L 1 SF 1019/16 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 38 SF 155/15 E
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 1019/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 13. Juli 2016 (S 38 SF 155/15 E) aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdeführers für das Verfahren S 38 AS 2063/13 auf 584,29 EUR festgesetzt.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für das beim Sozialgericht (SG) Altenburg anhängig gewesene Verfahren (Az.: S 38 AS 2063/13) des vom Beschwerdeführer vertretenen Klägers.

Die Kläger hatte sich mit der am 14. Juni 2013 erhobenen Klage (S 38 AS 2063/13) gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2013 (Ablehnung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 12. bis 31. Juli 2012 nach vorläufiger Bewilligung mit Bescheid vom 22. Juni 2012) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2013 (W 178/138) gewandt. Der Beschwerdeführer führte aus, der angefochtene Bescheid sei aufzuheben, weil der Kläger in der Zeit vom 12. Juli bis 17. Oktober 2012 nicht schuldhaft ortsabwesend gewesen sei. Wegen eines Trauerfalls sei er nach I. gereist; dies sei der Beklagten spätestens seit dem 5. Juli 2012 bekannt gewesen. Am 30. Juli 2012 habe er sich verletzt und der Beklagten per E-Mail mitgeteilt, dass er erkrankt sei. Er habe die Rückreise nicht antreten können. Die Ausreise aus I. sei ihm verweigert worden, weil der deutsche Ausreisestempel durch Wasserkontakt etwas verwischt gewesen sei. Für die Verlängerung seines Aufenthalts in I. trage er keine Verantwortung. Mit Schriftsatz vom 23. August 2013 erklärte der Beschwerdeführer, es sei möglich Zeugen in I. zu benennen und übersandte Unterlagen eines beim Sozialgericht M. anhängigen Rechtsstreits. Dort ging es um den Beginn der Leistungen nach dem SGB II nach Rückkehr des Klägers aus I ...

Mit der ebenfalls am 14. Juni 2013 erhobenen Klage (S 38 AS 2064/13) hatte sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2013 (Ablehnung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. bis 31. August 2012 nach vorläufiger Bewilligung mit Bescheid vom 22. Juni 2012 ) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2013 (W179/13) gewandt. Die Begründung der Klage ist identisch mit der Begründung der Klage S 38 AS 2063/13. Der Schriftsatz vom 23. August 2013 entspricht ebenfalls dem in dem Verfahren S 38 AS 2063/13.

Mit der weiteren am 14. Juni 2013 erhobenen Klage (S 38 AS 2065/13) hatte sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2013 (Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II - Erstattung für die Zeit vom 12. bis 31. Juli 2012 in Höhe von 427,77 EUR und für die Zeit vom 1. bis 31. August 2012 in Höhe von 712,47 EUR jeweils einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2013 (W177/13) gewandt. Die Begründung der Klage ist identisch mit den Begründungen der Klagen S 38 AS 2063/13 und S 38 AS 2064/13. Der Schriftsatz vom 23. August 2013 entspricht ebenfalls dem in den Ver-fahren S 38 AS 2063/13 und S 38 AS 2064/13.

Mit Beschluss vom 6. September 2013 verband das SG die Klagen nach § 113 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Az.: S 38 AS 2063/13.

Mit Beschluss vom 6. September 2013 bewilligte das SG dem Kläger in dem führenden Verfahren S 38 AS 2063/13 ab dem 17. Juni 2013 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Beschwerdeführers ohne Ratenzahlungsbestimmung. Mit Schriftsatz vom 16. September 2013 übersandte der Beschwerdeführer eine Erklärung des Klägers, mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2013 führte er zu dem Tod der Tante aus. Mit weiteren Schriftsätzen führte er zum Sachverhalt und der Abwesenheit des Klägers aus, äußerte sich erneut zu dessen Motiven bezüglich der Abwesenheit und regte seine persönliche Ladung zum Termin an. Es erfolgten noch eine kurze Äußerung zu einer Anfrage des Gerichts und die Übersendung einer vom Kläger unterzeichnete Schweigepflichtentbindungserklärung. Zu dem Vortrag des Klägers hat das SG Ermittlungen über die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in N. D. durchgeführt, deren Ergebnisse im Dezember 2014 und Februar 2015 beim SG eingingen. Hierzu nahm der Beschwerdeführer mit drei Schriftsätzen im Januar und Februar 2015 erneut Stellung. Im März 2015 erklärte er das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Mit Urteil vom 2. April 2015 wies das SG die Klage ab.

Unter dem 22. April 2015 beantragte der Beschwerdeführer im Klageverfahren S 38 AS 2063/13 die Festsetzung folgender Gebühren:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG S 38 AS 2063/13 250,00 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG S 38 AS 2064/13 250,00 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG S 38 AS 2065/13 250,00 EUR Fiktive Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR Kopierkosten Nr. 7000 VV RVG RVG 30 Kopien 15,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 985,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 187,15 EUR Gesamtbetrag 1.172,15 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss (richtig: Vergütungsfestsetzungsbeschluss) vom 8. Mai 2015 die zu zahlende Vergütung auf 696,15 EUR (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 350,00 EUR, Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR, Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 15,00 EUR, Auslagen/Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR, Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 111,15 EUR) fest. Es handle sich bei allen drei Verfahren um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Nach § 15 Abs. 2 RVG könne der Rechtsanwalt die Gebühr in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Unstreitig seien die beantragten Gebühren und Auslagen des führenden Verfahrens. Für die hinzu verbundenen Verfahren sei der Ansatz einer Mittelgebühr nach Nr. 3102 VV RVG unbillig und nicht zu erstatten. Es werde bei minimalem anwaltlichem Aufwand je eine Mindestgebühr nach Nr. 3102 VV RVG für angemessen erachtet.

Dagegen hat der Beschwerdeführer am 20. Mai 2015 Erinnerung eingelegt und sich auf sein Wahlrecht bei verbundenen Rechtsstreitigkeiten berufen. Der Ansatz von drei Verfahrensgebühren nach Nr. 3102 VV RVG sei somit gerechtfertigt. Das anwaltliche Haftungsrisiko, die Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers seien bis zur Verbindung der Angelegenheit bei allen drei Verfahren gleich gewesen. Auch wenn nach der Verbindung der Angelegenheiten der Umfang der Bearbeitung aufgrund der Synergieeffekte geringer gewesen sein sollte, rechtfertige dies nicht die Herabsetzung der Verfahrensgebühren für die hinzu verbundenen Angelegenheiten auf die Mindestgebühr. So werde nicht berücksichtigt, dass die Kommunikation mit dem Kläger durch seinen Umzug nach Klageerhebung wesentlich schwieriger und aufwändiger gewesen sei. Der Beschwerdegegner hat am 26. Februar 2016 ebenfalls Erinnerung eingelegt und beantragt, die Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG in Höhe von ¾ der Mittelgebühr (127,50 EUR) und die fiktive Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG ebenfalls in Höhe von ¾ der Mittelgebühr (150,00 EUR) festzusetzen und die übrigen Gebühren entsprechend anzupassen. Bei der Festsetzung der Vergütung sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den drei Klageverfahren um dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne handle. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei durchschnittlich gewesen, die Schwierigkeit unterdurchschnittlich, die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger werde durch dessen unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse kompensiert. Eine Verwirkung des Erinnerungsrechts sei nicht eingetreten.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2016 hat das SG die Erinnerung des Beschwerdeführers zurückgewiesen und auf die Erinnerung des Beschwerdegegners die zu erstattenden Vergütung auf 577,15 EUR festgesetzt. Die Erinnerung des Beschwerdegegners sei nicht verwirkt. Bei den drei anhängigen Klageverfahren habe es sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgerichts um dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne gehandelt (§ 15 Abs. 2 RVG). Die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG sei aufgrund der durchschnittlichen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der durchschnittlichen wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger und unter Berücksichtigung der im durchschnittlichen Bereich liegenden konkreten anwaltlichen Tätigkeit im Einzelnen in Höhe der Mittelgebühr (250,00 EUR) festzusetzen. Ebenso sei die Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr (200,00 EUR) festzusetzen.

Gegen den am 18. Juli 2016 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 27. Juli 2016 Beschwerde eingelegt und die Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Ver-gütung auf 1.172,15 EUR beantragt. Das SG habe nicht beachtet, dass der Beschwerdegegner über Monate lang untätig geblieben sei und das Verfahren über Gebühr verzögert habe. Wenn das SG der Auffassung sei, dass hier im konkreten Einzelfall nur eine Gebühr hätte verlangt werden dürfen, so wäre diese angesichts der Vielzahl der Fälle und dem damit verbundenen Aufwand auch in Anbetracht gewisser Synergieeffekte höher als die Mittelgebühr anzusetzen. Es habe sich um drei rechtlich selbstständige Bescheide gehandelt. Das SG hätte frühzeitig die Angelegenheiten zusammen führen müssen.

Das SG hat der Beschwerde des Beschwerdeführers nicht abgeholfen (Beschluss vom 28. Juli 2016) und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Beschwerdegegner hat am 23. September 2016 ebenfalls Beschwerde erhoben und bean-tragt die Vergütung abschließend auf 371,88 EUR festzusetzen. Er verweist auf den Schriftsatz vom 26. Februar 2016.

II.

Zuständig für die Entscheidung ist nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Landessozialgerichts i.V.m. dem Geschäftsverteilungsplan des 1. Senats die Berichterstatterin des Senats.

Anzuwenden ist das RVG in der Fassung bis 31. Juli 2013, denn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG ist offensichtlich vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 1. August 2013 (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG) erteilt. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 EUR.

Sie ist im tenorierten Umfang begründet. Die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners ist unbegründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbar-keit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Kläger war kostenprivilegierter Beteiligter i.S.d. § 183 Satz 1 SGG; damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach herrschender Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26. November 2014 - L 6 SF 1079/14 B m.w.N., nach juris). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Bei den drei beim SG anhängig gewesenen Klageverfahren handelte es sich bereits vor der Verbindung nach § 113 SGG gebührenrechtlich um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG. Der Kläger war in den zu Grunde liegenden Hauptverfahren grundsätzlich berechtigt in getrennten Widerspruchs- und Klageverfahren gegen die Bescheide der Beklagten vorzugehen. Davon unabhängig ist allerdings die Frage, ob die dadurch verursachten Mehrkosten von der Beklagten oder der Staatskasse zu übernehmen sind. Dies ist zu verneinen. Nach § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal verlangen.

Der Begriff der Angelegenheit ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Von derselben Angelegenheit wird regelmäßig dann ausgegangen, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen ein innerer Zusammenhang gegeben ist, also ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014 - B 4 AS 27/13 R m.w.N., nach juris). Dies gilt auch für Individualansprüche nach dem SGB II; die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft löst lediglich eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG aus (vgl. BSG, Urteile vom 2. April 2014 - B 4 AS 27/13 R, 21. Dezember 2009 - B 14 AS 83/08 R, 27. September 2011 - B 4 AS 155/10 R, nach juris; a.A. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Auflage 2017, § 15 Rn. 23). Entscheidend ist, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014 - B 4 AS 27/13 R; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 6. November 2014 - L 6 SF 1022/14 B).

Der Rechtsprechung des BSG ist der 6. Senat des Thüringer Landessozialgericht gefolgt und hat sie dergestalt weiterentwickelt, dass auch bei getrennten Klageverfahren "dieselbe Angelegenheit" vorliegen kann (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 6. Januar 2015 - L 6 SF 1221/14 B, 15. April 2015 - L 6 SF 331/15 B, 6. November 2014 - L 6 SF 1022/14 B). Dem hat sich der 1. Senat angeschlossen. Ein einheitlicher Lebenssachverhalt ist hier unzweifelhaft gegeben, weil es in den Verfahren um eine endgültige Entscheidung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nach vorläufiger Bewilligung von Leistungen ging. Die Gewährung von Leistungen wurde wegen Ortsabwesenheit des Klägers für zwei direkt aneinander anschließende Zeiträume endgültig abgelehnt. Hieraus resultierte die ausgesprochene Verpflichtung des Klägers, die überzahlten Leistungen für die beiden Zeiträume zu erstatten. Es handelte sich daher um einen insgesamt einheitlichen Lebenssachverhalt.

Die Erinnerung des Beschwerdegegners war zulässig. Eine Verwirkung ist nicht eingetreten. Hierzu hat der erkennende Senat entschieden, dass eine Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens voraussetzt, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2018 - L 1 SF 497/16, Leitsatz, nach juris). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Unabhängig davon, ob das Zeitmoment zu bejahen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 5. März 2018 - L 1 SF 1343/16 B, nach juris), konnte sich der Beschwerdeführer aufgrund des Verhaltens des Beschwerdegegners nicht darauf einrichten, dass dieser sein Recht nicht geltend machen werde. Es war vielmehr klar, dass aufgrund seiner Erinnerung gegen den "Kostenfestsetzungsbeschluss" der UdG vom 8. Mai 2015, eine Prüfung durch den Beschwerdegegner - und damit gegebenenfalls auch eine Erinnerung - erfolgen wird.

Angemessen ist im vorliegenden Fall eine Verfahrensgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. Nr. 3103 VV RVG in Höhe der um ½ erhöhten Mittelgebühr (255,00 EUR). Die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG kommt nur dann in Betracht, wenn keine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist. Dies war hier nicht der Fall, weil der Beschwerdeführer bereits in den vorausgegangenen Widerspruchsverfahren für den Kläger tätig geworden ist. Die von ihm geltend gemachte Vergütung in Höhe von insgesamt 750,00 EUR übersteigt den Toleranzrahmen. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war im Vergleich mit den übrigen sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 18. August 2011 - L 6 SF 872/11 B, nach juris) überdurchschnittlich. Zu berücksichtigen ist der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und objektiv verwenden musste (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R, nach juris). Der durchschnittliche Umfang orientiert sich am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 13. August 2015 - L 6 SF 515/15 B; Hartmann in Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 14 RVG Rn. 3), jeweils bezogen auf das in der jeweiligen Gebührenziffer umschriebene Tätigkeitsfeld. Der Beschwerdeführer fertigte insgesamt 16 Schriftsätze, die teilweise allerdings inhaltlich identisch bzw. sehr kurz waren. Er begründete die Klage zunächst mit einem knapp zweiseitigen Schriftsatz. Nach der Erwiderung der Beklagten erfolgte im Laufe des Verfahrens nochmals auf knapp zwei Seiten einer Auseinandersetzung mit deren Argumentation. Nach Durchführung der Ermittlungen durch das SG erfolgten weitere Auseinandersetzungen mit den dortigen Ermittlungsergebnissen. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, d. h. die Intensität der Arbeit (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R, nach juris), sieht der Senat - ausgehend von einem objektiven Maßstab - hier als durchschnittlich an. Dass der Kläger ortsabwesend war, war zwischen den Beteiligten unstreitig. Insofern bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit bedeutenden Rechtsproblemen, sondern lediglich des Vortrags von Tatsachen, die die Ortsabwesenheit ggf. als gerechtfertigt erschienen ließen. Auch zu Gutachten oder medizinischen Unterlagen hatte der Beschwerdeführer nicht Stellung zu nehmen. Bezüglich der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R, nach juris). Diese war hier weit überdurchschnittlich; aus der endgültigen Festsetzung der Leistungen nach dem SGB II resultierte eine Rückforderung gegen den Kläger in Höhe von insgesamt 1.140,24 EUR. Die Einkommensverhältnisse des Klägers waren unterdurchschnittlich. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger wird insoweit nur teilweise durch seine unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse kompensiert. Ein besonderes Haftungsrisiko des Beschwerdeführers ist nicht erkennbar.

Die Höhe der fiktiven Terminsgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. Nr. 3106 VV-RVG ist in Höhe der Mittelgebühr (200,00 EUR) - wie vom Beschwerdeführer beantragt - festzusetzen. Anhaltspunkte dafür, dass diese zu seinen Gunsten höher festzusetzen wäre, bestehen nicht.

Zu vergüten sind weiter die zwischen den Beteiligten nicht streitige Dokumentenpauschale Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG, die Pauschale Nr. 7002 VV RVG und die Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG.

Damit errechnet sich die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 256,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 15,00 EUR Pauschale Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 491,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 93,29 EUR Gesamtbetrag 584,29 EUR

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG). Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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