L 4 P 2117/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 P 48/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2117/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Pflegegeld nach der Pflegestufe III für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2016.

Die am 1998 geborene Klägerin ist bei der Beklagten familienversichert. Sie leidet unter einem mentalen Entwicklungsrückstand mit Bewegungs- und Sprachentwicklungsstörung infolge einer cerebralen AV-Malformation, Darm- und Harninkontinenz, Enuresis nocturna, Diparese und medikamentös eingestellter Partialepilepsie. Nach einer operativen Korrektur der Spitzfußstellung im Jahr 2004 ist sie mit Fußorthesen beidseits versorgt. Seit dem 1. Januar 2017 gewährt die Beklagte der Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegegrad 4. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" sind anerkannt.

Die Erstbegutachtung durch Dr. F., Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vom 20. April 2001 führte zur Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe I ab Mai 2001. Im Folgegutachten vom 16. Oktober 2002 stellte die Pflegefachkraft R., MDK, die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit der Klägerin nach Pflegestufe II fest. Dabei ging sie von einem Zeitaufwand für die Grundpflege von 124 Minuten (259 Minuten abzüglich des Zeitwerts für altersentsprechend gesundentwickelte Kinder von 135 Minuten) und für die Hauswirtschaft von 60 Minuten aus. Die Beklagte gewährte daraufhin ab September 2002 Pflegegeld nach Pflegestufe II (Bewilligungsbescheid kann von den beteiligten nicht mehr vorgelegt werden). Im Wiederholungsgutachten vom 23. März 2005 stellte Dr. W., MDK, als Mehrbedarf gegenüber einem altersentsprechend gesundentwickelten Kind einen Zeitaufwand für die Grundpflege von 140 Minuten sowie zusätzlich die erhebliche Einschränkung ihrer Alltagskompetenz fest. Am 29. Dezember 2009 erstatte Pflegefachkraft Hohmann, MDK, eine weiteres Gutachten und bestätigte die Pflegebedürftigkeit der Klägerin nach Pflegestufe II (Zeitaufwand für die Grundpflege von 162 Minuten) sowie eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz. Nach einem Höherstufungsantrag gelangte Pflegefachkraft Zeh, MDK, zuletzt im Gutachten vom 5. Dezember 2012 zu demselben Ergebnis. Sie stellte aufgrund eines Hausbesuchs bei der Klägerin einen Zeitbedarf für die Körperpflege von 102 Minuten, für die Ernährung von 19 Minuten und für die Mobilität von 45 Minuten fest (insgesamt 166 Minuten für die Grundpflege). Den hauswirtschaftlichen Bedarf schätzte sie auf 60 Minuten.

Am 1. Juli 2015 stellte die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, bei der Beklagten einen Höherstufungsantrag. Pflegefachkraft M., MDK, schätzte in seinem Gutachten vom 31. Juli 2015 aufgrund eines Hausbesuchs vom 30. Juli 2015 den täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege 180 Minuten (Köperpflege 98 Minuten, Ernährung 20 Minuten, Mobilität 62 Minuten) und den hauswirtschaftlichen Bedarf auf 60 Minuten. Ein nächtlicher Grundpflegebedarf bestehe nicht. Mit Bescheid vom 3. August 2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Höherstufung ab.

Die Klägerin legte hiergegen am 19. August 2015 Widerspruch ein. Die Bemessung des Zeitbedarfs sei in einigen Bereichen unrealistisch. Teilweise fehlten einzelne Zeitbedarfe. Beispielsweise würden für die Ganzkörperwäsche 30 statt 15 Minuten benötigt. Für das Baden würden 50 Minuten und nicht lediglich neun Minuten benötigt. Zum Baden gehörten auch der Transfer mit dem Badewannenlifter, das Abtrocknen, Föhnen und Eincremen. Das Wechseln der Windeln nach Stuhlgang benötige oft 30 Minuten Zeit, weil sie anschließend gebadet werden müsse. Während der Menstruation würden mehr Windeln täglich benötigt. Sie sei auch nicht in der Lage, ihren Schlafanzug selbst anzuziehen. Sie brauche Hilfe beim Zubettgehen und Aufstehen. Sie verlasse die Wohnung regelmäßig mehr als zwei Mal am Tag und müsse deshalb auch vier Mal und nicht nur zwei Mal täglich Treppen steigen. Pflegefachkraft Wi., MDK, korrigierte sodann im Gutachten vom 13. Oktober 2015 den Zeitaufwand für die Grundpflege auf 199 Minuten. Der Hilfebedarf im Bereich der Mund- und Zahnpflege und des Frisierens sei, obwohl im Gutachten beschrieben, versehentlich nicht gewertet worden. Der durchschnittlich ein bis zwei Mal tägliche, zusätzliche Inkontinenzproduktwechsel finde Berücksichtigung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach den Gutachten des MDK lägen die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nicht vor. Für die Ermittlung des Zeitaufwandes sei nicht maßgebend der Umfang, in dem Hilfen tatsächlich geltend gemacht würden. Entscheidend sei vielmehr ein objektiver Maßstab, der sich an dem individuellen Pflegebedarf orientiere. Im Bereich der Körperpflege seien bei allen Verrichtungen Hilfen erforderlich. Dabei könne die Klägerin nur im geringen Maße mitarbeiten. So sei es ihr beispielsweise möglich, nach Anleitung die Hände und das Gesicht selbst zu waschen. Was den Zeitaufwand betreffe, hätten die Gutachter auf die Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI – (Begutachtungs-Richtlinie) zurückgegriffen. Den Hilfebedarf von 117 Minuten im Tagesdurchschnitt könne er (der Widerspruchsausschuss) nachvollziehen. Im Bereich der Ernährung werde zwischen der mundgerechten Zubereitung der Speisen und der Nahrungsaufnahme selbst unterschieden. Zur mundgerechten Zubereitung zähle nicht das Kochen. Hier werde lediglich der Hilfebedarf gewertet, der erforderlich sei, um eine bereits zubereitete Mahlzeit klein zu schneiden. Fertige Speisen müssten für die Klägerin entsprechend portioniert und mundgerecht zerkleinert und bereitgestellt werden. Sie könne dann mit der Gabel bzw. dem Löffel selbständig essen. Auch das Trinken gelinge eigenständig, wobei sie mehrfach am Tag zur ausreichenden Flüssigkeitsaufnahme aufgefordert werden müsse. Den Zeitaufwand von 20 Minuten im Tagesdurchschnitt halte er (der Widerspruchsausschuss) für zutreffend. Im Bereich der Mobilität seien beim An- und Auskleiden umfassende Hilfen erforderlich. Das Gehen, Stehen und Treppensteigen beziehe sich nur auf Wege innerhalb der Wohnung. Ein Hilfebedarf könne nur dann berücksichtigt werden, wenn er mit den übrigen pflegerelevanten Verrichtungen im Zusammenhang stehe. In diesem Zusammenhang seien die innerhäuslichen Begleitungen zur Nahrungsaufnahme bzw. zum Badezimmer zu berücksichtigen. Auch der Badewannentransfer sei darin enthalten. Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei der Besuch der physikalischen Therapie in die Gesamtbetrachtung mit einberechnet worden. Insgesamt sei von einem Zeitansatz von 62 Minuten im Tagesdurchschnitt auszugehen. Insgesamt sei damit die gesetzlich geforderte Mindestpflegezeit von 240 Minuten nicht erreicht. Hinzu komme, dass ein nächtlicher Hilfebedarf nicht bestätigt worden sei. Entsprechende regelmäßige Unterstützungsleistungen seien nicht vorgetragen worden.

Am 8. Januar 2016 erhob die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage und wiederholte zur Begründung im Wesentlichen ihre Argumentation aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trug sie vor, nach Auffassung der behandelnden Ärzte Dr. P. und Dr. We. sei durch das nächtliche Einnässen der Pflegeaufwand bei ihr erheblich gestiegen. Das dadurch erforderliche Waschen erfordere einen Zeitaufwand von 30 Minuten und das An- und Ausziehen jeweils 15 Minuten. Die Körperpflege, wie Duschen und Baden, bedürfe aufgrund der Adipositas, der stets gegenwärtigen Anfallsgefahr, der infolge der geistigen Behinderung mangelnden Kooperation und der spastischen dystonen Bewegungsstörung eines erheblichen Mehraufwandes. Dem Sachverständigengutachten des Arztes für Innere Medizin B. (dazu sogleich) sei zu widersprechen. Entgegen seiner Feststellungen habe sie keine einzige an sie gerichtete Frage richtig beantwortet. Es sei auch nicht richtig, dass Duschen nicht praktiziert werde. In der Zeit der Menstruation kämen kurze Duschen öfters vor, weil sich in dieser Zeit der Pflegeaufwand deutlich erhöhe. Baden finde mindestens drei Mal wöchentlich zusätzlich zu der Ganzkörperwäsche statt. Die Ganzkörperwäsche finde morgens, das Baden in der Regel abends oder nach der Schule statt. Drei Mal wöchentlich würden die Haare gewaschen und geföhnt. Der Sachverständige habe auch nicht berücksichtigt, dass sie immer wieder zum Trinken aufgefordert werden müsse, damit sie die erforderliche Trinkmenge am Tag erreiche. Zusätzlich zum Wechseln der Windeln sei die Zeit der Menstruation zu berücksichtigen. Es komme auch regelmäßig vor, dass sie kurz vor dem Verlassen des Hauses Stuhlgang in die Windeln mache, so dass sie nochmals komplett frisch angezogen werden müsse. Der Transfer in die Badewanne sei mindestens drei Mal in der Woche erforderlich, während der Menstruation öfter. Soweit die Beklagte auf ihre Mithilfe beim Zähneputzen verweise (dazu sogleich), sei dies schon längere Zeit nicht mehr der Fall. Die reduzierte Anzahl von Krankengymnastik in der Woche in den Jahren 2015 und 2016 sei allein auf einen Fehler der "Beklagten" zurückzuführen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Zum Sachverständigengutachten von Internist Dr. Wei. (dazu sogleich) führte sie aus, im Jahr 2016 habe Physiotherapie nicht wöchentlich stattgefunden. Der Zeitaufwand für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von 13 Minuten müsse deshalb unberücksichtigt bleiben. Auch die Zeitwerte für die Zahnpflege und das Kämmen sei zu hoch, weil nach den Feststellungen des MDK nur eine Anleitung erforderlich sei. Der Transfer mit dem Lifter sei in Häufigkeit und Dauer nicht nachvollziehbar. Der zusätzliche Zeitaufwand während der Menstruation werde von Dr. Wei. nicht beziffert. Außerdem sei dieser Aufwand ohnehin nicht berücksichtigungsfähig. Schließlich sei Dr. Wei. ein Additionsfehler unterlaufen, weshalb sich der Aufwand der Grundpflege auf 248 Minuten verringere.

Das SG zog die Arztbriefe der behandelnden Ärzte Dr. P. und Dr. We. vom Kinderneurologischen Zentrum der R.-Fachklinik in M. bei und befragte Ärztin für Innere Medizin Dr. Si.-P. als sachverständige Zeugin. Nach den nachvollziehbaren Angaben der Eltern der Klägerin habe sich der Pflegeaufwand deutlich erhöht.

Das SG beauftragte daraufhin Arzt B. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens. Im Gutachten vom 11. September 2016, das er nach Befragung und ärztlicher Untersuchung in der Wohnung der Klägerin am 6. September 2016 erstellte, wird ein Grundpflegebedarf von insgesamt 175 Minuten und ein hauswirtschaftlicher Pflegebedarf von ebenfalls 175 Minuten täglich festgestellt. Der Sachverständige setzte dabei für das Waschen 29 Minuten, für das Baden (zwei bis drei Mal wöchentlich) 13 Minuten, für die Zahn- und Mundpflege zehn Minuten, für das Kämmen fünf Minuten, für die Darm- und Blasenentleerung einschließlich Wechseln der Windeln und Richten der Bekleidung 56 Minuten, für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung acht Minuten, für die Aufnahme der Nahrung fünf Minuten, für das Aufstehen und Zubettgehen zwei Minuten, für das An- und Auskleiden einschließlich der Fußorthesen mit Klettverschlüssen 16 Minuten, für das Gehen 17 Minuten, für das Stehen eine Minute, für das Treppensteigen drei Minuten und für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (einmal wöchentliche ärztlich verordnete Physiotherapie mit Hin- und Rückfahrt und Therapiedauer) zwölf Minuten. Insgesamt lägen damit die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nicht vor.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Dr. Wei. ein weiteres Sachverständigengutachten. Das Gutachten erstellte er aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 13. Januar 2017. Im Gutachten vom 25. Januar 2017 stellte Dr. Wei. einen Grundpflegebedarf von insgesamt 253 Minuten und einen hauswirtschaftlichen Pflegeaufwand von 89 Minuten fest. Der Sachverständige setzte dabei für das Waschen 31 Minuten, für das Baden null Minuten, für das Duschen 13 Minuten, für die Zahn- und Mundpflege zehn Minuten, für das Kämmen fünf Minuten, für die Darm- und Blasenentleerung einschließlich Wechseln der Windeln und Richten der Bekleidung 59 Minuten, für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung zehn Minuten, für die Aufnahme der Nahrung zehn Minuten, für das Aufstehen und Zubettgehen zwei Minuten, für das An- und Auskleiden 38 Minuten, für das Gehen 25 Minuten, für den Transfer 20 Minuten, für den Transfer mit dem Lifter sechs Minuten, für das Treppensteigen zwölf Minuten und für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung 13 Minuten. Der Zustand der Klägerin habe sich seit Antragstellung auf Höherstufung verschlechtert, weil sie wieder nächtlich inkontinent für Urin und Stuhl sei. Sie schmiere mit dem Stuhl herum. Der Sachverständige B. habe weder die erheblichen Mehraufwände bei der geistigen Einschränkung auch mit Ablehnung und Unfähigkeit zur aktiven Mithilfe noch die Inkontinenz mit Wechseln der Windeln und nächtlicher Versorgung berücksichtigt. Bei der Menstruation sei der Aufwand teilweise extrem. Die Klägerin müsse an- und entkleidet werden, müsse auf allen Wegen begleitet werden und könne nicht alleine Treppensteigen.

Mit Urteil vom 4. Mai 2017 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin leide an einer psychomotorischen Retardierung als Zustand nach zweimaliger Embolisation, an einer zerebralen Gefäßmissbildung sowie Störung des Ganges und der Koordination und mittelgradiger Intelligenzminderung. Des Weiteren bestehe bei ihr eine Harn- und Stuhlinkontinenz, eine Epilepsie und eine Hypothyreose. Hieraus resultierten aber keine derart funktionellen Einschränkungen, die einen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege in einem Umfang der Pflegestufe III zur Folge hätten. Dies ergebe sich aus den Gutachten der Pflegefachkräfte des MDK im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, die die Kammer im Wege des Urkundsbeweises verwerten könne, der Auskunft der behandelnden Hausärztin Dr. Si.-P. und auch aus dem Gutachten des Facharztes B ... Nicht überzeugend sei hingegen das Gutachten von Dr. Wei ... Soweit Dr. Wei. im Bereich der Mobilität für das Treppensteigen einen täglichen grundpflegerischen Hilfebedarf von 12 Minuten ansetze, könne dem Sachverständigen nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung könne ausgehend vom Gesetzeszweck des SGB XI das Gehen, Stehen und Treppensteigen bei der Bemessung des Zeitaufwands für die notwendige Pflege nur insoweit berücksichtigt werden, als diese Verrichtungen im Zusammenhang mit den anderen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen im häuslichen Bereich erforderlich würden. Denn Zweck der Pflegeleistungen sei es, die Aufrechterhaltung der Existenz in der häuslichen Umgebung zu sichern. Das Treppensteigen könne daher nur dann berücksichtigt werden, wenn innerhalb der Wohnung Stufen zu überwinden seien. Das Zimmer der Klägerin befinde sich in der ersten Etage. Dr. Wei. beschreibe in seinem Gutachten, dass viermal täglich in Begleitung die Etage überwunden werden müsse. Laut seinen eigenen Angaben dauere dies 1,3 Minuten. Im Rahmen der Auflistung berechne er sodann für das Treppensteigen zwölf Minuten pro Tag an. Dies sei nicht nachvollziehbar, da viermal täglich 1,3 Minuten lediglich 5,2 Minuten pro Tag bedeuteten. Ein grundpflegerischer Hilfebedarf für das Treppensteigen i.H.v. zwölf Minuten pro Tag sei daher nach Überzeugung der Kammer nicht schlüssig. Zudem sei Dr. Wei. bei der Addition seiner im Bereich auf die Mobilität entfallen Pflegeminuten pro Tag ein Additionsfehler unterlaufen, da, lege man seine angesetzten Pflegeminuten der einzelnen Verrichtungen zu Grunde, sich lediglich eine Summe von 110 anstatt der von ihm angegebenen 115 Minuten ergebe. Entgegen den Ausführungen des Dr. Wei. sei auch ein grundpflegerischer Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung bezogen auf die Krankengymnastik der Klägerin nicht anzuerkennen, da diese Besuche zumindest nicht hätten bewiesen werden können. Zwar seien Besuche beim Krankengymnasten Verrichtungen, die "für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen" und deshalb bei der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung grundsätzlich zu berücksichtigen. Dies gelte aber nicht uneingeschränkt. Verrichtungen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfielen, zählten nicht zum berücksichtigungsfähigen Pflegeaufwand. Das Gesetz stelle in § 15 Abs. 3 SGB XI a.F. mit hinreichender Deutlichkeit klar, dass bei der Ermittlung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwands auf die Woche abzustellen sei. Aus dem gesamten in einer Woche anfallenden Pflegeaufwand sei der Tagesdurchschnitt zu ermitteln. Dies schließe es aus, bei der Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs auch Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfielen. Das erscheine sachgerecht, weil unregelmäßig anfallender Hilfebedarf zeitlich kaum verlässlich bewertet werden könne. Nach den Abrechnungen der Krankenkasse der Klägerin seit Antragsstellung bis heute seien lediglich fünf Mal Heilmittelverordnungen in Form der Krankengymnastik i.H.v. jeweils zehn Terminen übernommen worden. Die Krankengymnastik falle damit nicht in der – für die im Rahmen des grundpflegerischen Hilfebedarfs erforderlichen – Regelmäßigkeit an. Auch an anderer Stelle erscheine das Gutachten von Dr. Wei. nicht nachvollziehbar. Er beschreibe mehrfach den erheblichen zeitlichen Mehraufwand zu Zeiten der Menstruationsblutungen der Klägerin. Konkrete Zeiten erwähne der Gutachter allerdings nicht. Grundsätzlich scheide nach Überzeugung der Kammer eine Berücksichtigung des erhöhten Hilfebedarfs während der Tage der Menstruation aus. Verrichtungen, die nicht wenigstens einmal wöchentlich einen Hilfebedarf auslösten, seien, wie bereits oben ausgeführt, im Rahmen der Grundpflege zeitlich nicht zu berücksichtigen. Bereits bei Herausnahme der von Dr. Wei. im Bereich der Mobilität für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung veranschlagten 13 Minuten und der 6,8 Minuten, die Dr. Wei. für das Treppensteigen innerhalb der Wohnung der Klägerin zu viel berücksichtigt habe und dem Additionsfehler im Rahmen der Mobilitätsverrichtungen, reduziere sich der von ihm festgestellt Pflegebedarf auf 228,2 Minuten und liege damit unter dem für die Pflegestufe III erforderlichen Umfang von mehr als 240 Minuten täglich. Eine Auseinandersetzung mit dem von Dr. Wei. im Übrigen angerechneten grundpflegerischen Hilfebedarf, der in Teilbereichen auch der Einschätzung der Pflegefachkräfte des MDK und dem Gutachten des Sachverständigen B. entspreche, erübrige sich daher. Ein Grundpflegebedarf von mehr als 240 Minuten pro Tag in der Grundpflege lasse sich nicht hinreichend objektivieren. Die objektive Beweislast für eine entsprechende Pflegebedürftigkeit als Anspruchsvoraussetzung für einen Anspruch trage nach allgemeinen Beweisgrundsätzen die Klägerin, die sich darauf berufe.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 15. Mai 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. Mai 2017 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgetragen, sie halte das Sachverständigengutachten von Dr. Wei. für zutreffend. Entgegen der Auffassung des SG sei dieses nicht zu beanstanden. Der von Dr. Wei. veranschlagte Zeitaufwand für das Treppensteigen von zwölf Minuten sei nachvollziehbar. Ihr Zimmer befinde sich in der ersten Etage. Sie müsse vier Mal täglich das Zimmer aufsuchen. Dies bedeute, dass die Treppen acht Mal täglich überwunden werden müssten. Zudem liege der angenommene Additionsfehler nicht vor. Soweit das SG den Zeitaufwand für das Verlassen der Wohnung nicht anerkenne, weil nicht nachgewiesen sei, dass sie Krankengymnastik regelmäßig wöchentlich betreibe, werde darauf hingewiesen, dass sie auch aus anderen Gründen die Wohnung verlassen müsse. Außerdem müsse auch ein unregelmäßiger Bedarf berücksichtigt werden. Die Ausführungen des SG zum Mehraufwand während der Menstruation könne nicht nachvollzogen werden. Dr. Wei. setze hierfür keinen zusätzlichen Zeitaufwand an. Der Begutachtung durch Dr. Wei. sei auch deshalb zu folgen, weil er im Vergleich zum Sachverständigen B. den Zeitaufwand sorgfältiger ermittelt habe. Zur weiteren Begründung hat sie eine Stellungnahme ihrer behandelnden Ärzte Dr. P. und Dr. We. vom 27. Juni 2017 vorgelegt, die sich dem Sachverständigengutachten von Dr. Wei. anschließen.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2015 zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Bescheids aus dem Jahr 2002 Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat den Sachverständigen B. aufgefordert, zum Gutachten des Sachverständigen Dr. Wei. Stellung zu nehmen. Er hat daraufhin unter dem 19. Oktober 2017 ausgeführt, Dr. Wei. könne insoweit gefolgt werden, als für die Teilwäsche des Unterkörpers weitere zwei Minuten, für die mundgerechte Zubereitung ebenfalls weitere zwei Minuten und weitere sechs Minuten für das An- und Auskleiden angesetzt werden könnten. Damit erhöhe sich der Zeitaufwand auf insgesamt 185 Minuten. Der Hilfebedarf für die Zahnpflege und das Kämmen sei in beiden Gutachten identisch. Bei der Darm- und Blasenentleerung bestehe mit drei Minuten keine wesentliche Differenz. Für die Nahrungsaufnahme seien fünf Minuten (anstatt zehn Minuten wie von Dr. Wei. angesetzt) ausreichend, da es sich überwiegend um Aufforderungen handele, die beim Pflegeaufwand nicht zu berücksichtigen seien. Ein zusätzliches An- und Auskleiden des Ober- oder Unterkörpers, wofür Dr. Wei. 16 Minuten berechne, sei nicht nachvollziehbar. Die Hilfe beim Gehen sei von ihm anlässlich des bei der Begutachtung beobachteten Gehtempos beurteilt worden. Das Treppensteigen sei entgegen der Einschätzung von Dr. Wei., der ein viermaliges Treppensteigen für erforderlich halte, aus pflegerischen Gründen nur ein Mal täglich notwendig. Das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei mit zwölf bzw. 13 Minuten annährend gleich beurteilt. Unklar sei, wie Dr. Wei. auf einen Hilfebedarf von 26 Minuten für Transfers komme, und warum ein Lifter zum Transport genannt werde. Möglicherweise sei es insoweit zwischenzeitlich zu einer Verschlechterung gekommen. Allerdings werde auch unter Berücksichtigung dieses zusätzlichen Zeitaufwands ein Hilfebedarf von mehr als 240 Minuten nicht erreicht.

Nach Zusage der Beklagten, die Eingruppierung der Klägerin ab dem 1. Januar 2017 an die nach rechtskräftiger Entscheidung am 31. Dezember 2016 geltende Pflegestufe anzupassen, hat die Klägerin den streitgegenständlichen Zeitraum auf die Zeit bis 31. Dezember 2016 beschränkt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG. Denn sie begehrt höhere Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2016. Die Klägerin hat ihren Klageantrag ausdrücklich auf diesen Zeitraum begrenzt. Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2015.

3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe III.

a) Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Pflegegeld nach Pflegestufe III anstelle des gezahlten Pflegegelds nach Pflegestufe II ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einer bestimmten Pflegestufe ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. Juli 2005 B 3 P 8/04 R – juris, Rn. 16). Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem für die Leistung maßgeblichen materiellen Recht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 1. Juni 2017 – B 5 R 2/16 R – juris, Rn. 11).

Da die Klägerin den Antrag auf höheres Pflegegeld am 1. Juli 2015, mithin vor dem 31. Dezember 2016 stellte, beurteilt sich nach § 140 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ihr Anspruch nach den Vorschriften des SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (SGB XI a.F.).

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI a.F.) der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind nach § 14 Abs. 4 SGB XI a.F.: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI a.F.). Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI a.F. Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI a.F.). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI a.F.), in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB XI a.F.).

Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI a.F. stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinie (in der bis 31. Dezember 2016 maßgeblichen, hier noch anzuwendenden Fassung) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinie; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).

Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R – juris, Rn. 19). Maßgeblicher Vergleichszeitpunkt sind damit die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II mit Bescheid aus dem Jahr 2002 führten. Dem zugrunde lag das Gutachten der Pflegefachkraft R. vom 16. Oktober 2002, welches insoweit das maßgebliche Vergleichsgutachten ist. Dass nach 2002 bis zum streitgegenständlichen Antrag auf Höherstufung eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erfolgte, ist weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch aus den dem Senat vorliegenden Akten erkennbar.

b) Unter Anlegung dieser Rechtsgrundlagen ist seit der Begutachtung vom 16. Oktober 2002 keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Zwar ist aufgrund des Alters der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum (15 bis 17 Jahre) kein Abzug mehr für die Pflege eines altersentsprechend gesundentwickelten Kindes mehr vorzunehmen. Auf der anderen Seite hat die Klägerin aber in der Zwischenzeit auch Fähigkeiten dazugelernt (z.B. bei der Nahrungsaufnahme), so dass insgesamt keine, für die Pflegestufe relevante Änderung des Zeitaufwandes eingetreten ist.

aa) Die Klägerin leidet unter einer psychomotorischen Retardierung bei Zustand nach zweimaliger Embolisation einer zerebralen Gefäßmissbildung, Störung des Ganges und der Koordination, mittelgradiger Intelligenzminderung, Darm- und Harninkontinenz, Enuresis nocturna, medikamentös eingestellter Epilepsie und Hypothyreose. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen B. und den Arztbriefen der behandelnden Ärzte der Klägerin Dr. P. und We ... Hiervon abweichende Gesundheitsstörungen benennt auch der Sachverständige Dr. Wei. nicht.

bb) Hieraus folgen im streitbefangenen Zeitraum verschiedene funktionelle Beeinträchtigungen und Fähigkeitsstörungen der Klägerin, die einen Grundpflegebedarf begründen. Die Gehfähigkeit ist deutlich eingeschränkt. Freies Stehen oder Gehen ist nicht möglich. Das Gehen ist mit Hilfe von zwei Unterarmgehstützen oder des Rollators grundsätzlich selbständig möglich. Sie braucht aber Begleitung und Unterstützung. Das Treppensteigen ist durch Festhalten am Geländer möglich, auch hierbei muss sie aber begleitet werden. Im Bereich der oberen Extremitäten besteht eine gewisse Koordinationsstörung. Die Feinmotorik ist eingeschränkt. Gezieltes Greifen ist möglich. Hören und Sehen sind nicht beeinträchtigt. Beim Sprechen ist sie erheblich eingeschränkt. Sie versteht zwar, was man ihr sagt, kann sich aber nur mit kurzen Sätzen mit maximal drei bis vier Worten verständlich machen. Sie kann weder lesen noch schreiben oder rechnen. Die Uhr kann sie nicht lesen. Sie hat kein Zeitgefühl, kein Gefahrenbewusstsein und keine Verkehrssicherheit. Sie hat keine Kontrolle über ihre Ausscheidungsfunktionen. Die Nahrungsaufnahme ist selbständig möglich, wobei sie bedarfsweise zum Weiteressen aufgefordert werden und an das Trinken erinnert werden muss. Das Durstgefühl ist stark gemindert. Sie hat kein Sättigungsgefühl. Sie kann sich im Bett selbst in die sitzende Position bringen, beim Aufrichten in die stehende Position ist Hilfe erforderlich. Beim Zubettgehen müssen ihr die Beine ins Bett gelegt und zugedeckt werden. Der Positionswechsel im Bett gelingt selbständig. Sie schläft durch. Das An- und Auskleiden muss komplett übernommen werden. Beim Waschen und Zähneputzen kann sie teilweise mithelfen. Sie kann nicht alleine in die Badewanne einsteigen. Ihre langen Haare kann sie sich nicht bürsten.

Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Feststellungen in den Gutachten der Pflegefachkräfte des MDK M. und Wi. im Verwaltungsverfahren vom 31. Juli und 13. Oktober 2015, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (zur Zulässigkeit der Verwertung der vom MDK erstatteten Gutachten: BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 12 f.; allgemein zum Urkundsbeweis vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), und dem Gutachten des Sachverständigen B. im Gutachten vom 11. September 2016.

cc) Aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen besteht bei der Klägerin ein Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche, bei der Teilwäsche des Unter-/Oberkörpers, des Gesichts und der Hände, beim Baden, beim Zähneputzen, beim Frisieren, bei der Darm- und Blasenentleerung, beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung, bei der Nahrungsaufnahme, beim Aufstehen- und Zubettgehen, beim An- und Entkleiden, beim Gehen, Stehen (Transfer) und Treppensteigen sowie beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Der dadurch erforderliche, tägliche Hilfebedarf für die Grundpflege überschreitet im Wochendurchschnitt nicht 240 Minuten, sondern liegt bei höchstens 185 Minuten. Der Senat folgt insoweit den gut begründeten Bewertungen des Sachverständigen B. im Gutachten vom 11. September 2016 sowie in seinen ergänzenden Ausführungen vom 19. Oktober 2017. Der Sachverständige hat den zeitlichen Aufwand für die notwendige Pflege bei den einzelnen Verrichtungen anhand der Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinie nachvollziehbar ermittelt. Bestätigt werden diese Bewertungen im Ergebnis von den Gutachten der Pflegefachkräfte des MDK M. und Wi. im Verwaltungsverfahren vom 31. Juli und 13. Oktober 2015.

Dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Wei. kann nicht gefolgt werden. Es ist jedenfalls insoweit nicht schlüssig und nachvollziehbar, als Dr. Wei. für den Transfer weitere 25 Minuten für erforderlich hält. Der einzige Transfer, der in sämtlichen Gutachten beschrieben wird, ist der Transfer in die Badewanne und aus der Badewanne heraus. Die Klägerin badet nach den Feststellungen sämtlicher Gutachter und Sachverständiger zwei bis drei Mal in der Woche. Bei einem Zeitaufwand für den Transfer, der mittels Badewannenlifter stattfindet, von zwei Minuten pro Badetag ist ein täglicher Zeitaufwand für den Transfer von einer Minute plausibel. Darüber hinaus ist ein weiterer Zeitaufwand für den Transfer nicht erkennbar. Die von Dr. Wei. zusätzlich angesetzten 25 Minuten sind deshalb von den ermittelten Zeitbedarfen von insgesamt 253 Minuten abzuziehen, so dass nur noch 228 Minuten Grundpflegebedarf übrigbleiben. Selbst wenn Dr. Wei. in sämtlichen anderen streitigen Bereichen, wie z.B. beim Treppensteigen oder bei der zusätzlichen Teilwäsche des Ober-/Unterkörpers, gefolgt werden würde, wären die gesetzlich geforderten 240 Minuten nicht überschritten. Es kann deshalb hier dahin gestellt bleiben, ob die übrigen Abweichungen von dem Gutachten des Sachverständigen B. gerechtfertigt sind.

Darüber hinaus gehen alle Gutachten von einem Zeitaufwand für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von zwölf bzw. 13 Minuten aus, obwohl nach den unbestrittenen Feststellungen der Beklagten die Physiotherapie der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht wöchentlich stattfand. Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sind jedoch nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung berücksichtigungsfähig, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind. Erfasst sind damit solche auswärtigen Termine, die Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim vermeiden und die das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen. Dies ist gegeben beim Besuch von Ärzten oder bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, wenn sie zur Behandlung einer Krankheit ärztlich verordnet worden sind (BSG, Urteil vom 28. Mai 2003 – B 3 P 6/02 R – juris, Rn. 17). Zu berücksichtigen sind solche Termine nur, wenn sie regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anstehen (vgl. § 15 Abs. 3 SGB XI a.F.; vgl. BSG, Urteil vom 29. April 1999 – B 3 P 12/98 R – juris, Rn. 14). Dies war vorliegend nicht der Fall. Für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung dürfte deshalb kein Zeitaufwand zum Ansatz kommen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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