Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 22 KR 295/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 51/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 74/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Krankengeld zum Ruhen gekommen ist, weil der Beklagten keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegen hat.
Der damals 51-jährige Kläger war als Werkzeugschleifer und Polierer beschäftigt, bei der Beklagten pflichtversichert und seit dem 30. Oktober 2015 arbeitsunfähig. Während des Bezuges von Krankengeld stellte die Allgemeinmedizinerin Dr. T. am 25. Februar 2015 eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit wegen eines nicht näher bezeichneten Hirninfarkts (ICD-10 I63.9 G) bis zum 21. März 2016 fest.
In einem Gutachten nach Untersuchung des Klägers vom 4. März 2016 verneinte die Anästhesiologin Dr. B. vom Sozialmedizinischen Dienst H. der Beklagten Arbeitsfähigkeit, ohne bereits einen Termin für deren voraussichtlichen Eintritt zu benennen. Sie schlug eine Wiederholungsbegutachtung in der am 23. Mai des Jahres beginnenden 21. Kalenderwoche vor. In ihrem Bericht vom 7. März 2016 führte sie aus, der Kläger müsse sicher noch längere Zeit physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen, bis er wieder arbeitsfähig sei.
Die am 21. März 2016 über eine an diesem Tag getroffene Feststellung ausgestellte Folgebescheinigung von Dr. T. über den Zeitraum bis zum 21. April 2016 erreichte die Beklagte nach deren Eingangsstempel am 19. April 2016.
Mit Bescheid vom 21. April 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Krankengeldanspruch ruhe für die Zeit vom 21. März bis zum 18. April 2016. Dagegen erhob der Kläger am 10. Mai 2016 Widerspruch. Er teilte mit, seine Hausärztin habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 22. März 2016, nämlich vor ihrem Urlaub, zusammen mit anderen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Geschäftsstelle der Beklagten in E. geschickt. Die Ärztin versicherte unter dem 10. Mai 2016 eidesstattlich, sie habe am 22. März 2016 die Absendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen veranlasst. Sie habe damit, wie auch die anderen Male in der Vergangenheit alles in ihrer Macht Stehende getan, um den Brief auf den Weg zu bringen.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2016 half die Beklagte dem Widerspruch nur hinsichtlich der Zahlung von Krankengeld für den 21. März 2016 ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte aus, gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhe der Anspruch auf Krankengeld bis zur erneuten Meldung der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht der Krankenkasse innerhalb einer Frist von einer Woche gemeldet worden sei. Dies gelte auch angesichts erneuter Inanspruchnahme von Krankengeld bei ununterbrochenem Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit. Dadurch solle die Krankenkasse in die Lage versetzt werden, zeitnah eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vornehmen zu lassen. Die Meldung sei eine Obliegenheit des Versicherten, ohne dass es insoweit auf dessen Verschulden ankomme. Zwar reiche auch die Übersendung der Bescheinigung durch den Arzt aus; die Übermittlungsgefahr liege aber beim Versicherten. Die Lage sei nicht anders als bei einem Verlust der Meldung bei der Post.
Mit der am 24. August 2016 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei wie in den Monaten zuvor zusammen mit weiteren Bescheinigungen verschickt worden, im Hinblick auf die es nicht zur Einstellung einer Krankengeldzahlung gekommen sei. Die Absendung durch die Hausärztin sei umgehend vor ihrem Urlaubsantritt erfolgt. Dazu habe die Ärztin von der Beklagten sogar Freiumschläge erhalten, um die Übersendung zu vereinfachen.
Die Beklagte habe Kenntnis von seiner Arbeitsunfähigkeit gehabt, die sich aus dem Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes ergebe. Ihm selbst habe das Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht früher auffallen können, da die Beklagte selbst das Krankengeld für die Zeit vor dem 21. März 2016 erst am 27. April 2016 gezahlt habe.
Das Sozialgericht hat eine schriftliche Auskunft von Dr. T. vom 21. November 2016 eingeholt, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 30 – 33 d. A. Bezug genommen wird. Im Wesentlichen hat sie mitgeteilt, wenn bei einem Patienten die Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden sei, habe er die Bescheinigung für den Arbeitgeber in die Hand bekommen. Die Bescheinigung für die Krankenkasse sei umgehend in den Umschlag der betreffenden Krankenkasse eingelegt worden. Zur Umsetzung dieser Vorgehensweise seien von mehreren Krankenkassen Freiumschläge zur Verfügung gestellt worden; die übrigen Krankenkassen hätten dieses Verfahren schon vor einiger Zeit eingestellt. Die anfallenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien in den zutreffenden Umschlägen in einem Ablagefach an der Rezeption gesammelt und jede Woche spätestens vor dem Wochenende, sonst vor längeren Feiertagspausen und vor anstehendem Urlaub, durch Einwurf in den Briefkasten abgeschickt worden. In dem Umschlag vom 21. März 2016 habe sich nach ihrer Tagesliste auch noch die Erstbescheinigung eines anderen Patienten befunden, wie die Beklagte selbst feststellen könne. Auch andere Terminspost vom gleichen Tage habe ihren Empfänger rechtzeitig erreicht. Ein Eingang der Bescheinigung sei für Mittwoch oder Donnerstag vor Ostern bei der Beklagten zu erwarten gewesen. Mittlerweile versende sie keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr. Das beigefügte Muster eines Freiumschlags trägt die Anschrift der Geschäftsstelle E ...
Die Beklagte hat mitgeteilt, der Brief sei in ihrer Geschäftsstelle in E. eingegangen, wie aus dem Eingangsstempel (trotz der Aufschrift GST M./E.) zu ersehen sei. Der Stempel werde vor der Weiterleitung zum Digitalisierungszentrum angebracht. Die Post gehe auf jeden Fall in die Poststelle und werde täglich mit Eingangsstempeln versehen. Die dafür zuständigen Mitarbeiter wechselten. Es liege eine zweite Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Dr. T. vom 21. März 2016 vor, die auch am 22. März 2016 dort eingegangen sei. Dafür sei die Erstbescheinigung für dieselbe Versicherte vom 15. März 2016 erst am 29. März 2016 dort eingegangen. Von der behaupteten Postbehandlung sei daher nicht auszugehen. Die Geschäftsstellen könnten Ärzten Freiumschläge zur Verfügung stellen. Das Fachzentrum für Krankengeld stelle nur Umschläge zur Verfügung, die an die Zentrale in Essen zu senden seien. Insoweit sei Dr. T. nicht in den Verteiler für eine regelmäßige Zusendung aufgenommen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 22. März bis 18. April 2016 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 52,32 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 SGB V greife nicht ein. Denn die Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei durch die Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes bekannt gewesen. Die möglicherweise verspätete Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gehe auch nicht zu Lasten des Klägers. Grundsätzlich stelle es eine Obliegenheit des Versicherten dar, das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit innerhalb von einer Woche nach der Feststellung zu melden. Das Ruhen dürfe aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dem Anspruch nicht entgegengehalten werden, wenn die Feststellung oder Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verzögert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem Versicherten zuzurechnen sei. Solche Umstände seien hier gegeben, weil die Beklagte durch die Überlassung von Freiumschlägen und eine damit verbundene Abrede mit Ärzten zur Übersendung von Bescheinigungen direkt an die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, wonach der Versicherte – ggf. auch von den Folgen von Versäumnissen der Ärztin – entlastet werden solle. Diese Risikoverteilung entspreche auch der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Hier kämen verschiedene Gesichtspunkte zusammen wie die Überlassung der Umschläge an die Ärztin, die bisher gut funktionierende Praxis der Übersendung der Bescheinigungen durch die Ärztin und die erst kurz zuvor durch den Sozialmedizinischen Dienst festgestellte Arbeitsunfähigkeit, die insgesamt keine Risikoverteilung zu Lasten des Versicherten rechtfertigten, der alles Mögliche getan habe, der Kasse eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zukommen zu lassen. Zudem habe die Beklagte den Kläger nicht darüber aufgeklärt, dass es für die Vermeidung des Ruhens nicht der Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedurft hätte, sondern die Mitteilung in mündlicher Form oder per E-Mail (zunächst) ausgereicht hätte. Denn schon eine solche Mitteilung ermögliche der Beklagten ggf. für erforderlich gehaltene zeitnahe Ermittlungen.
Gegen das ihr am 6. Juli 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. August 2017 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die Meldung der Arbeitsunfähigkeit stelle grundsätzlich eine Obliegenheit des Versicherten dar. Die Folgen habe er unabhängig von einem Verschulden an einer verspäteten Meldung zu tragen. Die Grenzen der Obliegenheit seien erreicht, wenn die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die im Verantwortungsbereich der Krankenkasse lägen. Ärztliches Fehlverhalten könne nicht ohne weiteres der Krankenkasse zugerechnet werden. Auch in der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 22/15 R) sei nur unter engen Voraussetzungen eine Ausnahme für eine Fehleinschätzung des Arztes über die Notwendigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemacht worden. Mit der Überlassung der Freiumschläge habe sie aber lediglich ein freiwilliges und freigestelltes Angebot gemacht, das den Verantwortungsbereich für die Meldung weiterhin beim Kläger belasse und das keine Folgen zu Lasten der Solidargemeinschaft zeitige. Insoweit sei sein Vertrauen auch nicht schutzwürdig. Er habe die Bescheinigung selbst versenden können. Die zitierte Rechtsprechung betreffe im Übrigen die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und nicht deren Meldung. Zudem sei die Praxis der zur Verfügung gestellten Freiumschläge nicht zur Benachrichtigung bei Krankengeldzahlung, sondern für Benachrichtigungen in Fällen nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz eingeführt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. Mai 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er schließt sich dem Urteil des Sozialgerichts an und betont, durch die Überlassung von Freiumschlägen und die damit verbundene Abrede der Übersendung der Bescheinigungen von Ärzten direkt an die Beklagte sei eine Vertrauensgrundlage geschaffen worden, die er nicht habe überprüfen müssen. Bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit habe er in der Praxis von Dr. T. schon nur die Ausfertigung für den Arbeitgeber ausgehändigt bekommen. Über eine eigene Verpflichtung zur Benachrichtigung der Beklagten habe er sich angesichts der zuvor problemlosen Abwicklung keine Gedanken gemacht.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat am 27. September 2018 zu Protokoll des Gerichts zugestimmt.
Bei der Entscheidung hat die Akte der Beklagten – Vers.-Nr. C863573422 – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2016 beschwert den Kläger im Sinne von § 157 S. 1, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil er auch für die Zeit vom 22. März bis zum 18. April 2016 Anspruch auf die Zahlung von Krankengeld in der unstrittigen Höhe von kalendertäglich 52,32 EUR hat.
Zutreffend ist zwischen den Beteiligten unstrittig, dass der Kläger gem. § 44 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V – i. d. F. d. G. v. 26.3.2007, BGBl. I S. 378) die Anspruchsvoraussetzungen erfüllte, weil er arbeitsunfähig war und als Beschäftigter nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Der Anspruch des Klägers ist gem. § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V (i. d. F. d. G. v. 16.7.2015, BGBl. I S. 1211) jedenfalls auch durch die ärztliche Feststellung von Dr. T. am 21. März 2016 entstanden.
Der Anspruch des Klägers hat nicht für den umstrittenen Zeitraum gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geruht. Die Arbeitsunfähigkeit über den 21. März 2016 hinaus war der Beklagten bereits durch das am 10. März 2016 dort eingegangene Gutachten von Dr. B. durch ihren Sozialmedizinischen Dienst gemeldet worden. Eine solche Meldung scheitert nicht etwa daran, dass sie nicht vom Kläger selbst gemacht worden ist. Eine persönliche Meldung ist weder Gegenstand des Gesetzeswortlautes noch der damit verfolgten Regelung (vgl. zur früheren Rechtslage BSG, Urt. v. 13.4.1967 – 5 RKn 76/64, Juris, Rdnr. 19).
Das auf einer Untersuchung vom 4. März 2016 beruhende Gutachten wurde in der Zeit festgestellter Arbeitsunfähigkeit erstellt, die bis zum 21. März 2016 andauerte. Nach der sozialmedizinischen Einschätzung lag weiter Arbeitsunfähigkeit auf Zeit vor. Zweifel an der bis zum 21. März 2016 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit oder die Erwartung des Eintritts der Arbeitsfähigkeit nach Ablauf des bescheinigten Zeitraums teilt die Gutachterin nicht mit. Dies ist von Bedeutung, weil eine solche Einschätzung zum erfragten Inhalt des Gutachtens gehörte. Die durch Ankreuzen zu beantwortende Frage nach der Möglichkeit zur Verrichtung der letzten Tätigkeit verneint die Gutachterin aber einschränkungslos und lässt die dazu in Gegensatz gestellte Bejahungsmöglichkeit mit der Mitteilung eines kalendarisch bestimmbaren Eintritts der Arbeitsfähigkeit offen. Stattdessen führt sie im Volltext aus, der Versicherte müsse bis zum Eintritt der Arbeitsfähigkeit noch "längere Zeit" physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen. Dass damit jedenfalls kein Zeitraum von einzelnen Wochen gemeint ist, zeigt sich daran, dass eine Überprüfung mit Vorlage auch physiotherapeutischer Befundberichte erst wieder nach etwa zwei Monaten für sinnvoll erachtet wird.
Diesen, eine deutlich über den 21. März 2016 andauernde Arbeitsunfähigkeit ankündigenden Äußerungen der sozialmedizinischen Gutachterin kommt deshalb zusätzliche Bedeutung zu, weil es gerade wesentlicher Sinn der Meldeobliegenheit ist, eine zeitnahe Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Dienste zu ermöglichen, um Leistungsmissbräuchen entgegen zu treten (BSG, Urt. v. 8.2.2000 – B 1 KR 11/99 R, zitiert nach Juris, Rdnr. 18). Denn es wäre widersinnig, die zeitnahen Feststellungen des Sozialmedizinischen Dienstes unberücksichtigt zu lassen, um dann festzustellen, dass diesem die Möglichkeit zur rechtzeitigen Überprüfung einer Arbeitsunfähigkeit genommen worden wäre. Dies gilt umso mehr, wenn dieser selbst eine Überprüfung erst wieder nach Monaten für sinnvoll erachtet hat.
Darüber hinaus kann ein Ruhen des Krankengeldanspruchs dem Kläger nicht entgegengehalten werden, weil er durch Organisationsmaßnahmen im Verantwortungsbereich der Beklagten davon abgebracht worden ist, sich selbst um eine zeitnahe Meldung der neuen Bescheinigung zu kümmern (zu dem allgemeinen Rechtssatz BSG, a.a.O., Rdnr. 19, Urt. v. 28.10.1981 – 3 RK 59/80 – zitiert nach Juris). Dabei ist das Verhalten von Dr. T. bei der Organisation ihrer vertragsärztlichen Praxis jedenfalls insoweit dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen, als die Beklagte diese – bewusst oder unbewusst – zu einem Verfahren ermutigt hat, das den Kläger davon abbrachte, sich seine Verantwortung für die Meldung zu vergegenwärtigen (zur Verteilung der Verantwortungsbereiche bei vertragsärztlichen Fehlern allgemein BSG, Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 22/15 R, Juris, Rdnr. 32 f.).
Das von der Beklagten durch Aushändigung von Freiumschlägen an Dr. T. geförderte Verfahren der Direktübersendung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Beklagte führte dazu, dass dem Kläger die Übernahme seiner Verantwortung für die rechtzeitige Übersendung der Bescheinigungen erschwert wurde. Dass die Beklagte Dr. T. durch die Geschäftsstelle E. solche Umschläge zur Verfügung gestellt hat, bestreitet sie nicht; ein solcher Umschlag liegt in der Akte vor. Die Schilderung von Dr. T. ist nach dem beschriebenen Zusammenhang einer längerfristig geübten Praxis über mehrere Krankenkassen hinweg auch stimmig und glaubhaft. Die Beklagte kann ihrer Verantwortung für die darauf gegründete Praxis nicht entgegenhalten, die Übersendung der Freiumschläge sei zu ganz anderen Zwecken, nämlich Benachrichtigungen nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz erfolgt. Denn sie hat gleichwohl der von Dr. T. gehandhabten Praxis, ihr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Grundlage von Krankengeldzahlungen direkt zuzuleiten, nicht widersprochen. Damit hat sie einen Irrtum bei Dr. T. unterhalten, den sie ursächlich angestoßen und an dem der Kläger keinen Anteil hatte.
Durch die Förderung und Duldung der Vorgehensweise, ihr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt durch die Arztpraxen zu übermitteln, nahm die Beklagte in Kauf, dass ihren Versicherten die eigene Übernahme der Verantwortung für die Übersendung erschwert wurde. Denn es war vorhersehbar, dass die unmittelbare Übersendung durch die Praxis von den Versicherten nicht nach Abwägung aller Gesichtspunkte im Einzelfall als Serviceleistung gewählt, sondern als eine im Krankenbehandlungsbetrieb bestimmte Verwaltungspraxis hingenommen wurde, von der ein Abweichen sich als Misstrauen gegenüber dem Praxispersonal dargestellt hätte. Die Beschreibung durch den Kläger und durch Dr. T. zeigt, dass die Übersendung auch in einem solche Sinne gehandhabt wurde. Denn danach wurde den Versicherten schon nur noch die Bescheinigung für den Arbeitgeber "in die Hand" gegeben, während die für die Krankenkasse erst gar nicht den Gewahrsam des Praxispersonals verließ. Diese Vorgehensweise war geeignet, dem Versicherten gegenüber seine Verantwortung für die Übermittlung der Bescheinigung zu verschleiern, die bei einer Aushändigung mit der deutlichen Vordruckkennzeichnung als Exemplar für die Krankenkasse auch im übertragenen Sinne auf der Hand liegt.
Auch die Nachverfolgung des Postlaufs wird der Verantwortung des Versicherten faktisch entzogen. Denn während es bei einer eigenen Übersendung ein unverfänglicher Ausdruck von Sorgfalt ist, sich durch Nachfragen bei der Krankenkasse des fristgerechten Eingangs der Meldung zu versichern, stellt sich dies bei der von der Beklagten geförderten Praxis als Einmischung und Misstrauen gegenüber dem Praxispersonal dar. Mit diesem ist aber typischerweise eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erwünscht und für Behandlungserfolge auch erforderlich.
Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG folgt hier dem Obsiegen des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf einer durch die angeführte Rechtsprechung gesicherten Rechtlage beruht. Auch praktisch besteht kein Klärungsbedürfnis, da die zum Streit führende Verwaltungspraxis nicht mehr besteht.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Krankengeld zum Ruhen gekommen ist, weil der Beklagten keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegen hat.
Der damals 51-jährige Kläger war als Werkzeugschleifer und Polierer beschäftigt, bei der Beklagten pflichtversichert und seit dem 30. Oktober 2015 arbeitsunfähig. Während des Bezuges von Krankengeld stellte die Allgemeinmedizinerin Dr. T. am 25. Februar 2015 eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit wegen eines nicht näher bezeichneten Hirninfarkts (ICD-10 I63.9 G) bis zum 21. März 2016 fest.
In einem Gutachten nach Untersuchung des Klägers vom 4. März 2016 verneinte die Anästhesiologin Dr. B. vom Sozialmedizinischen Dienst H. der Beklagten Arbeitsfähigkeit, ohne bereits einen Termin für deren voraussichtlichen Eintritt zu benennen. Sie schlug eine Wiederholungsbegutachtung in der am 23. Mai des Jahres beginnenden 21. Kalenderwoche vor. In ihrem Bericht vom 7. März 2016 führte sie aus, der Kläger müsse sicher noch längere Zeit physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen, bis er wieder arbeitsfähig sei.
Die am 21. März 2016 über eine an diesem Tag getroffene Feststellung ausgestellte Folgebescheinigung von Dr. T. über den Zeitraum bis zum 21. April 2016 erreichte die Beklagte nach deren Eingangsstempel am 19. April 2016.
Mit Bescheid vom 21. April 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Krankengeldanspruch ruhe für die Zeit vom 21. März bis zum 18. April 2016. Dagegen erhob der Kläger am 10. Mai 2016 Widerspruch. Er teilte mit, seine Hausärztin habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 22. März 2016, nämlich vor ihrem Urlaub, zusammen mit anderen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Geschäftsstelle der Beklagten in E. geschickt. Die Ärztin versicherte unter dem 10. Mai 2016 eidesstattlich, sie habe am 22. März 2016 die Absendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen veranlasst. Sie habe damit, wie auch die anderen Male in der Vergangenheit alles in ihrer Macht Stehende getan, um den Brief auf den Weg zu bringen.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2016 half die Beklagte dem Widerspruch nur hinsichtlich der Zahlung von Krankengeld für den 21. März 2016 ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte aus, gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhe der Anspruch auf Krankengeld bis zur erneuten Meldung der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht der Krankenkasse innerhalb einer Frist von einer Woche gemeldet worden sei. Dies gelte auch angesichts erneuter Inanspruchnahme von Krankengeld bei ununterbrochenem Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit. Dadurch solle die Krankenkasse in die Lage versetzt werden, zeitnah eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vornehmen zu lassen. Die Meldung sei eine Obliegenheit des Versicherten, ohne dass es insoweit auf dessen Verschulden ankomme. Zwar reiche auch die Übersendung der Bescheinigung durch den Arzt aus; die Übermittlungsgefahr liege aber beim Versicherten. Die Lage sei nicht anders als bei einem Verlust der Meldung bei der Post.
Mit der am 24. August 2016 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei wie in den Monaten zuvor zusammen mit weiteren Bescheinigungen verschickt worden, im Hinblick auf die es nicht zur Einstellung einer Krankengeldzahlung gekommen sei. Die Absendung durch die Hausärztin sei umgehend vor ihrem Urlaubsantritt erfolgt. Dazu habe die Ärztin von der Beklagten sogar Freiumschläge erhalten, um die Übersendung zu vereinfachen.
Die Beklagte habe Kenntnis von seiner Arbeitsunfähigkeit gehabt, die sich aus dem Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes ergebe. Ihm selbst habe das Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht früher auffallen können, da die Beklagte selbst das Krankengeld für die Zeit vor dem 21. März 2016 erst am 27. April 2016 gezahlt habe.
Das Sozialgericht hat eine schriftliche Auskunft von Dr. T. vom 21. November 2016 eingeholt, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 30 – 33 d. A. Bezug genommen wird. Im Wesentlichen hat sie mitgeteilt, wenn bei einem Patienten die Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden sei, habe er die Bescheinigung für den Arbeitgeber in die Hand bekommen. Die Bescheinigung für die Krankenkasse sei umgehend in den Umschlag der betreffenden Krankenkasse eingelegt worden. Zur Umsetzung dieser Vorgehensweise seien von mehreren Krankenkassen Freiumschläge zur Verfügung gestellt worden; die übrigen Krankenkassen hätten dieses Verfahren schon vor einiger Zeit eingestellt. Die anfallenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien in den zutreffenden Umschlägen in einem Ablagefach an der Rezeption gesammelt und jede Woche spätestens vor dem Wochenende, sonst vor längeren Feiertagspausen und vor anstehendem Urlaub, durch Einwurf in den Briefkasten abgeschickt worden. In dem Umschlag vom 21. März 2016 habe sich nach ihrer Tagesliste auch noch die Erstbescheinigung eines anderen Patienten befunden, wie die Beklagte selbst feststellen könne. Auch andere Terminspost vom gleichen Tage habe ihren Empfänger rechtzeitig erreicht. Ein Eingang der Bescheinigung sei für Mittwoch oder Donnerstag vor Ostern bei der Beklagten zu erwarten gewesen. Mittlerweile versende sie keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr. Das beigefügte Muster eines Freiumschlags trägt die Anschrift der Geschäftsstelle E ...
Die Beklagte hat mitgeteilt, der Brief sei in ihrer Geschäftsstelle in E. eingegangen, wie aus dem Eingangsstempel (trotz der Aufschrift GST M./E.) zu ersehen sei. Der Stempel werde vor der Weiterleitung zum Digitalisierungszentrum angebracht. Die Post gehe auf jeden Fall in die Poststelle und werde täglich mit Eingangsstempeln versehen. Die dafür zuständigen Mitarbeiter wechselten. Es liege eine zweite Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Dr. T. vom 21. März 2016 vor, die auch am 22. März 2016 dort eingegangen sei. Dafür sei die Erstbescheinigung für dieselbe Versicherte vom 15. März 2016 erst am 29. März 2016 dort eingegangen. Von der behaupteten Postbehandlung sei daher nicht auszugehen. Die Geschäftsstellen könnten Ärzten Freiumschläge zur Verfügung stellen. Das Fachzentrum für Krankengeld stelle nur Umschläge zur Verfügung, die an die Zentrale in Essen zu senden seien. Insoweit sei Dr. T. nicht in den Verteiler für eine regelmäßige Zusendung aufgenommen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 22. März bis 18. April 2016 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 52,32 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 SGB V greife nicht ein. Denn die Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei durch die Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes bekannt gewesen. Die möglicherweise verspätete Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gehe auch nicht zu Lasten des Klägers. Grundsätzlich stelle es eine Obliegenheit des Versicherten dar, das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit innerhalb von einer Woche nach der Feststellung zu melden. Das Ruhen dürfe aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dem Anspruch nicht entgegengehalten werden, wenn die Feststellung oder Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verzögert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem Versicherten zuzurechnen sei. Solche Umstände seien hier gegeben, weil die Beklagte durch die Überlassung von Freiumschlägen und eine damit verbundene Abrede mit Ärzten zur Übersendung von Bescheinigungen direkt an die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, wonach der Versicherte – ggf. auch von den Folgen von Versäumnissen der Ärztin – entlastet werden solle. Diese Risikoverteilung entspreche auch der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Hier kämen verschiedene Gesichtspunkte zusammen wie die Überlassung der Umschläge an die Ärztin, die bisher gut funktionierende Praxis der Übersendung der Bescheinigungen durch die Ärztin und die erst kurz zuvor durch den Sozialmedizinischen Dienst festgestellte Arbeitsunfähigkeit, die insgesamt keine Risikoverteilung zu Lasten des Versicherten rechtfertigten, der alles Mögliche getan habe, der Kasse eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zukommen zu lassen. Zudem habe die Beklagte den Kläger nicht darüber aufgeklärt, dass es für die Vermeidung des Ruhens nicht der Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedurft hätte, sondern die Mitteilung in mündlicher Form oder per E-Mail (zunächst) ausgereicht hätte. Denn schon eine solche Mitteilung ermögliche der Beklagten ggf. für erforderlich gehaltene zeitnahe Ermittlungen.
Gegen das ihr am 6. Juli 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. August 2017 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die Meldung der Arbeitsunfähigkeit stelle grundsätzlich eine Obliegenheit des Versicherten dar. Die Folgen habe er unabhängig von einem Verschulden an einer verspäteten Meldung zu tragen. Die Grenzen der Obliegenheit seien erreicht, wenn die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die im Verantwortungsbereich der Krankenkasse lägen. Ärztliches Fehlverhalten könne nicht ohne weiteres der Krankenkasse zugerechnet werden. Auch in der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 22/15 R) sei nur unter engen Voraussetzungen eine Ausnahme für eine Fehleinschätzung des Arztes über die Notwendigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemacht worden. Mit der Überlassung der Freiumschläge habe sie aber lediglich ein freiwilliges und freigestelltes Angebot gemacht, das den Verantwortungsbereich für die Meldung weiterhin beim Kläger belasse und das keine Folgen zu Lasten der Solidargemeinschaft zeitige. Insoweit sei sein Vertrauen auch nicht schutzwürdig. Er habe die Bescheinigung selbst versenden können. Die zitierte Rechtsprechung betreffe im Übrigen die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und nicht deren Meldung. Zudem sei die Praxis der zur Verfügung gestellten Freiumschläge nicht zur Benachrichtigung bei Krankengeldzahlung, sondern für Benachrichtigungen in Fällen nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz eingeführt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. Mai 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er schließt sich dem Urteil des Sozialgerichts an und betont, durch die Überlassung von Freiumschlägen und die damit verbundene Abrede der Übersendung der Bescheinigungen von Ärzten direkt an die Beklagte sei eine Vertrauensgrundlage geschaffen worden, die er nicht habe überprüfen müssen. Bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit habe er in der Praxis von Dr. T. schon nur die Ausfertigung für den Arbeitgeber ausgehändigt bekommen. Über eine eigene Verpflichtung zur Benachrichtigung der Beklagten habe er sich angesichts der zuvor problemlosen Abwicklung keine Gedanken gemacht.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat am 27. September 2018 zu Protokoll des Gerichts zugestimmt.
Bei der Entscheidung hat die Akte der Beklagten – Vers.-Nr. C863573422 – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2016 beschwert den Kläger im Sinne von § 157 S. 1, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil er auch für die Zeit vom 22. März bis zum 18. April 2016 Anspruch auf die Zahlung von Krankengeld in der unstrittigen Höhe von kalendertäglich 52,32 EUR hat.
Zutreffend ist zwischen den Beteiligten unstrittig, dass der Kläger gem. § 44 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V – i. d. F. d. G. v. 26.3.2007, BGBl. I S. 378) die Anspruchsvoraussetzungen erfüllte, weil er arbeitsunfähig war und als Beschäftigter nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Der Anspruch des Klägers ist gem. § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V (i. d. F. d. G. v. 16.7.2015, BGBl. I S. 1211) jedenfalls auch durch die ärztliche Feststellung von Dr. T. am 21. März 2016 entstanden.
Der Anspruch des Klägers hat nicht für den umstrittenen Zeitraum gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geruht. Die Arbeitsunfähigkeit über den 21. März 2016 hinaus war der Beklagten bereits durch das am 10. März 2016 dort eingegangene Gutachten von Dr. B. durch ihren Sozialmedizinischen Dienst gemeldet worden. Eine solche Meldung scheitert nicht etwa daran, dass sie nicht vom Kläger selbst gemacht worden ist. Eine persönliche Meldung ist weder Gegenstand des Gesetzeswortlautes noch der damit verfolgten Regelung (vgl. zur früheren Rechtslage BSG, Urt. v. 13.4.1967 – 5 RKn 76/64, Juris, Rdnr. 19).
Das auf einer Untersuchung vom 4. März 2016 beruhende Gutachten wurde in der Zeit festgestellter Arbeitsunfähigkeit erstellt, die bis zum 21. März 2016 andauerte. Nach der sozialmedizinischen Einschätzung lag weiter Arbeitsunfähigkeit auf Zeit vor. Zweifel an der bis zum 21. März 2016 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit oder die Erwartung des Eintritts der Arbeitsfähigkeit nach Ablauf des bescheinigten Zeitraums teilt die Gutachterin nicht mit. Dies ist von Bedeutung, weil eine solche Einschätzung zum erfragten Inhalt des Gutachtens gehörte. Die durch Ankreuzen zu beantwortende Frage nach der Möglichkeit zur Verrichtung der letzten Tätigkeit verneint die Gutachterin aber einschränkungslos und lässt die dazu in Gegensatz gestellte Bejahungsmöglichkeit mit der Mitteilung eines kalendarisch bestimmbaren Eintritts der Arbeitsfähigkeit offen. Stattdessen führt sie im Volltext aus, der Versicherte müsse bis zum Eintritt der Arbeitsfähigkeit noch "längere Zeit" physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen. Dass damit jedenfalls kein Zeitraum von einzelnen Wochen gemeint ist, zeigt sich daran, dass eine Überprüfung mit Vorlage auch physiotherapeutischer Befundberichte erst wieder nach etwa zwei Monaten für sinnvoll erachtet wird.
Diesen, eine deutlich über den 21. März 2016 andauernde Arbeitsunfähigkeit ankündigenden Äußerungen der sozialmedizinischen Gutachterin kommt deshalb zusätzliche Bedeutung zu, weil es gerade wesentlicher Sinn der Meldeobliegenheit ist, eine zeitnahe Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Dienste zu ermöglichen, um Leistungsmissbräuchen entgegen zu treten (BSG, Urt. v. 8.2.2000 – B 1 KR 11/99 R, zitiert nach Juris, Rdnr. 18). Denn es wäre widersinnig, die zeitnahen Feststellungen des Sozialmedizinischen Dienstes unberücksichtigt zu lassen, um dann festzustellen, dass diesem die Möglichkeit zur rechtzeitigen Überprüfung einer Arbeitsunfähigkeit genommen worden wäre. Dies gilt umso mehr, wenn dieser selbst eine Überprüfung erst wieder nach Monaten für sinnvoll erachtet hat.
Darüber hinaus kann ein Ruhen des Krankengeldanspruchs dem Kläger nicht entgegengehalten werden, weil er durch Organisationsmaßnahmen im Verantwortungsbereich der Beklagten davon abgebracht worden ist, sich selbst um eine zeitnahe Meldung der neuen Bescheinigung zu kümmern (zu dem allgemeinen Rechtssatz BSG, a.a.O., Rdnr. 19, Urt. v. 28.10.1981 – 3 RK 59/80 – zitiert nach Juris). Dabei ist das Verhalten von Dr. T. bei der Organisation ihrer vertragsärztlichen Praxis jedenfalls insoweit dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen, als die Beklagte diese – bewusst oder unbewusst – zu einem Verfahren ermutigt hat, das den Kläger davon abbrachte, sich seine Verantwortung für die Meldung zu vergegenwärtigen (zur Verteilung der Verantwortungsbereiche bei vertragsärztlichen Fehlern allgemein BSG, Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 22/15 R, Juris, Rdnr. 32 f.).
Das von der Beklagten durch Aushändigung von Freiumschlägen an Dr. T. geförderte Verfahren der Direktübersendung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Beklagte führte dazu, dass dem Kläger die Übernahme seiner Verantwortung für die rechtzeitige Übersendung der Bescheinigungen erschwert wurde. Dass die Beklagte Dr. T. durch die Geschäftsstelle E. solche Umschläge zur Verfügung gestellt hat, bestreitet sie nicht; ein solcher Umschlag liegt in der Akte vor. Die Schilderung von Dr. T. ist nach dem beschriebenen Zusammenhang einer längerfristig geübten Praxis über mehrere Krankenkassen hinweg auch stimmig und glaubhaft. Die Beklagte kann ihrer Verantwortung für die darauf gegründete Praxis nicht entgegenhalten, die Übersendung der Freiumschläge sei zu ganz anderen Zwecken, nämlich Benachrichtigungen nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz erfolgt. Denn sie hat gleichwohl der von Dr. T. gehandhabten Praxis, ihr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Grundlage von Krankengeldzahlungen direkt zuzuleiten, nicht widersprochen. Damit hat sie einen Irrtum bei Dr. T. unterhalten, den sie ursächlich angestoßen und an dem der Kläger keinen Anteil hatte.
Durch die Förderung und Duldung der Vorgehensweise, ihr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt durch die Arztpraxen zu übermitteln, nahm die Beklagte in Kauf, dass ihren Versicherten die eigene Übernahme der Verantwortung für die Übersendung erschwert wurde. Denn es war vorhersehbar, dass die unmittelbare Übersendung durch die Praxis von den Versicherten nicht nach Abwägung aller Gesichtspunkte im Einzelfall als Serviceleistung gewählt, sondern als eine im Krankenbehandlungsbetrieb bestimmte Verwaltungspraxis hingenommen wurde, von der ein Abweichen sich als Misstrauen gegenüber dem Praxispersonal dargestellt hätte. Die Beschreibung durch den Kläger und durch Dr. T. zeigt, dass die Übersendung auch in einem solche Sinne gehandhabt wurde. Denn danach wurde den Versicherten schon nur noch die Bescheinigung für den Arbeitgeber "in die Hand" gegeben, während die für die Krankenkasse erst gar nicht den Gewahrsam des Praxispersonals verließ. Diese Vorgehensweise war geeignet, dem Versicherten gegenüber seine Verantwortung für die Übermittlung der Bescheinigung zu verschleiern, die bei einer Aushändigung mit der deutlichen Vordruckkennzeichnung als Exemplar für die Krankenkasse auch im übertragenen Sinne auf der Hand liegt.
Auch die Nachverfolgung des Postlaufs wird der Verantwortung des Versicherten faktisch entzogen. Denn während es bei einer eigenen Übersendung ein unverfänglicher Ausdruck von Sorgfalt ist, sich durch Nachfragen bei der Krankenkasse des fristgerechten Eingangs der Meldung zu versichern, stellt sich dies bei der von der Beklagten geförderten Praxis als Einmischung und Misstrauen gegenüber dem Praxispersonal dar. Mit diesem ist aber typischerweise eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erwünscht und für Behandlungserfolge auch erforderlich.
Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG folgt hier dem Obsiegen des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf einer durch die angeführte Rechtsprechung gesicherten Rechtlage beruht. Auch praktisch besteht kein Klärungsbedürfnis, da die zum Streit führende Verwaltungspraxis nicht mehr besteht.
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