Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 31 SO 163/18 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 219/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Regelungssystem des § 14 SGB IX findet grundsätzlich nur auf Sozialleistungen Anwendung, bei denen es sich objektiv um Leistungen zur Teilhabe handelt.
2. Ausnahmsweise kann der Träger, an den weitergeleitet wird, nach § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch für Leistungen zuständig werden, bei denen unklar ist, ob es sich um Leistungen zur Teilhabe handelt, und bei denen deshalb die Zuständigkeit umstritten ist.
3. Sind sich alle Beteiligten des Sozialverwaltungsrechtsverhältnisses (Antragsteller, Sozialhilfeträger, Krankenkasse) darüber einig, dass es sich bei der begehrten Leistung (hier: "Schulbegleitung" zur ständigen Kontrolle und Überwachung notwendiger Insulingaben infolge einer Insulinpumpentherapie) nicht um eine Leistung zur Teilhabe handelt, entfaltet § 14 SGB IX keine Sperrwirkung für einen erneuten Antrag bei der und für die Verpflichtung der (neuen) Krankenkasse.
2. Ausnahmsweise kann der Träger, an den weitergeleitet wird, nach § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch für Leistungen zuständig werden, bei denen unklar ist, ob es sich um Leistungen zur Teilhabe handelt, und bei denen deshalb die Zuständigkeit umstritten ist.
3. Sind sich alle Beteiligten des Sozialverwaltungsrechtsverhältnisses (Antragsteller, Sozialhilfeträger, Krankenkasse) darüber einig, dass es sich bei der begehrten Leistung (hier: "Schulbegleitung" zur ständigen Kontrolle und Überwachung notwendiger Insulingaben infolge einer Insulinpumpentherapie) nicht um eine Leistung zur Teilhabe handelt, entfaltet § 14 SGB IX keine Sperrwirkung für einen erneuten Antrag bei der und für die Verpflichtung der (neuen) Krankenkasse.
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 25. Oktober 2018 wird zurückgewiesen. Die Beigeladene hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG], sie ist statthaft (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, die Kosten einer Schulbegleitung zur Sicherstellung der erforderlichen Diabeteskontrolle im Rahmen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungssicherungspflege) bis zum 31. Januar 2019 zu übernehmen, wobei letztlich dahinstehen kann, ob der Anordnungsanspruch mit dem Sozialgericht aus § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) oder unter Berücksichtigung der Wertungen des § 86b Abs. 2 SGG unmittelbar aus § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abzuleiten ist.
Soweit das Sozialgericht die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V darstellt, die hier begehrte Leistung unter diese Vorschrift subsumiert und den Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem der Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgrenzt, schließt sich der Senat den Ausführungen des Sozialgerichts nach eigener Prüfung an und sieht von der weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Weitere Ausführungen dazu sind auch deshalb nicht angezeigt, weil die Beigeladene in ihrer Beschwerdeschrift erklärt hat, die erstinstanzlichen Ausführungen insoweit nachvollziehen zu können.
Mit ihrer Beschwerde macht die Beigeladene einzig geltend, dass sie einer Verpflichtung auch zur vorläufigen Leistung nach § 43 SGB I nicht mehr ausgesetzt sei, weil die frühere Krankenkasse des Antragstellers den Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Assistenzkraft nach § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) an den Antragsgegner weitergeleitet habe, so dass dieser zuständig geworden sei und deshalb kein Zuständigkeitsstreit mehr bestehe. Soweit das Sozialgericht den bei ihr gestellten neuen Antrag auf vorläufige Leistungen wegen der durch den Kassenwechsel eingetretenen Zäsur für zulässig erachte, unterlaufe es das durch die Spezialregelung des § 14 SGB IX für den Bereich der Rehabilitationsleistungen geschaffene System. Mit diesem Vorbringen vermag die Beigeladene jedoch im Ergebnis nicht durchzudringen.
Dabei lässt der Senat offen, ob der Wechsel einer Krankenkasse eine Zäsur dergestalt zu begründen vermag, dass neben die durch die fristgerechte Weiterleitung eines Antrags begründete vorläufige, im Leistungsverhältnis allerdings de facto endgültige Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers, an den weitergeleitet worden ist (§ 14 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 1 i.V.m. Satz 1 SGB IX), eine weitere zumindest vorläufige Leistungspflicht der neuen Krankenkasse treten kann. Denn das Regelungssystem findet insgesamt nur Anwendung, wenn es sich bei der in Rede stehenden Leistung um eine Leistung zur Teilhabe (§ 4 Abs. 1 SGB IX) handelt. Dies ist hier nicht der Fall. Der Senat hat bereits entschieden, dass Assistenzleistungen zur Diabetesregulation ganz überwiegend der Überwachung und Sicherung des ärztlichen Behandlungserfolgs und ggf. der Versorgung mit Insulin dienen und damit nicht den Leistungen zur Teilhabe in Form von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i.S. des § 5 Nr. 1 SGB IX zuzurechnen sind (Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2017 – L 9 SO 181/17 B ER). An dieser Auffassung hält der Senat auch weiterhin fest.
Wenn in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, dass § 14 SGB IX auch in Fällen anzuwenden sei, in denen die Zuständigkeit umstritten ist, weil unklar bleibt, ob Teilhabeleistungen oder Maßnahmen der Krankenbehandlung zu gewähren sind (vgl. Ulrich in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 54; Luik in: jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 14 Rn. 60 jeweils m.w.N.), rechtfertigt dies vorliegend keine andere Bewertung. Denn eine solche Situation liegt hier nicht vor, weil zwischen allen Beteiligten letztlich unstreitig ist, dass es sich bei der begehrten Leistung nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob die von § 14 SGB IX ausgehende Sperrwirkung für die Gewährung vorläufiger Leistungen (vgl. § 24 Satz 3 SGB IX) auch dadurch ausgelöst wird, dass eine Leistung, deren Qualität als Leistung der häuslichen Krankenpflege außer Zweifel steht, gleichwohl als Leistung zur Teilhabe an einen (anderen) Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist. Von einer so weitgehenden Sperrwirkung sowohl für die Anwendung des § 43 SGB I als auch für die Verpflichtung des (nach materiellem Krankenversicherungsrecht) richtigerweise angegangen Krankenversicherungsträgers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geht der Senat bei Beachtung des Zwecks des § 14 SGB IX auch unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen der Beteiligten indes nicht aus. Vielmehr würde die vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Beschränkung des Systems des § 14 SGB IX auf Leistungen zur Teilhabe bei einer solchen Auslegung vollständig entwertet.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG], sie ist statthaft (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, die Kosten einer Schulbegleitung zur Sicherstellung der erforderlichen Diabeteskontrolle im Rahmen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungssicherungspflege) bis zum 31. Januar 2019 zu übernehmen, wobei letztlich dahinstehen kann, ob der Anordnungsanspruch mit dem Sozialgericht aus § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) oder unter Berücksichtigung der Wertungen des § 86b Abs. 2 SGG unmittelbar aus § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abzuleiten ist.
Soweit das Sozialgericht die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V darstellt, die hier begehrte Leistung unter diese Vorschrift subsumiert und den Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem der Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgrenzt, schließt sich der Senat den Ausführungen des Sozialgerichts nach eigener Prüfung an und sieht von der weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Weitere Ausführungen dazu sind auch deshalb nicht angezeigt, weil die Beigeladene in ihrer Beschwerdeschrift erklärt hat, die erstinstanzlichen Ausführungen insoweit nachvollziehen zu können.
Mit ihrer Beschwerde macht die Beigeladene einzig geltend, dass sie einer Verpflichtung auch zur vorläufigen Leistung nach § 43 SGB I nicht mehr ausgesetzt sei, weil die frühere Krankenkasse des Antragstellers den Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Assistenzkraft nach § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) an den Antragsgegner weitergeleitet habe, so dass dieser zuständig geworden sei und deshalb kein Zuständigkeitsstreit mehr bestehe. Soweit das Sozialgericht den bei ihr gestellten neuen Antrag auf vorläufige Leistungen wegen der durch den Kassenwechsel eingetretenen Zäsur für zulässig erachte, unterlaufe es das durch die Spezialregelung des § 14 SGB IX für den Bereich der Rehabilitationsleistungen geschaffene System. Mit diesem Vorbringen vermag die Beigeladene jedoch im Ergebnis nicht durchzudringen.
Dabei lässt der Senat offen, ob der Wechsel einer Krankenkasse eine Zäsur dergestalt zu begründen vermag, dass neben die durch die fristgerechte Weiterleitung eines Antrags begründete vorläufige, im Leistungsverhältnis allerdings de facto endgültige Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers, an den weitergeleitet worden ist (§ 14 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 1 i.V.m. Satz 1 SGB IX), eine weitere zumindest vorläufige Leistungspflicht der neuen Krankenkasse treten kann. Denn das Regelungssystem findet insgesamt nur Anwendung, wenn es sich bei der in Rede stehenden Leistung um eine Leistung zur Teilhabe (§ 4 Abs. 1 SGB IX) handelt. Dies ist hier nicht der Fall. Der Senat hat bereits entschieden, dass Assistenzleistungen zur Diabetesregulation ganz überwiegend der Überwachung und Sicherung des ärztlichen Behandlungserfolgs und ggf. der Versorgung mit Insulin dienen und damit nicht den Leistungen zur Teilhabe in Form von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i.S. des § 5 Nr. 1 SGB IX zuzurechnen sind (Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2017 – L 9 SO 181/17 B ER). An dieser Auffassung hält der Senat auch weiterhin fest.
Wenn in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, dass § 14 SGB IX auch in Fällen anzuwenden sei, in denen die Zuständigkeit umstritten ist, weil unklar bleibt, ob Teilhabeleistungen oder Maßnahmen der Krankenbehandlung zu gewähren sind (vgl. Ulrich in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 54; Luik in: jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 14 Rn. 60 jeweils m.w.N.), rechtfertigt dies vorliegend keine andere Bewertung. Denn eine solche Situation liegt hier nicht vor, weil zwischen allen Beteiligten letztlich unstreitig ist, dass es sich bei der begehrten Leistung nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob die von § 14 SGB IX ausgehende Sperrwirkung für die Gewährung vorläufiger Leistungen (vgl. § 24 Satz 3 SGB IX) auch dadurch ausgelöst wird, dass eine Leistung, deren Qualität als Leistung der häuslichen Krankenpflege außer Zweifel steht, gleichwohl als Leistung zur Teilhabe an einen (anderen) Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist. Von einer so weitgehenden Sperrwirkung sowohl für die Anwendung des § 43 SGB I als auch für die Verpflichtung des (nach materiellem Krankenversicherungsrecht) richtigerweise angegangen Krankenversicherungsträgers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geht der Senat bei Beachtung des Zwecks des § 14 SGB IX auch unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen der Beteiligten indes nicht aus. Vielmehr würde die vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Beschränkung des Systems des § 14 SGB IX auf Leistungen zur Teilhabe bei einer solchen Auslegung vollständig entwertet.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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