L 9 AS 197/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 5729/18 ER-B
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 197/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers und Beigeladenen Ziffer 2 wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Dezember 2018 insoweit aufgehoben, als dem Antragsteller darin Überbrückungsleistungen zuerkannt worden sind.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) sowie frist- und formgerecht (§ 173 SGG) eingereichte und auch sonst zulässige Beschwerde ist begründet, da das Sozialgericht Freiburg (SG) dem Antragsteller zu Unrecht Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zuerkannt hat.

Da vorliegend nur der im erstinstanzlichen Beschluss zur Gewährung von Überbrückungsleistungen verpflichtete Beigeladene Ziffer 2 Beschwerde gegen den Beschluss des SG eingelegt hat, während der Antragsteller gegen die Ablehnung von Arbeitslosengeld II (Alg II) kein Rechtsmittel erhoben hat, ist streitgegenständlich vorliegend lediglich der – abtrennbare – Anspruch auf Überbrückungsleistungen; nicht hingegen ein Anspruch auf Gewährung von Alg II oder Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Im Rahmen eines Rechtsmittels erfolgt eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung stets nur in den Grenzen des Rechtsmittelbegehrens (s. hierzu nur Knittel in Hennig, SGG, Stand Mai 2016, §§ 143 – 178 Rdnr. 53), da auch hier der Grundsatz des § 123 SGG gilt, dass ein Gericht nur über die vom Kläger zur Entscheidung gestellten Anträge entscheiden darf. Dies bedeutet in der Rechtsmittelinstanz, dass das Urteil bzw. der Beschluss der Vorinstanz nur insoweit geändert werden darf, als dies beantragt ist, solange der Prozessgegner nicht selbst auch Rechtsmittel eingelegt hat (Wagner in Hennig a.a.O., Stand Dezember 2018, § 123 Rdnr. 45). Bei einem Anspruch auf Überbrückungsleistungen handelt es sich im Verhältnis zu einem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder SGB XII um ein aliud, da der Bezug der Überbrückungsleistungen – anders als bei laufenden Leistungen – auf den Zeitraum von einem Monat beschränkt ist und der Vorbereitung der Ausreise aus dem Bundesgebiet dient (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16.03.2017 – L 19 AS 190/17 B ER – und vom 14.11.2018 – L 19 AS 1434/18 B ER –; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.05.2017 - L 15 AS 62/17 B ER -, jeweils in Juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.11.2018 – L 3 AS 2534/18 ER-B -, nicht veröffentlich; offengelassen in LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2018, L 7 AS 430/18 ER-B, Juris). Insofern sind die beiden Streitgegenstände getrennt zu betrachten. Da der Antragsteller die Nichtgewährung von Alg II-Leistungen im Beschluss des SG akzeptiert und – indem er keine Beschwerde erhoben hat – dem LSG nicht zur Überprüfung gestellt hat, hat der Senat keine Befugnis, einen diesbezüglichen Anspruch des Antragstellers erneut zu überprüfen. Die Prüfung beschränkt sich daher auf die Gewährung von Überbrückungsleistungen.

Diesbezüglich hat das SG den Beigeladenen Ziffer 2 zu Unrecht zur Leistung verpflichtet, indem es über das Begehren des Antragstellers hinausgegangen ist und ihm etwas zugesprochen hat, das er nicht begehrt hat. Zwar steht die Ausgestaltung der einstweiligen Anordnung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]), doch gibt es hier Grenzen. Nach dem Grundsatz "ne ultra petita" (vgl. § 123 SGG bzw. § 308 ZPO) darf ein Gericht nicht mehr zusprechen als beantragt ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 123 Rn. 4; vgl. auch LSG, Beschluss vom 26.04.2017 – L 1 AS 854/17 ER-B –, Juris). Wie oben dargelegt, handelt es sich bei Überbrückungsleistungen im Verhältnis zu einem Alg II – Anspruch um ein aliud und damit um eine gänzlich andere Leistung. Ein solche hat der Antragsteller nicht begehrt. Vielmehr hat er beim SG ausdrücklich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II rückwirkend ab dem 01.09.2018 beantragt. Weder aus seinem Antrag vor dem SG noch aus den sonstigen Unterlagen ergeben sich Hinweise darauf, dass der Antragsteller überhaupt ausreisen möchte; im Gegenteil hat er, nachdem er zuvor wohl obdachlos gewesen war bzw. in einer Obdachlosenunterkunft (Aufnahmehaus B. des Fachverbandes für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese F. e.V.) untergekommen war, mit Wirkung zum 01.09.2018 einen unbefristeten Mietvertrag über eine Wohnung in Lenzkirch abgeschlossen und diese anschließend mit finanzieller Hilfe des Antragsgegners möbliert (Erstausstattung, Bescheid vom 04.09.2018) und bezogen. Damit hat er deutlich zum Ausdruck gebracht, Deutschland gerade nicht verlassen zu wollen. Dementsprechend hat er vor dem SG auch nicht lediglich Leistungen für einen Monat (bzw. bei besonderer Härte auch darüberhinaus) begehrt, wie § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII dies vorsieht, sondern eine laufende Leistung rückwirkend ab 01.09.2018 ohne Benennung eines Endzeitpunktes. Insofern teilt der Senat die Auffassung des SG nicht, im Antrag auf Alg II sei zugleich ein Antrag auf Überbrückungsleistungen hilfsweise enthalten (so wie hier LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2017 – L 23 SO 30/17 B ER –; Bayerisches LSG, Beschluss vom 02.08.2017 – L 8 SO 130/17 B-ER –; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2017 – L 19 AS 190/17 B ER –; a. A: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20.06.2017 – L 4 SO 70/17 B ER –; Juris).

Da das SG dem Antragsteller damit mehr zugesprochen hat, als dieser tatsächlich beantragt hat, war der Beschluss bereits aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass der Anspruch inhaltlich noch zu prüfen wäre.

Der Senat kann daher im Ergebnis sowohl offenlassen, ob dem Antragsteller materiellrechtlich ein Anspruch auf Alg II zusteht, als auch, ob er einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 172 SGG).
Rechtskraft
Aus
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