L 14 RA 83/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RA 98/99 WA
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 83/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Aufhebung anerkannter Pflichtbeitragszeiten wegen Berufsausbildung in der Zeit von August 1946 bis Dezember 1949 und die Rückforderung ab 01.04. 1994 entsprechend höher gewährter Altersrente.

Die 1929 geborene Klägerin bezieht seit August 1985 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die ab 01.04.1994 in eine Regelaltersrente unter Anerkennung weiterer rentenrechtlicher Zeiten umgewandelt wurde (Bescheid vom 29.04.1994).

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit dem Begehren, die Zeit vom 01.08.1946 bis 31.12.1949 als Lehrzeit gemäß § 247 Abs.2a des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) anzuerkennen und entsprechend höhere Altersrente zu gewähren. Mangels Nachweises einer Berufsausbildung erließ die Widerspruchsstelle der Beklagten zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 18.03.1996.

Im anschließenden Klageverfahren (S 3 An 117/96) sagte die Klägerin im Termin vom 30.07.1996 aus, es habe für sie ein Lehrvertrag bestanden und sie sei auch noch zur Prüfung angemeldet worden, habe diese aber nicht abgelegt, weil sich abgezeichnet habe, dass ihr künftiger Ehemann den Betrieb nach abzuschließender Ausbildung übernehme. Die Zeugin S. , Tante der Klägerin, bekundete, diese als Lehrling ausgebildet zu haben, davon das zweite Lehrjahr in einem fremden Betrieb. Einen Lehrvertrag habe es nicht gegeben, eine Anmeldung zur Sozialversicherung wohl auch nicht. Neben der Lehre habe es auch keine Berufsschule gegeben, so kurz nach dem Kriege. Der Kammer-Vorsitzende gab im Termin den Hinweis, dass seiner Auffassung nach tatsächlich eine Lehrbeschäftigung vorgelegen habe, zumal das zweite Lehrjahr in einem fremden Betrieb stattgefunden habe. Im Hinblick auf noch offene höchstrichterliche Rechtsprechung regte er jedoch das Ruhen des Verfahrens an. Dem schlossen sich die Beteiligten an, so dass mit Beschluss vom gleichen Tage das Ruhen des Verfahrens angeordnet wurde.

Wegen der Änderung der Daten der Krankenversicherung sowie in Ausführung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Neubewertung der Kindererziehungszeiten stellte die Beklagte mit Bescheid vom 04.09.1998 die Regelaltersrente ab 01.04.1994 neu fest. Hierin führte sie die Zeit von August 1946 bis Dezember 1949 als Pflichtbeitragszeit wegen Berufsausbildung in der Anlage 2 im Versicherungsverlauf an und gewährte so ab 01.04.1994 entsprechend höhere Regelaltersrente. Dieser Bescheid wurde an den VdK als damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin gesandt; er ging dort am 21.09.1998 ein. Der Nachzahlungsbetrag für den Zeitraum von April 1994 bis September 1998 in Höhe von 7.080,19 DM wurde sogleich angewiesen und am 07.09. 1998 auf dem Konto der Klägerin verbucht.

Der zuständige Bearbeiter der Beklagten bemerkte am 09.09.1998 die anerkannten Zeiten und teilte nach einem fehlgeschlagenen Versuch der Stonierung der Nachzahlung am 23.09.1998 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass der Bescheid vom 04.09.1998 falsch sei, weil über die dort versehentlich festgestellten Pflichtbeitragszeiten wegen Berufsausbildung aufgrund des gerichtlichen Ruhensbeschlusses vom 30.07.1996 noch nicht endgültig entschieden sei. Er kündigte den Erlass eines entsprechenden Korrektur- und Erstattungsbescheides an. Noch am gleichen Tage verständigte der Prozessbevollmächtigte einen Vertreter der Klägerin, die sich vorübergehend bei ihrer Tochter aufhielt.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 30.09.1998 nahm die Beklagte den Neufeststellungsbescheid vom 04.09.1998 insoweit mit Wirkung ab 01.04.1994 zurück, als für die Zeit von August 1946 bis Dezember 1949 Pflichtbeitragszeiten wegen Berufsausbildung festgestellt worden waren und eine entsprechend höhere Altersrente gewährt worden war. Zur Begründung hieß es, dass die Feststellung der Berufsausbildungzeiten fehlerhaft sei, weil das Verfahren vor dem Sozialgericht wegen der noch ausstehenden Entscheidung des Bundessozialgerichts immer noch ruhe. Für die Zeit ab 01.11.1998 wurde die erniedrigte Altersrente gewährt sowie für die Vergangenheit eine Rückerstattung gefordert.

Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung brachte sie zunächst vor, dass sie den Nachzahlungsbetrag noch am Tage seiner Gutschrift durch Begleichung von Rechnungen vollständig verbraucht habe. Später korrigierte sie ihre Aussage dahingehend, dass sie am 15.09.1998 3.000,00 DM für eine Darlehensrückzahlung und am 05.10.1998 7.700,00 DM für die Begleichung von Handwerkerrechnungen verwendet habe. Sie habe die Rechtswidrigkeit der Nachzahlung nicht erkennen können. Auch habe sie sich in der Zeit vom 15.09.1998 bis 04.10.1998 bei ihrer Tochter in M. aufgehalten.

Mit Bescheid vom 12.01.1999 führte die Beklagte ergänzend als Begründung aus, dass die Rücknahme für die Vergangenheit auf § 45 Abs.1 Satz 3 Nr.3 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) beruhe. Die Klägerin hätte bei verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage erkennen müssen, dass die Berücksichtigung der Beitragszeiten wegen Berufsausbildung im Bescheid vom 04.09. 1998 falsch gewesen sei, weil infolge des gerichtlichen Ruhensbeschlusses eine Anerkennung dieser Zeiten bisher noch nicht erfolgt sei. Mit weiterem Bescheid vom 22.02.2000 reduzierte die Beklagte ihre Erstattungsforderung um den bereits am 15.09.1998 von dem Konto abgehobenen Betrag in Höhe von 3.000,00 DM im Rahmen ihrer Ermessensausübung. Soweit jedoch die Klägerin nach dem Tage ihrer Heimkehr am 04.10.1998 über den restlichen Nachzahlungsbetrag verfügt habe, könne dies im Hinblick auf ihre Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der überwiesenen Rentennachzahlung nicht als gutgläubiger Verbrauch angesehen werden.

Da sich im Verlauf des Widerspruchsverfahren der Aufhebung und Rückforderung die ursprüngliche telefonische Zusage des damaligen Bevollmächtigten, den überzahlten Betrag sofort zurückzuzahlen, nicht bewahrheitete, die Klägerin zunächst Ratenzahlung sowie dann Stundung erbat, nahm die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.02.1999 das ursprüngliche Verfahren wieder auf und beantragte den Ruhensbeschluss aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung führte sie aus, dass sich zwischenzeitlich der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Ergebnis und in der Begründung dem 13. Senat angeschlossen habe. Da aber das Gesetz und die höchstrichterliche Rechtsprechung ein ordentliches Lehrverhältnis fordern würden, dessen Nachweis durch einen Lehrvertrag oder - bei Beschäftigung im elterlichen/verwandschaftlichen Betrieb - durch eine Lehranzeige bei der zuständigen Kammer oder durch eine Eintragung über die Ableistung der (Eltern-)Lehre in den Akten der zuständigen Schule erfolge oder jedenfalls durch das Prüfungszeugnis oder den Gesellenbrief, habe die Klägerin insoweit keinerlei Nachweise vorlegen können, so dass von familienhafter Mitarbeit in Erwartung der späteren Betriebsübernahme auszugehen sei. Abschließend wies sie auf das noch offene Widerspruchsverfahren hin.

Insoweit erging am 16.03.2000 zurückweisender Widerspruchsbescheid, soweit nicht durch den Bescheid vom 22.02.2000 abgeholfen worden war.

Alle Bescheide (vom 30.09.1998, 12.01.1999, 22.02.2000) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2000 wurden Gegen- stand des nunmehr wieder anhängigen Klageverfahrens (Az.: S 3 RA 98/99 WA).

Das Sozialgericht trat erneut in die Beweisaufnahme ein und erhielt von der Handwerkskammer Nürnberg die Mitteilung, dass in den vorhandenen Karteikarten der Bäckereien L. und S. (angegebener Fremdbetrieb für das zweite Lehrjahr) kein Eintrag eines Lehrverhältnisses der Klägerin ersichtlich sei. Auf den Einwand der Kläger-Seite, es sei unter dem damaligen Mädchen-Namen "L." nachzuforschen, legte die zuständige Handwerkskammer die Originalkarten vor ohne jeden Eintrag für die Klägerin, obgleich andere Lehrverhältnisse verzeichnet waren. Außerdem übermittelte die Handwerkskammer die "Fachlichen Vorschriften zur Regelung des Lehrlingswesens im Bäckerhandwerk" aufgrund des Erlasses Nr. II 4914 des Bayer. Staatsministeriums für Wirtschaft vom 06.02.1947 unter Hinweis auf die Fortgeltung der früheren Lehrlings- und Gesellenprüfungsordnungen der Hand- werkskammern, soweit nunmehr nichts anderes bestimmt werde. Hierin ist im Einzelnen unter anderem die Dauer der Lehrzeit, die Höchstzahl der Lehrlinge sowie die Berufsausbildung (u.a. Besuch der Berufschule, Berichtsheft - Werkstattwochenbuch -, Zwischenprüfung nach dem ersten Lehrjahr) und die Gesellenprüfung detailliert geregelt.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2001 erklärte die Klägerin auf Befragen, ab Schulabschluss im Jahre 1943 im großväterlichen Betrieb im Laden und in der Backstube tätig gewesen zu sein. "Ich habe alle anfallenden Arbeiten erledigt und zwar in gleicher Weise wie in der späteren Lehrzeit. Eine Berufsschule habe ich nicht besucht. Ob ich ein Berichtsheft geführt habe, weiß ich nicht mehr. Prüfungen, wie zum Beispiel eine Zwischenprüfung, habe ich nicht abgelegt."

Daraufhin erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin mit deren Einverständnis die Rücknahme der Klage gegen den Bescheid vom 29.04.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03. 1996, soweit die Anerkennung der Lehrzeit und höhere Altersrente begehrt war.

Mit Urteil vom 16.02.2001 wies das Sozialgericht die Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 30.09.1998 in der Fassung der Bescheide vom 12.01.1999 und 22.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2000 ab. Unter Darstellung und Abhandlung der Rücknahmevoraussetzungen bestätigte es die Vorgehensweise der Beklagten.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung verfolgt die Klägerin die Rücknahme der Aufhebung weiter. Trotz eines Aufklärungsschreibens des Senats auch im Hinblick darauf, dass die Rückforderung bereits abgewickelt sei, hielt sie am Rechtsmittel fest.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2001 und den Bescheid der Beklagten vom 30.09.1998 in der Fassung der Bescheide vom 12.01.1999 und 22.02.2000, diese in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Rentenakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes, insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Kläger-Seite, wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts ist allerdings nur im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar benennt das Sozialgericht die Rücknahmevorschrift des § 45 Abs.1, Abs.2 Satz 2 Nr.3 SGB X und handelt die einzelnen Rücknahmevoraussetzungen ab. Zu wenig setzt es sich, wie auch die Beklagte, mit dem Merkmal der Rechtswidrigkeit auseinander. Zurückgenommen werden kann nämlich ein begünstigender Verwaltungsakt, auch mit Wirkung für die Vergangenheit nur, wenn er rechtswidrig ist. Die dargelegte objektive Rechtswidrigkeit folgt jedoch weder aus dem Umstand, dass mit dem Bescheid vom 04.09.1998 kein Anerkenntnis abgegeben werden sollte und wollte, noch, dass wegen des ruhenden Verfahrens keine Entscheidung über die damals noch offene Frage der Erfüllung der Voraussetzungen des § 247 Abs.2a SGB VI getroffen worden sei. Die Rechtswidrigkeit kann sich in der Regel nur aus der Verletzung materiellen oder formellen Rechts ergeben. Und gerade die Verletzung materiellen Rechts durch die Verbescheidung der Beklagten steht zur Überzeugung des Senats fest und ist auch von der Beklagten deutlich in das fortgesetzte Verfahren eingeführt worden.

Anspruch auf Pflichtbeitragszeiten wegen Berufsausbildung hat nur diejenige Versicherte, der nach Gesetz und ständiger höchst- richterlicher Rechtsprechung der Nachweis der angeblichen Lehre gelingt, wobei vielfältige Beweismittel - so auch die zutreffenden Ausführungen der Beklagten - zulässig sind. Die vorschnelle Urteilsbildung des zunächst befassten Erstrichters allein auf der Grundlage der Behauptungen der Klägerin und der Beweiswürdigung der Aussage der Zeugin S. sind insoweit unbehelflich. Denn lediglich die Behauptung, das zweite Lehrjahr sei im Fremdbetrieb abgeleistet worden, kann nicht den Nachweis der Lehre ersetzen, vor allem dann nicht, wenn die nachfolgende objektive Beweiserhebung keinerlei Anhalt dafür erbringen konnte. Im Gegensatz zum Vorbringen der Kläger-Seite war auch schon zur fraglichen Zeit die Durchführung der Bäckerlehre streng reglementiert. So war die Lehre anzuzeigen und wurde von der zuständigen Handelskammer registriert, wie die aktenkundigen Karteikarten der Bäcker-Betriebe L. und S. eindrucksvoll beweisen. Aufgeführt war die Klägerin als Lehrling bei keinem der beiden, auch nicht unter ihrem damaligen Mädchennamen. Sie besuchte auch nicht die Berufsschule, ohne die die Prüfungsanforderungen im theoretischen Teil mit fachtechnischen und kaufmännischen Anforderungen (allein 15 Prüfgebiete) nicht zu bewältigen waren. Von der Notwendigkeit der Führung eines Berichtsheftes, eines sog. Werkstattwochenbuches, hatte die Klägerin nie etwas gehört und auch eine notwendige Zwischenprüfung nach dem ersten Lehrjahr war ihr nicht geläufig. Für einen nach dem Gesetz erforderlichen Nachweis der durchlaufenen Lehre findet sich somit nach Auffassung des Senats keinerlei Anhalt. Vielmehr dürften die Verhältnisse nach der Überzeugung des Senats wie von der Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2001 vor dem Sozialgericht geschildert, dergestalt gewesen sein, dass sie während der "Lehre" wie zuvor im Laden und in der Backstube aushalf.

Damit ist für den Senat die Rechtswidrigkeit der Verbescheidung vom 04.09.1998 evident. Wie bereits im Aufklärungsschreiben zur Vorbereitung des Termins unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht von der Bösgläubigkeit der Klägerin aus, zumal sie im Verfahrensverlauf die Überzahlung sofort begleichen wollte, dann Ratenzahlung anbot und schließlich Stundung erbat. Da das Sozialgericht die einzelnen Voraussetzungen der Rücknahme umfassend abgehandelt und zutreffend gewürdigt hat, macht der Senat von der Verfahrenserleichterung des Gesetzes Gebrauch und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Deshalb war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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