S 23 R 119/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 23 R 119/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 21/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 243/18 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1957 geborene Klägerin war zuletzt als angelernte Verkäuferin tätig. Sie beantragte am 11.08.2010 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Diese wurde mit Bescheid vom 14.03.2011 abgelehnt. Der Widerspruch hiergegen (Widerspruchsbescheid vom 02.02.2012) blieb erfolglos. Hiergegen wendet sie sich mit der am 27.02.2012 eingegangenen Klage.

Sie ist der Auffassung, dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage sei, regelmäßig Arbeiten von mehr als 3 Stunden täglich erbringen zu können. Sie leide unter diversen Behinderungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Neurasthenie und belastungsabhängigen Lumbalgien. Außerdem werde sie wegen einer Depression psychiatrisch behandelt.

Sie beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 14.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Klägerin nicht vorliegen würden.

Das Gericht hat vorliegend Beweis erhoben durch das Einholen von Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin, sowie durch zwei Sachverständigengutachten: Das Gutachten des Arztes für Neurologie, Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. C. und das Gutachten des Arztes für Orthopädie und Unfallchirurgie, Notfallmedizin und Sozialmedizin Dr. D ... Beide Sachverständigen haben bei der Erstellung des Gutachtens die Unterlagen aus der Verwaltungsakte der Beklagten und die vom Gericht eingeholten Befundberichte vorgelegen. Die Sachverständigen haben die Klägerin ambulant untersucht.

Der Orthopäde Dr. D. stelle folgende Diagnose: Beginnende degenerative Verschleißerkrankung der Lendenwirbelsäule mit endgradiger Funktionseinschränkung ohne radikuläre Ausfallsymptomatik.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch in der Lage sei, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten 6 Stunden und mehr täglich auszuüben. Die Wegefähigkeit sei vorhanden. Es sollten wechselnde Körperhaltungen eingenommen werden und hinsichtlich der Arbeitsorganisation sei eine Nachtschicht nicht mehr zumutbar.

Der Psychiater Dr. C. stellt folgende Diagnosen:

1. Anamnestisch depressive Verstimunngen reaktiver Genese im Sinne von Anpassungsstörungen bei belastender sozialer Situation (ICD 10: F 43.2), aktuell remittiert,
2. Blande Polyneuropathie, ggf. diabetesbedingt, keine manifesten sensomotorischen Ausfälle (ICD 10: G 62.9),
3. Arterielle Hypertonie, medikamentös therapiert,
4. Fettstoffwechselstörung, medikamentös therapiert,
5. Diabetes mellitus Typ II, medikamentös therapiert,
6. Beginnende degenerative Verschleißerkrankung der Lendenwirbelsäule mit endgradiger Funktionseinschränkung ohne radikuläre Ausfallsymptomatik.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch in der Lage sei, zumindest 6 Stunden arbeitstäglich leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten auszuführen. Er verweist auf die bereits vom Orthopäden Dr. D. genannten Einschränkungen und fügt hinzu, dass Tätigkeiten mit vermehrt psychischen Belastungen, z. B. Tätigkeiten mit vermehrt emotionalen Belastungen oder erhöhtem Konfliktpotential nicht mehr leidensgerecht wären. Er hält die Klägerin wie auch der Orthopäde Dr. D. für wegefähig, d. h. in der Lage, von ihrer Wohnung aus öffentliche Verkehrsmittel aufzusuchen und zu benutzen.

Im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und das Gericht den Sachverhalt als geklärt ansieht bzw. der Sachverhalt nicht weiter aufklärbar ist. Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht in ihren Rechten nach § 54 SGG verletzt.

Die Klägerin ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt neben den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI) die medizinisch begründete volle Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI voraus. Danach liegt eine volle Erwerbsminderung vor, wenn die Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Teilweise erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI eine Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein und leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten zu verrichten.

Die Sachverständigen haben die Klägerin untersucht und die Befundberichte der behandelnden Ärzte, sowie die medizinischen Unterlagen, die in der Akte der Beklagten vorhanden waren, beachtet und in ihren Gutachten ausgewertet. Die Sachverständigen haben die von ihnen gestellten Diagnosen und das daraus abgeleitete sozialmedizinische Fazit überzeugend hergeleitet und begründet. Das Gericht hält die Gutachten für verständlich geschrieben und widerspruchsfrei. Es ergeben sich keine Hinweise, dass die Sachverständigen entscheidungsrelevante Aspekte nicht beachtet hätten und das Gericht findet die von den Sachverständigen getroffenen Ergebnisse nachvollziehbar und gut begründet. Das Gericht schließt sich daher den von den Sachverständigen getroffenen Ergebnissen an. Insgesamt lässt sich die Einschätzung der Klägerin, dass sie nicht lange stehen könne, ihr das Laufen schwerfalle und sie wegen einer Konzentrationsschwäche nicht in Vollzeit arbeiten könne, anhand der medizinischen Unterlagen nicht belegen.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liegt bei der Klägerin nicht vor.

Die Klägerin ist auch nicht berufsunfähig.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gem. § 240 Absatz 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Absatz 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in einem zumutbaren Beruf wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Damit liegt Berufsunfähigkeit nicht schon dann vor, wenn der bisherige Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann, sondern erst, wenn auch eine zumutbare andere Tätigkeit (so genannte Verweisungstätigkeit) nicht mehr verrichtet werden kann. Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit bestimmt sich nach dem vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschema. Dabei werden die Arbeiterberufe in verschiedene Leitberufe untergliedert, nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten (sonstiger Ausbildungsberuf mit der Regelausbildung von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters. Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist zuerst zu ermitteln, welcher Berufsgruppe der Versicherte auf Grund des bisherigen Berufs zuzuordnen ist. Aus dieser Gruppe darf eine Verweisung grundsätzlich nur auf die jeweils niedrigere Gruppe erfolgen. Versicherten, die den Berufsgruppen der Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. der besonders qualifizierten Facharbeiter, der Facharbeiter und der Angelernten oberen Ranges angehören, sind stets konkrete Verweisungstätigkeiten zu benennen, die ihnen nach ihren beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ihren gesundheitlichen Kräften zumutbar sind. Angelernte unteren Ranges und Ungelernte können auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ohne dass ihnen eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss, außer es liegen besondere Umstände vor, die im Einzelfall die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erfordern.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der bisherige Beruf, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). Dieser Beruf ist nicht schematisch mit der vom Versicherten zuletzt bekleideten Position gleichzusetzen, vielmehr muss er aus dem Gesamtbild des beruflichen Werdeganges ermittelt werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 63). Insofern gilt eine wertende Betrachtungsweise; entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles (vgl. zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 164).

Die Klägerin ist gelernte Porzellanmalerin. In der Vergangenheit war sie von 1977 bis 1989 als Produktionsarbeiterin in einer Glasfabrik tätig, von 1990 bis 1993 als Arbeiterin auf einem Weingut, von 1994 bis 1997 als Außendienstmitarbeiterin bei E., von 1998 bis 1999 als Küchenhilfe auf Mallorca, von 2000 bis 2001 als Servicekraft in einem Bistro, von 2002 bis 2003 als Küchenhilfe, von 2004 bis 2005 im Sicherheitsdienst am Flughafen und von 2006 bis 2009 als Kassiererin bei der Drogeriekette F. beschäftigt. Seit 2010 ist die Klägerin im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung an der Rezeption in einem Hotel tätig. Aufgrund der von ihr in der Vergangenheit ausgeübten Beschäftigungen, insbesondere unter Berücksichtigung der zuletzt ausgeübten Beschäftigung führt die Klägerin angelernte Arbeiten aus, die den Tätigkeiten einer ungelernten Arbeiterin entsprechen. Sie ist daher auf alle leidensgerechten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Der Benennung einer besonderen Verweisungstätigkeit bedarf daher es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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