S 10 R 1451/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 1451/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2016 wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:
I.

Im Streit ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin vom 14.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2016, mit dem die Antragsgegnerin eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen hinsichtlich des Differenzbetrages zwischen gezahlten Löhnen und dem Mindestlohn des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages zur Regelung des Mindestarbeitsentgeltes in dem Gebäudereiniger-Handwerk sowie Säumniszuschläge geltend macht.

Die Antragstellerin betrieb früher gemeinsam mit ihrem Ehemann W. K. das Mercure Hotel in O ... Zu einem späteren Zeitpunkt wurde sie Geschäftsführerin der zur Betreibung des Mercure Hotels gegründeten Chess System Handels GmbH und leitete in dieser Funktion auch die Housekeeping-Abteilung des Hotels. Anfang 2009 übernahm der Ehemann der Antragstellerin die Geschäftsführung der Chess System Handels GmbH, während die Antragstellerin weiterhin die Housekeeping-Abteilung des Hotels leitete. Aufgrund einer schweren Erkrankung des Ehemannes der Antragstellerin wurde Anfang 2011 entschieden, das Hotel zu verkaufen. Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit der Antragstellerin mit den Mitarbeitern der Housekeeping-Abteilung und zur Sicherung deren Arbeitsplätze wurde die Einzelfirma Hotel Cleaning Service (HCS) gegründet, deren alleinige Inhaberin die Antragstellerin ist. Diese Firma wurde zu dem Zweck gegründet, den Zimmerservice in dem Mercure Hotel in O. durchzuführen. Nach Angaben der Antragstellerin wurde den betroffenen Mitarbeitern mitgeteilt, dass ein entsprechender Betriebsübergang geplant sei, und ihnen die Möglichkeit des Widerspruchs eingeräumt, wobei alle Mitarbeiter mit der Maßnahme einverstanden gewesen seien. Laut Auskunft aus dem Gewerberegister wurde der Betrieb zum 01.03.2011 angemeldet und als Tätigkeit Personalagentur, Gebäudereinigung angegeben. Nach Angaben der Antragstellerin war die Firma HCS ausschließlich für die Betreibergesellschaft des Mercure Hotels in O. tätig. Die an die Chess System Handels GmbH gerichteten Rechnungen der Antragstellerin für die Monate Juni, Juli, August, September, Oktober und November 2011 weisen jeweils drei Abrechnungspositionen auf, nämlich die tägliche Reinigung öffentlicher Bereich (Einzelpreis 15,50 EUR), stellvertretende Vorarbeiterin (Einzelpreis 3.500 EUR) und Reinigung der Zimmer (Einzelpreis 5,60 EUR). Die monatlichen Rechnungsbeträge für die tägliche Reinigung öffentlicher Bereich liegen zwischen 1.395 und 1.800 EUR, für die stellvertretende Vorarbeiterin jeweils bei 3.500 EUR und für die Reinigung der Zimmer zwischen 7.442,40 EUR und 11.687,20 EUR.

Da die Firma HCS nach Angaben der Antragstellerin Ende 2012 einen Verlust von mehr als 40.000 EUR erwirtschaftet hatte, wurde der Betrieb zum 31.12.2012 aufgegeben. Die Mitarbeiter wurden nach Angaben der Antragstellerin von der Chess System Handels GmbH übernommen.

Die Antragsgegnerin führte in der Zeit vom 01.09.2015 bis zum 19.10.2015 bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung bezogen auf den Zeitraum 01.06.2011 bis zum 31.12.2012 durch. Neben den an die Chess System Handels GmbH gerichteten Rechnungen wurden Arbeitsverträge eingesehen, die von der Antragstellerin mit Mitarbeitern nach dem 01.06.2011 geschlossen worden waren. Mehrere Arbeitsverträge wurden mit Mitarbeiterinnen geschlossen, die als Zimmermädchen eingestellt wurden und deren Tätigkeit nach dem Arbeitsvertrag die Reinigung von mindestens drei Zimmern oder zwei Suiten in der Stunde umfasste. Ein weiterer Arbeitsvertrag betraf eine Mitarbeiterin, die zum 01.05.2012 als Hausdame eingestellt wurde. Mit Bescheid vom 14.12.2015 machte die Antragsgegnerin die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in einer Gesamthöhe von 6.294,19 EUR und die Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von 2.582 EUR, d. h. insgesamt 8.876,19 EUR geltend. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Firma HCS habe in dem Zeitraum vom 01.06.2011 bis zum 31.12.2012 Gebäudereinigungsdienstleistungen ausgeführt, so dass der Betrieb unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages des Gebäudereiniger-Handwerkes fallen würde. Der Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestarbeitsentgeltes in dem Gebäudereiniger-Handwerk sei mit Wirkung vom 10.03.2010 für allgemeinverbindlich erklärt worden und habe für die Zeit ab dem 01.01.2011 als Mindestentgelt einen Stundenlohn von 8,55 EUR vorgesehen und der Folgetarifvertrag für die Zeit ab dem 01.01.2012 einen Stundenlohn in Höhe von 8,82 EUR. Die Antragstellerin habe zahlreichen Arbeitnehmern einen niedrigeren Stundenlohn gezahlt, so dass für die Differenzbeträge zwischen tatsächlich gezahltem Lohn und tariflich zustehendem Mindestlohn Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen seien. Der Tarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe finde keine Anwendung, da die Antragstellerin keine Beherbungsleistungen und keine gastronomischen Leistungen erbringen würde.

Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 30.12.2015 Widerspruch erhoben und gleichzeitig beim Sozialgericht Duisburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 14.12.2015 beantragt. Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, die von den Mitarbeitern der Firma HCS erbrachten Tätigkeiten fielen nicht unter den Tätigkeitsbereich des Gebäudereinigertarifvertrages, sondern unter den Anwendungsbereich des Tarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe. Die Mitarbeiter der Antragstellerin hätten folgende Aufgaben erfüllt: Pflege der Gästezimmer, Lüften der Zimmer, Ersatz der Blumendekoration, Heizungs- und Lüftungsregulierung, Wechsel der Bettwäsche und Handtücher, Auffüllen und Ersetzen der Kaltgetränke, Spülen und Reinigen der Tassen und Gläser, Besteck und Kaffeautomaten in den Zimmern, Kaffee und Tee ersetzen, Einsammeln der Gästewäsche und Aufbetten der Zusatzbetten und der Kinderbetten. Dagegen hätten sie keine Reinigungstätigkeiten im Bereich der Außenanlagen des Gebäudes, im öffentlichen Bereich, im Bereich des Restaurants, der Küche und des Frühstücksraumes, des Bistros und der Bar, im Bereich der Büros, der Rezeption und des Backoffices sowie der Lounge und des Gartenrestaurants ausgeübt. Die von den Mitarbeitern der Antragstellerin durchgeführten Tätigkeiten seien typisch für die Anwendung des Tarifvertrages des Hotel- und Gaststättengewerbes. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiter sowohl in der Zeit davor als auch in der Zeit nach Einstellung des Betriebes der Antragstellerin unter den Anwendungsbereich des Tarifvertrages des Hotel- und Gaststättengewerbes fallen würden, obwohl keine Abweichungen hinsichtlich der Tätigkeitsinhalte vorliegen würden.

Während des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hat die Antragsgegnerin den Widerspruch mit Bescheid vom 01.03.2016 zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, maßgebend für die Einordnung in den Tarifvertrag des Gebäudereiniger-Handwerkes seien die Gewerberegisterauskunft und die erstellten Rechnungen der Antragstellerin. Aus der Gewerberegisterauskunft ergebe sich, dass die Antragstellerin für den Zeitraum des Bestehens des Unternehmens Gebäudereinigungsarbeiten ausgeübt habe. Aus den von der Antragstellerin erstellten Rechnungen gehe hervor, dass tägliche Reinigungen im öffentlichen Bereich und im Bereich der Zimmer vorgenommen worden seien, so dass die Antragstellerin in dem streitigen Zeitraum gewerbliche Gebäudereinigung betrieben habe. Zudem fielen Unternehmen, die selbst keine Beherbungsleistungen und keine gastronomischen Leistungen erbringen würden, nicht unter den Anwendungsbereich des Tarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 09.03.2016 beim Sozialgericht Duisburg Klage erhoben und beantragt nunmehr die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Sie ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, da die von den Mitarbeitern der Firma HCS erbrachten Tätigkeiten unter den Anwendungsbereich des Tarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe fielen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sie nunmehr als Rentnerin eine Rente in Höhe von 450,- Euro erzielen würde.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2016 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die aufschiebende Wirkung sei nicht anzuordnen, da keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides bestehen würden. Die Antragstellerin habe Gebäudereinigungsdienstleistungen ausgeübt, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages des Gebäudereiniger-Handwerkes fallen würden. Wirtschaftliche Härten könnten nach der Gesetzeslage in der Weise gemildert werden, dass die Antragstellerin bei der zuständigen Einzugsstelle einen Stundungsantrag oder einen Antrag auf Erlass der Forderung stellen würde.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert wird, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfes, hier der Klage, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist insoweit, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. LSG NRW vom 07.01.2011 L 8 R 864/10 B ER; Meyer-Ladewig § 86 a Rn. 27 a m. w. N.). In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich aus § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO), dass es ausreichend ist, wenn die Tatsachen glaubhaft gemacht, d. h. überwiegend wahrscheinlich sind.

Unter Heranziehung dieser maßgeblichen Kriterien bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2016. Es spricht vielmehr mehr dafür als dagegen, dass sich der angefochtene Bescheid als materiell rechtmäßig erweisen wird.

Rechtsgrundlage für die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge ist § 28 p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe bei der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Nach § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d. h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigen zu zahlenden Beiträge in der Krankenversicherung, Rentenversicherung, Pflege-versicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 28 d Satz 1 und 2 SGB IV) zu zahlen. Für die Beiträge abhängig Beschäftigter ist in allen Zweigen der Sozialversicherung jeweils das Arbeitsentgelt des Beschäftigten Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Beiträge (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V, § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 162 Nr. 1 SGB VI, § 342 SGB III). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Nach § 22 Abs. 1 SGB IV entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Für den Beginn der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt oder der Versicherungsverhältnisse sowie für die Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrages kommt es nach dem Schutzzweck der Sozialversicherung nicht darauf an, ob und wann der Arbeitgeber das mit dem Arbeitnehmer vereinbarte Arbeitsentgelt tatsächlich gezahlt hat und dieses dem Arbeitnehmer tatsächlich zufließt. Die Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung von einem höheren als dem gezahlten Arbeitsentgelt hängt vielmehr davon ab, ob der weitere Entgeltbetrag schon während der Zeit, für welchen die Beitrage verlangt werden, geschuldet wurde (vgl. BSG SozR 3-2200 § 385 Nr. 5; BSG Urteil vom 14.07.2004 B 12 KR 1/04 R).

Die Antragstellerin hat für die in der Anlage zum Beitragsbescheid bezeichneten Arbeitnehmer nicht für sämtliche geschuldeten Arbeitsentgelte nach § 14 Abs. 1 SGB IV Beiträge in vollem Umfang entrichtet, da die Antragstellerin die Beiträge nicht auf der Grundlage des tariflich geschuldeten Arbeitsentgeltes gezahlt hat. Die Höhe der den versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern der Antragstellerin zustehenden Arbeitsentgelte ergibt sich für den Prüfzeitraum aus dem Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne in dem Gebäudereiniger-Handwerk im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 29.10.2009, der aufgrund der Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung vom 03.03.2010 (BAnz 2010 Nr. 37 Seite 951) mit Wirkung vom 10.03.2010 für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Der Folgetarifvertrag vom 23.08.2011 wurde mit Wirkung zum 01.01.2012 durch die Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung vom 21.12.2011 (vgl. BAnz 2011 Nr. 196 Seite 4.621) auf alle unter seinem Geltungsbereich fallenden und nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt. Danach galt für die Zeit ab dem 10.03.2010 als Mindestentgelt ein Stundenlohn in Höhe von 8,40 EUR, für die Zeit ab dem 01.01.2011 als Mindestentgelt ein Stundenlohn in Höhe von 8,55 EUR und für die Zeit ab dem 01.01.2012 als Mindestentgelt ein Stundenlohn in Höhe von 8,82 EUR an Arbeitsorten in den alten Bundesländern.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es überwiegend wahrscheinlich, dass ihre Firma dem Anwendungsbereich der Tarifverträge des Gebäudereiniger-Handwerkes unterfällt. Nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäu-dereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 29.10.2009 erstreckt sich der betriebliche Geltungsbereich nach § 1 II unter anderem auf alle Betriebe, die die Reinigung, die pflegende und schützende Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken aller Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen sowie von Raumausstattungen und Verglasungen (Nr. 2) und Arbeiten der Raumhygiene einschließlich von Desinfektionsmaßnahmen (Nr. 7) durchführen. Danach fallen die Betriebe, soweit von ihnen oder in ihnen Gebäudereinigungsleistungen überwiegend erbracht werden, als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Dies entspricht dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 23.08.2011, da § 1 Nr. 2 dieses Tarifvertrages hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereiches auf den gleichlautenden § 1 II des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten in der Ge-bäudereinigung vom 28.06.2011 Bezug nimmt.

Verfolgt ein Betrieb mehrere Geschäftszwecke (Mischbetrieb), kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes für seine tarifliche Zuordnung im Tarifrecht darauf an, auf welche Geschäftstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer entfällt (vgl. BAG vom 19.02.2003 4 AZR 118/02; BAG vom 07.11.2001 4 AZR 663/00). Sowohl nach den Tätigkeitsschilderungen der Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren als auch nach den vorliegenden Arbeitsverträgen und Rechnungen ist es überwiegend wahrscheinlich, dass in dem streitigen Zeitraum vom 01.06.2011 bis zum 31.12.2012 die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer der Antragstellerin auf Arbeiten entfiel, die der Reinigung, der Pflege und der schützenden Behandlung der Hotelzimmer einschließlich der sanitären Einrichtungen und der Einrichtungsgegenstände in den Zimmern dienten. Die regelmäßige Reinigung von Zimmern, Böden und Fluren fällt unter die Unterhaltsreinigung und ist eine typische Tätigkeit des Gebäudereiniger-Handwerkes. Hierzu rechnen sowohl die periodische Grundreinigung als auch die tägliche Reinigung und Pflege von Räumen und Gegenständen. Zu diesem Aufgabengebiet gehören die Reinigung der Bodenbeläge, abgestuft vom Feuchtwischen der Kunststoffböden mit Feuchtwischgeräten über die Reinigung mit Maschinen bis zum Bürst- und Klopfsaugen der Teppichböden. Hinzuzuzählen sind ferner die Behandlung der Wände, der Türen und der Einrichtungsgegenstände und vor allem die hygienische Reinigung aller sanitären Anlagen (vgl. BAG vom 19.02.2003 4 AZR 118/02 unter Hinweis auf entsprechende Tätigkeitsbeschreibungen in den "Blätter zur Berufskunde"). Das Schwergewicht der von den Arbeitnehmern der Antragstellerin zu verrichtenden Tätigkeiten lag darin, fortlaufend und kontinuierlich Reinigungsarbeiten durchzuführen, die dem Erhalt, dem Schutz und der Pflege der gereinigten Objekte dienten. Dementsprechend haben die von der Antragsgegnerin im Betriebsprüfungsverfahren ausgewerteten Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen der Antragstellerin – mit einer Ausnahme – als Aufgabenbereich jeweils "die Reinigung" von mindestens drei Zimmern und zwei Suiten in der Stunde zum Gegenstand. Damit im Einklang stehen die der Betreibergesellschaft des Hotels, d.h. der Chess System Handels GmbH in Rechnung gestellten Leistungen der Antragstellerin. Diese umfassen ausweislich der Rechnungen für die Monate Juni bis November 2011 die "tägliche Reinigung" des öffentlichen Bereiches, die "Reinigung" der Zimmer sowie die Kosten für eine stellvertretende Vorarbeiterin.

Die Kammer verkennt nicht, dass die von der Antragstellerin angebotenen und durchgeführten Leistungen sich nicht in der Durchführung von Reinigungs- und Pflegemaßnahmen erschöpften. Insoweit hat die Kammer insbesondere die historische Entwicklung berücksichtigt, aufgrund der es letztlich zu einer Ausgliederung der Housekeeping-Abteilung gekommen ist, so dass die Antragstellerin auch für andere Dienstleistungen wie Ersatz der Blumendekorationen, Wechsel der Bettwäsche und Handtücher, Einsammeln der Gästewäsche sowie Auffüllen der Kaltgetränke, der Süßigkeiten und der sonstigen zur Verfügung gestellten Lebensmittel zuständig war. Auch dies wird dadurch bestätigt, dass die Antragstellerin eine Mitarbeiterin als Hausdame beschäftigt hatte und entsprechende Kosten in Rechnung stellte. Da jedoch bei einem Mischbetrieb maßgeblich ist, auf welche Arbeiten die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer entfällt, ergibt sich sowohl aus der Art der übernommenen Leistungen als auch – spiegel-bildlich – aus den in Rechnung gestellten Leistungen, dass der Schwerpunkt der Arbei-ten auf die fortlaufende und kontinuierliche, d. h. täglich auszuführenden Reinigungsarbeiten entfiel, die dem Erhalt, dem Schutz und der Pflege der Hotelzimmer einschließlich der Einrichtungsgegenstände und der sanitären Einrichtungen dienten. Aus diesem Grund ist der Mindestlohntarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung auch unter Berücksichtigung des Umstandes anwendbar, dass ein Teil der Arbeitszeit der Mitarbeiter der Antragstellerin auch auf andere Tätigkeiten als Reinigungs- und Pflegearbeiten im Rahmen der Unterhaltsreinigung entfiel.

Eine Anwendbarkeit des Tarifvertrages des Hotel- und Gaststättengewerbes ergibt sich nicht aus § 613 a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dort ist geregelt, dass bei einem Übergang eines Betriebes oder eines Betriebsteiles durch Rechtsgeschäft der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnis eintritt. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages oder durch eine Betriebsvereinbarung gere-gelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Überganges zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Nach den Angaben der Antragstellerin war der Tarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes auf die Arbeitnehmer der Betreibergesellschaft Chess System Handels GmbH und damit auch auf die Mitarbeiter der Housekeeping-Abteilung anwendbar, bevor diese ausgegliedert wurde. Es spricht unter Zugrundelegung der Angaben der Antragstellerin einiges dafür, dass auf die Antragstellerin ein Betriebsteil im Sinne des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen ist. Der rechtsgeschäftliche Übergang eines Betriebsteiles auf einen anderen Inhaber liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung der Identität fortführt, wobei sich der Begriff der wirtschaftlichen Einheit auf die organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zu einer auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung bezieht. Gerade bei betriebsmittelarmen und dienstleistungsorientierten Bereichen und Arbeitszwecken, bei denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch ihre gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit in diesem Sinne darstellen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch eine nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hat (vgl. BAG vom 24.05.2005 8 AZR 333/04; BAG vom 21.05.2008 8 AZR 481/07). Nach den Angaben der Antragstellerin wurden sämtliche Mitarbeiter der Housekeeping-Abteilung mit deren Zustimmung von der Antragstellerin übernommen. Es handelt sich insoweit um einen selbständig übergangsfähigen Betriebsteil, da die Housekeeping-Abteilung eines Hotels eine Teilorganisation darstellt, in der sachlich und organisatorisch abgrenzbare arbeitstechnische Teilzwecke erfüllt werden. Die Housekeeping-Abteilung in einem Hotel ist die operative Abteilung, die für die Sauberkeit, Wartung und ästhetische Pflege der Zimmer und der öffentlichen Bereiche zuständig ist. Auch wenn vorliegend die öffentlichen Bereiche ausgenommen worden sind, handelte es sich um ein konkret abgegrenztes Aufgabengebiet, welches auf eine dauerhafte Erfüllung angelegt war, so dass der Teilbetriebsbegriff erfüllt ist.

Der Anwendbarkeit des bisher maßgeblichen Tarifvertrages des Hotel- und Gaststättengewerbes nach § 613 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Arbeitsverhältnisse zwischen der Antragstellerin als neuer Inhaberin und den Arbeitnehmern steht jedoch § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB entgegen. Danach gilt § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes setzt die Ablösung eines vor dem Betriebsübergang normativ geltenden Tarifvertrages durch einen anderen Tarifvertrag nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB die kongruente Tarifgebundenheit des neuen Inhabers und des Arbeitnehmers voraus (vgl. BAG vom 30.08.2000 4 AZR 581/99). Nur dann werden die Rechte und Pflichten im übernommenen Arbeitsverhältnis im Sinne des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB durch den betreffenden Tarifvertrag geregelt. Kongruente Tarifgebundenheit kann aufgrund Mitgliedschaft in den Tarifvertragsparteien (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) oder aufgrund Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages (§ 5 Abs. 4 TVG) gegeben sein (vgl. BAG vom 29.08.2007 4 AZR 767/06; BAG vom 09.04.2008 4 AZR 164/07). Vorliegend ergibt sich die kongruente Tarifgebundenheit aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Somit sind nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB Regelungen des Lohntarifvertrages des Hotel- und Gaststättengewerbes nicht Inhalt der Arbeitsverhältnisse zwischen der Antragstellerin und deren Mitarbeitern geworden.

Es kann schließlich auch nicht festgestellt werden, dass die Vollziehung des Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten würde. Insoweit reicht insbesondere nicht der Hinweis darauf, dass die Antragstellerin ihren Betrieb zum Ende des Jahres 2012 wieder aufgegeben habe und zurzeit eine Rente in Höhe von 450 EUR erzielen würde. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für die Antragstellerin verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen unbilligen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten ist (vgl. LSG NRW Beschluss vom 31.01.2014 L 8 R 736/13 B ER; LSG NRW Beschluss vom 06.12.2011 L 8 R 701/11 B ER). Darüber hinausgehende nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile durch eine Zahlung hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt. Es wurde insbesondere nicht dargelegt, dass die Antragstellerin neben der Rente über kei-ne weiteren Einkünfte und kein Vermögen verfügt, und dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Zerstörung der Existenzgrundlage der Antragstellerin zur Folge hätte, während die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache nicht weiter gefährdet wäre als zurzeit (vgl. LSG NRW Beschluss vom 31.01.2014 L 8 R 736/13 B ER). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Möglichkeit hinzuweisen, bei der zuständigen Einzugsstelle einen Antrag auf Stundung und Einräumung einer Ratenzahlung zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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