L 1 KR 163/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 1958/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 163/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2003 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren. 3. Die Revision wird nicht zugelassen. 4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 8.658,- EUR.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Krankenhauskosten für H. B. (geb.: XX.XX.28) in Höhe von 8.658 Euro für die Zeit vom 19. Januar 2002 bis 1. Februar 2002 streitig.

Hinsichtlich des Sachverhalts bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2003 verwiesen.

Mit Schreiben vom 13. November 2003 hat die Beklagte eine Klagerwiderung abgegeben, die – obwohl vor Erlass des Gerichtsbescheides beim Sozialgericht eingegangen - bei Abfassung des Gerichtsbescheides nicht berücksichtigt worden ist. Darin führt sie aus, es habe bei der stationären Behandlung der "Neubildung der Blase" (gemeint ist wohl eine bösartige Neubildung eines Blasenkarzinoms) seit Mai 2001 in verschiedenen Krankenhäusern eine Reihe von Ungereimtheiten gegeben. Jedenfalls würden sich zum Ablauf der Behandlung einige Fragen stellen lassen. Hinsichtlich des letzten bei dem Kläger ab 11. Januar 2002 durchgeführten Behandlungsabschnittes stelle sich die Frage, warum der Patient nach der Strahlentherapie nicht habe nach Hause entlassen werden können, sondern erneut auf der Querschnittsabteilung habe behandelt werden müssen. Sei nicht alternativ eine stationäre Kurzzeitpflege möglich gewesen? Die gesamte Behandlung mit den Hin- und Herverlegungen müsse hinterfragt werden und habe der Beklagten zu hohe Kosten verursacht. Die Vorgänge seien insgesamt so unplausibel, dass die Beklagte ohne Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK) die Begleichung der Forderung wegen der stationären Behandlung verweigern könne.

Gegen die stattgebende Entscheidung des Sozialgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie hat den Vortrag aus ihrer Klagerwiderung wiederholt. Im Übrigen hat sie geltend gemacht, dass die erste Instanz nicht durch Gerichtsbescheid habe entscheiden dürfen, weil der Sachverhalt nicht eindeutig sei und rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten aufweise. Auch nach dem BSG-Urteil von 13. Dezember 2001 (B 3 KR 11/01 R, BSGE 89, 104) dürfe die Beklagte in Fällen von Inplausibilitäten und atypischen Abläufen Verwaltungsentscheidung treffen. Es seien dann keine medizinischen Fragen durch den MdK zu klären, sondern das Gericht müsse sich mit dem Sachverhalt auseinandersetzen. Deswegen hätte die erste Instanz eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Da der Beklagten durch diese Verfahrensweise eine Instanz verloren gegangen sei, käme nur die Zurückverweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz in Betracht. Jedenfalls könne die Beklagte nicht zur Tragung der Mehrkosten durch die unnötige postoperative Verlegung verpflichtet werden.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2003 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen, hilfsweise die Klage insgesamt abzuweisen, weiter hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend. Es verwundere, dass die Beklagte nun das gesamte achtmonatige Behandlungsverfahren in Frage stelle, obwohl bis zum 18. Januar 2002 eine Kostenübernahmeerklärung vorliege. Es wäre an der Beklagten gewesen, zeitnah den MdK einzuschalten. Zudem seien keine Tatsachen vorgetragen, sondern lediglich Fragen aufgeworfen worden. Allenfalls die letzte der gestellten Fragen betreffe dabei überhaupt den hier streitigen Krankenhausaufenthalt. Die von der Beklagten angesprochen Kurzzeitpflege sei eine Antragsleistung. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, den Versicherten über diese Möglichkeit zu informieren und die entsprechende Pflege zu organisieren.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 14. Juli 2004 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann vorliegend in der Sache entscheiden. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht steht gemäß § 159 SGG im Ermessen des Berufungsgerichts. Zwar sind die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gegeben, weil das Sozialgericht den Vortrag der Beklagten nicht berücksichtigt hat, der vor Erlass des Gerichtsbescheides bei Gericht eingegangen ist. Die Entscheidung leidet deswegen an einem wesentlichen Mangel. Der Senat kann aber – trotz des Zurückverweisungsantrags der Beklagten – aus prozessökonomischen Gründen von einer Zurückverweisung absehen und in der Sache entscheiden. Vorliegend sind keine Sachverhaltsermittlungen durchzuführen. Den Verfahrensmangel kann der Senat durch Prüfung der in der Klagerwiderung vorgebrachten Punkte beseitigen. Der Nachteil durch den Verlust einer Instanz überwiegt nicht gegenüber den genannten Gesichtspunkten der Prozessökonomie und dem klägerseitigen Interesse an einer (rechtskräftigen) Sachentscheidung.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist nicht begründet. Sie ist zur Bezahlung der streitigen Krankenhauskosten verpflichtet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht der auf Bezahlung der stationären Versorgung des Versicherten im streitigen Zeitraum gerichteten Klage stattgegeben. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht insoweit Bezug auf die Begründung des sozialgerichtlichen Gerichtsbescheides (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Zahlungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger als Plankrankenhaus, für das gemäß § 109 Abs. 1 2.Halbsatz SGB V der Abschluss eines Versorgungsvertrages fingiert wird, besteht vorliegend trotz des Fehlens eines Sicherstellungsvertrages im Sinne des § 112 SGB V auch im streitigen Zeitraum vom 19. Januar bis 1. Februar 2002. Der gemäß § 112 Abs. 1 SGB V geschlossene Vertrag vom 4. Juni 1991 wurde zwar zum 30. Juni 1997 gekündigt. Der Nachfolgevertrag vom 19. Dezember 2002 trat erst ab 1. Januar 2003 in Kraft. Nach der Rechtsprechung des BSG (28.5.03 – B 3 KR 10/02 R, SozR 4-2500 § 109 Nr. 1) besteht ein Vergütungsanspruch jedoch auch bei Fehlen eines landesrechtlichen Sicherstellungsvertrages und folgt in diesem Fall aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V. Die – hier nicht streitige – Höhe der zu zahlenden Vergütung ergibt sich auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17 Krankenhausfinanzierungsgesetz aus der Bundespflegesatzverordnung in Verbindung mit dem ab 1. Januar 2002 geltenden Behandlungskostentarif des Klägers. Dieser hat Einzelheiten zu seinen Leistungen während der Zeit des vertragslosen Zustandes jeweils durch Übersendung des Behandlungskostentarifs an die Krankenversicherungsträger und hier durch Übersendung des ab 1. Januar 2002 geltenden Behandlungskostentarifs an die Beklagte im Dezember 2001 mitgeteilt. Die Beklagte hat keine Einwände erhoben und für die ersten Behandlungsabschnitte diese Bedingungen auch jeweils akzeptiert. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob diese Bedingungen damit für die Beteiligten verbindlich wurden. Die Leistungshöhe ist nicht streitig. Selbst wenn die im Kostentarif vorgesehene Fälligkeit der Vergütung vierzehn Tage nach Zugang der Rechnung im vorliegenden Fall nicht verbindlich vereinbart sein sollte, ist die Vergütung jedenfalls inzwischen fällig.

Die Beklagte behauptet, sie habe – statt den MdK einzuschalten - die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung selbst geprüft und meint, dies berechtige sie zur Verweigerung der Zahlung. Allerdings hat sie nur Fragen aufgeworfen, so dass jedenfalls von einer abgeschlossenen eigenen Prüfung nicht die Rede sein kann. Die Durchführung eines internen Prüfverfahrens kann eine Zahlungsverweigerung nicht rechtfertigen. Auch das Gericht ist aufgrund der erhobenen Einwände gegen die ab Mai 2001 in verschiedenen Krankenhäusern durchgeführte Krankenhausbehandlung nicht verpflichtet, die Notwendigkeit der Behandlung durch eigene Ermittlungen zu prüfen. Eine derartige Prüfung käme nur in Betracht, wenn der für den Kläger sprechende Anscheinsbeweis, also die Entscheidung des Krankenhausarztes über die Notwendigkeit der weiteren stationären Behandlung, erschüttert wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar ist eine sofortige Entlassung nach einer Strahlenbehandlung flankiert mit einer Kurzzeitpflege grundsätzlich denkbar, aber vorliegend spricht nichts dafür, dass es sich unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Verfassung des Patienten auch um eine konkrete Alternative im Einzelfall handelte. Die Beklagte trägt insoweit nichts zur individuellen Behandlungssituation vor. Dem Gericht ist hierüber auch nichts bekannt, weil es keinen Anlass gegeben hat, die Krankenunterlagen vom Kläger anzufordern. Diese scheinen der Beklagten ebenfalls nicht vorzuliegen. Dennoch ist sie den Hinweisen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, aaO) – bewusst - nicht gefolgt und hat davon abgesehen, sich zur Abrechnungsprüfung der Hilfe des MdKs zu bedienen.

Aus der Entscheidung des BSG vom 13. Dezember 2001 (aaO), auf die sich die Beklagte berufen hat, folgt nichts anderes. In dieser Entscheidung wird gerade hervorgehoben, dass allgemeine Erwägungen nicht ausreichen, um die Beurteilung des Krankenhausarztes zu erschüttern, sondern es – der hier fehlenden - substantiierten Einwendungen im Einzelfall bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 Gerichtskostengesetz.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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