Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 23 R 2245/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 33 R 264/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RS 1/19 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. März 2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens die Aufhebung der Feststellung des Sondertatbestandes im Sinne des (i.S.d.) § 6 Abs. 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) in der Fassung des 1. Gesetzes zur Änderung des AAÜG vom 21. Juni 2005 (1. AAÜG-ÄndG) für den Zeitraum vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989.
Der 1931 geborene Kläger war nach Abschluss eines Studiums an der technischen Universität D im Januar 1956 seit November 1956 beim VEB Energieversorgung Sund seit Juni 1958 beim VEB Verbundnetz West bzw. VVB Energieversorgung beschäftigt, und zwar seit Juli 1963 als Direktor für Betrieb, seit 1971 als Werksdirektor und seit Oktober 1975 als Generaldirektor. Zum 01. Oktober 1963 wurde er kraft Einzelvertrags in die Zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVtech; Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) aufgenommen. Er gehörte ferner seit dem 01. Februar 1974 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) an. Nach Berufung durch den Minister für Kohle und Energie M sowie Bestätigung durch Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees (ZK) der SED vom 05. Oktober 1979 war er mit Wirkung ab dem 01. Oktober 1979 bis einschließlich 20. Dezember 1989 war er als Stellvertreter des Ministers für Kohle und Energie der DDR tätig (Berufung vom Oktober 1979 sowie Einzelvertrag vom Oktober 1979) und gehörte der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (ZVStA; Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG; Beitrittsbestätigung vom 02. Oktober 1979) an. Mit Wirkung vom 21. Dezember 1989 wurde er von dieser Funktion abberufen. Am 22. März 1990 schloss einen Arbeitsvertrag mit dem Wirtschaftsverband Energieversorgung als Hauptgeschäftsführer. Die Einbeziehung in die AVtech wurde ab diesem Zeitpunkt weiter geführt.
Der Bruttojahresverdienst des Klägers betrug in der Zeit als Werksdirektor zwischen 26.621,00 und 33.070,75 Mark, in der Zeit als Generaldirektor zwischen 42.024,00 und 43.200,00 Mark sowie in der Zeit als stellvertretender Minister zwischen 41.100,00 und 45.000,00 Mark.
Mit Überführungs-/Feststellungsbescheid vom 29. Januar 1996 stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme und Rechtsvorgängerin der Beklagten die nach dem AAÜG relevanten Daten des Klägers im Zeitraum vom 01. Oktober 1963 bis zum 30. Juni 1990 fest. Sie ordnete die Zeiten vom 01. Oktober 1963 bis zum 30. September 1979 sowie vom 22. März bis zum 30. Juni 1990 der AVtech zu und die Zeiten vom 01. Oktober 1979 bis zum 21. März 1990 der ZVStA. Darüber hinaus stellte sie den tatsächlich erzielten (nachgewiesen) Bruttoentgelten bis 17. März 1990 die zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte, die sich nach Anwendung von §§ 6 Abs. 2 und 9, 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG sowie der Anlage 5 zum AAÜG (in der Fassung des Art. 3 Nr. 3a des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung – RüErgG – vom 24. Juni 1993) ergaben, gegenüber. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. März 1996). Während des sich anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin (SG) zu dem Aktenzeichen S 5 RA 2058/96 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 1997 die Daten zur Überführung aufgrund des AAÜG-ÄndG 1996 für Leistungszeiträume ab dem 01. Januar 1997 neu fest und erweiterte mit Ergänzungsbescheid vom 05. Dezember 2001 gemäß dem 2. AAÜG-ÄndG vom 27. Juli 2001 die Feststellungen bezüglich der Begrenzung ab dem 01. Oktober 1975 bis zum 17. März 1990 auf Leistungszeiträume ab dem 01. Juli 1993. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 hob sie ihre Feststellungen bezüglich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze gemäß dem 1. AAÜG-ÄndG für Leistungszeiträume ab dem 01. Juli 1993 für die Zeit vom 01. Oktober 1975 bis zum 30. September 1979 sowie vom 21. Dezember 1989 bis zum 17. März 1990 auf. Das Sozialgericht wies die Klage schließlich unter dem Az. S 5 RA 2058/96 WA 05 mit Gerichtsbescheid vom 27. Oktober 2010 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) durch Urteil vom 13. März 2013 (Az. L 16 R 1027/10) zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil des LSG verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 3. Juli 2013 unter dem Az. B 5 RS 18/13 B als unzulässig.
Am 16. November 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten sinngemäß, deren Feststellungsbescheid vom 20. März 1996 in der Fassung der Bescheide vom 23. Mai 1997, 05. Dezember 2001 und 14. Dezember 2005 (teilweise) zurückzunehmen und ihm für die Zeit seiner Zugehörigkeit zur ZVStA im Zeitraum vom 01. Dezember 1979 bis zum 20. Dezember 1989 einen neuen Feststellungsbescheid zu erteilen ohne für seine tatsächlichen Entgelte das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze festzustellen. Hierzu machte er im Wesentlichen geltend, er sei zwar stellvertretender Minister, jedoch lediglich "Bereichs-Stellvertreter" und nicht stimmberechtigt gewesen. Er habe nie als 1. Stellvertreter des Ministers fungiert und niemals an den Sitzungen des Ministerrats teilgenommen. Voraussetzung für die Rentenbeschneidung sei jedoch ein stimmberechtigter Auftritt im Staats- oder Ministerrat. Darüber hinaus habe bei ihm die vom Gesetzgeber in seiner Funktion unterstellte Erzielung überhöhter Einkünfte nicht vorgelegen, wie aus seinen Einkommensunterlagen ersichtlich sei. Er habe im streitigen Zeitraum sogar weniger verdient als zuvor in seiner Stellung als Generaldirektor und lediglich das 1,5fache eines Brigadiers im Bauwesen. Schließlich habe die Beklagte in einem gleich gelagerten Verfahren vor dem SG Cottbus ein Anerkenntnis abgegeben.
Mit Bescheid vom 03. Mai 2016 lehnte die Beklagte die Rücknahme der Feststellungsbescheide ab, da bei deren Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe. Die Sachlage sei eindeutig und die Rechtslage durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid vom 14. Dezember 2005 könne nicht zu Gunsten des Klägers geändert werden, da dieser nachweislich zum Personenkreis des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der Fassung des 1. AAÜG-ÄndG 2005 gehöre.
Hiergegen hat der Kläger am 20. August 2016 Klage vor dem SG erhoben. Nach teleologischer Auslegung der Regelungen im 1. AAÜG-ÄndG § 6 Abs. 2 Nr. 4 sei auf ihn die Begrenzung aus Anlage 5 nicht anwendbar. Sinn der oben genannten Rechtsnormen sei unter Beachtung des vorgesehenen Ziels die Korrektur eines Entgeltes, welches angeblich als Belohnung für Anpassung und Linientreue gezahlt worden sei. Dergleichen liege bei ihm aber nicht vor. Weder habe er ein höheres Gehalt als in seiner vorherigen Position als Generaldirektor bezogen, noch habe er über eine Stimmberechtigung im Ministerrat verfügt.
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 05. März 2018 abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, auf Verpflichtung der Beklagten zur (Teil-)Rücknahme der Feststellungsbescheide und Erteilung eines neuen Entgeltbescheides für den Zeitraum von Oktober 1979 bis Dezember 1989 ohne Entgeltbegrenzung, denn die Bescheide seien rechtmäßig und verletzten ihn nicht in seinen Rechten. Bereits die 5. Kammer des SG habe sich in ihrer Entscheidung vom 27. Oktober 2010 ebenso wie anschließend das LSG in seinem Berufungsurteil vom 13. März 2013 ausführlich mit den Voraussetzungen der Entgeltbegrenzung im streitigen Zeitraum befasst und diese für rechtmäßig gehalten. Dem schließe sich die erkennende Kammer nach eigener Prüfung an. Soweit der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag im Wesentlichen darauf verweise, dass er als stellvertretender Minister nicht stimmberechtigt gewesen sei, habe dieser Sachverhalt schon während des ersten Prozesses vorgelegen und hätte dort vorgebracht werden können. Im Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger vor der 78. Kammer des Sozialgerichts Berlin (S 78 R 5622/11), in welchem der Kläger ebenfalls durch seinen jetzigen Bevollmächtigten vertreten gewesen sei, habe er das Argument der fehlenden Stimmberechtigung zwar vorgebracht. Indessen sei es im dortigen Verfahren darauf nicht angekommen, weil der Rentenversicherungsträger an die Feststellungen des Versorgungsträgers gebunden sei. Gleichwohl sei der Kläger im dortigen Verfahren darauf hingewiesen worden, dass die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG – die bezüglich der stellvertretenden Minister gerade nicht auf die Stimmberechtigung abstelle – nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06. Juli 2010 (1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08) verfassungsgemäß sei. Danach verfüge der Gesetzgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum im Bereich der Rentenüberleitung. Auch habe ihm das Recht auf die typisierende Annahme zugestanden, dass das Entgelt zu einem erheblichen Anteil eine Belohnung für Anpassung und Linientreue gewesen sei. Mit der Billigung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG durch das BVerfG stehe fest, dass es bei Bekleidung des Postens eines stellvertretenden Ministers keiner individuellen Prüfung mehr bedürfe sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung der Tätigkeit (Stimmberechtigung) als auch der Entgelthöhe. Dies habe das BVerfG zuletzt in seinen Nichtannahmebeschlüssen vom 09. November 2017 - 1 BvR 1069/14 und 1 BvR 2369/14 - nochmals betont. Auch der Umstand, dass die Beklagte möglicherweise in einem anderen vergleichbaren Fall ein Anerkenntnis abgegeben habe, vermöge der hiesigen Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht".
Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 15. März 2018 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 10. April 2018 bei dem LSG eingegangene Berufung des Klägers, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren fortführt. Die Entscheidungen des BVerfG vom 06. Juli 2010 hätten einen vollwertigen Minister bzw. einen stimmberechtigten Stellvertreter eines Ministers betroffen und seien daher nicht mit seinem Fall vergleichbar. Aus der Formulierung des § 6 Abs. 4 Nr. 4 AAÜG sei nach den Regeln der deutschen Semantik abzuleiten, dass der angesprochene Minister und stellvertretende Minister stimmberechtigt sein müsse, da eben diese Eigenschaft hinsichtlich der Mitglieder von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter vorausgesetzt und angesprochen werde. Aus der Tatsache, dass das Gesetz den Staatssekretär nicht in den erfassten Personenkreis aufgenommen habe, folge zwingend, dass alle Funktionen ab dem Staatssekretär und darunter nicht von der Nr. 4 des § 6 Abs. 2 AAÜG erfasst werden sollten. Er selbst sei lediglich Bereichs-Stellvertreter ohne Stimmberechtigung gewesen und habe in der Hierarchie des Ministeriums unter dem Staatssekretär gestanden. Seine Funktion habe der eines Hauptabteilungsleiters entsprochen. Somit sei er nur ein leitender Wirtschaftsfunktionär gewesen. Er sei auch nicht vom Politbüro ernannt worden, wie in der Randnummer 77 der BVerfG-Entscheidung vom 06. Juli 2010 vorausgesetzt werde. Er sei im Zuge einer Reorganisation des Ministeriums für Kohle und Energie aufgrund seiner beruflichen Vorerfahrung als Generaldirektor des VVB Energieversorgung durch den Minister berufen und mit der Verantwortung für die Sicherheit der territorialen Energieversorgung betraut worden. Er habe sich bei keinem anderen Gremium vorstellen müssen. Ferner sei er nicht privilegiert gewesen, in Wandlitz einzukaufen oder dem MfS Weisungen zu erteilen. Der Kläger beantragt:
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 23 R 2245/16 vom 05. März 2018 wird aufgehoben.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 03. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2016 sowie die Bescheide vom 19. Januar 1996 in der Fassung der Bescheide vom 23. Mai 1997, 05. Dezember 2001 und 14. Dezember 2005 werden aufgehoben, soweit für die Zeit vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989 die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze festgestellt wurden,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt ferner zum Nachweis der Tatsache, dass er nicht zum Kreis der an der Spitze der staatlichen Verwaltung stehenden und durch das Politbüro berufenen Personen gehörte, vom Bundesarchiv in der Finkensteiner Allee 63, 12205 Berlin einzuholen: 1. Für das Ministerium für Kohle und Energie der DDR - die Funktionspläne für den Minister, ersten Stellvertreter und Bereichsstellvertreter/Abteilungsleiter - die Arbeitsordnung 2. Eine Auskunft zum Berufungsprozedere des Bereichsstellvertreters/Abteilungsleiters; Wer wurde durch das Politbüro der SED berufen? 3. Stand in der Hierarchie der Leitungsebene der Staatssekretär über dem Bereichsstellvertreter/Abteilungsleiter?
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die vom Kläger weitgehend nur behaupteten, aber nicht belegten individuell-klägerspezifischen Umstände seien bei der in diesem Fall vorzunehmenden rechtlichen Bewertung nicht von Bedeutung.
Mit Beschluss vom 12. September 2018 hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), jedoch unbegründet.
Zutreffend ist das SG zu dem Schluss gelangt, dass der auf der Grundlage von § 44 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ergangene Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 03. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2016 zutreffend ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Änderung bzw. teilweise Aufhebung des Überführungsbescheides der Beklagten in der zuletzt maßgeblichen Fassung des Bescheides vom 14. Dezember 2005 und Feststellung seiner tatsächlich erzielten Entgelte für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989 ohne das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG i.d.F. des 1. AAÜG-ÄndG.
Nach § 8 Abs. 1 AAÜG ist die Beklagte als Versorgungsträger i.S.v. § 8 Abs. 4 Nr. 1 AAÜG berufen, die dort genannten Daten vorzumerken, die für die Feststellung der Rangstelle und des Wertes der SGB VI-Rente durch den Rentenversicherungsträger von Bedeutung sein können. Dies sind nur die Daten über 1. Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, 2. die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, 3. die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (§§ 6 und 7 AAÜG) und 4. (in den Fällen des § 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) die Feststellung von Arbeitsausfalltagen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 2 AAÜG i.d.F. des 1. AAÜG-ÄndG ergeben sich im Fall des Klägers aus § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG. Danach wird das während der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 des AAÜG – hier der ZVStA (Zusatzversorgungssystem nach Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG) – maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zum jeweiligen Betrag der Anlage 5 zugrunde gelegt, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit als
"Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter"
ausgeübt wurde. Im Falle des Klägers liegen die zuvor aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen für die besondere Beitragsbemessungsgrenze unzweifelhaft vor.
Die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, dass die besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden ist, folgen bereits daraus, dass der Kläger in der Zeit vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989 als stellvertretender Minister dem Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG angehörte. Allein mit der Ausübung dieser Tätigkeit verbunden mit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 2 AAÜG gegeben, ohne dass die Beklagte weitere – aus dem geltenden Bundesrecht nicht ersichtliche – tatsächliche Voraussetzungen für die Anwendung dieser besonderen Beitragsbemessungsgrenze zu ermitteln oder festzustellen hatte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Wortlaut der Vorschrift eindeutig. Von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG werden 1. Minister, 2. stellvertretende Minister, 3. stimmberechtigte Mitglieder von Staats- oder Ministerrat sowie deren jeweilige Stellvertreter erfasst. Ausweislich des Berufungsschreibens des Ministers Mitzinger vom Oktober 1979, des Einzelvertrages vom Oktober 1979, des Abberufungsschreibens und des Sozialversicherungsausweises des Klägers war dieser in der streitigen Zeit als stellvertretender Minister im Ministerium für Kohle und Energie beschäftigt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich nicht, dass der stellvertretende Minister auch stimmberechtigt im Ministerrat gewesen sein muss. Dieses Erfordernis wird nur aufgestellt für die erfassten Mitglieder des Staats- und Ministerrates. Die Vorschrift enthält auch kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal eines Bezugs "überhöhter" Arbeitsverdienste sowie der tatsächlichen konkreten Inanspruchnahme von Privilegien.
Gründe, weshalb die vom Kläger geforderte einschränkende (teleologische) Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG dahingehend, dass nur im Ministerrat stimmberechtigte stellvertretende Minister, die ein individuell "überhöhtes" Arbeitsentgelt bezogen, geboten ist, sind zur Überzeugung des Senats auch nicht gegeben. Insbesondere ergibt sich für den Senat vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlautes der gesetzlichen Regelung, der die vom Kläger geforderten ergänzenden Tatbestandsmerkmale gerade nicht vorsieht, keinerlei Spielraum für eine derartige Auslegung contra legem. Eine planwidrige Gesetzeslücke ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift enthält auch weder einen unbestimmten Rechtsbegriff oder einen Beurteilungsspielraum noch eine Möglichkeit zur Ermessensausübung.
Auch angesichts der vielfach zitierten Entscheidung des BVerfG vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - ist eine teleologische Auslegung zur Herstellung der Vereinbarkeit der einfachgesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz (GG) nicht geboten. Denn das BVerfG hat die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der immer noch geltenden Fassung in seiner Entscheidung vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - ausdrücklich und damit mit der aus § 31 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) folgenden Gesetzeskraft für mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar erklärt hat (BVerfGE 126, 233, 234). In seiner Entscheidung vom 09. November 2017 – 1 BvR 2369/14 – hat das BVerfG die Verfassungsgemäßheit des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG i.d.F. des 1. AAÜG-ÄndG im Übrigen nochmals bestätigt.
Soweit der Kläger meint, eine teleologisch Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG sei zur Beseitigung von Widersprüchen mit dem "von der DDR-Volkskammer vorgesehenen Rechtsangleichungsgesetz und dem hierauf fußenden Einigungsvertrag Nr. 9b Satz 3 Ziffer 1 bis 9 hinsichtlich der dort angesprochenen Entscheidungskompetenz und Nomenklaturebene und somit dem angezeigten Adressatenkreis" geboten, erschließt sich dies dem Senat nicht. Gleiches gilt für die Argumentation des Klägers, da der "geborene" 1. Stellvertreter des Ministers – der Staatssekretär – in der Norm nicht aufgeführt sei, sei im Wege eines "Erst-Recht-schlusses" er persönlich als ein "weiterer", d.h. einer von vielen, stellvertretender Minister ebenfalls nicht erfasst. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob der Staatssekretär tatsächlich nicht vom Wortlaut des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG umfasst ist. Jedenfalls sind "stellvertretende Minister" explizit von der Norm erfasst. Allein die Tatsache, dass eine vom Gesetzgeber wörtlich eindeutig formulierte Norm in ihrer Gesamtgestalt "unlogisch" oder vielleicht auch handwerklich von schlechter Machart ist, eröffnet dem Senat als Teil der dritten Gewalt oder dem Rechtsanwender – hier der Beklagten - nicht die Möglichkeit, die Norm contra legem so auszulegen, dass sie aus der Sicht des jeweiligen Betrachters "logisch" oder "nachvollziehbar" wird.
Der Entscheidung des BVerfG vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - kann ferner nicht entnommen werden, dass die Regelung nur unter der Maßgabe, dass der konkret betroffene stellvertretende Minister tatsächlich ein Stimmrecht im Ministerrat hatte und auch tatsächlich ein "überhöhtes" Arbeitsentgelt bezog, verfassungsgemäß sei. Bereits in dem Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juni 2006 (S 35 RA 5653/97 WA finden sich Ausführungen dazu, dass in der DDR der Stellvertreter eines Ministers nach den einschlägigen Gehaltsregulativen weniger verdiente als ein Generaldirektor. Auch ist dem Urteil des BVerfG vom 06. Juli 2010 (1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08) zu entnehmen, dass der Bruttojahresarbeitsverdienst des stellvertretenden Ministers in dem vom Thüringer LSG vorgelegten Fall (L 6 R 885/05) von dem Bruttojahresarbeitsverdienst des Klägers nicht wesentlich abwich. Das BVerfG hat aber explizit ausgeführt (Rn. 75ff), dass § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG Funktionen auf höchster Staatsebene erfasste, bei denen in typisierender Betrachtungsweise der Schluss gerechtfertigt ist, dass die Position entscheidend durch Parteilichkeit und Systemtreue erlangt wurde und die gewährte Besoldung und Versorgung in ihrer Gesamtheit eben diese honorierte.
Die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personen standen an der Spitze der staatlichen Verwaltung. Mit der Berufung in diese Position war die Teilhabe an einem System vielfältiger Vergünstigungen verbunden, von dem der Durchschnittsbürger ausgeschlossen war. Die mit der Funktion eines Ministers oder stellvertretenden Ministers verbundene Selbstbegünstigung spiegelte sich nicht allein in der Entgelthöhe wider. Dies schloss das BVerfG u.a. aus den Äußerungen des Klägers vor dem SG bei seiner persönlichen Anhörung vor diesem Gericht entnehmen. Danach hatte dieser Anspruch auf Wohnungsversorgung aus dem Kontingent des Ministerrates, die Möglichkeit der Pacht eines Gartengrundstücks, Zugang zu Instandhaltungs- und Dekorationsarbeiten seitens der Wirtschaftsbetriebe des Ministerrats, Ferienaufenthalte in Ferienheimen der Regierung und Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern der Regierung. Dieser Befund trägt nach den Feststellungen des BVerfG im Rahmen des besonders weiten Einschätzungsermessens die Annahme des Gesetzgebers, dass unabhängig von der persönlichen und fachlichen Eignung im Einzelfall, die an solche Führungskräfte der DDR gezahlten Entgelte zu einem gewissen Teil nicht als durch Leistung erworben, sondern als Belohnung für politische Anpassung und unbedingte Erfüllung des Herrschaftsanspruchs der SED anzusehen sind. Er darf deshalb in Umsetzung des Einigungsvertrages, dass ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind, solche politisch motivierten Einkommensteile bei der Überführung der Renten und Anwartschaften in das Rentensystem der Bundesrepublik von der Berücksichtigung ausschließen. Die durch die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Mitarbeiter des Staatsapparates nachgewiesene Systemnähe und darüber hinaus noch die im Staatsapparat erreichte Höhe im System sind zusammengenommen hinreichende Anknüpfungspunkte für die typisierende Rentenbegrenzung des Gesetzgebers wegen überhöhter Honorierung. Ob der Kläger tatsächlich ihm offenstehende Privilegien in Anspruch genommen hat oder nicht, spielt angesichts der vom BVerfG gebilligten Typisierung gerade keine Rolle. Die Frage eines fehlenden Stimmrechts im Ministerrat begründet vor diesem Hintergrund auch keinen gegenüber der Entscheidung des BVerfG neuen Sachverhalt, denn auch ohne ein solches Stimmrecht hatte er eine herausgehobene politisch-gubernative Funktion inne.
Der Entscheidung des BVerfG vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - kann des Weiteren nicht entnommen werden, dass die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG nur unter der Maßgabe, dass der betroffene stellvertretende Minister direkt durch das Politbüro berufen worden ist, verfassungsgemäß sei. Ein derartiger Ausspruch findet sich nicht im Tenor der Entscheidung. Im Übrigen kann aus der vom Kläger herangezogenen Rn. 77 der BVerfG-Entscheidung nur herausgelesen werden, dass das BVerfG – zusammen mit dem Bundesgesetzgeber – davon ausging, dass die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personen ihre Position aufgrund einer Entscheidung der höchsten Entscheidungsgremien der DDR erhalten haben. Im Falle des Klägers ist unbekannt, inwieweit das vom BVerfG unter Berufung auf den Bundesgerichtshof (BGH) genannte Politbüro in seinen Berufungsprozess – etwa durch eine formelle oder informelle Zustimmung oder eine Rücksprache – eingebunden war. Der Kläger selbst hat angegeben, dass eine Vorstellung oder Gespräche bei anderen Stellen/Gremien als dem Minister nicht stattgefunden hätten. Auch wenn dies so war, ergibt sich aber aus dem in den Akten der Beklagten enthaltenen und vom Kläger selbst vorgelegten Einzelvertrag vom Oktober 1979 sowie dem auf dem von ihm ebenfalls vorgelegten Berufungsschreiben des Ministers befindlichen handschriftlichen Vermerk, dass die Berufung durch den zuständigen Minister der Bestätigung durch einen Beschluss des Sekretariats des ZK der SED bedurfte, damit es dann zur Anstellung kommen konnte. Laut Bundesarchiv wurde auf der 16. Tagung des Parteivorstandes der SED am 24. Januar 1949 die Bildung des Politbüros und des Kleinen Sekretariats (ab November 1949: Sekretariat des ZK) beschlossen. Die Sekretäre des ZK waren verantwortlich für die Erarbeitung von Vorlagen für Sitzungen des Politbüros und für die Kontrolle der Umsetzung der Beschlüsse in der politischen Arbeit der SED. Entsprechend der Geschäftsverteilung waren ihnen jeweils eine oder mehrere Abteilungen unterstellt. Das Sekretariat fungierte als Verbindungsglied zwischen Politbüro und Abteilungsleitern, regelte die Leitung und Organisation der täglichen Arbeit des Parteiapparates und kontrollierte nachgeordnete Gremien und Strukturteile. Es entwickelte sich zum wichtigsten Entscheidungsgremium bei der Besetzung leitender Funktionen im Staats-, Wirtschafts- und Parteiapparat sowie bei der Bildung der Kaderreserve der SED (https://www.bundesarchiv.de/sed-fdgb-netzwerk/glossar.html?q=Sekretariat+ des+ZK+%28Zentralkomitees%29p48). Damit gilt letztlich auch im Einzelfall des Klägers, dass seine Berufung auf eine Entscheidung eines der höchsten politischen Gremien der DDR, welches unmittelbar mit dem Politbüro zusammen- bzw. diesem zuarbeitete, zurückzuführen war. Es ist entsprechend den obenstehenden Erläuterungen des Bundesarchivs auch davon auszugehen, dass das ZK der SED im Rahmen seiner Kaderentscheidungen – wie in der DDR bei der Vergabe von Vergünstigungen und Leitungsfunktionen allgemein üblich (bereits im Antrag für die AVItech vom 24. September 1963 wurde auf eine klare politische Haltung des Klägers hingewiesen) - maßgeblich politisch-ideologische Kriterien berücksichtigte. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Berufungsentscheidung nicht auch sachliche Kriterien – hier die konkrete langjährige berufliche Vorerfahrung und fachliche Kompetenz des Klägers im Bereich territoriale Energieversorgung – zugrunde lagen.
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG trifft laut BVerfG in nicht zu beanstandender Weise eine pauschalierende Regelung, die gerade nicht auf die individuellen Umstände des Betroffenen (z.B. persönlicher Lebenslauf) abstellt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2017 – 1 BvR 2369/14 – juris Rn. 31). Die Tatsache, dass "leitende Wirtschaftsfunktionäre" unter Umständen mehr Geld verdienten als etwa ein stellvertretender Minister, führt auch zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Höhe des Verdienstes in Relation zu anderen Gutverdienern in der DDR ist kein gesetzliches Kriterium mehr für die Anwendung des § 6 Abs. 2 AAÜG, wie auch das BVerfG in seiner Entscheidung vom 06. Juli 2010 (BVerfG, Urteil vom 06. Juli 2010 - 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 – juris Rn. 67) ausgeführt hat. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Kläger dem MfS gegenüber Weisungen erteilen durfte (BVerfG, Urteil vom 06. Juli 2010 - 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 – juris Rn. 69).
Insgesamt hat der Kläger keine gegenüber den vorliegenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen neuen Aspekte aufgezeigt, die den Senat von der Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG überzeugen könnten.
Angesichts des Vorstehenden war den Beweisanträgen des Klägers nicht nachzukommen. Auf die konkreten Funktionspläne oder die Arbeitsordnung des Ministeriums für Kohle und Energie der DDR kommt es wegen des eindeutigen Wortlauts des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG nicht an. Es ist allein ausreichend, dass der Kläger als stellvertretender Minister beschäftigt war. Unter diesem Aspekt spielt ebenso wenig eine Rolle, ob der Staatssekretär in der Hierarchie der Leitungsebene über dem Bereichsstellvertreter stand. Letztlich ist auch die Frage, ob der Kläger unmittelbar durch das Politbüro in seine Funktion berufen wurde bzw. welche Leitungskader direkt vom Politbüro berufen wurden, nicht entscheidungserheblich.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens die Aufhebung der Feststellung des Sondertatbestandes im Sinne des (i.S.d.) § 6 Abs. 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) in der Fassung des 1. Gesetzes zur Änderung des AAÜG vom 21. Juni 2005 (1. AAÜG-ÄndG) für den Zeitraum vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989.
Der 1931 geborene Kläger war nach Abschluss eines Studiums an der technischen Universität D im Januar 1956 seit November 1956 beim VEB Energieversorgung Sund seit Juni 1958 beim VEB Verbundnetz West bzw. VVB Energieversorgung beschäftigt, und zwar seit Juli 1963 als Direktor für Betrieb, seit 1971 als Werksdirektor und seit Oktober 1975 als Generaldirektor. Zum 01. Oktober 1963 wurde er kraft Einzelvertrags in die Zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVtech; Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) aufgenommen. Er gehörte ferner seit dem 01. Februar 1974 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) an. Nach Berufung durch den Minister für Kohle und Energie M sowie Bestätigung durch Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees (ZK) der SED vom 05. Oktober 1979 war er mit Wirkung ab dem 01. Oktober 1979 bis einschließlich 20. Dezember 1989 war er als Stellvertreter des Ministers für Kohle und Energie der DDR tätig (Berufung vom Oktober 1979 sowie Einzelvertrag vom Oktober 1979) und gehörte der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (ZVStA; Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG; Beitrittsbestätigung vom 02. Oktober 1979) an. Mit Wirkung vom 21. Dezember 1989 wurde er von dieser Funktion abberufen. Am 22. März 1990 schloss einen Arbeitsvertrag mit dem Wirtschaftsverband Energieversorgung als Hauptgeschäftsführer. Die Einbeziehung in die AVtech wurde ab diesem Zeitpunkt weiter geführt.
Der Bruttojahresverdienst des Klägers betrug in der Zeit als Werksdirektor zwischen 26.621,00 und 33.070,75 Mark, in der Zeit als Generaldirektor zwischen 42.024,00 und 43.200,00 Mark sowie in der Zeit als stellvertretender Minister zwischen 41.100,00 und 45.000,00 Mark.
Mit Überführungs-/Feststellungsbescheid vom 29. Januar 1996 stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme und Rechtsvorgängerin der Beklagten die nach dem AAÜG relevanten Daten des Klägers im Zeitraum vom 01. Oktober 1963 bis zum 30. Juni 1990 fest. Sie ordnete die Zeiten vom 01. Oktober 1963 bis zum 30. September 1979 sowie vom 22. März bis zum 30. Juni 1990 der AVtech zu und die Zeiten vom 01. Oktober 1979 bis zum 21. März 1990 der ZVStA. Darüber hinaus stellte sie den tatsächlich erzielten (nachgewiesen) Bruttoentgelten bis 17. März 1990 die zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte, die sich nach Anwendung von §§ 6 Abs. 2 und 9, 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG sowie der Anlage 5 zum AAÜG (in der Fassung des Art. 3 Nr. 3a des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung – RüErgG – vom 24. Juni 1993) ergaben, gegenüber. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. März 1996). Während des sich anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin (SG) zu dem Aktenzeichen S 5 RA 2058/96 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 1997 die Daten zur Überführung aufgrund des AAÜG-ÄndG 1996 für Leistungszeiträume ab dem 01. Januar 1997 neu fest und erweiterte mit Ergänzungsbescheid vom 05. Dezember 2001 gemäß dem 2. AAÜG-ÄndG vom 27. Juli 2001 die Feststellungen bezüglich der Begrenzung ab dem 01. Oktober 1975 bis zum 17. März 1990 auf Leistungszeiträume ab dem 01. Juli 1993. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 hob sie ihre Feststellungen bezüglich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze gemäß dem 1. AAÜG-ÄndG für Leistungszeiträume ab dem 01. Juli 1993 für die Zeit vom 01. Oktober 1975 bis zum 30. September 1979 sowie vom 21. Dezember 1989 bis zum 17. März 1990 auf. Das Sozialgericht wies die Klage schließlich unter dem Az. S 5 RA 2058/96 WA 05 mit Gerichtsbescheid vom 27. Oktober 2010 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) durch Urteil vom 13. März 2013 (Az. L 16 R 1027/10) zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil des LSG verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 3. Juli 2013 unter dem Az. B 5 RS 18/13 B als unzulässig.
Am 16. November 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten sinngemäß, deren Feststellungsbescheid vom 20. März 1996 in der Fassung der Bescheide vom 23. Mai 1997, 05. Dezember 2001 und 14. Dezember 2005 (teilweise) zurückzunehmen und ihm für die Zeit seiner Zugehörigkeit zur ZVStA im Zeitraum vom 01. Dezember 1979 bis zum 20. Dezember 1989 einen neuen Feststellungsbescheid zu erteilen ohne für seine tatsächlichen Entgelte das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze festzustellen. Hierzu machte er im Wesentlichen geltend, er sei zwar stellvertretender Minister, jedoch lediglich "Bereichs-Stellvertreter" und nicht stimmberechtigt gewesen. Er habe nie als 1. Stellvertreter des Ministers fungiert und niemals an den Sitzungen des Ministerrats teilgenommen. Voraussetzung für die Rentenbeschneidung sei jedoch ein stimmberechtigter Auftritt im Staats- oder Ministerrat. Darüber hinaus habe bei ihm die vom Gesetzgeber in seiner Funktion unterstellte Erzielung überhöhter Einkünfte nicht vorgelegen, wie aus seinen Einkommensunterlagen ersichtlich sei. Er habe im streitigen Zeitraum sogar weniger verdient als zuvor in seiner Stellung als Generaldirektor und lediglich das 1,5fache eines Brigadiers im Bauwesen. Schließlich habe die Beklagte in einem gleich gelagerten Verfahren vor dem SG Cottbus ein Anerkenntnis abgegeben.
Mit Bescheid vom 03. Mai 2016 lehnte die Beklagte die Rücknahme der Feststellungsbescheide ab, da bei deren Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe. Die Sachlage sei eindeutig und die Rechtslage durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid vom 14. Dezember 2005 könne nicht zu Gunsten des Klägers geändert werden, da dieser nachweislich zum Personenkreis des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der Fassung des 1. AAÜG-ÄndG 2005 gehöre.
Hiergegen hat der Kläger am 20. August 2016 Klage vor dem SG erhoben. Nach teleologischer Auslegung der Regelungen im 1. AAÜG-ÄndG § 6 Abs. 2 Nr. 4 sei auf ihn die Begrenzung aus Anlage 5 nicht anwendbar. Sinn der oben genannten Rechtsnormen sei unter Beachtung des vorgesehenen Ziels die Korrektur eines Entgeltes, welches angeblich als Belohnung für Anpassung und Linientreue gezahlt worden sei. Dergleichen liege bei ihm aber nicht vor. Weder habe er ein höheres Gehalt als in seiner vorherigen Position als Generaldirektor bezogen, noch habe er über eine Stimmberechtigung im Ministerrat verfügt.
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 05. März 2018 abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, auf Verpflichtung der Beklagten zur (Teil-)Rücknahme der Feststellungsbescheide und Erteilung eines neuen Entgeltbescheides für den Zeitraum von Oktober 1979 bis Dezember 1989 ohne Entgeltbegrenzung, denn die Bescheide seien rechtmäßig und verletzten ihn nicht in seinen Rechten. Bereits die 5. Kammer des SG habe sich in ihrer Entscheidung vom 27. Oktober 2010 ebenso wie anschließend das LSG in seinem Berufungsurteil vom 13. März 2013 ausführlich mit den Voraussetzungen der Entgeltbegrenzung im streitigen Zeitraum befasst und diese für rechtmäßig gehalten. Dem schließe sich die erkennende Kammer nach eigener Prüfung an. Soweit der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag im Wesentlichen darauf verweise, dass er als stellvertretender Minister nicht stimmberechtigt gewesen sei, habe dieser Sachverhalt schon während des ersten Prozesses vorgelegen und hätte dort vorgebracht werden können. Im Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger vor der 78. Kammer des Sozialgerichts Berlin (S 78 R 5622/11), in welchem der Kläger ebenfalls durch seinen jetzigen Bevollmächtigten vertreten gewesen sei, habe er das Argument der fehlenden Stimmberechtigung zwar vorgebracht. Indessen sei es im dortigen Verfahren darauf nicht angekommen, weil der Rentenversicherungsträger an die Feststellungen des Versorgungsträgers gebunden sei. Gleichwohl sei der Kläger im dortigen Verfahren darauf hingewiesen worden, dass die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG – die bezüglich der stellvertretenden Minister gerade nicht auf die Stimmberechtigung abstelle – nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06. Juli 2010 (1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08) verfassungsgemäß sei. Danach verfüge der Gesetzgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum im Bereich der Rentenüberleitung. Auch habe ihm das Recht auf die typisierende Annahme zugestanden, dass das Entgelt zu einem erheblichen Anteil eine Belohnung für Anpassung und Linientreue gewesen sei. Mit der Billigung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG durch das BVerfG stehe fest, dass es bei Bekleidung des Postens eines stellvertretenden Ministers keiner individuellen Prüfung mehr bedürfe sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung der Tätigkeit (Stimmberechtigung) als auch der Entgelthöhe. Dies habe das BVerfG zuletzt in seinen Nichtannahmebeschlüssen vom 09. November 2017 - 1 BvR 1069/14 und 1 BvR 2369/14 - nochmals betont. Auch der Umstand, dass die Beklagte möglicherweise in einem anderen vergleichbaren Fall ein Anerkenntnis abgegeben habe, vermöge der hiesigen Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht".
Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 15. März 2018 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 10. April 2018 bei dem LSG eingegangene Berufung des Klägers, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren fortführt. Die Entscheidungen des BVerfG vom 06. Juli 2010 hätten einen vollwertigen Minister bzw. einen stimmberechtigten Stellvertreter eines Ministers betroffen und seien daher nicht mit seinem Fall vergleichbar. Aus der Formulierung des § 6 Abs. 4 Nr. 4 AAÜG sei nach den Regeln der deutschen Semantik abzuleiten, dass der angesprochene Minister und stellvertretende Minister stimmberechtigt sein müsse, da eben diese Eigenschaft hinsichtlich der Mitglieder von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter vorausgesetzt und angesprochen werde. Aus der Tatsache, dass das Gesetz den Staatssekretär nicht in den erfassten Personenkreis aufgenommen habe, folge zwingend, dass alle Funktionen ab dem Staatssekretär und darunter nicht von der Nr. 4 des § 6 Abs. 2 AAÜG erfasst werden sollten. Er selbst sei lediglich Bereichs-Stellvertreter ohne Stimmberechtigung gewesen und habe in der Hierarchie des Ministeriums unter dem Staatssekretär gestanden. Seine Funktion habe der eines Hauptabteilungsleiters entsprochen. Somit sei er nur ein leitender Wirtschaftsfunktionär gewesen. Er sei auch nicht vom Politbüro ernannt worden, wie in der Randnummer 77 der BVerfG-Entscheidung vom 06. Juli 2010 vorausgesetzt werde. Er sei im Zuge einer Reorganisation des Ministeriums für Kohle und Energie aufgrund seiner beruflichen Vorerfahrung als Generaldirektor des VVB Energieversorgung durch den Minister berufen und mit der Verantwortung für die Sicherheit der territorialen Energieversorgung betraut worden. Er habe sich bei keinem anderen Gremium vorstellen müssen. Ferner sei er nicht privilegiert gewesen, in Wandlitz einzukaufen oder dem MfS Weisungen zu erteilen. Der Kläger beantragt:
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 23 R 2245/16 vom 05. März 2018 wird aufgehoben.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 03. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2016 sowie die Bescheide vom 19. Januar 1996 in der Fassung der Bescheide vom 23. Mai 1997, 05. Dezember 2001 und 14. Dezember 2005 werden aufgehoben, soweit für die Zeit vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989 die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze festgestellt wurden,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt ferner zum Nachweis der Tatsache, dass er nicht zum Kreis der an der Spitze der staatlichen Verwaltung stehenden und durch das Politbüro berufenen Personen gehörte, vom Bundesarchiv in der Finkensteiner Allee 63, 12205 Berlin einzuholen: 1. Für das Ministerium für Kohle und Energie der DDR - die Funktionspläne für den Minister, ersten Stellvertreter und Bereichsstellvertreter/Abteilungsleiter - die Arbeitsordnung 2. Eine Auskunft zum Berufungsprozedere des Bereichsstellvertreters/Abteilungsleiters; Wer wurde durch das Politbüro der SED berufen? 3. Stand in der Hierarchie der Leitungsebene der Staatssekretär über dem Bereichsstellvertreter/Abteilungsleiter?
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die vom Kläger weitgehend nur behaupteten, aber nicht belegten individuell-klägerspezifischen Umstände seien bei der in diesem Fall vorzunehmenden rechtlichen Bewertung nicht von Bedeutung.
Mit Beschluss vom 12. September 2018 hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), jedoch unbegründet.
Zutreffend ist das SG zu dem Schluss gelangt, dass der auf der Grundlage von § 44 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ergangene Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 03. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2016 zutreffend ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Änderung bzw. teilweise Aufhebung des Überführungsbescheides der Beklagten in der zuletzt maßgeblichen Fassung des Bescheides vom 14. Dezember 2005 und Feststellung seiner tatsächlich erzielten Entgelte für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989 ohne das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG i.d.F. des 1. AAÜG-ÄndG.
Nach § 8 Abs. 1 AAÜG ist die Beklagte als Versorgungsträger i.S.v. § 8 Abs. 4 Nr. 1 AAÜG berufen, die dort genannten Daten vorzumerken, die für die Feststellung der Rangstelle und des Wertes der SGB VI-Rente durch den Rentenversicherungsträger von Bedeutung sein können. Dies sind nur die Daten über 1. Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, 2. die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, 3. die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (§§ 6 und 7 AAÜG) und 4. (in den Fällen des § 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) die Feststellung von Arbeitsausfalltagen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 2 AAÜG i.d.F. des 1. AAÜG-ÄndG ergeben sich im Fall des Klägers aus § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG. Danach wird das während der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 des AAÜG – hier der ZVStA (Zusatzversorgungssystem nach Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG) – maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zum jeweiligen Betrag der Anlage 5 zugrunde gelegt, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit als
"Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter"
ausgeübt wurde. Im Falle des Klägers liegen die zuvor aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen für die besondere Beitragsbemessungsgrenze unzweifelhaft vor.
Die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, dass die besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden ist, folgen bereits daraus, dass der Kläger in der Zeit vom 01. Oktober 1979 bis zum 20. Dezember 1989 als stellvertretender Minister dem Zusatzversorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG angehörte. Allein mit der Ausübung dieser Tätigkeit verbunden mit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 2 AAÜG gegeben, ohne dass die Beklagte weitere – aus dem geltenden Bundesrecht nicht ersichtliche – tatsächliche Voraussetzungen für die Anwendung dieser besonderen Beitragsbemessungsgrenze zu ermitteln oder festzustellen hatte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Wortlaut der Vorschrift eindeutig. Von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG werden 1. Minister, 2. stellvertretende Minister, 3. stimmberechtigte Mitglieder von Staats- oder Ministerrat sowie deren jeweilige Stellvertreter erfasst. Ausweislich des Berufungsschreibens des Ministers Mitzinger vom Oktober 1979, des Einzelvertrages vom Oktober 1979, des Abberufungsschreibens und des Sozialversicherungsausweises des Klägers war dieser in der streitigen Zeit als stellvertretender Minister im Ministerium für Kohle und Energie beschäftigt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich nicht, dass der stellvertretende Minister auch stimmberechtigt im Ministerrat gewesen sein muss. Dieses Erfordernis wird nur aufgestellt für die erfassten Mitglieder des Staats- und Ministerrates. Die Vorschrift enthält auch kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal eines Bezugs "überhöhter" Arbeitsverdienste sowie der tatsächlichen konkreten Inanspruchnahme von Privilegien.
Gründe, weshalb die vom Kläger geforderte einschränkende (teleologische) Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG dahingehend, dass nur im Ministerrat stimmberechtigte stellvertretende Minister, die ein individuell "überhöhtes" Arbeitsentgelt bezogen, geboten ist, sind zur Überzeugung des Senats auch nicht gegeben. Insbesondere ergibt sich für den Senat vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlautes der gesetzlichen Regelung, der die vom Kläger geforderten ergänzenden Tatbestandsmerkmale gerade nicht vorsieht, keinerlei Spielraum für eine derartige Auslegung contra legem. Eine planwidrige Gesetzeslücke ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift enthält auch weder einen unbestimmten Rechtsbegriff oder einen Beurteilungsspielraum noch eine Möglichkeit zur Ermessensausübung.
Auch angesichts der vielfach zitierten Entscheidung des BVerfG vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - ist eine teleologische Auslegung zur Herstellung der Vereinbarkeit der einfachgesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz (GG) nicht geboten. Denn das BVerfG hat die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der immer noch geltenden Fassung in seiner Entscheidung vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - ausdrücklich und damit mit der aus § 31 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) folgenden Gesetzeskraft für mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar erklärt hat (BVerfGE 126, 233, 234). In seiner Entscheidung vom 09. November 2017 – 1 BvR 2369/14 – hat das BVerfG die Verfassungsgemäßheit des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG i.d.F. des 1. AAÜG-ÄndG im Übrigen nochmals bestätigt.
Soweit der Kläger meint, eine teleologisch Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG sei zur Beseitigung von Widersprüchen mit dem "von der DDR-Volkskammer vorgesehenen Rechtsangleichungsgesetz und dem hierauf fußenden Einigungsvertrag Nr. 9b Satz 3 Ziffer 1 bis 9 hinsichtlich der dort angesprochenen Entscheidungskompetenz und Nomenklaturebene und somit dem angezeigten Adressatenkreis" geboten, erschließt sich dies dem Senat nicht. Gleiches gilt für die Argumentation des Klägers, da der "geborene" 1. Stellvertreter des Ministers – der Staatssekretär – in der Norm nicht aufgeführt sei, sei im Wege eines "Erst-Recht-schlusses" er persönlich als ein "weiterer", d.h. einer von vielen, stellvertretender Minister ebenfalls nicht erfasst. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob der Staatssekretär tatsächlich nicht vom Wortlaut des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG umfasst ist. Jedenfalls sind "stellvertretende Minister" explizit von der Norm erfasst. Allein die Tatsache, dass eine vom Gesetzgeber wörtlich eindeutig formulierte Norm in ihrer Gesamtgestalt "unlogisch" oder vielleicht auch handwerklich von schlechter Machart ist, eröffnet dem Senat als Teil der dritten Gewalt oder dem Rechtsanwender – hier der Beklagten - nicht die Möglichkeit, die Norm contra legem so auszulegen, dass sie aus der Sicht des jeweiligen Betrachters "logisch" oder "nachvollziehbar" wird.
Der Entscheidung des BVerfG vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - kann ferner nicht entnommen werden, dass die Regelung nur unter der Maßgabe, dass der konkret betroffene stellvertretende Minister tatsächlich ein Stimmrecht im Ministerrat hatte und auch tatsächlich ein "überhöhtes" Arbeitsentgelt bezog, verfassungsgemäß sei. Bereits in dem Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juni 2006 (S 35 RA 5653/97 WA finden sich Ausführungen dazu, dass in der DDR der Stellvertreter eines Ministers nach den einschlägigen Gehaltsregulativen weniger verdiente als ein Generaldirektor. Auch ist dem Urteil des BVerfG vom 06. Juli 2010 (1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08) zu entnehmen, dass der Bruttojahresarbeitsverdienst des stellvertretenden Ministers in dem vom Thüringer LSG vorgelegten Fall (L 6 R 885/05) von dem Bruttojahresarbeitsverdienst des Klägers nicht wesentlich abwich. Das BVerfG hat aber explizit ausgeführt (Rn. 75ff), dass § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG Funktionen auf höchster Staatsebene erfasste, bei denen in typisierender Betrachtungsweise der Schluss gerechtfertigt ist, dass die Position entscheidend durch Parteilichkeit und Systemtreue erlangt wurde und die gewährte Besoldung und Versorgung in ihrer Gesamtheit eben diese honorierte.
Die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personen standen an der Spitze der staatlichen Verwaltung. Mit der Berufung in diese Position war die Teilhabe an einem System vielfältiger Vergünstigungen verbunden, von dem der Durchschnittsbürger ausgeschlossen war. Die mit der Funktion eines Ministers oder stellvertretenden Ministers verbundene Selbstbegünstigung spiegelte sich nicht allein in der Entgelthöhe wider. Dies schloss das BVerfG u.a. aus den Äußerungen des Klägers vor dem SG bei seiner persönlichen Anhörung vor diesem Gericht entnehmen. Danach hatte dieser Anspruch auf Wohnungsversorgung aus dem Kontingent des Ministerrates, die Möglichkeit der Pacht eines Gartengrundstücks, Zugang zu Instandhaltungs- und Dekorationsarbeiten seitens der Wirtschaftsbetriebe des Ministerrats, Ferienaufenthalte in Ferienheimen der Regierung und Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern der Regierung. Dieser Befund trägt nach den Feststellungen des BVerfG im Rahmen des besonders weiten Einschätzungsermessens die Annahme des Gesetzgebers, dass unabhängig von der persönlichen und fachlichen Eignung im Einzelfall, die an solche Führungskräfte der DDR gezahlten Entgelte zu einem gewissen Teil nicht als durch Leistung erworben, sondern als Belohnung für politische Anpassung und unbedingte Erfüllung des Herrschaftsanspruchs der SED anzusehen sind. Er darf deshalb in Umsetzung des Einigungsvertrages, dass ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind, solche politisch motivierten Einkommensteile bei der Überführung der Renten und Anwartschaften in das Rentensystem der Bundesrepublik von der Berücksichtigung ausschließen. Die durch die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Mitarbeiter des Staatsapparates nachgewiesene Systemnähe und darüber hinaus noch die im Staatsapparat erreichte Höhe im System sind zusammengenommen hinreichende Anknüpfungspunkte für die typisierende Rentenbegrenzung des Gesetzgebers wegen überhöhter Honorierung. Ob der Kläger tatsächlich ihm offenstehende Privilegien in Anspruch genommen hat oder nicht, spielt angesichts der vom BVerfG gebilligten Typisierung gerade keine Rolle. Die Frage eines fehlenden Stimmrechts im Ministerrat begründet vor diesem Hintergrund auch keinen gegenüber der Entscheidung des BVerfG neuen Sachverhalt, denn auch ohne ein solches Stimmrecht hatte er eine herausgehobene politisch-gubernative Funktion inne.
Der Entscheidung des BVerfG vom 06. Juli 2010 – 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 - kann des Weiteren nicht entnommen werden, dass die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG nur unter der Maßgabe, dass der betroffene stellvertretende Minister direkt durch das Politbüro berufen worden ist, verfassungsgemäß sei. Ein derartiger Ausspruch findet sich nicht im Tenor der Entscheidung. Im Übrigen kann aus der vom Kläger herangezogenen Rn. 77 der BVerfG-Entscheidung nur herausgelesen werden, dass das BVerfG – zusammen mit dem Bundesgesetzgeber – davon ausging, dass die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personen ihre Position aufgrund einer Entscheidung der höchsten Entscheidungsgremien der DDR erhalten haben. Im Falle des Klägers ist unbekannt, inwieweit das vom BVerfG unter Berufung auf den Bundesgerichtshof (BGH) genannte Politbüro in seinen Berufungsprozess – etwa durch eine formelle oder informelle Zustimmung oder eine Rücksprache – eingebunden war. Der Kläger selbst hat angegeben, dass eine Vorstellung oder Gespräche bei anderen Stellen/Gremien als dem Minister nicht stattgefunden hätten. Auch wenn dies so war, ergibt sich aber aus dem in den Akten der Beklagten enthaltenen und vom Kläger selbst vorgelegten Einzelvertrag vom Oktober 1979 sowie dem auf dem von ihm ebenfalls vorgelegten Berufungsschreiben des Ministers befindlichen handschriftlichen Vermerk, dass die Berufung durch den zuständigen Minister der Bestätigung durch einen Beschluss des Sekretariats des ZK der SED bedurfte, damit es dann zur Anstellung kommen konnte. Laut Bundesarchiv wurde auf der 16. Tagung des Parteivorstandes der SED am 24. Januar 1949 die Bildung des Politbüros und des Kleinen Sekretariats (ab November 1949: Sekretariat des ZK) beschlossen. Die Sekretäre des ZK waren verantwortlich für die Erarbeitung von Vorlagen für Sitzungen des Politbüros und für die Kontrolle der Umsetzung der Beschlüsse in der politischen Arbeit der SED. Entsprechend der Geschäftsverteilung waren ihnen jeweils eine oder mehrere Abteilungen unterstellt. Das Sekretariat fungierte als Verbindungsglied zwischen Politbüro und Abteilungsleitern, regelte die Leitung und Organisation der täglichen Arbeit des Parteiapparates und kontrollierte nachgeordnete Gremien und Strukturteile. Es entwickelte sich zum wichtigsten Entscheidungsgremium bei der Besetzung leitender Funktionen im Staats-, Wirtschafts- und Parteiapparat sowie bei der Bildung der Kaderreserve der SED (https://www.bundesarchiv.de/sed-fdgb-netzwerk/glossar.html?q=Sekretariat+ des+ZK+%28Zentralkomitees%29p48). Damit gilt letztlich auch im Einzelfall des Klägers, dass seine Berufung auf eine Entscheidung eines der höchsten politischen Gremien der DDR, welches unmittelbar mit dem Politbüro zusammen- bzw. diesem zuarbeitete, zurückzuführen war. Es ist entsprechend den obenstehenden Erläuterungen des Bundesarchivs auch davon auszugehen, dass das ZK der SED im Rahmen seiner Kaderentscheidungen – wie in der DDR bei der Vergabe von Vergünstigungen und Leitungsfunktionen allgemein üblich (bereits im Antrag für die AVItech vom 24. September 1963 wurde auf eine klare politische Haltung des Klägers hingewiesen) - maßgeblich politisch-ideologische Kriterien berücksichtigte. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Berufungsentscheidung nicht auch sachliche Kriterien – hier die konkrete langjährige berufliche Vorerfahrung und fachliche Kompetenz des Klägers im Bereich territoriale Energieversorgung – zugrunde lagen.
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG trifft laut BVerfG in nicht zu beanstandender Weise eine pauschalierende Regelung, die gerade nicht auf die individuellen Umstände des Betroffenen (z.B. persönlicher Lebenslauf) abstellt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2017 – 1 BvR 2369/14 – juris Rn. 31). Die Tatsache, dass "leitende Wirtschaftsfunktionäre" unter Umständen mehr Geld verdienten als etwa ein stellvertretender Minister, führt auch zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Höhe des Verdienstes in Relation zu anderen Gutverdienern in der DDR ist kein gesetzliches Kriterium mehr für die Anwendung des § 6 Abs. 2 AAÜG, wie auch das BVerfG in seiner Entscheidung vom 06. Juli 2010 (BVerfG, Urteil vom 06. Juli 2010 - 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 – juris Rn. 67) ausgeführt hat. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Kläger dem MfS gegenüber Weisungen erteilen durfte (BVerfG, Urteil vom 06. Juli 2010 - 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 – juris Rn. 69).
Insgesamt hat der Kläger keine gegenüber den vorliegenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen neuen Aspekte aufgezeigt, die den Senat von der Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG überzeugen könnten.
Angesichts des Vorstehenden war den Beweisanträgen des Klägers nicht nachzukommen. Auf die konkreten Funktionspläne oder die Arbeitsordnung des Ministeriums für Kohle und Energie der DDR kommt es wegen des eindeutigen Wortlauts des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG nicht an. Es ist allein ausreichend, dass der Kläger als stellvertretender Minister beschäftigt war. Unter diesem Aspekt spielt ebenso wenig eine Rolle, ob der Staatssekretär in der Hierarchie der Leitungsebene über dem Bereichsstellvertreter stand. Letztlich ist auch die Frage, ob der Kläger unmittelbar durch das Politbüro in seine Funktion berufen wurde bzw. welche Leitungskader direkt vom Politbüro berufen wurden, nicht entscheidungserheblich.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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