L 4 KR 34/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 5010/00 L
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 34/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 KR 3/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers, auch des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger in der Zeit vom 01.05.1997 bis 30.04.2000 bei der Beklagten als Student pflichtversichert war und ob die Beklagte die Beitragsdifferenz zur tatsächlich durchgeführten freiwilligen Versicherung zu erstatten hat.

Der 1974 geborene Kläger war bis zum Tod seines Vaters (03.11.1995) als Student bei der Beklagten familienversichert. Ab 04.11.1995 hat er das Trachtengeschäft seines Vaters als Rechtsnachfolger übernommen und wurde freiwilliges Mitglied der Beklagten. Seinerzeit waren im Geschäft drei Angestellte und vier bis fünf Aushilfen beschäftigt.

Am 03.12.1997 übersandte der Kläger der Beklagten einen Studiennachweis für das Sommersemester 1997 der Universität E. , wonach er ab 01.04.1997 im 3. Hochschulsemester als Student der Betriebswirtschaft immatrikuliert ist. Er beantragte die Pflichtversicherung als Student und die Rückzahlung der aufgrund Falschberatung zuviel gezahlten Beiträge ab 1997. Im Wintersemester 1999/2000 befand sich der Kläger im 8. Fachsemester und hat inzwischen sein Studium erfolgreich abgeschlossen.

Der Kläger bestätigte der Beklagten mit Schreiben vom 13.12. 1999, seit seiner erneuten Studienaufnahme im Jahre 1997 habe er keine Zeit mehr für berufliche Aktivitäten aufgewendet, da seine Mutter für das Tagesgeschäft zuständig sei. Er bat nochmals, seine Beiträge dem Studententarif anzupassen.

Am 14.02.2000 ging das Kündigungsschreiben des Klägers bei der Beklagten ein.

Laut Einkommensteuerbescheid vom 03.01.2000 für das Jahr 1997 erzielte der Kläger 1997 negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Mutter des Klägers bestätigte schriftlich, ihr Sohn sei seit Mai 1997 nicht mehr im Gewerbebetrieb tätig.

Mit Bescheid vom 26.06.2000 lehnte die Beklagte eine Versicherungspflicht des Klägers als Student ab 01.05.1997 mit der Begründung ab, er sei hauptberuflich selbständig erwerbstätig gewesen. Grundsätzlich seien Arbeitgeber, die mindestens einen Arbeitnehmer mehr als geringfügig in ihrem Betrieb beschäftigen, hauptberuflich selbständig tätig. Es genüge bereits, dass Kraft der Unternehmerstellung Einfluss auf den Betrieb genommen werden könne bzw. unter seiner Verantwortung gearbeitet werde.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2000 zurück. Gemäß § 21 Abs.2 KVLG 1989 gelten die Vorschriften des SGB V über die Versicherung, die Mitgliedschaft, die Meldungen und die Aufbringung der Mittel für die in § 5 Abs.1 Nr.9 SGB V genannten Personen. Nach § 5 Abs.5 SGB V sei nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig sei. Für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit sei nicht notwendig, dass der Selbständige aktiv im Betrieb mitarbeite. Von einer selbständigen hauptberuflichen Erwerbstätigkeit sei auszugehen.

Hiergegen richtete sich die zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage. Entscheidend sei, ob eine hauptberufliche Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Der Kläger sei seit Beginn des Studiums im Mai 1997 nicht mehr im Gewerbebetrieb (Trachtengeschäft) tätig. Er habe sein Studium ordnungsgemäß betrieben.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.12.2001 waren sich die Beteiligten darüber einig, dass der Kläger seit Beginn seines Studiums im Trachtengeschäft nicht mehr gearbeitet und sein Studium ordnungsgemäß betrieben habe. Von der Vernehmung der hierzu geladenen Zeugen wurde abgesehen.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 11.12.2001 verurteilt, dem Kläger die in der Zeit vom 01.05.1997 bis einschließlich 30.04.2000 gezahlten Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung abzüglich des von ihm zu leistenden Studentenbeitrages zu erstatten. Außerdem hat es festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 01.05.1997 bis einschließlich 30.04.2000 bei der Beklagten als Student pflichtversichert gewesen ist.

Zur Begründung hat es ausgeführt, im fraglichen Zeitraum habe der Kläger den Pflichtversicherungstatbestand des § 5 Abs.1 Nr.9 SGB V erfüllt. Nach § 21 Abs.1 KVLG 1989 habe der Kläger die Beklagte wählen können. Eine andere vorrangige Versicherungspflicht liege nicht vor und sei auch zu keiner Zeit in Erwägung gezogen worden. Die Pflichtversicherung als Student sei nicht durch § 5 Abs.5 SGB V ausgeschlossen. Der Kläger habe im streitigen Zeitraum keine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Er sei zwar während des fraglichen Zeitraums Inhaber des ererbten Trachtengeschäfts gewesen und habe insoweit eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt, auch wenn er selbst nicht aktiv oder in Zusammenhang mit dem Geschäft tätig geworden sei, es fehle aber am Merkmal der Hauptberuflichkeit. Nach der Definition des Bundessozialgerichts sei Hauptberuflichkeit dann gegeben, wenn die wirtschaftliche Bedeutung und der zeitliche Aufwand für die selbständige Erwerbstätigkeit die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteige. Das Gericht habe keine Bedenken, auch den hier vorliegenden Fall, bei dem es darum gehe, eine selbständige Tätigkeit im Verhältnis zu einem Studium zu überprüfen, diesem Maßstab zu unterwerfen. Es müssten also auch hier die wirtschaftliche Bedeutung und der Zeitaufwand der selbständigen Tätigkeit parallel in die Bewertung einfließen. Das führe dazu, dass das Betreiben des Trachtengeschäfts nicht als hauptberuflich eingestuft werden könnte, weil der zeitliche Aufwand des Klägers dafür mit Null anzusetzen sei. Der Zeitaufwand der Mitarbeiter, u.a. der Mutter des Klägers, dürfe nicht berücksichtigt werden. Das Gericht gehe aufgrund eigener Erfahrung davon aus, ein halbwegs ordnungsgemäß und ernsthaft betriebenes Studium erfordere einen Zeitaufwand von mindestens etwa 30 Stunden wöchentlich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte ist der Auffassung, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse sei das Betreiben des Trachtenmodegeschäfts als hauptberuflich selbständig ausgeübte Erwerbstätigkeit des Berufungsbeklagten anzusehen. Auf die tatsächliche Mitarbeit komme es nicht an. Entscheidend sei die Leitungsfunktion und der Umstand, dass der Kläger das wirtschaftliche Wagnis getragen habe. Es sei keine Abgabe des Unternehmens, etwa an die Mutter des Klägers, erfolgt. Das Studium könne nicht als weitere Erwerbstätigkeit betrachtet werden. Die Vorschrift des § 5 Abs.5 SGB V sei vorliegend gerade wegen ihrer Funktion zur Missbrauchsabwehr anzuwenden.

Die Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.12.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Seine Bevollmächtigten weisen darauf hin, zwischen den Parteien sei unstreitig, dass der Kläger ab Aufnahme seines Universitätsstudiums mit Sommersemester 1997 nicht mehr im Trachtengeschäft gearbeitet hat. Die Berufung verkenne darüber hinaus den Unterschied zwischen dem (kumulativen) Merkmal der selbständigen Erwerbstätigkeit und dem Merkmal der Hauptberuflichkeit. Es sei auch zu berücksichtigen, dass eine Gesellschaftsbeteiligung, z.B. an einer atypischen stillen Gesellschaft, zu Einkünften aus selbständiger Tätigkeit nach dem Steuerrecht führen könne. Ähnliches ergebe sich beim bloßen Halten von Gesellschaftsanteilen ohne persönlichen Einsatz bzw. Mitwirkung. Die Rechtsauffassung der Beklagten konsequent zu Ende gedacht, könnte auch diese Konstellation zu einer hauptberuflichen Selbständigkeit eines Studenten führen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig. Sie erweist sich aber als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zwar in Ziffer II rechtswidrig - Elementenfeststellung, fehlendes Rechtsschutzbedürfnis - es ergeben sich jedoch keinerlei Rechtsfolgen daraus. Deshalb sieht der Senat von einer Änderung des Urteils ab.

Das Sozialgericht geht zutreffend im streitgegenständlichen Zeitraum von einer Pflichtmitgliedschaft des Klägers aus.

Die Versicherungspflicht ergibt sich aus § 5 Abs.1 Nr.9 SGB V. Danach sind Studenten, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie aufgrund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig. Es besteht Einigkeit darüber, dass der Kläger an einer staatlich anerkannten Hochschule studierte und weder das 14. Fachsemester abgeschlossen, noch das 30. Lebensjahr überschritten hatte.

Eine Versicherungspflicht scheitert auch nicht an § 5 Abs.5 SGB V, wonach nach § 5 Abs.1 Nr.1 oder 5 bis 12 (das bedeutet auch Nr.9) nicht versicherungspflichtig ist, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist. Für den Senat ist zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt nach Beginn bzw. Wiederbeginn seines Studiums im Mai 1997 selbständig erwerbstätig war. Es fehlt an einer Tätigkeit. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht haben die Beteiligten auf die Einvernahme der Zeugin verzichtet, weil sie übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass der Kläger ab Mai 1997 im von seinem Vater übernommenen Trachtengeschäft nicht mehr tätig war. Es gibt keinen gesetzlichen Anhalt, wonach Arbeitgebereigenschaft schon Hauptberuflichkeit bedeutet. Aus BSG vom 30.01.1990, 11 RAR 47/88 (NZA 90, 950) lässt sich entnehmen, dass Arbeitgebereigenschaft nicht einmal mit Selbständigkeit gleichgesetzt werden muss.

Selbst wenn man der Auffassung der Beklagten folgend davon ausgeht, dass lediglich die Stellung als Inhaber des Geschäfts eine selbständige Erwerbstätigkeit sei, liegt im Fall des Klägers Hauptberuflichkeit nicht vor. Die Begriffe "hauptberuflich", "selbständig" und "erwerbstätig" sind gesetzlich nicht definiert. Als hauptberuflich soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die selbständige Erwerbstätigkeit angsehen werden, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrige Erwerbstätigkeit deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt. Bei Studenten ist die Abgrenzung unsicher, weil bei der KVdS Zeitaufwand und Geldfaktor versagen und der Zeitaufwand für die selbständige Tätigkeit nur schwer zu ermitteln ist (Peters, KassKomm Rz.159 zu § 5 SGB V). Im Fall des Klägers steht der Zeitaufwand für die selbständige Tätigkeit fest. Er beträgt 0 Stunden. Durch Vorlage von Scheinen hat der Kläger bewiesen, dass er für sein Studium Zeit aufgewendet hat. Vom Zeitfaktor her überwiegt also auf jeden Fall das Studium. Peters (a.a.O.) schlägt eine Anlehnung an die Werkstudentenregelung des § 6 Abs.1 Nr.3 SGB V vor. Danach sind Personen, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, versicherungsfrei in dieser Tätigkeit. Wenn die selbständige Tätigkeit einen Umfang annimmt, bei dem eine abhängige Beschäftigung die Werkstudentenregelung ausschließen und zur Versicherungspflicht der Beschäftigung führen würde, müsste Abs.5 die Versicherungspflicht als Student verdrängen. Wenn dagegen die selbständige Tätigkeit lediglich einen Umfang hat, der bei abhängiger Beschäftigung das Werkstudentenprivileg und die KVdS gelten ließe, müsste sich die KVdS behaupten (Peters a.a.O.). Der Senat hält diese Lösung für überzeugend und praktikabel. Auf den Fall des Klägers angewendet, bedeutet sie, dass der Kläger, dessen Bild in der streitgegenständlichen Zeit von seiner Studententätigkeit bestimmt war, in der KVdS versichert ist. In Anwendung dieser Regelung wäre auch ein Missbrauch ausgeschlossen.

Wegen des von der Beklagten vermuteten Einkommens des Klägers aus selbständiger Tätigkeit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der Kläger laut Steuerbescheid zumindest 1997 negative Einkünfte erzielt hat. Zum anderen trifft die Argumentation des Klägervertreters zu, dass, die Rechtsauffassung der Beklagten als zutreffend unterstellt, die KVdS bei sämtlichen, steuerrechtlich als Einnahmen aus selbständidger Tätigkeit zu beurteilenden Einkommen ausgeschlossen ist. Die KVdS ist jedoch in keiner Weise an Einkommensgrenzen gebunden.

Hinsichtlich der Zahlungspflicht der Beklagten gilt § 26 Abs.2 SGB IV. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Urteilsgründe des Sozialgerichtsurteils (§ 153 Abs.2 SGG).

Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Beklagten.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zu.
Rechtskraft
Aus
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