L 8 AL 256/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 AL 376/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 256/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 26. Mai 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über die Bewilligung des Eingliederungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung eines Eingliederungszuschusses (EGZ) streitig.

Die Klägerin beantragte am 24.07.2002 die Bewilligung eines EGZ und legte einen mit dem am 20.12.1963 geborenen Arbeitslosen S. geschlossenen Arbeitsvertrag vom selben Tage, der eine Beschäftigung als Staplerfahrer beinhaltet, vor. S. war vom 03.05. bis 12.11.1999 als Straßenbauer beschäftigt gewesen und hatte anschließend bis 21.11.1999 Krankengeld bezogen. Vom 22.11.1999 bis 31.07.2000 hatte er Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen und war anschließend bis 20.09.2000 als Tiefbauarbeiter beschäftigt. Ab 23.09.2000 war er erneut arbeitslos gewesen, hatte sodann vom 17.04. bis 05.10.2001 Beschäftigungen als Hochbauhelfer und Kanalbauer ausgeübt und war ab 09.10.2001 bis zur Beantragung des EGZ arbeitslos gewesen.

In dem Bearbeitervermerk wurde bejaht, dass es sich bei S. um einen Arbeitnehmer handele, der ohne EGZ nicht oder nicht dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne.

In einem Vermerk eines leitenden Verwaltungsdirektors der Beklagten, gültig für das Arbeitsamt Regensburg, heißt es, die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen sei bayernweit eklatant gestiegen, in Regensburg im Mai um 26,4 %. Diese Situation führe bayernweit in Abstimmung mit dem Landesarbeitsamt zu einer geänderten Schwerpunktsetzung und infolge dessen zu einer konsequenten Durchführung der für diese Zielgruppe geplanten und eingerichteten Maßnahmen. Als Folge davon seien ab sofort neue Bewilligungen von EGZ ausgeschlossen.

Mit Bescheid vom 14.08.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab und gab zur Begründung den Vermerk vom 19.07.2002 wieder. Es handele sich insoweit um eine ermessenslenkende Weisung, sodass eine Förderung mit EGZ derzeit nicht möglich sei.

In ihrem Widerspruch forderte die Klägerin eine Konkretisierung dahingehend, in welcher Größenordnung bisher vergleichbare Maßnahmen gefördert worden seien und welche Mittel zur Förderung der Eingliederung Jugendlicher nunmehr verwendet würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Gewährung von EGZ sei als Kann-Leistung ausgestaltet, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. Im Rahmen des sachgemäßen Ermessens und bei Würdigung der gesamten Umstände müsse die Gewährung eines EGZ versagt werden.

Mit ihrer zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Voraussetzungen der §§ 217 ff. SGB III für die Gewährung des EGZ lägen vor, da der Arbeitnehmer S. ohne die Leistung des Arbeitsamtes nicht dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Als Langzeitarbeitsloser im Sinne des § 218 Abs.1 Ziffer 2 SGB III sei er schwer vermittelbar. Der Hinweis auf die im Arbeitsamtsbezirk Regensburg nicht zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel reiche für eine Ablehnung nicht aus. Die Beklagte sei verpflichtet, alle Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland gleich zu behandeln und Fördermittel bundesweit in gleicher Weise zur Verfügung zu stellen. Da jedoch Fördermittel zum Zeitpunkt der Ablehnung im August 2002 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestanden hätten, hätte der EGZ bei ermessensfehlerfreier Entscheidung gewährt werden müssen. Gegebenenfalls hätte die Beklagte die Bundesfinanzverwaltung zur Leistung von Zuschüssen in Anspruch nehmen müssen.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.05.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Grundsätzlich wäre es zwar ermessensfehlerhaft, wenn die Ablehnung allein mit der Begründung erfolgen würde, es seien bereits sämtliche Haushaltsmittel erschöpft. Dies sei hier nicht gegeben. Die Beklagte habe in nicht zu beanstandender Weise bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einen Schwerpunkt bezüglich der Jugendarbeitslosigkeit gesetzt und im Rahmen der Ermessensausübung ohne weiteres darauf abstellen können, dass vordringlich die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt würden.

Mit ihrer Berufung macht die Klägerin weiterhin geltend, die Entscheidung der Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Vor Vermittlung des Arbeitnehmers S. sei von Seiten der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass die Voraussetzungen einer Förderung theoretisch vorlägen.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 26.05.2003 und den Bescheid der Beklagten vom 14.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über die Bewilligung des Eingliederungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Es seien keine Zusagen für einen EGZ gemacht worden. Im Übrigen sei der Arbeitnehmer S. von der Klägerin zum 20.11.2002 entlassen worden.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der Beklagtenakte und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet. Die Bescheide der Beklagten sind ermessensfehlerhaft und deshalb aufzuheben.

Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Gewährung des EGZ gemäß §§ 217, 218 SGB III lagen im Zeitpunkt der Antragstellung und Entscheidung der Beklagten vor. Gemäß § 217 Abs.2 SGB III sind Arbeitnehmer förderungsbedürftig, die ohne die Leistung nicht oder nicht dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können. Dies hat die Beklagte zu Recht bejaht. Gemäß § 218 Abs.1 Nr.2 SGB III können EGZs erbracht werden, wenn Arbeitnehmer, insbesondere Langzeitarbeitslose, wegen in ihrer Person liegender Umstände nur erschwert vermittelt werden können. Dies war beim Arbeitnehmer S. der Fall. Er war Langzeitarbeitsloser im Sinne des § 18 Abs.1 SGB III, da er ein Jahr bzw. länger als ein Jahr arbeitslos war. Bei der Berechnung der Dauer der Arbeitslosigkeit bleiben gemäß § 18 Abs.2 SGB III Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren unberücksichtigt, wenn es sich um Zeiten einer Krankheit oder um Beschäftigungen oder selbständige Tätigkeiten bis zu einer Dauer von insgesamt sechs Monaten handelt. S. war vor Aufnahme der Beschäftigung am 24.07.2002 seit 09.10.2001 und damit ca. 9 1/2 Monate arbeitslos. Zuvor war er vom 17.04. bis 05.10.2001, also weniger als ein halbes Jahr beschäftigt gewesen und wiederum zuvor ab 23.09.2000, also weitere knapp sieben Monate, arbeitslos gewesen.

Die Entscheidung, eine Förderung deshalb abzulehnen, weil im Arbeitsamtsbezirk Regensburg auf Grund des Vermerkes vom 19.07.2002 "ab sofort alle neuen Fälle, u.a. bezüglich EGZ", ausgeschlossen sind, erweist sich als ermessensfehlerhaft. Die Haushaltslage allein ist kein geeigneter Ermessensgesichtspunkt, um eine bestimmte Leistung ab einem bestimmten Zeitpunkt generell zu versagen (vgl. BSG SozR 3-4100 § 55a Nr.1). Andererseits kann die von der Beklagten angeführte Schwerpunktsetzung in Richtung auf eine verschärfte Bekämpfung der Jungendarbeitslosigkeit es nicht rechtfertigen, bestimmte Leistungen wie den EGZ in einem Arbeitsamtsbezirk generell nicht mehr zu bewilligen; denn dies ergibt sich aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Bewirtschaftung der zur Verfügung stehenden Mittel.

§ 71b Abs.2 SGB IV sieht vor, dass die für den Eingliederungstitel, also die für Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung vorgesehenen Mittel, den Arbeitsämtern zur Bewirtschaftung zuzuweisen sind; gemäß Satz 2 ist bei der Zuweisung insbesondere die regionale Entwicklung der Beschäftigung, die Nachfrage nach Arbeitskräften, Art und Umfang der Arbeitslosigkeit sowie die jeweilige Ausgabenentwicklung im abgelaufenen Haushaltsjahr zu berücksichtigen. Die Arbeitsämter stellen gemäß § 71b Abs.3 SGB IV für jede Art dieser Ermessensleistungen in der Arbeitsförderung Mittel unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Lage und Entwicklung des regionalen Arbeitsmarktes bereit. Hieraus ergibt sich, dass für jede Förderungsart auch Mittel vorhanden sein müssen. Dass dies für das ganze Jahr zu gelten hat, ergibt sich aus § 71b Abs.4 SGB IV, wonach die zugewiesenen Mittel so zu bewirtschaften sind, dass eine Bewilligung und Erbringung der einzelnen Leistungen im gesamten Haushaltsjahr gewährleistet ist.

Gegen diese gesetzlichen Vorgaben verstößt die Beklagte, wenn sie ab einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Arbeitsamtsbezirk nur noch ausgewählte Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung bewilligt und andere ausschließt. Damit ist ihre Entscheidung ermessensfehlerhaft.

Dass der Arbeitnehmer S. bereits zum 20.11.2002 entlassen wurde, macht den Anspruch nicht hinfällig, da es auf die Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung und Entscheidung ankommt und nicht erkennbar ist, dass von der Klägerin beabsichtigt war, den Arbeitnehmer bereits nach vier Monaten zu entlassen, zumal gerade die Versagung der Fördermittel die vorzeitige Entlassung verursacht haben dürfte.

Da die Entscheidung über die Bewilligung des EGZ in das Ermessen der Beklagten gestellt ist, war die Beklagte entsprechend dem Antrag der Klägerin zu verpflichten, über die Bewilligung der Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 Satz 1 SGG. Entsprechend § 154 Abs.1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Streitwert war gemäß §§ 13, 25 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 3.276,00 EUR festzusetzen. Grundlage hierfür ist das mit S. vereinbarte Monatsgehalt von 1.092,00 EUR, das für die Regelförderdauer von 12 Monaten einem Betrag von 13.104,00 EUR entspricht; die Regelförderung mit EGZ erfolgt zu 50 % dieser Summe, wobei der Betrag von 6.552,00 EUR zu halbieren ist, da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. BSG SozR 1930 § 8 Nr.3).

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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