S 23 AL 290/04 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AL 290/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufgegeben, von der Dienstleistungsfreiheit der polnischen Arbeitnehmer auszugehen, die von der Antragstellerin bei der Durchführung des Werkvertrages mit der ARGE Ruhrkohlenbunker/ Ensdorf, bestehend aus der Thyssen Schachtbau GmbH und der Deilmann-Haniel GmbH, vom 03.05.2004 über die Ausführung von Bunkerteufarbeiten zur Herstellung des Ruhrkohlenbunkers im Bergwerk Ensdorf, Provinzialstraße 1, 66806 Ensdorf, beschäftigt werden. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Antragstellerin ist ein polnisches Unternehmen mit Sitz in Katowice/Polen, das eine Zweigniederlassung in Deutschland, eingetragen im Handelsregister Moers, das im Rahmen der zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Republik Polen geschlossenen Regierungsvereinbarung zur Ausführung von Werkverträgen im Bundesgebiet mit ihren entsandten Arbeitnehmern tätig wird.

Die Antragstellerin schloss am 03.05.2004 mit der ARGE Ruhrkohlenbunker/Ensdorf Thyssen Schachtbau GmbH/Deilmann- Haniel GmbH Dortmund einen Werkvertrag, der die Ausführung von Bunkerteufarbeiten zum Gegenstand hat. Arbeitsbeginn sollte der 01.08.2004 sein.

Den Werkvertrag legte die Antragstellerin am 05.07.2004 vor und beantragte aus Gründen der Rechtssicherheit, die Feststellung, ob Arbeitserlaubnisse zu beantragen seien. Sie bezog sich hierbei auf ein von der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin betriebenen einstweiligen Anordnungsverfahrens, in dem die Kammer mit Beschluss vom 08.06.2004 (S 23 AL 181/04 ER) festgestellt hatte, dass bis zur Entscheidung in der Hauptsache von der Dienstleistungsfreiheit der polnischen Arbeitnehmer auszugehen ist. Mit Schreiben vom 14.07.2004 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass wie in dem Verfahren S 23 AL 181/04 SG Düsseldorf auch in diesem Fall nicht von einer Dienstleistungsfreiheit der polnischen Arbeitnehmer ausgegangen werde.

Unter Bezugnahme auf den zitierten Beschluss der Kammer beantragt die Antragstellerin, im Wege der einstweiligen Anordnung wie folgt zu erkennen:

Der Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufgegeben, von der Dienstleistungsfreiheit der polnischen Arbeitnehmer auszugehen, die von der Antragstellerin bei der Durchführung des Werkvertrages mit der ARGE Ruhrkohlenbunker/Ensdorf, bestehend aus der Thyssen Schachtbau GmbH und der Deilmann-Haniel GmbH, vom 03.05.2004 über die Ausführung von Bunkerteufarbeiten zur Herstellung des Ruhrkohlenbunkers im Bergwerk Ensdorf, Provinzialstrasse 1, 66806 Ensdorf beschäftigt werden.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzuweisen.

Es sei jedenfalls kein Anordnungsanspruch gegeben. Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 23 AL 182/04 ER und dem dazugehörigen Hauptsacheverfahren S 23 AL 181/04. Sie ist zum Einen der Auffassung, dass die im Rahmen des Werkvertrages geschuldeten Arbeiten von den NACE-Codes erfasst werden und vertreten darüber hinaus den Standpunkt, dass sämtliche Tätigkeiten des Baugewerbes erfasst werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist begründet.

Bei dem Begehren der Klägerin handelt es sich um ein Feststellungsbegehren. Gem. § 86 b Abs. 2 S 2 SGB III sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Der Erlass einer solchen Anordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund (Dringlichkeit der Regelung) glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Begehren in der Hauptsache offensichtlich begründet ist.

Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist im Hinblick auf den vereinbarten Beginn der Werkvertragsarbeiten zu bejahen. Dies wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gestellt.

Auch ein Anordnungsgrund ist nach Auffassung der Kammer gegeben.

Die Hauptsache bietet bei der gebotenen summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Erfolg.

Art 39 EGV gewährt dem EU-Bürger unter völliger Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmestaats den freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Zum 01.05.2004 ist Polen der Europäischen Union (EU) beigetreten. Der Beitrittsvertrag (AblEU L 236 v. 23.09.2003 S 1ff, siehe dort insbes. Art. 3, 24 der Beitrittsakte; EU-Beitrittsvertragsgesetz v. 18.09.2003 (BGBl II S 1408)) sieht eine Reihe von Übergangsregelungen vor, u.a. eine bis zu siebenjährige für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der freie Zugang zum Arbeitsmarkt gem. Art 1 bis 6 der VO-EG 1612/68 wird zunächst generell für zwei Jahre ausgesetzt. Die bisherigen EU-Staaten können daher nationale oder sich aus bilateralen Abkommen ergebende Regelungen anwenden, um den Zugang der Beitrittsstaatler zu ihren Arbeitsmärkten zu steuern.

Gem. der Liste nach Art 24 der Beitrittsakte Polen können von der Abweichung von der Freizügigkeit in Deutschland u.a. folgende Dienstleistungssektoren betroffen sein: "Baugewerbe, einschließlich verwandte Wirtschaftszweige". Hinsichtlich der einzelnen Tätigkeit in diesem Sektor wird Bezug genommen auf den NACE-Code 45.1. bis 4 ... Zum Sektor Bau (Code 45.) sind genannt:

Vorbereitende Baustellenarbeiten"(Code 45.1)
– im Einzelnen: Abbruch- Spreng- und Erdbewegungsarbeiten (45.11), Test- und Suchbohrungen (45.12),

Hoch- und Tiefbau (45.2)
– im Einzelnen: Hochbau, Brücken – und Tunnelbau u.Ä (45.21), Zimmerei, Dachdeckerei, Bauspenglerei und Abdichtung (45.22), Bau von Straßen, Bahnverkehrsstrecken, Rollbahnen und Sportanlagen (45.23), Wasserbau (45.24), sonstiger spezialisierter Hoch- und Tiefbau (45.25),

Bauinstallation (45.3)
– im Einzelnen: Elektroinstallation ( 45.31), Dämmung gegen Kälte, Wärme, Schall und Erschütterung (45.32, Gas- Wasser-, Heizungs- und Lüftungsinstallation (45.33) sowie sonstige Bauinstallation (45.34),

Sonstiges Baugewerbe (45.4)
- im Einzelnen: Anbringung von Stukkaturen, Gipserei und Verputzerei, (45.41), Bautischlerei und Schlosserei (45.42), Fußboden-, Fließen- und Plattenlegerei, Tapeziererei (45.43), Malerei- und Glaserei, sonstiger Ausbau (45.45),

Vermietung von Baumaschinen und -geräten mit Bedienungspersonal (45.5).

Nach Auffassung der Kammer sind die in dem Werkvertrag genannten Tätigkeiten: Ausführung von Bunkerteufarbeiten unter keine der von der Abweichung betroffenen Tätigkeiten zu subsumieren. Die Kammer geht weiter davon aus, dass mit der Bezugnahme der Liste nach Art. 24 der Beitrittsakte die Tätigkeiten, die von der Abweichung betroffen werden sollen, eine abschließende Regelung getroffen und nicht etwa nur beispielhaft Tätigkeiten des Baugewerbes genannt werden sollen, das indes insgesamt von der Abweichung erfasst werden sollte. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung: Folgende Dienstleistungen können von der Abweichung betroffen sein. Der Verweis auf die in den NACE – Codes genannten Tätigkeiten beinhaltet nach Auffassung der Kammer insoweit eine einschränkende Regelung. Demgegenüber geht die Beklagte davon aus, dass sämtliche, nach nationalem Recht der Baubetriebe-Verordnung unterfallende Tätigkeiten von der Ausnahme erfasst werden. Wäre dies gewollt gewesen, hätte insoweit eine Bezugnahme – und zwar unmittelbar in den NACE-Codes -erfolgen können und müssen.

Bei der Abwägung, ob der Antragstellerin Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung zu gewähren ist, hat das Gericht Belange der Öffentlichkeit und der Antragstellerin abzuwägen. Die Anforderungen an den Anordnungsgrund sind allerdings geringer, wenn - wie hier - der Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich ist. Da von der Kammer ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad der Erfolgsaussicht bejaht worden ist, hat sie den Interessen der Antragstellerin den Vorzug eingeräumt. Bei Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache könnte sie allein durch Zeitablauf effektiven Rechtsschutz nicht erlangen. Es war deswegen auch in Kauf zu nehmen, dass durch die einstweilige Anordnung das Hauptsacheverfahren jedenfalls teilweise vorweggenommen wird (vgl. zB BverfG DÖV 73, 133; OVGNW OVGE 27,252).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz iVm § 155 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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