L 3 AL 2612/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 1858/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2612/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei einer Entscheidung, ob das Berufungsverfahren durch Rücknahme der Berufung beendet ist, steht einer Entscheidung durch Beschluss entsprechend § 153 Abs. 4 SGG der Umstand, dass das SG über die Klage durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG entschieden hat, jedenfalls dann nicht entgegen, wenn eine Feststellung erfolgt, dass das Berufungsverfahren durch Berufungsrücknahme erledigt ist. Das LSG entscheidet in diesem Fall nicht in der Sache selbst.
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 3 AL 4148/17 durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob das Berufungsverfahren L 3 AL 4148/17 durch Rücknahme der Berufung beendet worden ist.

Der 1978 geborene Kläger erhob gegen den (Änderungs-) Bescheid der Beklagten vom 06.03.2017, mit welchem ihm Arbeitslosengeld bis zum 24.07.2017 bewilligt worden war, mit Schreiben vom 03.05.2017 Widerspruch. Den Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2017 als unzulässig, weil der Widerspruch nicht binnen eines Monats (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingereicht worden sei.

Der Kläger hat hiergegen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben (S 11 AL 1858/17). Das SG hat den Vortrag des Klägers dahingehend ausgelegt, dass er die Gewährung von Arbeitslosengeld auch für die Zeit ab dem 25.07.2017 begehre, und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.09.2017 abgewiesen, weil die Beklagte den Widerspruch zu Recht wegen Verfristung als unzulässig verworfen habe.

Hiergegen hat der Kläger am 30.10.2017 form- und fristgerecht Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, die das Az. L 3 AL 4148/17 erhalten hat.

Auf den von dem Kläger gestellten Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 06.03.2017 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hat die Beklagte mit Bescheid vom 19.12.2017 entschieden, dass der Bescheid vom 06.03.2017 unverändert bleibe. Außerdem hat sie darin u.a. ausgeführt: "Sie beziehen sich auf das Schreiben vom 12. Dezember 2016, aus dem hervorgeht, dass Ihnen Arbeitslosengeld nach § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III gezahlt wird. Dies gilt auch für das mit Änderungsbescheid vom 06. März 2017 bewilligte Arbeitslosengeld."

Aufgrund neuer Erkenntnisse hinsichtlich eines Anspruchs des Klägers auf Krankengeld hat die Beklagte dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 08.05.2018 Arbeitslosengeld bis zum 14.12.2017 bewilligt.

Am 22.06.2018 hat der Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Kläger hat hierbei erläutert, dass er den Bescheid vom 06.03.2017 für nichtig erachte, weil darin die Vorschrift des § 145 SGB III nicht genannt werde; eine entsprechende Klarstellung sei nach seiner Auffassung dringend erforderlich. Nach Hinweis, dass der Umstand, dass in dem Bescheid vom 06.03.2017 der § 145 SGB III nicht genannt wird, nicht zur Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit des Bescheids führe und die Beklagte bereits in ihrem Überprüfungsbescheid vom 19.12.2017 eine entsprechende Klarstellung vorgenommen habe, hat die Vertreterin der Beklagten bei weiterhin bestehenden Bedenken des Klägers schließlich nochmals zu Protokoll erklärt: "Die Gewährung des Arbeitslosengeldes ab dem 18. November 2016 erfolgte vor dem Hintergrund der Regelung des § 145 SGB III." Der Kläger hat daraufhin erklärt: "Ich nehme die Berufung L 3 AL 4148/17 und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren hiermit zurück." Diese Erklärung ist auf einen Ton-/Datenträger vorläufig aufgezeichnet, abgespielt und von dem Kläger genehmigt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll, welches den Beteiligten mit Schreiben vom 27.06.2018 übersandt worden ist, Bezug genommen.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 25.06.2018 die Erstattung von Auslagen in Höhe von 119,92 Euro geltend gemacht hatte, ist mit Beschluss vom 09.07.2018 entschieden worden, dass außergerichtliche Kosten des Klägers gemäß § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zu erstatten sind. Dieser Beschluss ist dem Kläger nebst weiteren Erläuterungen mit Schreiben vom 10.07.2018 übersandt worden.

Mit am 17.07.2018 beim LSG Baden-Württemberg eingegangenem Schreiben vom 15.07.2018 hat der Kläger "Berufung bzw. Beschwerde oder anderswertig zum Beschluss und Protokoll 27.06.2018 und 10.07.2018" erhoben und hierzu ausgeführt: "Sie haben mir versichert im Erörterungstermin, dass sie die gesamten Kosten die entstanden sind mit der Beklagten verrechnen und das sie mir versichern das dieser Bescheid nicht nichtig ist und in den Rechtsstand zurück erheben, weil der Paragraph 145 fehlt und er daher nicht ausgeführt hätte werden dürfen. Im Gegenzug sollte ich die Klage und die Verfahrenshilfe zurückziehen. Irgendwie sind hier Missverständnisse aufgekommen und daher werde ich die Klage und die Verfahrenshilfe nicht zurückziehen."

Der Kläger beantragt somit sinngemäß,

das Berufungsverfahren L 3 AL 4148/17 fortzusetzen.

Die Beklagte trägt zu der begehrten Fortsetzung des Verfahrens nichts vor.

Mit Schreiben vom 19.07.2018 hat das Bundessozialgericht (BSG) dem Senat mitgeteilt, dass dort ein Rechtsmittel des Klägers gegen die Entscheidung (Protokoll) vom 22.06.2018 eingegangen sei (B 11 AL 9/18 R).

Der Senat hat die Beteiligten mit den Schreiben vom 02.08.2018, dem Kläger zugestellt am 03.08.2018, darauf hingewiesen, dass – soweit der Kläger in seinem Schreiben vom 15.07.2018 ausführe, dass er die Klage nicht zurückziehe – dies als Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 AL 4148/17 (Rücknahme der Berufung im Termin am 22.06.2018) gewertet und das Verfahren nun unter dem Aktenzeichen L 3 AL 2612/18 geführt werde. Außerdem ist darauf hingewiesen worden, dass das LSG gemäß § 153 Abs. 4 SGG außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen könne, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Vorschrift sei entsprechend anwendbar bei der Entscheidung über die Frage, ob das Berufungsverfahren durch Berufungsrücknahme beendet worden sei. Da das Gericht davon ausgehe, dass die Berufung L 3 AL 4148/17 durch Rücknahme der Berufung erledigt sei, sei eine Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG beabsichtigt. Es ist Gelegenheit zur Äußerung zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG bis zum 27.08.2018 gegeben worden.

Der Kläger hat daraufhin mit Schreiben vom 03.08.2018 mitgeteilt, er "habe Beschwerde, Erinnerung, Revision oder anderswertig beim Bundessozialgericht Aktenzeichen B 11 AL 9/18 R entgegen den letzten Beschluss bzw. Protokoll Schreiben 27.06.2018 Verfahren L 3 AL 4148/17 Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt." Eine Verfahrensaufteilung liege nicht in seinem Sinn, das Verfahren vor dem BSG sei maßgebend.

Der Senat hat dem Kläger sodann mit Schreiben vom 08.08.2018 mitgeteilt, dass er Kenntnis von dem Verfahren B 11 AL 9/18 R habe und hinsichtlich des weiteren Vorgehens auf das Schreiben des Senats vom 02.08.2018 verwiesen.

Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 12.08.2018 nochmals im Wesentlichen bekräftigt, dass das vor dem BSG geführte Verfahren maßgebend sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.

II.

Dem Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 AL 4148/17 kann nicht entsprochen werden, da dieses Verfahren durch die Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Der Senat hat – wie den Beteiligten mit den Schreiben vom 02.08.2018 mitgeteilt – das Schreiben des Klägers vom 15.07.2018 als Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 AL 4148/17 ausgelegt (vgl. auch Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 156 Rn. 88). Über die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme ist in Fortsetzung des Rechtsstreits zu entscheiden, in dem sie erklärt wurde (BSG, Urteil vom 26.07.1989, 11 RAr 31/88, juris). Das LSG entscheidet entweder dahin, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme erledigt ist, oder zur Sache, wobei in den Entscheidungsgründen ausgeführt wird, dass die Rücknahme nicht erklärt oder unwirksam ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 156 Rn. 6).

Der Senat entscheidet in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da er den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG kann das LSG außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 153 Abs. 4 SGG ist entsprechend für eine Entscheidung, ob das Berufungsverfahren durch Rücknahme der Berufung beendet ist, anwendbar (Keller, a.a.O., § 153 Rn. 14 und § 156 Rn. 6; Burkiczak, a.a.O., § 156 Rn. 89). Dabei steht einer Entscheidung durch Beschluss entsprechend § 153 Abs. 4 SGG der Umstand, dass das SG – wie hier – über die Klage durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG entschieden hat, jedenfalls dann nicht entgegen, wenn – wie vorliegend – eine Feststellung erfolgt, dass das Berufungsverfahren durch Berufungsrücknahme erledigt ist. Denn das Gesetz will zwar gewährleisten, dass die in Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich garantierte mündliche Verhandlung auch in einfacheren Fällen jedenfalls in der ersten oder in der zweiten Tatsacheninstanz gewährt wird und nicht in beiden Instanzen entfällt (vgl. Keller, a.a.O., § 153 Rn. 14). Wird nun aber eine Entscheidung durch Beschluss im Rahmen der Entscheidung über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme für möglich erachtet (vgl. die oben genannten Fundstellen), dann besteht diese Möglichkeit jedenfalls im Falle der Feststellung der Berufungsrücknahme auch dann, wenn das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, denn in dieser Konstellation entscheidet das LSG nicht in der Sache selbst. Bereits diese Erwägungen zeigen, dass für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Notwendigkeit besteht. Vorliegend kommt noch die Besonderheit hinzu, dass das von dem SG auf Gewährung von Arbeitslosengeld über den 24.07.2017 hinaus ausgelegte Begehren von dem Kläger im Berufungsverfahren gar nicht (mehr) geltend gemacht worden ist und er hinsichtlich seines zuletzt noch verfolgten Begehrens (Aufnahme des § 145 SGB III in den Bescheid vom 06.03.2017 bzw. Bestätigung, dass die Gewährung des Arbeitslosengeldes im Hinblick auf § 145 SGB III erfolgte) unter Berücksichtigung der bereits in dem Bescheid vom 19.12.2017 erfolgten Bestätigung und der (nochmals) von der Vertreterin der Beklagten am 22.06.2018 zu Protokoll erklärten Klarstellung letztlich klaglos gestellt ist. Außerdem ist zu beachten, dass der Kläger im Rahmen des am 22.06.2018 durchgeführten Erörterungstermins die Möglichkeit hatte, sein Anliegen ausführlich persönlich vorzutragen. Auch im Übrigen sind Gründe weder ersichtlich noch vorgetragen worden, aufgrund derer der Senat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.2014, B 13 R 157/14 B, juris) zu dem Ergebnis kommen müsste, dass hier eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Die Beteiligten sind auch zuvor mit den Schreiben des Senats vom 02.08.2018 gemäß § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG gehört worden. Auf das Schreiben des Klägers vom 03.08.2018 ist hinsichtlich des weiteren Vorgehens auf diese Anhörungsmitteilung verwiesen worden. Bezüglich des Schreibens des Klägers vom 12.08.2018 war weder eine erneute Anhörungsmitteilung erforderlich noch die ausführliche Anhörungsmitteilung vom 02.08.2018 zu ergänzen. Denn eine neue prozessuale Lage ist hierdurch nicht eingetreten (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 14.06.2018, B 9 SB 92/17 B, juris). Der Senat hat den Vortrag des Klägers zur Kenntnis genommen, was im Hinblick auf den Inhalt des Schreibens des Klägers vom 12.08.2018 ausreichend ist (vgl. BSG a.a.O.).

Es ist festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 3 AL 4148/17 durch Berufungsrücknahme erledigt ist. Denn der Kläger hat die Berufung in dem Erörterungstermin am 22.06.2018 eindeutig und formgerecht zu Protokoll, mithin wirksam, zurückgenommen. Die Zurücknahme bewirkt gemäß § 156 Abs. 3 Satz 1 SGG den Verlust des Rechtsmittels.

Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist grundsätzlich unwiderruflich (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 06.12.1996, 8 C 33/95, juris). Die Berufungsrücknahme kann auch grundsätzlich nicht wirksam wegen Irrtums angefochten werden (BVerwG a.a.O.; BSG, Beschluss vom 19.03.2002, B 9 V 75/01 B, juris). Soweit der Kläger also in seinem Schreiben vom 15.07.2018 ausführt, dass "Missverständnisse" aufgekommen seien, mag dies der Fall sein, ist aber unerheblich. Nur der Vollständigkeit halber wird auch noch darauf hingewiesen, dass dem Kläger auch keineswegs "versichert" worden ist, dass "die gesamten Kosten" mit der Beklagten "verrechnet" würden. Im Rahmen der Erörterung der Berufungsrücknahme am 22.06.2018 ist auf die Frage des Klägers, welche Auswirkungen dies auf die Gerichtskosten habe, erläutert worden, dass in dem Verfahren L 3 AL 4148/17 keine Gerichtskosten nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) erhoben werden. Auf weitere Frage des Klägers, ob er der Beklagten Kosten erstatten müsse, ist dargelegt worden, dass dies nicht der Fall sei. Schließlich ist mitgeteilt worden, dass die Kosten des Klägers für die Wahrnehmung des Termins am 22.06.2018 gemäß den einschlägigen Vorschriften erstattet werden. Weiteres ist hinsichtlich einer Kostentragung nicht erörtert worden. Der Kläger hat die Erstattung seiner Auslagen dann auch erstmals mit Schreiben vom 25.06.2018 geltend gemacht.

Nach alledem ist das Berufungsverfahren L 3 AL 4148/17 durch Rücknahme der Berufung im Erörterungstermin am 22.06.2018 erledigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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