L 10 AL 220/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 567/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 220/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.03.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 01.04.1984 bis 31.12.1993.

Der 1951 geborene Kläger war seit 01.04.1984 Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma e. GmbH & Co. KG (Fa. e.) und leistete Beiträge zur Sozialversicherung.

Mit Schreiben vom 08.10.1998 beantragte er deren Erstattung für die Zeit vom 01.04.1984 bis 31.07.1995 bei der AOK Bayern. Diese teilte dem Kläger mit, auf Grund der vorgelegten Unterlagen habe seit 01.07.1983 kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden (Bescheid vom 24.03.1999), und legte den Antrag auf Erstattung der zur Arbeitslosenversicherung geleisteten Beiträge der Beklagten vor. Der Kläger übersandte einen Prüfbericht (Prüfungsabschluss: 22.04.1992), in dem er als Geschäftsführer bezeichnet wurde und wegen anderer Arbeitnehmer Meldungen für erforderlich gehalten wurden. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die AOK Bayern mit, bei Betriebsprüfungen sei übersehen worden, die Versicherungspflicht des Geschäftsführers zu beurteilen.

Mit Bescheid vom 21.07.1999 entsprach die Beklagte für die Zeit vom 01.12.1994 bis 31.07.1995 dem Antrag des Klägers. Im Übrigen lehnte sie die Erstattung wegen Verjährung ab. Fehlerhaftes Verwaltungshandeln sei nicht erkennbar.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, die Versicherungspflicht des Geschäftsführers sei, obwohl dies hätte erfolgen müssen, fälschlicherweise im Rahmen der Betriebsprüfungen nicht überprüft worden. Fehlerhaftes Verwaltungshandeln liege daher vor. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.1999 zurück. Es könne nicht mehr festgestellt werden, ob die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers im Rahmen der Betriebsprüfung überprüft und ausdrücklich bestätigt worden sei. Eine lückenlose Betriebsprüfung sei nicht durchzuführen gewesen. Fehlerhaftes Verwaltungshandeln liege daher nicht vor. Es sei ein typischer Fall der Verjährung gegeben.

Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen: Die Nichterweislichkeit der Annahme der Beitragspflicht durch die Einzugsstellen gehe zu Lasten der Beklagten. Eine solche Prüfung habe vorgenommen werden müssen. Die Beklagte müsse deshalb auf die Einrede der Verjährung verzichten. Bereits 1984 sei ein Mitarbeiter der Einzugsstelle, Herr B. (B.), veranlasst worden, die Beitragspflicht zu prüfen.

Die AOK Bayern hat mitgeteilt, Unterlagen, insbesondere über eine ausdrückliche Prüfung, lägen nicht vor. B. könne sich nicht mehr an Vorgänge aus 1983 erinnern. Entsprechende Schriftsätze seien nicht vorhanden bzw. zwischenzeitlich vernichtet worden. Der Kläger bzw. dessen Steuerberater hat keine Unterlagen über eine Prüfung seiner Beitragspflicht vorlegen können. Aus Prüfberichten ergäben sich keine Hinweise hierauf.

Mit Teilanerkenntnis vom 14.01.2002 hat sich die Beklagte bereit erklärt, Beiträge bereits für die Zeit ab 01.01.1994 zu erstatten.

Im Übrigen hat das SG die Klage mit Urteil vom 19.03.2002 abgewiesen. Die zu Unrecht entrichteten Beiträge für die Zeit vor dem 01.01.1994 seien wegen zulässiger Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Beklagte nicht zu erstatten. Diesbezüglich habe die Beklagte ihr pflichtgemäßes Ermessen zutreffend ausgeübt. Fehlerhaftes Verwaltunshandeln - ursächlich für die fehlerhafte Entrichtung von Beiträgen - liege nicht vor. Eine konkrete Prüfung der Versicherungspflicht des Klägers sei nicht nachweisbar. Ohne förmliche Bescheide könne sich auf eine Betriebsprüfung auch kein Vertrauen gründen. Ein Bescheid könne jedoch nicht vorgelegt werden. Den Kläger treffe hierfür die objektive Beweislast. Die Prüfung selbst habe keine Außenwirkung.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und damit begründet, nach Angaben des damaligen Steuerberaters der Fa. e. sei durch einen Bescheid der AOK Bayern Versicherungspflicht festgestellt worden. Der Kläger legt hierzu eine Auskunft des Steuerberaters im Verfahren S 3 AL 334/99 vor dem Sozialgericht Mainz (Parallelverfahren eines weiteren Gesellschafter-Geschäftsführers der Fa. e., D. S.) vor.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.03.2002 sowie den Bescheid vom 21.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1999 und des Teilanerkenntnisses vom 14.01.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die von ihm in der Zeit vom 01.04.1984 bis 31.12.1993 gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 21.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat die Erstattung der für die Zeit vom 01.04.1984 bis 31.12.1993 entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu Recht verweigert.

Gemäß § 351 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der ab 01.01.1998 geltenden Fassung (vgl. zu dessen Anwendbarkeit auf nach dem 01.01.1998 erhobene Erstattungsansprüche: BSG, Urteil vom 21.07.2003 - B 12 AL 1/02 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 1) i.V.m. § 26 Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), der auf das Recht der Arbeitsförderung (SGB III) anwendbar ist (§ 1 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB IV), sind zu Unrecht entrichete Beiträge zu erstatten. Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat (§ 26 Abs 3 Satz 1 SGB IV), hier also dem Kläger.

Unabhängig von der Frage, ob die Beiträge materiell-rechtlich teils zu Unrecht entrichtet worden sind - ab April 1984 hatte der Kläger keine Stimmenmehrheit in der GmbH - kann die Erstattung jedoch verweigert werden, wenn die Einrede der Verjährung erhoben wird. Die Beklagte hat dies für die Zeit vor dem 01.01.1994 zu Recht getan. Der Erstattungsanspruch für die bis 31.12.1993 geleisteten Beiträge ist spätestens Ende 1997 verjährt (§ 27 Abs 2 SGB IV). Antrag auf Beitragserstattung hat der Kläger jedoch erst im Oktober 1998 gestellt.

Zweck der Verjährungsvorschriften ist es im Allgemeinen, dem Schuldner die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu erleichtern, zumal die Aufklärung der tatsächlichen Umstände im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß immer schwieriger wird. Die Verjährung konkretisiert Maximen von Treu und Glauben in Gestalt der allgemeinen Rücksichtnahmepflichten und erspart zugleich Beweiserhebungen. Darüberhinaus dient sie der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden: Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und sollte deshalb vor einer Verdunkelung der Rechtslage bewahrt bleiben, wie sie bei späterer Geltendmachung von Rechtsansprüchen auf Grund längst vergangener Tatsachen zu befürchten wären. Diese Erwägungen treffen auch auf die Beitragserstattungsansprüche Beschäftigter zu. Diese setzen voraus, dass die tatsächlichen Umstände einer Beschäftigung gegen Entgelt für den gesamten Erstattungszeitraum ermittelt werden. Derartige Umstände lassen sich für die Vergangenheit jedoch erfahrungsgemäß nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten nachweisen. Aber auch dort, wo für die tatsächlichen Verhältnisse keine Zweifel bestehen und die Verjährung (offensichtlich) begründete Ansprüche betrifft, ist das Rechtsinstitut der Verjährung durch die Gedanken des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens gerechtfertigt. Die Unkenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch und damit die Möglichkeit, diesen (rechtzeitig) geltend zu machen, ist auch im Bereich der Beitragserstattung ohne Bedeutung (so: BSG aaO). Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte grundsätzlich von der Erhebung der Einrede der Verjährung nur dann absieht, wenn die Beitragsentrichtung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verhalten der Beklagten oder der Einzugsstelle beruht (vgl. BSGE 58, 154).

Die Beklagte hat ohne Rechtsfehler die Einrede der Verjährung erhoben. Dabei hat sie das ihr zustehende pflichtgemäße Ermessen zutreffend ausgeübt und dieses spätestens im Widerspruchsbescheid vom 27.10.1999 dargelegt (§ 35 Abs 1 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Sie hat ausgeführt, es liege kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln vor. Eine Dienstanweisung, die die Einzugsstelle verpflichtet, bei jeder Betriebsprüfung lückenlos zu prüfen, existiere nicht. Vielmehr seien Betriebsprüfungen auf Stichproben ausgelegt. Die unrechtmäßige Beitragsentrichtung durch den Kläger sei ohne Zutun und Verantwortung der Einzugsstelle erfolgt. Damit sei der typische Fall des Eintritts der Verjährung gegeben. Bei der Ausübung dieses Ermessens hat sich die Beklagte an ihre Verwaltungsanweisungen gehalten, die vorsehen, nur in den Fällen einer "unbilligen Härte" von der Verjährungseinrede abzusehen. Hierzu heißt es in der Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 27 SGB IV (vgl. hierzu BSG aaO): "Eine besondere Härte ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn die Beitragszahlung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der BA, der Einzugsstelle oder eines Trägers der Rentenversicherung (letztere als Prüfinstitution) beruht, d.h. die fehlerhafte Beitragszahlung muss von einer dieser Stellen nachweislich verursacht worden sein."

Dies hat die Beklagte für den streitigen Zeitraum zutreffend verneint. Ein anderweitiger Bescheid oder eine bloße schriftliche Bestätigung der Beklagten oder der Einzugsstelle über die Beitragspflicht des Klägers liegt nicht vor. Zwar wird eine konkrete Nachfrage durch den Kläger behauptet, Unterlagen hierzu finden sich jedoch nicht. Auch der damalige Steuerberater der Fa. e. konnte - wie er auf Anfrage des SG angibt - zu einer expliziten Nachprüfung der Beitragspflicht des Klägers keine Angaben machen. Aus den Prüfberichten gehe nichts hervor. Auch gegenüber dem SG Mainz im Parallelverfahren hat er erklärt, keinen entsprechenden Bescheid vorlegen zu können. Vielmehr schließt er aus der - tatsächlich nicht bestehenden - Pflicht, alle Lohnkonten zu prüfen und aus der Tatsache fehlender Beanstandung des Lohnkontos des Klägers darauf, dass Versicherungspflicht bestanden habe. Dieser Schluss kann allerdings eine bescheidmäßige Feststellung durch die Einzugsstelle nicht ersetzen. Die weiteren Ausführungen des Steuerberaters, der Kläger und D. S. seien im Rahmen der Geschäftsführertätigkeit als sozialversicherungspflichtig durch die AOK eingestuft worden, da sie zu weniger als 50 vH am Stammkapital beteiligt gewesen seien, kann allenfalls die Zeit ab September 1997 zutreffen, denn D. S. war vorher nicht an der Fa. e. beteiligt.

Das BSG hat sich bereits mehrfach mit den Rechtsfolgen von Betriebsprüfungen beschäftigt, bei denen es zunächst keine Beanstandungen gab, sich jedoch später herausstellte, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht von Beschäftigten vom geprüften Arbeitgeber im Prüfzeitraum unzutreffend beurteilt wurde, dies im Rahmen der Betriebsprüfung aber nicht aufgefallen war. Betriebsprüfungen haben im unmittelbaren Interesse der Versicherungsträger und mittelbarem Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt ihnen nicht zu; sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa Entlastung zu erteilen. Diese Schlussfolgerung verbietet sich schon deshalb, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend und erschöpfend sein kann und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken darf. Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu. Ihr Adressat ist nicht der Arbeitgeber. Sie halten das Ergebnis der Prüfung vielmehr nur für den zuständigen, die Betriebsprüfung durchführenden Versicherungsträger fest und haben nicht etwa die Funktion eines Entlastungsnachweises mit Außenwirkung. Auch soweit Beschäftigte aus den Ergebnissen früherer Betriebsprüfungen Rechte herleiten wollen, kann sich eine materielle Bindungswirkung nur dann und insoweit ergeben, als Versicherungspflicht und Beitragshöhe personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sind (vgl. BSG aaO). Der Kläger kann jedoch weder einen entsprechenden Prüfvermerk noch einen diesbezüglichen Bescheid vorlegen. Den von ihm behaupteten Bescheiderlass kann er damit nicht beweisen. Die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen geht zu Lasten des Klägers.

Weitere Gesichtspunkte, insbesondere eine wirtschaftliche Notlage des Klägers, die für eine Ermessensentscheidung bedeutsam sein könnten, sind nicht zu erkennen.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gem. § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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