L 1 KR 465/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 524/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 465/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Rückerstattung von Arbeitnehmerbeitragsanteilen zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Er absolvierte vom 1. Mai 2013 bis zum 20. Mai 2015 in Berlin am Kammergericht den juristischen Vorbereitungsdienst. Im Rahmen der Rechtsanwalts-Pflichtstation wurde er vom 1. April 2014 bis 30. Dezember 2014 der Beigeladenen zu 1) (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") zugewiesen. Diese zahlte ihm zusätzlich zu der vom Land Berlin gewährten Unterhaltsbeihilfe für Referendare ein zusätzliches monatliches Entgelt in Höhe von 930,00 EUR. Ein schriftlicher Vertrag wurde hierüber nicht geschlossen. In einem Schreiben der Beigeladenen an den Kläger vom 1. April 2014 heißt es:

"Wir gehen davon aus, dass Sie Ihre Arbeitskraft während der Anwaltsstation soweit wie möglich der Tätigkeit in unserem Büro widmen, um einen möglichst guten Einblick in den Tätigkeitsbereich und die Arbeitsweise unserer Sozietät zu gewinnen. Über die weitere Ausgestaltung Ihrer Anwaltsstation werden wir uns noch mit Ihnen abstimmen.

Auf der Basis von insgesamt 48 Ausbildungstagen im Zeitraum Ihrer Zuweisung zahlen wir Ihnen eine Vergütung in Höhe von EUR 930,00 brutto pro Monat."

Die Beigeladene entrichtete auf dieses zusätzliche monatliche Entgelt an die Beklagte als Einzugsstelle Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Der auf den Kläger entfallende Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung betrug für den gesamten Zeitraum insgesamt 791,91 EUR.

Im Juni 2016 beantragte der Kläger unter Einreichung von Unterlagen bei der Beklagten die Erstattung seiner Rentenversicherungsbeiträge. Bei der Tätigkeit bei der Beigeladenen habe es sich nicht um ein gesondertes Beschäftigungsverhältnis gehandelt, sondern um ein rentenversicherungsfreies, einheitliches Beschäftigungsverhältnis im Rahmen des Vorbereitungsdienstes.

Die Beklagte lehnte den Erstattungsantrag mit Bescheid vom 26. Juli 2016 ab: Angesichts der Höhe der zusätzlichen Vergütung durch die Beigeladene sei von einer weiteren Beschäftigung neben dem eigentlichen Rechtsreferendariat auszugehen. Deshalb bestehe Rentenversicherungspflicht.

Den Widerspruch des Klägers hiergegen vom 21. August 2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2017 zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, die Zusatzhonorierung entspreche umgerechnet einem typischen durchschnittlichen Einstiegsgehalt eines fertig ausgebildeten Volljuristen. Für ein getrenntes Beschäftigungsverhältnis spreche auch, dass die Beigeladene selbst den Kläger sozialversicherungspflichtig angemeldet und die Meldungen auch nachträglich nicht angepasst oder storniert habe.

Der Kläger hat hiergegen am 17. März 2017 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben: Seine Tätigkeit bei der Beigeladenen sei in einem einheitlichen Ausbildungsverhältnis erfolgt. Die praktische anwaltliche Ausbildung habe im Vordergrund gestanden. Es hätten regelmäßig Beurteilungsgespräche mit den Ausbildern stattgefunden, welche die von ihm ausgearbeiteten Arbeitsergebnisse laufend durchgesehen, besprochen und bewertet hätten. Er habe Anweisungen und Hilfestellungen zur Verbesserung seiner Arbeitsergebnisse und Praxisanleitungen erhalten. Zu seiner Ausbildung hätten auch weitere Maßnahmen gehört, etwa ein Kurs in Rechtsenglisch, Seminare und Schulungen. Der Besuch der Referendar-Arbeitsgemeinschaften und die Bearbeitung von Übungsklausuren habe stets Vorrang vor seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen gehabt. Die zusätzliche Ausbildungsvergütung sei in Relation zu den durchschnittlichen Einstiegsgehältern in Großkanzleien wie der Beigeladenen auch nicht unüblich hoch gewesen. Die Beigeladene hat auf Nachfrage des SG ausgeführt, dem Kläger sei die Vergütung dafür gewährt worden, dass er seine Arbeitskraft während der Anwaltsstation soweit wie möglich ihrem Büro gewidmet habe, um einen möglichst guten Einblick in den Tätigkeitsbereich und die Arbeitsweise der Sozietät zu gewinnen. Die hervorragend qualifizierten Referendare müssten sehr spezielle rechtliche Fragen mit großen wirtschaftlichen Folgen und Risiken unter hohem persönlichen Einsatz und Zeitdruck behandeln und lösen und auch eine relativ hohe zeitliche Präsenz zeigen, um die besonderen Anforderungen erfüllen zu können. Sie - die Beigeladene - stelle auch bei Referendarinnen und Referendaren besonders hohe Anforderungen an deren juristische Qualität sowie die perfekte Beherrschung der englischen Sprache. Ihre Mandate benötigten zur Bewältigung eine hohe Kontinuität der personellen Ressourcen.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 16. Oktober 2017 den Kläger befragt. Es hat mit Urteil vom selben Tag den Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger den Arbeitnehmeranteil der von der Beigeladenen für den Zeitraum vom 1. April 2014 bis 31. Dezember 2014 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 791,01 EUR zu erstatten. Es hat die Klage im Übrigen, hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs, abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, dem Kläger stehe ein Erstattungsausspruch aus § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu. Die Beigeladene habe zu Unrecht Rentenversicherungsbeiträge für den Kläger entrichtet. Dessen Tätigkeit für sie sei nach § 12 Abs. 3 Juristenausbildungsgesetz Berlin (JAG Bln) in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Satz 2 Nr. 4 SGB VI rentenversicherungsfrei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei entscheidend, ob auch während der praktischen Ausbildung das Rechtspraktikantenverhältnis zu dem betreffenden Land fortbestehe und der Dienstherr der auszubildenden Person lediglich das Weisungsrecht für die täglichen Arbeiten vor Ort überlassen habe, sich der Dienstherr aber seines Weisungsrechts zur Sanktionierung von Dienstvergehen nicht begeben habe und er allein zuständig für die Zahlung der Unterhaltungsbeihilfe bleibe, so dass keine Verpflichtung des Referendars bestehe, über den notwendigen Teil der Ausbildung hinaus Aufgaben zu erbringen und die Vergütung der Kanzlei freiwillig und ohne Rechtsgrund gezahlt werde (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 31. März 2015 - B 12 R 1/13 R). Das SG schließe sich insoweit der Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. April 2017 - L 5 KR 719/16 - juris - Rdnr. 32 und des hiesigen Senats an (Urteil vom 22. Juni 2016 - L 1 KR 335/15). Der Kläger habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis zum Land Berlin befunden und sei dem bei der Beigeladenen tätigen Rechtsanwalt Dr. B zur Ausbildung zugewiesen gewesen. Die Dienstherrschaft habe jedoch weiterhin der Präsidentin des Kammergerichts oblegen. Der Kläger habe nach wie vor einen Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach § 12 Abs. 1 JAG Berlin gehabt. Diese gesetzlichen Vorgaben seien nicht durch einen Vertrag zwischen dem Kläger und der Beigeladenen abbedungen gewesen. Ein schriftlicher Vertrag sei nicht abgeschlossen worden. Aus dem Schreiben der Beigeladenen an den Kläger vom 11. April 2014 ergebe sich aber, dass dieser seine Arbeitskraft während der Anwaltsstation soweit wie möglich der Tätigkeit in deren Büro habe widmen sollen, um einen guten Einblick in den Tätigkeitsbereich und die Arbeitsweise der Sozietät zu gewinnen. Auf der Basis von insgesamt 48 Ausbildungstagen zahle die Beigeladene dem Kläger eine Vergütung in Höhe von 930,00 EUR brutto pro Monat. Eine Vereinbarung einer über die Ausbildung hinausgehenden Beschäftigung lasse sich dem nicht entnehmen. Anderes erfolge auch nicht aus der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, bei der Beigeladenen in dem zuvor vereinbarten Umfang von 48 vollen Arbeitstagen im gesamten neunmonatigen Ausbildungsabschnitt tätig gewesen zu sein. Die Ausbildung habe sich nach der Referendarausbildung in der Station gerichtet. Arbeitsgemeinschaften und sonstige Termine beim Kammergericht hätten stets Vorrang gehabt. Seine Tätigkeit bei der Beigeladenen habe er insoweit auch seiner Ausbildung untergeordnet, als er nur in den ersten Monaten der Anwaltsstation für die Beigeladene tätig gewesen sei und die letzten drei bis vier Monate ausschließlich für die Examensvorbereitung genutzt habe. Seine Tätigkeit habe überwiegend in Zuarbeiten für einen dort angestellten Rechtsanwalt bestanden. Die Tätigkeit habe er als tagesbezogene Aufgaben zugewiesen bekommen. Überdies habe einmal in der Woche ein Englischkurs stattgefunden, der auf die Gesamttätigkeitszeit angerechnet worden sei, ferner einmal wöchentlich eine Besprechung mit allen Referendaren und einem Rechtsanwalt. Für eine gesonderte Beschäftigung spreche auch nicht die Höhe der zusätzlichen Vergütung. Die Beigeladene habe glaubhaft dargelegt, dass sie besonders hohe Anforderungen an die juristischen Qualitäten sowie die perfekte Beherrschung der englischen Sprache stelle und in dem sehr engen Bewerbermarkt eine recht hohe Vergütung gewähre, um im Wettbewerb mit anderen Großkanzleien eine möglichst gute Personalentwicklung sicherzustellen. In Relation zum späteren Einstiegsgehalt in Großkanzleien sei die Ausbildungsvergütung nicht als überdurchschnittlich zu werten und spreche insoweit nicht für eine über die bloße Ausbildung hinausgehende Beschäftigung. Die wirtschaftliche Bedeutung habe auch nicht die vom Dienstherrn gezahlte Unternehmensbeihilfe übertroffen.

Gegen diese am 23. Oktober 2017 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten vom 14. November 2017. Zu deren Begründung hat die Beklagte ihre bisherige Rechtsauffassung bekräftigt und auf Urteile verschiedener Sozialgerichte verwiesen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Der Senat hat die Referendarakte des Klägers beim Kammergericht (Teilakte Vergütung und Nebentätigkeiten) beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht zu dieser Vorgehensweise mit Verfügung vom 18. Oktober 2018 hingewiesen worden.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat der Klage in der Hauptsache zu Recht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ihm steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch zu.

Ein solcher gebührt nach § 26 Abs. 3 Satz 4 SGB IV demjenigen, der die Beiträge getragen hat. Hier hat der Kläger die Rentenversicherungsverträge getragen, soweit es um den Arbeitnehmeranteil geht. Die Beklagte ist als Einzugsstelle für die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge nach § 211 Satz 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zuständig.

Auf die Vergütung durch die Beigeladenen sind keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge angefallen. Zur Begründung hierfür verweist der Senat auf die ausführliche und sorgfältige Begründung des SG im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG) und sieht von bloßen Wiederholungen ab.

Der Senat teilt die Einschätzung des SG, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene um eine im Rahmen des einheitlichen Ausbildungsverhältnisses gehandelt hat. Eine hiervon trennbare Nebenbeschäftigung kann nicht angenommen werden. Seine Arbeit für die Beigeladene hat zum Kerninhalt der Referendarausbildung gehört: Der Kläger arbeitete einem Rechtsanwalt zu. Der Ausbildung diente auch die Teilnahme am Englischkurs und an den wöchentlichen Besprechungen mit Referendaren und Rechtsanwälten. Der Umfang der Tätigkeit hat einen durchschnittlichen Umfang einer Stationsausbildung nach § 22 Abs. 2 JAO Berlin nicht überschritten.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten ist nur noch darauf hinzuweisen, dass die von ihr angeführten Gerichtsentscheidungen allesamt anders gelagerte Einzelfälle betreffen. Das SG Duisburg ist im Urteil vom 24. August 2016 von einem in qualitativer und quantitativer Hinsicht selbständigen Beschäftigungsverhältnis neben der Stationsausbildung angenommen, welches es aus dem Ausbildungsvertrag, der konkreten Tätigkeit und dem Umstand, dass die Vergütung die Unterhaltsbeihilfe des Landes überstiegen hat, abgeleitet hat. Es hat (zudem) den zugrunde gelegten Ausbildungsvertrag als losgelöst von der Ausbildungszuweisung angesehen. Der privatrechtliche Ausbildungsvertrag habe separat Vergütung, Urlaubsgewährung und Lohnfortzahlung bei Erkrankung vorgesehen und auch keine auflösende Bedingung für den Fall einer anderweitigen Zuweisung enthalten. Dem Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 3. April 2017 (L 5 KR 7/17 NZB) kann lediglich entnommen werden, dass das LSG die Rechtsausführungen der Vorinstanz als in Einklang mit der einschlägigen BSG-Rechtsprechung angesehen hat. Die dortige Vorinstanz hatte aufgrund Vertrages ein vom Ausbildungsverhältnis unabhängigen Anspruch auf Arbeitsleistung mit Anspruch gegen einen Entgeltzahlungsanspruch angenommen. Zuletzt hat das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 27. Juni 2017 (L 4 KR 378/16) die Annahme eines selbständigen abtrennbaren Beschäftigungsverhältnisses u. a. daraus abgeleitet, dass der dortige Kläger in der Abteilung "Service Line Tax & Legal" tätig gewesen sei und damit auf einem Spezialgebiet außerhalb des Ausbildungsplanes für die Ausbildung. Auch habe der dortige Kläger u. a. Überstunden abgegolten erhalten. Ferner hat das LSG unterstellt, dass Großkanzleien für die Zusatzvergütung ein erhöhtes Arbeitspensum erwarteten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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