L 4 AS 190/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 29 AS 2623/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 190/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 9. Februar 2016 rechtswidrig war.

Der 1960 geborene Kläger befindet sich seit 1. Januar 2005 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Da nach Ende des Gültigkeitszeitraumes eines vorausgegangenen Eingliederungsverwaltungsaktes vom 16. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2015 – welcher Gegenstand eines anderen Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Hamburg war (Az.: S 29 AS 3545/15) - eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Kläger wiederum nicht zustande kam, erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger am 9. Februar 2016 einen weiteren Eingliederungsverwaltungsakt mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 8. August 2016. Der Eingliederungsverwaltungsakt enthielt neben der Unterstützung durch den Beklagten in Form der Übernahme von Bewerbungskosten, u.a. die Verpflichtung des Klägers, sich auf Stellenangebote des Beklagten zeitnah zu bewerben sowie im Monat mindestens fünf Bewerbungsbemühungen nachzuweisen. Die Eingliederungsvereinbarung enthielt auch eine Rechtsfolgenbelehrung über Sanktionen im Falle von Pflichtverletzungen durch den Kläger.

Den dagegen vom Kläger erhobenen Widerspruch vom 3. März 2016 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2016 zurück, weil der Erlass der Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II rechtmäßig gewesen sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2016 hat der Kläger am 14. Juli 2016 wiederum Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, es liege ein Verstoß gegen das Zitiergebot vor, weil die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Grundgesetz (GG) im SGB II nicht zitiert sei. Die im Eingliederungsverwaltungsakt angedrohten Sanktionen verstießen gegen das GG, da einem Menschen niemals das Existenzminimum entzogen werden dürfe, die Sanktionen jedoch zu einer hundertprozentigen Leistungskürzung führen könnten. Ferner verstoße das SGB II gegen Artikel 11, 12, 13, 14, 19, 20 Abs. 1 GG sowie gegen Teile der UN-Menschenrechtscharta und der EU-Menschenrechte. Mit seiner Klage nehme er sein Grundrecht aus Art 19 Abs. 4 GG wahr. Er habe die Eingliederungsvereinbarung hauptsächlich wegen der verfassungswidrigen Gesetze, insbesondere die Sanktionsandrohungen, nicht unterschrieben.

Auf den parallel erhobenen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 9. Februar 2016 hin hat das Sozialgericht Hamburg durch Beschluss vom 22. Juli 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers vom 14. Juli 2016 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 9. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2016 angeordnet. Der Eingliederungsverwaltungsakt sei nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes rechtswidrig, da den Pflichten des Klägers keine konkreten maßgeschneiderten Eingliederungsleistungen des Antragsgegners gegenüberstünden. Die dagegen vom Antragsgegner erhobene Beschwerde vom 29. Juli 2016 hat das Landessozialgericht durch Beschluss vom 30. August 2016 zurückgewiesen, weil vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes bestünden.

Der Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2016 entgegengetreten. Es liege schon kein Rechtsschutzbedürfnis vor, der Eingliederungsverwaltungsakt sei nur bis 8. August 2016 gültig gewesen. Eine Sanktion mit der Grundlage dieses Eingliederungsverwaltungsaktes sei ebenfalls nicht ergangen und nicht beabsichtigt. Auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liege nicht vor. Seit dem 1. August 2016 seien umfangreiche Gesetzesänderungen des SGB II in Kraft. Der Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes mit den gleichen gesetzlichen Voraussetzungen sei für den Kläger nicht zu befürchten. Die Klärung abstrakter Rechtsfragen in einem Klageverfahren sei nicht erforderlich.

Der Kläger hat seine Klage mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2016 dahingehend geändert, dass er die Feststellung begehrt, dass der streitgegenständliche Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig war. Es liege ein schwerer Grundrechtseingriff sowie Wiederholungsgefahr vor.

Mit Schreiben vom 20. März 2017 hat das Sozialgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes rechtswidrig sein dürfte, weil keine konkreten Leistungen zur Eingliederung durch den Beklagten aufgeführt seien, es aber an Ermessenserwägungen fehle, warum auf solche Erwägungen im Falle des Klägers verzichtet werde. Der Beklagte solle mitteilen, ob er die streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakte aufhebt.

Mit Schriftsatz vom 28. März 2017 hat der Beklagte mitgeteilt, dass er den Eingliederungsverwaltungsakt vom 16. Juli 2015 und den Eingliederungsverwaltungsakt vom 9. Februar 2016 aufhebt.

Der Kläger hat daraufhin geäußert, er bleibe bei seiner Fortsetzungsfeststellungklage. Er werde durch den Verwaltungsakt in seinen Grundrechten verletzt und wolle klären lassen, ob auch in Zukunft so ein Verwaltungsakt erlassen werden könne.

Durch Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2018 hat das Sozialgericht die Klagen jeweils abgewiesen, weil die nach Klageänderung erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage mangels Feststellungsinteresses bereits unzulässig sei. Für die Geltendmachung eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffes fehle es an einer Maßnahme, die sich typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könne und damit anders kein effektiver Rechtsschutz zu erreichen wäre. Ein Eingliederungsverwaltungsakt sei regelmäßig mit einer Geltungsdauer von mindestens mehreren Monaten versehen, so dass sowohl ein Widerspruchs- als auch ein Klageverfahren durchgeführt werden könne, ohne dass sich der Eingliederungsverwaltungsakt von selbst erledige. Auch aus dem Gesichtsprunkt der Wiederholungsgefahr lasse sich kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse herleiten. Zwar sei ein weiteres Klageverfahren wegen eines weiteren Eingliederungsverwaltungsaktes bei Gericht anhängig gewesen, jedoch seien seither keine weiteren Klagen anhängig gemacht worden, so dass davon auszugehen sei, dass im Falle des Klägers weitere Eingliederungsverwaltungsakte nicht erlassen worden seien. Auf Präjudizialität oder auf eine Rehabilitationsinteresse habe der Kläger sein Feststellungsinteresse nicht gestützt. Anhaltspunkte dafür lägen auch nicht vor.

Am 22. Mai 2018 hat der Kläger gegen den ihm am 3. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt und begehrt das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht wegen erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken zur Entscheidung vorzulegen. Er halte die Sanktionsregelung des SGB II für nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen soziokulturellen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar. Die Grundrechtseinschränkung durch Sanktionen sei im SGB II nicht zitiert. Er sehe sich in den Artikeln 11, 13, 19 und 20 Abs. 1 verletzt. Der Verwaltungsakt sei nichtig, weil er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leide und das aus Art. 2 GG hergeleitete Recht auf Vertragsfreiheit breche. Er sei nicht persönlich durch eine öffentliche Verhandlung angehört worden. Das Sozialgericht habe bei seiner Entscheidung nicht begründet, warum der Verwaltungsakt bzw. die Sanktionsregelungen nicht gegen die von ihm aufgeführten Artikel des GG oder gegen die Menschenrechte verstießen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2018 aufzuheben und festzustellen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 9. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2016 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die erstinstanzliche Entscheidung und führt ergänzend aus, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei nicht erkennbar.

Mit Beschluss vom 18. September 2018 hat der Senat die Berufung gem. § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Der Senat hat am 17. Januar 2019 mit den Beteiligten mündlich verhandelt. Auf das Protokoll wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden kann, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (§§ 143, 144 SGG) und form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).

Die Berufung bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die nach Erledigung des streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsaktes (EGVA) vom 9. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2016 statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage ist unzulässig. Das Sozialgericht hat zutreffend die Voraussetzungen für das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse verneint. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichtes (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass für einen Antrag auf gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme regelmäßig kein berechtigtes Interesse besteht, wenn eine Maßnahme von der Behörde wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.11.1995 – 8 C 9/95, 8 PKH 10/95, juris Rn. 6, Beschluss vom 18.12.2014 – 8 B 47/14, juris Rn. 13). Der Beklagte hat den EGVA auf den Hinweis des Gerichtes mit Schriftsatz vom 28. März 2017 aufgehoben. Damit hat der Beklagte nach verständiger Würdigung anerkannt, dass er an ihrer bisher vertretenen Auffassung, die Maßnahmen seien rechtmäßig gewesen, nicht mehr festhält, sondern den vom Gericht erhobenen Einwand der Rechtswidrigkeit im Ergebnis für durchgreifend hält. Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einer zusätzlichen gerichtlichen Feststellung der vom Beklagten bereits eingeräumten Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Eingliederungsverwaltungsaktes ist nicht erkennbar.

An einer Wiederholungsgefahr fehlt es im Übrigen vor diesem Hintergrund schon deshalb, weil der Beklagte nicht zuletzt durch die erfolgte ausdrückliche Aufhebung des EGVA zum Ausdruck gebracht hat, dass er inhaltsgleiche EGVA gegenüber dem Kläger nicht mehr erlassen wird. Darüber hinaus haben sich seither die einschlägigen Rechtsgrundlagen in § 15 SGB II auch geändert. Der zuletzt gegenüber dem Kläger erlassene und in der mündlichen Verhandlung überreichte EGVA vom 2. Januar 2018 enthält die vom Sozialgericht und auch vom Kläger selbst beanstandeten Inhalte nicht mehr. Eine Sanktion ist tatsächlich weder durch den hier angegriffenen EGVA noch auf andere Weise in der Folgezeit konkret gegenüber dem Kläger verhängt worden. Dies ist auch nach Angaben des Klägers durch seinen Arbeitsvermittler nicht beabsichtigt. Auf die vom Kläger vorgetragenen grundsätzlichen Einwände und verfassungsrechtlichen Bedenken insbesondere gegen das Sanktionen-System des SGB II im Allgemeinen kommt es in diesem Fall daher nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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