L 6 SB 1587/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 1603/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1587/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. April 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Berufung weiterhin ausdrücklich die Zuerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) und der Sache nach auch die Feststellung eines höheren, für dieses Merkzeichen notwendigen Grades der Behinderung (GdB).

Die Klägerin ist im Jahre 1930 geboren und wohnt im Inland. Mit etwa acht Jahren, 1938, erlitt sie einen Unfall, bei dem das rechte Bein überrollt wurde und vor allem der Oberschenkel und das obere Sprunggelenk verletzt wurden. Wegen einer mutmaßlichen Verletzung der Epiphysenfuge bei jenem Unfall kam es zu einem Fehlwachstum mit erheblicher Valgus-Fehlstellung (Arztbericht von Prof. Dr. He. vom 12. Juni 1995). Daneben hatte die Klägerin als Kind an einer Polio gelitten (Arztbrief des Klinikums L. vom 30. Dezember 2017).

Erstmals mit Bescheid vom 1. Juli 1977 hatte das damalige Versorgungsamt XXX bei ihr wegen eines Zustands nach Oberschenkelsplitterbruch rechts mit Beinverkürzung, Teilversteifung des rechten Kniegelenks, Muskelschwund und Deformität des rechten Fußes einen GdB (damals noch "Minderung der Erwerbsfähigkeit") von 50 und die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" (gehbehindert) festgestellt. Nachdem sich eine Sprunggelenksarthrose entwickelt und die Klägerin weitere Unfälle erlitten hatte, stellte das Versorgungsamt XXX zuletzt vor dem jetzigen Verfahren mit Bescheid vom 11. Januar 1996 den GdB mit 60 fest. Das Merkzeichen "G" blieb zuerkannt. Als Behinderung wurden zusätzlich die Sprunggelenksarthrose rechts und eine Spitzfußstellung aufgenommen.

Die Klägerin beantragte - anscheinend bereits in einem nicht dokumentierten Telefonat im August 2016 - Neufeststellungen. Das nunmehr zuständige Landratsamt XXX (LRA) übersandte ihr den Antragsvordruck vom 25. August 2016, in dem der zuständige Sachbearbeiter mit Leuchtschrift die Antragsfelder für die Merkzeichen "G", "aG" und "B" markiert hatte. Die Klägerin sandte den Vordruck am 2. September 2016 zurück, wobei sie - allein - das Antragsfeld für das Merkzeichen "G" angekreuzt hatte. Das LRA holte den Befundbericht von Dr. Ki., V.-Kliniken XXX, vom 31. Mai 2016 ein. Als Diagnosen waren darin Zustände nach (Z.n.) Os-navi-culare-Fraktur rechtsseitig, Hybrid-Endoprothese rechts und OSG-Arthrodese rechts angegeben, wobei die Daten der beiden Operationen nicht genannt waren. Die Klägerin habe bei einer Vorstellung keine Beschwerden am Fuß gehabt, die Arthrodese des oberen Sprunggelenks sei stabil, es bestehe keine relevante Schwellung bei unauffälliger DMS (Durchblutung, Motorik, Sensibilität). Die orthopädischen Schuhe hätten deutliche Gebrauchsspuren gezeigt. Nach einer Auswertung dieses Berichts durch seinen Versorgungsärztlichen Dienst lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31. Oktober 2016 die Neufeststellung des GdB ab. Weitere Entscheidungen enthielt dieser Bescheid nicht. In den Gründen waren als zusätzliche Behinderungen die Hybrid-Endoprothese rechts und die OSG-Arthrodese rechts aufgeführt. Die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen hätten sich jedoch nicht verändert.

Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, sie sei nach einem schweren Sturz im Oktober 2016 im V.-Klinikum behandelt worden. Sie könne nur noch mit Gehstock oder zwei Krücken gehen. Das LRA zog den Entlassbrief vom 10. November 2016 über die genannte Behandlung bei. Danach bestand bei der Klägerin eine lipomatöse Atrophie des Musculus quadrizeps femoris rechts mit funktionellen Beschwerden bei Z.n. knöchernem Abriss des Trochanter major rechts im Oktober 2016 bei einliegender Hüft-TEP rechts. Die Klägerin sei aktuell mit einer Unterarmgehstütze mobil. Bei einer neurologischen Konsiliaruntersuchung hätten sich keine therapie- oder abklärungsbedürftigen Befunde gezeigt. Angestrebt werde eine Vollbelastung unter Wiederaufnahme des Geräte- und Kräftigungstrainings und ohne Bewegungslimitierung.

Nach einer weiteren versorgungsärztlichen Auswertung, die sich mit dem Merkzeichen "aG" befasste, lehnte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 17. Januar 2017 die Zuerkennung dieses Nachteilsausgleichs ab. Der Bescheid ergehe, weil die Klägerin dieses Merkzeichen nicht beantragt habe und deshalb ihr Widerspruchsschreiben als entsprechender Antrag ausgelegt werde. Als Rechtsbehelfsbelehrung war auf den Widerspruch hingewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. Oktober 2016 zurück. Dieser Widerspruchsbescheid wurde am selben Tage zur Post gegeben.

Am 15. Februar 2017 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Januar 2017. Sie legte eine ärztliche Stellungnahme von Dr. Ki. vor, der sich für einen höheren GdB aussprach, wobei die Klägerin an Unterarmgehstützen mobil sei.

Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Januar 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2017 zurück.

Die Klägerin hat am 11. Mai 2017 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und die Zuerkennung eines GdB von 80 und des Merkzeichens "aG" begehrt. Sie hat den Behandlungsbericht von Dr. Ki. vom 26. April 2017 vorgelegt, wonach ein im wesentlichen unauffälliger Befund bestehe, die Beschwerden auf Grund der periprothetischen Fraktur deutlich rückläufig seien und die Klägerin zunehmend wieder normal laufen könne.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren F. hat bekundet, bei der Klägerin handle es sich um einen Z.n. Strumektomie (Teilresektion einer vergrößerten Schilddrüse) im 40. Lebensjahr, einen Z.n. Hysterektomie, einen Z.n. Osteosynthese des rechten Sprunggelenks, eine Cataracta ("grauer Star") links und - neu - um eine sensomotorische Polyneuropathie vom distalen symmetrischen Manifestationstyp mit Hinterstrangbeteiligung. Die Klägerin sei nur noch mit Hilfe eines Gehstocks mobil, häufig benötige sie zwei Gehstöcke, dann sei eine Gehstrecke von maximal 100 m möglich. Die Klägerin, die sehr aktiv und vielseitig interessiert sei und am gesellschaftlichen Leben teilnehme, sei durch ihre langjährige Behinderung und das zunehmende Alter zunehmend eingeschränkt (Aussage vom 3. Juli 2017). Dr. Ki. (Aussage vom 28. Juli 2017) hat mitgeteilt, es bestehe aktuell eine hochgradige Zystenbildung im Bereich des Innenknöchels des "linken" (gemeint: rechts, vgl. S. 2 der Aussage) Fußes. Eine Röntgenuntersuchung am 6. April 2017 habe eine korrekte Lage der Hüft-TEP mit geringgradigem Abrieb des Polyethylens mit leichter Dezentrierung des Kopfes (Prothesenkopf) und eine verschobene Trochanter-major-Fraktur gezeigt. Die Fraktur sei als vorübergehend einzustufen. Die Klägerin sei gegenwärtig auf eine Unterarmgehstütze angewiesen. Deswegen seien die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" zu befürworten.

Von Amts wegen hat das SG die Klägerin bei dem Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie Dr. Cl. begutachten lassen. Der Sachverständige hat nach einer Untersuchung der Klägerin am 14. Dezember 2017 schriftlich ausgeführt, es lägen eine Gebrauchseinschränkung des rechten Beins nach verheiltem Oberschenkelsplitterbruch bei Hüftgelenks-TEP rechts mit guter Funktion, Teilversteifung des rechten Kniegelenks, Arthrodese des rechten OSG in (von der Klägerin gewünschter) Spitzfußstellung, schmerzhafter Wackelsteife des rechten USG, Beinverkürzung rechts um drei cm mit der Notwendigkeit orthopädischen Schuhwerks und Muskelschwund am rechten Ober- und Unterschenkel sowie am rechten Mittelfuß sowie eine endgradige Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule (HWS) ohne sensomotorische Ausfälle an den oberen Extremitäten vor. Die Klägerin habe nicht umfassend untersucht werden können, weil sie sich geweigert habe, Ober- und Unterbekleidung abzulegen. Dr. Cl. hat die Beweglichkeiten aller großer Gelenke ermittelt, darunter der Hüftgelenke (Streckung/Beugung rechts 0/0/100°, links 0/0/120°), der Kniegelenke (Streckung/Beugung rechts 0/10/80°, links 0/0/120° bei stabiler Bandführung und ohne Reizerscheinungen) und des rechten OSG (Dorsalextension/Plan¬tar¬fle-xion rechts 0/35/35° [Versteifung], links 10/0/50°). Das rechte USG sei schmerzhaft wackelsteif, die Beweglichkeit der Zehen rechts sei auf 3/5 und damit weitergehend als links (dort 4/5) eingeschränkt. Barfuß könne die Klägerin weder mit noch ohne Gehstützen laufen. Bei Ausgleich der Beinverkürzung und mit orthopädisch zugerichteten Schuhen sei der Gang ohne Gehstütze etwas verzögert, staksig und unsicher, aber ohne auffälliges Hinken, die Füße würden ausreichend abgerollt. Bei links geführter Gehhilfe erscheine der Gang etwas sicherer, bleibe aber staksig und verhalten, ein Hinken sei weiterhin nicht zu verzeichnen. Zur Frage von Veränderungen der Funktionsbeeinträchtigungen seit der letzten Feststellung des GdB 1996 hat Dr. Cl. ausgeführt, durch die Implantation der Hüft-TEP habe sich der Zustand gebessert, am rechten OSG bestehe nach der Arthrodese eine schmerz¬ärmere Unbeweglichkeit gegenüber der früheren schmerzhaften Restbeweglichkeit, was zumindest keine Verschlechterung darstelle. Der GdB sei mit 60 anzunehmen. Die Voraussetzungen des Merkzeichens aG lägen nicht vor, weder werde ein mobilitätsbezogener GdB von 80 erreicht noch könne sich die Klägerin vom ersten Schritt an nur mit fremder Hilfe oder unter großer Kraftanstrengung bewegen. Die Klägerin habe selbst Gehstrecken von 50 m schmerzfrei und 100 m maximal angegeben.

Die Klägerin hat noch den Entlassbericht des Klinikums L. vom 30. Dezember 2017 vorgelegt. Hiernach hatte sie am 24. Dezember 2017 bei einem Sturz eine subcapitale Humerusfraktur mit Fraktur des Tuberculum majus rechts erlitten, die am 26. Dezember 2017 mit einer Plattenosteosynthese, winkelstabil, in MIS-Technik bei geschlossener Reposition, versorgt worden war.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 10. April 2018, an der die Klägerin teilgenommen hatte, hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage richte sich gegen den Bescheid vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2017. Sie sei - sowohl hinsichtlich der Feststellung eines höheren GdB als auch der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" - zulässig, aber nicht begründet. Gegenüber der Feststellung eines GdB von 60 im Jahre 1996 sei keine wesentliche Veränderung eingetreten. Der Verbesserung im Bereich der Hüfte stehe keine Verschlechterung im Bereich des OSG rechts gegenüber. Der GdB seit weiterhin mit 60 anzunehmen. Dies ergebe sich im Wesentlichen aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Cl ... Die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" beständen nicht, es fehle an einem mobilitätsbezogenen GdB von 80 und an den relevanten Einschränkungen des Gehvermögens.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 24. April 2018 beim SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie trägt vor, das SG habe sich zu Unrecht auf das Gutachten von Dr. Cl. gestützt. Die Aussagen der behandelnden Ärzte seien unbeachtet geblieben. Auch ihr Unfall am 24. Dezember 2017, bei dem ihr während des Kirchgangs in L. ein kleiner Junge den Gehstock weggerissen habe, sei nicht beachtet worden. Der GdB von 60 sei ihr bereits vor zwanzig Jahren zuerkannt worden, demgegenüber habe sich ihre Situation verschlechtert, unter anderem sei sie damals noch ohne Gehstock gegangen.

Die Klägerin beantragt, zum Teil sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. April 2018 und den Bescheid vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Grad der Behinderung mit 80 und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen.

Auf Nachfrage des Senats hat Dr. Ki. einen neuen Ausdruck seiner ärztlichen Stellungnahme vom 6. Februar 2017, deren Kopie bereits die Klägerin eingereicht hatte, vorgelegt. Darin wird ausgeführt, seit der letztmaligen Feststellung des GdB im Jahre 1996 seien bei der Klägerin das OSG rechts versteift und die Hüft-TEP rechts implantiert worden, ferner sei bei dem Sturz im Oktober 2016 der Trochanter majus rechts knöchern abgerissen, seitdem sei die Klägerin an Unterarmgehstützen mobil, zuletzt sei im November 2016 eine symmetrische distale Polyneuropathie nachgewiesen worden.

Der Senat hat Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben und die Beteiligten am 13. September 2018 darüber unterrichtet, dass er erwäge, ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu entscheiden. Gelegenheit zur Stellungnahme ist bis zum 1. November 2018 gegeben worden. Es hat keine Reaktionen gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört, Einwände sind nicht erhoben worden.

Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 SGG statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da keine Leistung begehrt wird. Sie ist auch im Übrigen zulässig, die Form und Frist des § 151 Abs. 1 SGG ist gewahrt. Sie ist aber nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen.

Dabei ist die Klage, soweit sie Klägerin die Verpflichtung zur Feststellung eines höheren GdB begehrt, bereits unzulässig und nicht erst unbegründet, wie das SG ausgeführt hat.

Die Klägerin hat allein den Bescheid vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2017 angefochten. Darin hatte der Beklagte aber nur über den Nachteils¬ausgleich "aG" entschieden, nicht aber über den GdB. Lediglich zur Begründung dieses Bescheids hat er ausgeführt, dass das Merkzeichen "aG" einen mobilitätsbezogenen GdB (Teil-GdB) von wenigstens 80 voraussetze, der bei der Klägerin fehle. Eine (erneute) Entscheidung über den GdB ist darin nicht zu sehen. Insofern fehlt es der Klage wegen der Höhe des GdB an dem nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG notwendigen Verwaltungsakt und an dem in § 78 Abs. 1 SGG vorausgesetzten Vorverfahren.

Selbst wenn die Klägerin den Anfechtungsteil ihrer Klage auch auf den Bescheid vom 31. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2017 gerichtet hätte - was sie ausdrücklich nicht getan hat -, wäre ihre Klage insoweit unzulässig gewesen. Die Entscheidung des Beklagten über die Höhe des GdB in jenem Bescheid war bereits vor Erhebung der Klage bindend (§ 77 SGG) geworden, die Klage hätte die Klagefrist nicht mehr gewahrt. Der Widerspruchsbescheid war am 24. Januar 2017 zur Post gegeben worden und gilt daher als am 27. Januar 2017 bekanntgegeben (§ 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Die hierdurch ausgelöste einmonatige Klagefrist (vgl. § 87 Abs. 2 SGG) war am Montag, dem 27. Februar 2017 abgelaufen. Klage ist jedoch erst am 11. Mai 2017 erhoben worden.

Soweit die Klage zulässig ist, hat sie das SG zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" zu.

Die Feststellung von Merkzeichen im Recht der schwerbehinderten Menschen richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der aktuellen, seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234).

Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 (§ 152 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 152 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB IX). Auf Antrag des Menschen mit Behinderung stellen die zuständigen Behörden gemäß § 152 Abs. 5 Satz 1 SGB IX aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über weitere gesundheitliche Merkmale aus.

Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung (§ 229 Abs. 3 SGB IX). Schwerbehinderte Menschen mit einem solchen Nachteil sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entspricht (Satz 1). Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die Menschen mit Schwerbehinderung wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können (Satz 2). Hierzu zählen insbesondere Menschen mit Schwerbehinderung, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind (Satz 3). Verschiedenste Gesundheitsstörungen, insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems, können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Satz 4). Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt (Satz 5).

Den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VG), also der Anlage zu § 2 der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleiches entnehmen. Zwar sind die dort enthaltenen Regelungen inzwischen wirksam, nachdem der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 7. Januar 2015 (BGBl II S. 15) mit § 153 Abs. 2 SGB IX (damals noch § 70 Abs. 2 i.V.m. § 159 Abs. 7 SGB IX a.F.) eine ausreichende formellgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für jene Rechtsversordnung (vgl. Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) erlassen hat. Aber die Regelungen über das Merkzeichen "aG", die früher in Teil D Nr. 3 VG enthalten gewesen waren, sind durch Art. 18 Abs. 4 Nr. 2 BTHG - schon mit Wirkung ab dem 30. Dezember 2016 (vgl. Art. 26 Abs. 2 BTHG) - ersatzlos aufgehoben worden.

Der Senat wendet die heute in § 229 Abs. 3 SGB IX enthaltenen Kriterien für das Merkzeichen "aG" auf den gesamten hier streitigen Zeitraum an. Dabei kann dahinstehen, ob die neue, zum 1. Januar 2018 geltende Vorschrift nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts auch die bereits davor bestehenden Rechtsverhältnisse den neuen Regeln unterwerfen will (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. April 2004 - B 2 U 12/03 R -, SozR 4-2700 § 70 Nr. 1, juris, Rz. 22 m. w. N.). Selbst wenn dies nicht der Fall ist, steht der Klägerin der Anspruch auf das Merkzeichen "aG" auch nicht für die Zeit vor der Neuregelung zu. Dabei geht der Senat davon aus, dass streitig nur die Zeit ab Erlass des Bescheids vom 17. Januar 2017 ist, mit dem der Beklagte erstmals die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" abgelehnt hatte. Ein früherer Antrag der Klägerin auf Zuerkennung dieses Merkzeichens ist nicht ersichtlich. In ihrem ersten Antrag, der als Vordruck am 2. September 2016 bei dem Beklagten eingegangen war, hatte sie das Antragsfeld für das Merkzeichen "aG" nicht angekreuzt. Dass zuvor der Sachbearbeiter des Beklagten dieses Feld mit gelbem Leuchtstift markiert hatte - gerade damit die Klägerin es ankreuze -, ersetzt den Antrag selbst nicht. Und in dem Schreiben vom 11. November 2017 ist auch kein wirksamer Antrag auf das Merkzeichen "aG" zu erkennen, zumal die Klägerin mit diesem Schreiben Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. Oktober 2016 erhoben hat, in dem aber - wie ausgeführt - nur über die Höhe ihres GdB entschieden worden war. In dem danach streitigen Zeitraum galt aber in der Sache schon die heutige Regelung, die damals - bis zum 31. Dezember 2017 - in § 146 Abs. 3 SGB IX in der ab dem 30. Dezember 2016 geltenden Fassung des BTHG enthalten war.

Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entspricht, als Definition der außergewöhnlichen Gehbehinderung gründet auf dem biopsychosozialen Modell des modernen Behindertenbegriffs, nach dem es darauf ankommt, ob die Auswirkungen einer Gesundheitsstörung in Wechselwirkung mit vorhandenen Barrieren im Einzelfall zu einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und somit zu einer Behinderung führen. Dieser Standard ist niedergelegt in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation, welche das frühere so genannte "Krankheitsfolgenmodell" (ICIDH) 2001 ablöste (BT-Drucks. 18/9522, S. 317). Er ist auch die Grundlage für das Verständnis von Behinderung, welches in dem Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) vom 21. Dezember 2008 (BGBl II S. 1419), in Kraft getreten am 26. März 2009, Gesetz vom 21. Dezember 2008 (BGBl II, S. 1419), Bekanntmachung vom 5. Juni 2009 (BGBl II S. 812) zum Ausdruck kommt (z. B. Art. 1 Abs. 2). Der Begriff "Behinderung" nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ebenfalls in diesem Sinne final ausgerichtet. § 229 Abs. 3 SGB IX übernimmt den bewährten Grundsatz, dass das Recht, Behindertenparkplätze zu benutzen, nur unter engen Voraussetzungen eingeräumt werden darf. Dafür spricht insbesondere, dass Parkraum in den Innenstädten nicht beliebig vermehrbar ist, ebenso wie auch der verkehrsrechtliche Ansatz seiner grundsätzlichen Privilegienfeindlichkeit, sodass mit Mitteln des Straßenverkehrsrechts nur ein Nachteilsausgleich eingeräumt werden kann und dieser ausschließlich unter dem Aspekt eines sicheren und geordneten Verkehrsablaufes. Dafür sprechen auch behinderungspolitische Erwägungen. Behindertenparkplätze müssen denjenigen Menschen mit Schwerbehinderung vorbehalten bleiben, die sich dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kfz bewegen können. Das sind Menschen, die für ihre mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung einen GdB von mindestens 80 haben. Eine breite Ausweitung des berechtigten Personenkreises würde dazu führen, dass die eigentliche Zielgruppe längere Wege zurücklegen müsste, weil der Parkraum begrenzter wäre (vgl. BT-Drucks. 18/9522, S. 318).

Eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von 80 entspricht (vgl. Urteil des Senats vom 7. Dezember 2017 - L 6 SB 4071/16 -, juris, Rz. 62), liegt bei der Klägerin nicht vor.

Dabei ist der Senat nicht deswegen an einer Überprüfung dieses GdB gehindert, weil bei der Klägerin zurzeit bindend überhaupt nur ein Gesamt-GdB von 60 festgestellt ist. Da die Träger der Versorgungsverwaltung gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nur ermächtigt sind, eine - unbenannte - Behinderung und den GdB (also den Gesamt-GdB) festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13), wäre es dem Senat als Tatsachengericht nicht verwehrt, den Anspruch auf behördliche Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" umfassend zu prüfen, also etwa bislang nicht berücksichtigte behinderungsbedingten Funktionsstörungen heranzuziehen und originär zu beurteilen, ob und inwieweit eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vorliegt. Es ist rechtlich nicht ausgeschlossen, dass bei einem behinderten Menschen ein Gesamt-GdB von unter 80 bindend festgestellt ist und gleichwohl das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen ist, weil der Gesamt-GdB in der Sache höher bewertet werden muss.

Nach den Ausführungen des Gesetzgebers des BTHG können die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" erfüllt sein bei zentralnervösen, peripher-neurologischen oder neuromuskulär bedingten Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist, insbesondere bei Querschnittlähmung, Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose, Parkinsonerkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung, einem Funktionsverlust beider Beine ab Oberschenkelhöhe oder eines Beines von da an ohne Möglichkeit der prothetischen oder orthetischen Versorgung, insbesondere bei Doppeloberschenkelamputierten und Hüftexartikulierten, schwerster Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit, insbesondere bei Linksherzschwäche Stadium NYHA IV, schwersten Gefäßerkrankungen, insbesondere bei arterieller Verschlusskrankheit Stadium IV, Krankheiten der Atmungsorgane mit nicht ausgleichbarer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades sowie einer schwersten Beeinträchtigung bei einem metastasierenden Tumorleiden mit starker Auszehrung und einem fortschreitenden Kräfteverfall (BT-Drucks. 18/9522, S. 318).

Die Klägerin leidet, soweit es um mobilitätsbezogene Beeinträchtigungen geht, an Behinderungen der unteren Gliedmaßen.

Eine Einschränkung der Herz- oder Lungenfunktion, die ggfs. auch das Merkzeichen "aG" bedingen könnte, besteht nicht. Das Gleiche gilt für ein Tumorleiden.

Die seit einiger Zeit bestehende neurologische Erkrankung, die sensomotorische Polyneuropathie, hat nach der Zeugenaussage des Allgemeinmediziners F. vom 3. Juli 2017 gegenüber dem SG bislang keine eigenständigen bzw. weiteren Störungen geführt. Insbesondere die Gangunsicherheit bzw. der Schwindel, auf den unter anderem Dr. Ki. in seiner Zeugenaussage gegenüber dem SG vom 28. Juli 2017 hingewiesen hat, beruht nicht auf dieser neurologischen Erkrankung. Nach den Angaben von Herrn F. in seiner Zeugenaussage war die Klägerin schon früher, zuletzt im April 2014, wegen der Gangunsicherheit mit Sturzneigung behandelt worden. Die Polyneuropathie ist aber erst später aufgetreten. Dies ergibt sich auch aus dem Entlassbrief des V.-Klinikums vom 10. November 2016, wonach sich damals bei einer neurologischen Konsiliaruntersuchung keine therapie- oder abklärungsbedürftigen Befunde gezeigt hätten.

Die Schädigungen der oberen Gliedmaßen durch den Sturz am Heiligen Abend 2014 in L., die in dem dortigen Klinikum behandelt worden sind, waren vorübergehend und haben jedenfalls keine sechs Monate angedauert, sodass insoweit keine weitere Behinderung entstanden ist (vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX). Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. Cl. vom 15. Dezember 2017, der an beiden Ellenbogengelenken (seitengleich) eine nahezu normwertige Streckung/Beugung um 5/0/140° gemessen hat. Es ist daher nicht zu entscheiden, ob Schädigungen der oberen Gliedmaßen "mobilitätsbezogen" sein können, etwa dann, wenn ihretwegen Gehstützen nicht mehr benutzt werden können, die aber wegen Schädigungen der unteren Gliedmaßen oder aus anderen Gründen notwendig wären.

Die Beeinträchtigungen der Klägerin an den unteren Gliedmaßen, die allein mobilitätsbezogen sind, erreichen lediglich einen GdB von 50 bis 60.

Sofern man die Hüftgelenke als Teil des Funktionssystems "untere Gliedmaßen" sieht (vgl. zur Zusammenfassung von Behinderung derselben Funktionssysteme Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG), bedingen die Beeinträchtigungen dort einen GdB von 20. Auszugehen ist dabei von dem Mindest-GdB von 10 für eine einseitige Hüftgelenks-Totalendoprothese, wie sie bei der Klägerin rechts implantiert ist (vgl. Teil B Nr. 18.12 VG). Dieser Wert ist aber wegen einer eingeschränkten Versorgungsqualität zu erhöhen. Dies beruht zwar nicht auf Bewegungseinschränkungen. Insoweit ist ein GdB erst bei einer Einschränkung der Streckung/Beugung des Hüftgelenks auf 0/10/90° bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit anzunehmen (Teil B Nr. 18.14 VG). Bei der Klägerin beträgt die noch mögliche Streckung/Beugung nach der Implantation aber 0/0/100°. Diesen Wert hat Dr. Cl. bei der Begutachtung der Klägerin gemessen. Es liegt danach - auch gegenüber der linken Hüfte (dort 0/0/120°) nur eine geringe Bewegungseinschränkung vor. Auch gelockert ist die Hüft-TEP der Klägerin nicht. Dr. Ki. (Aussage vom 28. Juli 2017) hat insoweit mitgeteilt, eine Röntgenuntersuchung am 6. April 2017 habe eine korrekte Lage der Hüft-TEP mit - nur - geringgradigem Abrieb des Polyethylens mit leichter Dezentrierung des Kopfes (Prothesenkopf) ergeben. Daraus kann nicht auf eine Lockerung geschlossen werden. Aber auch eine "deutliche Muskelminderung" und eine "ausgeprägte Narbenbildung" können eine eingeschränkte Versorgungsqualität begründen. Ob bei der Klägerin an der Hüfte eine deutliche Narbenbildung vorliegt, konnte allerdings nicht festgestellt werden, weil sich die Klägerin bei der Begutachtung bei Dr. Cl. ohne nachvollziehbaren Grund geweigert hatte, die Hosen abzulegen (zu den Mitwirkungsobliegenheiten eines behinderten Menschen im sozialgerichtlichen Verfahren vgl. § 103 Halbsatz 2 SGG). Aber eine deutliche Muskelminderung im Bereich des rechten Oberschenkels, also im oberen rechten Bein, hat auch Dr. Cl. trotz angezogener Hose feststellen können (S. 8 Gutachten). Noch weiter unten, an der Kniescheibe, wo Dr. Cl. den Umfang messen konnte, war das rechte Bein gegenüber links um 3 cm (30 statt 33 cm) verschmächtigt. Die erhebliche Muskelminderung rechts wird auch schon seit Jahren beschrieben, sodass der Senat an ihr nicht zweifelt.

Die Fraktur des Trochanter major der Klägerin hat keine dauerhaften zusätzlichen Funktionsstörungen verursacht. Dr. Ki. (Aussage vom 28. Juli 2017) hat insoweit mitgeteilt, die Fraktur sei zwar verschoben, aber als vorübergehend einzustufen. Dem entspricht es, dass bei der Begutachtung bei Dr. Cl. im Dezember 2017 keine weitergehenden Störungen festgestellt werden konnten.

Für das rechte Kniegelenk ist ein GdB von 20 bis 30 zu vergeben. Auch wenn bei der Klägerin eine "Teilversteifung" dieses Gelenks anerkannt ist, so liegt in der Sache lediglich eine, wenn auch merkliche Bewegungseinschränkung vor. Nach Teil B Nr. 18.14 VG ist für einen GdB von 10 einseitige Einschränkung der Streckung/Beugung auf 0/0/90° notwendig, für einen GdB von 20 eine Einschränkung auf 0/10/90° und für einen GdB von 30 eine Einschränkung auf 0/30/90°. Bei der Klägerin nun besteht rechts eine Streckung/Beugung von 0/10/80°. Dies hat Dr. Cl. festgestellt (S. 8 Gutachten). Damit ist die Klägerin zwar etwas stärker eingeschränkt als es für einen GdB von 20 vonnöten wäre. Aber die für einen GdB von 30 notwendige erhebliche Streckhemmung um 30° liegt bei ihr deutlich nicht vor. Ein GdB von 30 wird auch nicht im Hinblick auf ausgeprägte Knorpelschäden oder eine Lockerung des Kniebandapparats (beide Schäden sind auch ohne Bewegungseinschränkung GdB-relevant, vgl. Teil B Nr. 18.14 VG) erreicht. Dr. Cl. hat festgestellt, dass im rechten Kniegelenk der Klägerin keine Ergüsse oder sonstigen anhaltenden Reizerscheinungen vorliegen, es war nicht einmal ein retropatellares Reiben zu vernehmen. Die Seiten- und Kreuzbandführung war jeweils stabil (vgl. S. 8 Gutachten).

Die Schäden am rechten Fuß bedingen einen GdB von 40. Dies entspricht der Bewertung für eine Versteifung eines oberen und unteren (also des gesamten) Sprunggelenks in ungünstiger Stellung, wie sie auch Dr. Cl. in seinem Gutachten vorgeschlagen hat. Bei der Klägerin ist zwar lediglich das rechte OSG versteift, und zwar nach Dr. Cl.‘ Messungen mit einer Streckung/Beugung von 0/35/35°. Nach der Einschätzung des Sachverständigen ist dieses Maß als ungünstig zu werten, dem folgt der Senat mangels besserer Einschätzungsmöglichkeiten, auch wenn die Klägerin die daraus folgende Spitzfußstellung, die bei der Arthrodese in Dresden herbeigeführt worden ist, offenkundig bewusst gewählt hat und damit auch einige Zeit zurechtgekommen ist. Das rechte USG ist dagegen nur "wackelsteif", die Pro- und Supination ist also, auch nach Dr. Cl.‘ Feststellungen, möglich, wenn auch schmerzhaft. Zu der nicht vollständigen Versteifung des rechten Sprunggelenks kommen aber noch die ausgedehnten Narben auf Grund der Arthrodese und vor allem die Einschränkung der Zehenbeweglichkeit rechts (nur 3/5 des Normwerts gegenüber 4/5 links, vgl. S. 9 des Gutachtens Dr. Cl.) hinzu. Danach kann der von Dr. Cl. vorgeschlagene GdB von 40 bejaht werden.

Die Beinverkürzung rechts um 3 cm begründet einen GdB von 10 (Verkürzung von 2,5 bis 4 cm, vgl. Teil B Nr. 18.14 VG).

Diese Einzel-GdB-Werte sind entsprechend den Regelungen für die Bildung eines Gesamt-GdB (Teil A Nr. 3 VG) zu einem Teil-GdB von 50 oder 60 für das Funktionssystem der unteren Gliedmaßen zusammenzuziehen. Dabei wirkt der GdB von 10 für die Beinverkürzung nicht erhöhend (vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG). Der höchste Einzel-GdB von 40 für den Fuß ist in jedem Falle einmal um 10 Punkte zu erhöhen, und zwar im Hinblick auf den GdB von 20 bis 30 für das rechte Knie. Ob dann wegen des Einzel-GdB von 20 wegen der Hüfte eine weitere Erhöhung auf dann 60 in Betracht kommt, muss der Senat hier nicht entscheiden. Nachdem außer den Beeinträchtigungen an den unteren Gliedmaßen keine mobilitätsbezogenen Funktionsstörungen vorliegen, ist ein GdB von 80 für solche Störungen jedenfalls nicht erreicht.

Unabhängig hiervon erfüllt die Klägerin auch nicht die weiteren Voraussetzungen des Merkzeichens "aG". Sie ist nicht vom ersten Schritt an auf fremde Hilfe angewiesen bzw. nicht vom ersten Schritt an in ihrer Gehfähigkeit aufs Schwerste eingeschränkt. Sie ist nicht rollstuhlpflichtig, sondern kann selbstständig gehen. Dass sie dabei auf Unterarmgehstützen bzw. eine Stütze angewiesen ist, ändert an dieser Bewertung nichts, weil insoweit weiter ein "Gehen" im Rechtssinne vorliegt. Und mit Hilfe dieser Hilfsmittel ist der Klägerin eine Gehstrecke von 50 m bis zur ersten Pause und von mindestens 100 m insgesamt möglich. Diese Entfernungen hat sie bei der Begutachtung durch Dr. Cl. selbst angegeben (S. 16 Gutachten). Dies deckt sich mit den Angaben des Allgemeinmediziners F. als Zeugen. Er hat in seiner Aussage berichtet, die Klägerin sei noch sehr aktiv und am gesellschaftlichen Leben beteiligt, ihre Gehstrecke sei aber - lediglich - "eingeschränkt", und zwar derart, dass sie alle 30 bis 50 m eine Pause machen müsse, aber durchaus längere Strecken gehen könne, mindestens die 100 m von dem Parkplatz vor seiner Praxis in die Behandlungsräume, aber auch über eine dritte und vierte Pause hinaus (vgl. S. 3 der Zeugenaussage vom 3. Juli 2017).

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved