L 6 RJ 107/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 363/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 107/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 01.01.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger, der 1961 geboren und türkischer Staatsangehöriger ist, war bisher ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt, und zwar - nach seinen Angaben - ohne vorherige Berufsausbildung als Bauarbeiter, Arbeiter in einer Lederfabrik und Maschinenführer. Zuletzt - vom 01.10.1996 bis 31.05.1998 - hat der Kläger als Reiniger von Druckmaschinen gearbeitet. Es hat sich dabei um eine ungelernte Arbeit gehandelt, die von ungelernten Arbeitern sofort oder nach relativ kurzer Einarbeitungszeit (maximal drei Monate) ausgeübt werden kann; eine Tarifbindung des Arbeitgebers hat nicht bestanden (Auskünfte der Firma C. Graphische Maschinen in U. vom 26.01.2001 und 09.04.2003).

Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt (Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg - AVF - vom 12.06.2001).

Mit Bescheid vom 19.12.2000 und Widerspruchsbescheid vom 14.05.2001 lehnte die Beklagte den am 09.08.2000 gestellten Antrag des Klägers auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab, weil dieser vollschichtig bis mittelschwere Arbeiten verrichten könne und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Die Beklagte stützte sich bei dieser Entscheidung auf ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W. vom 01.12.2000, der beim Kläger eine seit Juni 2000 eingetretene Besserung festgestellt und ihn bei leichten Arbeiten für vollschichtig leistungsfähig erachtet hatte. Dr. W. hatte der Entlassungsbericht der Klinik H. B. vom 13.07.2000 betreffend ein beim Kläger vom 04.05.2000 bis 08.06.2000 durchgeführtes stationäres Heilverfahren vorgelegen, in dem ausgeführt ist, bei dem Versicherten bestehe ein Bandscheibenvorfall mit deutlichen Radikulärausfällen, der möglicherweise operationspflichtig sei; derzeit bestehe nur eine halb- bis unter vollschichtige Leistungsfähigkeit.

Mit der am 06.06.2001 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter.

Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten einschließlich der Röntgenaufnahmen, die Schwerbehindertenakten des AVF, die Leistungsakten des Arbeitsamts Augsburg sowie einen Auszug aus den Mitgliedschaftsdaten der AOK Bayern - Direktion Augsburg bei und erholte Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (Gemeinschaftspraxis Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin Dres. S. und F. , Befundbericht vom 16.08.2001; Orthopäde, Sportmedizin, Chirotherapie Dr. M. , Befundbericht vom 14.08.2001; Internist Dr. S. , Befundbericht vom 17.09.2001; Allgemeinarzt, Sportmedizin Dr. M. , Befundbericht vom 12.09.2001).

Sodann holte das SG ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Orthopäden, Chirotherapie Dr. P. (Gutachten vom 04.12.2001) ein, der zu einer vollschichtigen beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers kam.

Der vom SG aufgrund eines Antrags des Klägers nach § 109 SGG beauftragte Orthopäde/Sportmedizin, Chirotherapie Dr. M. stellte eine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers fest; dieser könne seit dem Zeitpunkt des Rentenantrags nur noch weniger als sechs Stunden täglich arbeiten.

Mit Urteil vom 18.12.2002 wies das SG die Klage ab. Es schloss sich bei der Beurteilung des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers Dr. P. an. Die von Dr. M. festgestellte zeitliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sei nicht nachvollziehbar begründet.

Am 24.02.2003 (Montag) ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 23.01.2003 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.

Der Senat zog die Klageakten des SG Augsburg sowie die Verwaltungsakten der Beklagten bei und erholte medizinische Sachverständigengutachten von dem Arzt für Orthopädie Dr. F. (Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 24.06.2003) und von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Leitender Arzt der Abteilung Gerontopsychiatrie und Stellvertretender Ärztlicher Direktor des Zentrums für Soziale Psychiatrie B. Dr. M. (Gutachten aufgrund einer dreitägigen stationären Untersuchung vom 17.09.2003).

Dr. F. erhob beim Kläger folgende Diagnosen:
- Initiale Chondrosis intervertebralis C5 bis C7, leichte Uncovertebralarthrose, Fehlhaltung der Halswirbelsäule.
- Osteochondrose L2 bis L3 nach Morbus Scheuermann, Chondrosis intervertebralis L4 bis L5, leichtes Baastrup Syndrom, Spondylose der Lendenwirbelsäule.
- Beginnende Coxarthrose beidseits.
- Deutliche Gonarthrose beidseits.
- Sprunggelenkarthrose beidseits, Plattfüße mit etwas rigiden Großzehengrundgelenken; Fersensporne.
- Erhebliche Übergewichtigkeit.

Zum beruflichen Leistungsvermögen führte Dr. F. aus, aus orthopädischer Sicht könne der Kläger unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen acht Stunden täglich arbeiten. Zu den divergierenden gutachtlichen Meinungen auf orthopädischem Gebiet führte Dr. F. aus, in allen wesentlichen Ergebnissen sei den Gutachten von Dr. W. und Dr. P. zuzustimmen. Anders sei dies bezüglich des Gutachtens von Dr. M. , dem schon hinsichtlich der erhobenen Befunde auf weiten Strecken nicht gefolgt werden könne.

Dr. M. diagnostizierte auf psychiatrischem Fachgebiet eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störungen mit mittel- bis schwergradigen Episoden 1989, 1998/99, gegenwärtig remittiert. Auch Dr. M. vertrat die Auffassung, dass der Kläger noch vollschichtig einsetzbar sei, lediglich qualitative Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen seien. Das Gutachten Dr. M. könne auch aus seiner Sicht nicht nachvollzogen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.12.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.09.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise - ab 01.01.2001 - Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des SG Augsburg vom 18.12.2002 ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und - ab 01.01.2001 - auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI. Für den Anspruch des Klägers sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch (hilfsweise) vorgetragen ist, dass jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 gegeben sei, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a.F., weil er ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 09.0 8.2000 bis jetzt nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen beim Kläger nicht vor.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist bereits eingeschränkt. Er kann aber unter den üblichen Bedingungen eines Beschäftigungsverhältnisses bei fast ausschließlichem Sitzen, aber mit der Möglichkeit zu gelegentlichem Gehen oder Stehen, leichte Arbeiten noch vollschichtig (d.h. acht Stunden täglich) verrichten. Auszuschließen seien Arbeiten auf Treppen oder Leitern, in kniender oder hockender Stellung, Arbeiten mit permanenten Streckhaltungen des Kopfes (Über-Kopf-Arbeiten), Arbeiten unter Einfluß von Kälte, Nässe oder Zugluft, häufiges Heben oder Tragen schwerer Lasten ohne Hilfsmittel, Arbeiten in gebückter Haltung, Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Akkordarbeit, Arbeiten mit überdurchschnittlichem Zeitdruck sowie Arbeit in Wechselschicht. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, weil der Kläger die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10). Der Kläger ist in der Lage, sich auf eine neue Erwerbstätigkeit umzustellen.

Dieses berufliche Leistungsvermögen des Klägers ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. F. und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. , denen sich der Senat anschließt. Durch sie sind im Übrigen die im erstinstanzlichen und im Verwaltungsverfahren erholten Gutachten - bis auf das Gutachten Dr. M. - in ihren wesentlichen Ergebnissen bestätigt worden.

Beim Kläger liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor:
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung.
- Rezidivierende depressive Störungen mit mittel- bis schwergradigen Episoden 1989 und 1998/99, gegenwärtig remittiert.
- Initiale Chondrosis intervertebralis C5 bis C7, leichte Uncovertebralarthrose, Fehlhaltung der Halswirbelsäule.
- Osteochondrose L2 bis L3 nach Morbus Scheuermann, Chondrosis intervertebralis L4 bis L5, leichtes Baastrup Syndrom, Spondylose der Lendenwirbelsäule.
- Beginnende Coxarthrose beidseits.
- Deutliche Gonarthrose beidseits.
- Sprunggelenkarthrose beidseits, Plattfüße mit etwas rigiden Großzehengrundgelenken; Fersensporne.
- Erhebliche Übergewichtigkeit.

Der Kläger kann unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses acht Stunden täglich arbeiten. Zeitliche Einschränkungen sind nicht begründbar, weil die Fähigkeit zum Sitzen kaum reduziert ist; es fehlen nämlich aktuell Hinweise auf einen Bandscheibenvorfall oder eine Nervenwurzelirritation, zudem laufen nur relativ geringe Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule ab. Qualitative Einschränkungen ergeben sich in erster Linie aus den deutlichen degenerativen Veränderungen der Knie- und Sprunggelenke. Der Kläger soll daher wenig gehen und stehen, nicht auf Treppen, Leitern oder in kniender oder hockender Stellung arbeiten. Wegen der irreversiblen Verschleißerscheinungen der Beingelenke sollte der Kläger generell fast ausschließlich sitzend arbeiten. Die Verschleißerscheinungen der Hüftgelenke und der Großzehengrundgelenke schränken die Belastbarkeit der unteren Extremitäten nur unwesentlich weiter ein. An den oberen Extremitäten liegen keine Gesundheitsstörungen vor, die sich leistungseinschränkend auswirken könnten, zumal die Rauhigkeit der Handflächen darauf hinweist, dass manuelle Tätigkeiten verrichtet werden. Die leichtgradigen Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule stellen allenfalls für permanente Streckhaltungen des Kopfes eine Behinderung dar. Zu vermeiden sind schwere und mittelschwere Arbeiten sowie die Einflüsse von Kälte, Nässe und Zugluft. Das vom Kläger angegebene Gehvermögen von nur zwei bis drei Minuten ist nicht nachzuvollziehen. Zu beachten ist, dass die deutlicheren arthrotischen Veränderungen der Sprunggelenke durch sog. Arthrodesen-Stiefel teilweise kompensiert werden können. Zu berücksichtigen ist bei der Frage Gehfähigkeit des Klägers zudem, dass zwar deutlichere Gelenkkörperentrundungen vorliegen, jedoch die Gelenkspalthöhe insgesamt an den dargestellten Beingelenken noch recht gut erhalten ist. Auch das Ausmaß der Fußsohlenbeschwielung ist nicht so gering, dass der Schluss auf eine nicht mehr vorhandene Gehfähigkeit gezogen werden könnte. Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung führt zu einer Fehlverarbeitung der somatisch bedingten und orthopädisch belegten Beschwerden, darüber hinaus treten vermehrt Halswirbelsäuleneschwerden und Kopfschmerzen auf. Diese somatoforme Schmerzfehlverarbeitung führt nicht zu einer relevanten Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens. Aus psychiatrischer Sicht besteht eine psychische Minderbelastbarkeit dahingehend, dass der Kläger für Akkordarbeiten, Tätigkeiten mit überdurchschnittlichem Zeitdruck und für Wechselschichttätigkeiten nicht geeignet erscheint. Aufgrund der guten Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie der intellektuellen Fähigkeiten ist der Kläger in der Lage, sich auf eine neu Erwerbstätigkeit umzustellen.

Ohne Beweiswert ist das Gutachten von Dr. M. , wie Dr. F. und Dr. M. überzeugend dargetan haben. Die von Dr. M. behauptete deutliche Degeneration der Bandscheibenräume L3 bis S1 ist unzutreffend. Es besteht auch keine Deckplatteninfraktion L3. Der Befund ist mehr als mißverständlich. Man bezeichnet die Verformung der Deckplatte des 3. Lendenwirbelkörpers als Schmorl-Knötchen, sie ist ein Hinweis auf eine abgelaufene Scheuermann-Erkrankung. Die Diagnostik des Dr. M. impliziert aber die Vorstellung einer posttraumatischen Veränderung. Nicht zu halten ist auch die Diagnose einer Retrolisthese ersten Grades. Der 4. Lendenwirbelkörper ist allenfalls minimalst nach rückwärts verschoben. Eine Läsion des Nervus peronaeus superficialis stellt eine für Dr. M. fachfremde neurologische Diagnose dar; sie wäre im Übrigen, da es sich um einen sensiblen Nerven handle, völlig unbedeutsam für die Belastbarkeit der unteren Extremitäten. Wenig hilfreich ist die Diagnose eines sogenannten Cervikalsyndroms bei von Dr. M. nicht näher definierten Bandscheibenveränderungen. Eine Instabilität des rechten Kniegelenks ist nicht nachzuweisen und würde auch mit der nicht verringerten Muskulatur des rechten Oberschenkels nicht korrelieren. Von Dr. M. vermutete Absprengungen im ventralen Sprunggelenkkapselbereich sind nicht nachzuvollziehen. Es handelt sich vielmehr um Weichteilverknöcherungen, die im Zusammenhang mit gichtigen Erkrankungen häufiger entstehen. Obwohl Dr. M. unter den qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens keine reduzierte Sitzbelastung des Klägers aufführt, schätzt er dennoch das Leistungsvermögen auf weniger als sechs Stunden ein, legt hierzu aber keinerlei Begründung vor. Das sensible Wurzelreizsyndrom wird von Dr. M. aus fachfremder Sicht in eine Teillähmung des Peronaeus umgemünzt, obwohl an früherer Stelle seines Gutachtens ausdrücklich von einer Schädigung des Peronaeus superficialis, also einem sensiblen Hautast, die Rede gewesen ist. Auch insoweit ist das Gutachten Dr. M. nicht nachzuvollziehen. Nicht beachtet wird auch, dass das Ausmaß der Fußsohlenbeschwielung und die Rauhigkeit der Handflächen den Schluss zulassen, dass sich der Kläger in ausreichendem Umfang noch körperlich belasten kann und auch belastet. Die Einschränkung der Wegefähigkeit wird in den Raum gestellt, aber nicht weiter begründet. Dr. M. geht nicht darauf ein, dass zwar deutlichere degenerative Veränderungen in Form von Gelenkkörperentrundungen, jedoch noch gut weite Gelenkspalte an den Beingelenken zu verzeichnen sind, also in Verbindung mit der von Dr. M. nicht analysierten Fußsohlenbeschwielung die Wegefähigkeit noch erhalten ist. In seinem Gutachten wird auch nicht berücksichtigt, dass subjektive Beschwerden durch Normalisierung des Purinstoffwechsels und eine zumutbare Gewichtsreduktion noch deutlich gebessert werden können. Die sozialmedizinische Einschätzung der Klinik H. im Jahr 2000, die aus der Sicht des Klägers das Gutachten von Dr. M. bestätigt, ist nicht haltbar. Nimmt man die sozialmedizinischen Kriterien für die Erstellung der sozialmedizinischen Epikrise im Rehabilitationsverfahren als Grundlage der Entscheidung, muss diese Einschätzung bereits formal revidiert werden, da sie sich augenscheinlich auf das noch subakute Krankheitsbild einer Lumbago bezieht, das zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Die Einschätzung des Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hätte vielmehr auf den Zustand nach Abklingen des subakuten Beschwerdebildes abzielen müssen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Dr. W. in seinem Gutachten ausdrücklich auf eine nach Abschluß des Heilverfahrens eingetretene Besserung des Gesundheitszustands des Klägers hinweist. Im übrigen hat Dr. M. (und auch die Klinik H.) die psychiatrische beziehungsweise psychosomatische Komponente nicht gewürdigt bzw. erkannt.

Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr. 21 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend somit der eines Reinigers von Druckmaschinen. Diesen Beruf kann der Kläger nicht mehr ausüben, da hierbei ganz offensichtlich kein überwiegendes Sitzen möglich ist.

Obwohl der Kläger seinen maßgeblichen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist er aber dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 Nr. 138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbi1dungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des ange1ernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließ1ich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbi1dung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger entsprechend den Auskünften seines letzten Arbeitgebers der Gruppe mit dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters (keine Anlernzeit oder eine solche von weniger als 3 Monaten, Arg. BSG-Urteil vom 29.03. 1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45), zuzuordnen.

Als ungelerntem Arbeiter sind dem Kläger alle Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen er körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es grundsätzlich nicht. Auch liegt beim Kläger weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einem Versicherten erforderlich machen würde, der der Gruppe mit dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen ist. Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI a.F., dass nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und dass hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Der Kläger, der keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß der Bestimmung des bis 31.12.2000 gültigen § 44 Abs. 1 SGB VI, weil er die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI sind solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie der Kläger - (irgend)eine Berufstätigkeit noch vollschichtig ausüben können; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn ein Versicherter - wie der Kläger - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen (sogar noch) vollschichtig ausüben kann.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Augsburg vom 18.12.2002 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved