutzbedürftigkeit des einzelnen Versicherten. Das Mitgliedschafts- und Versichertenverhältnis der GKV ist von Elementen der Risikoverlagerung, Solidargemeinschaft, sozialem Ausgleich, Eigenverantwortung und Gegenseitigkeit von Leistung und Gegenleistung geprägt (Noftz, aaO, Rz. 9 mit Verweisen auf die höchstgerichtliche Rspr.). Soweit Krankenkassen selbst ausnahmsweise über den gesetzlichen Leistungskatalog hinaus Leistungen ausgestalten dürfen, will der Gesetzgeber den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen fördern, jedoch damit nicht quasi einen Freibrief ausstellen, um ein gesetzesunabhängiges Leistungsrecht kraft Satzung zu schaffen (BSG, Urt. v. 18.11.2014, Az.: B 1 A 1/14 R). Wenn eine Krankenkasse ihren Versicherten bestimmte Mehrleistungen in der Annahme eines Wettbewerbsvorteils anbietet, muss sie auch diese der gesetzlichen Systematik des Mitgliedschaftsrechts unterstellen. Dies gilt auch im Rahmen des Kostenerstattungsrechts ohne Einschränkungen; für eine Ausgestaltung entgegen des gesetzlichen Mitgliedschaftsrechts besteht kein Raum. Der benannte Spannungsausgleich bleibt daher auch an dieser Stelle erhalten. Er darf nicht zu Lasten der Versicherten dahingehend verschoben werden, dass bereits entstandene Kostenerstattungsansprüche nicht mehr realisiert werden können.

(cc) Zwar ist die strittige Satzungsänderung leicht verständlich und transparent mit der Folge, dass die Versicherten sich darauf einstellen können. Allein die Transparenz und leichte Verständlichkeit einer Satzungsregelung führen jedoch nicht dazu, dass den Versicherten kein schützenswertes Vertrauen hinsichtlich ihrer gesetzlichen Anwartschaftsrechte und ihrer konkretisierten Leistungsansprüche bei bereits während Mitgliedschaft entstandenen Geldleistungsansprüchen zusteht. Das Risiko, Kostenerstattungsansprüche nicht geltend machen zu können, regelt das Gesetz in § 13 SGB V abschließend und ist daher einer abweichenden Regelung nicht zugänglich - und sei sie auch noch so transparent.

(dd) Eine Einschränkung der Regelungen in § 19 SGB V stellt keine Konkretisierung der "Dauer" der Leistungsgewährung dar, wie sie nach § 11 Abs.6 S. 2 Hs. 1 SGB V durch Satzung bestimmbar ist.
§ 11 Abs.6 S. 2 Hs. 1 SGB V erfasst die Ausgestaltung des Leistungsanspruchs auf angebotene Mehrleistungen. Darunter fallen etwa der Weg der Leistungsbeschaffung, die Anforderungen an das abrechnungstechnische Verfahren, die Höchstdauerdauer der Leistungserbringung, die Maximalhöhe der Kostenerstattung oder die Berechnungsgrundlagen. Die Regelung ermächtigt hingegen nicht - auch nicht mit dem Zusatz "insbesondere" - dazu, Leistungsansprüche unter Voraussetzungen zu stellen, die mit den dargestellten Strukturelementen des gesetzlich normierten Mitgliedschaftsrechts nicht vereinbar sind. Das ist aber bei der Anknüpfung an eine ungekündigte Mitgliedschaft der Fall. Das Leistungsrecht des SGB V kennt keinen Unterschied zwischen gekündigter und ungekündigter Mitgliedschaft, es kennt keine Mitgliedschaft zweiter Klasse. Diesen Unterschied darf eine Satzung daher nicht einführen.

(ee) Soweit die Klägerin die wirtschaftliche Notwendigkeit einer Anspruchsbegrenzung auf ungekündigte Mitglieder geltend macht, da die freiwilligen Leistungen allein durch die Kassen selbst finanziert werden müssen, wird auf die Ausführungen zum gesetzlich normierten Spannungsausgleich verweisen. Bereits das Angebot der Mehrleistungen muss dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V unterliegen, Möglichkeiten der Refinanzierung über das Mitgliedschaftsrechts sind vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Die von der Klägerin angesprochene Gefahr der "Systempervertierung" durch "Krankenkassen-Hopping" - eine solche statistisch belegbar unterstellt - hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, als er trotz der Erweiterungen der wettbewerblichen Spielräume im GKV-Versorgungsstrukturgesetz im Jahr 2011 die Vorschriften über die Möglichkeit des Kassenwechsels, insbesondere § 175 Abs. 4 SGB V, nicht entsprechend angepasst hat. Selbst wenn ein gesetzgeberisches "Übersehen" der Gefahr angenommen würde, würde dies nicht zu Kompetenz der Klägerin zur Leistungseinschränkung bei Versicherten führen, die ihre Rechte zum Kassenwechsel wahrnehmen.

(ff) Die Kompetenz, Mehrleistungen an mitgliedschaftsrechtliche Voraussetzungen zu knüpfen, ergibt sich nicht aus einer Auslegung des § 11 Abs. 6 SGB V im Lichte des § 65a SGB V. Dagegen sprechen zum einem der unterschiedliche Wortlaut und der systematische Zusammenhang der Vorschriften. In § 65a SGB V fordert der Gesetzgeber die Krankenkassen im Rahmen einer Soll-Bestimmung auf, "Voraussetzungen" des Anspruchs in ihrer Satzung zu bestimmen, in § 11 Abs. 6 SGB V wird den Kassen das Recht eingeräumt ("kann") in Erweiterung der Regelversorgung bestimmte Mehrleistungen anzubieten und diese insbesondere hinsichtlich "Art, Dauer und Umfang der Leistung" nach dem Gebot der Normenklarheit transparent zu gestalten. Zum anderen verfolgen die Vorschriften einen anderen Gesetzeszweck. Während mit § 11 Abs. 6 SGB V dem Wettbewerbsprinzip zwischen den Kassen Rechnung getragen wird, sollen mit der Zulassung von Bonusprogrammen zum einen Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten gesetzt und die Patientensouveränität gestärkt werden, zum anderen Wirtschaftlichkeitsreserven durch Einsparungen und Effizienzsteigerungen gehoben werden und auf diese Weise einem übergeordneten Ziel der GKV, namentlich der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung (§ 12 SGB V), gedient werden (Leopold in Hauck/Noftz, SGB V, 4/15, § 65a Rz.8).

3. Genehmigungen gleichartiger Satzungsbestimmungen anderer Krankenkassen durch landesrechtlich zuständige Aufsichtsbehörden führen zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der Feststellung eines Verstoßes der Regelung gegen höherrangiges Recht kommt der Klägerin kein Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht zu.

4. Die Kostentragung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 S.1 SGG iVm § 155 Abs. 2 VwGO (hinsichtlich der teilweisen Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 24.10.2016), im Übrigen aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
Hinsichtlich des Streitwerts wird auf den Beschluss vom 20.03.2018 hingewiesen.

5. Wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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