S 12 KA 248/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 248/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Betreuungsleistung nach Nr. 01770 EBM kann auch dann nur von einem Vertragsarzt je Quartal und schwangerer Versicherter abgerechnet werden, wenn mehrere Vertragsärzte gleich aus welchem Grund - mit der Betreuung befasst sind (vgl. BSG, Urt. v. 11.02.2015 B 6 KA 15/14 R - SozR 4-2500 § 106a Nr. 13, juris Rn. 20 ff.). Die Feststellung der Schwangerschaft und damit die erstmalige Abrechnung der Nr. 01770 EBM hat nach objektiven Kriterien der Befundung zu erfolgen. Es kommt nicht auf die Kommunikation des Arztes mit der Patientin wie Mitteilung der Schwangerschaft oder gar Aushändigung des Mutterpasses bzw. Eintragung der weiteren Schwangerschaft im Mutterpass an.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung der Leistung nach Nr. 01770 EBM (Betreuung einer Schwangeren) im Quartal III/15 im Behandlungsfall der Patientin D. D. (Barmer GEK), geb. 1989, im Wert von 107,30 EUR.

Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft mit Praxissitz in A-Stadt. In ihr sind zwei zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätig.

Die Beklagte setzte auf Antrag der Krankenkasse mit Honorarberichtigungsbescheid vom 21.06.2016 die strittige Leistung nach Nr. 01770 EBM für das Quartal III/15 ab, weil die Klägerin die Leistung als Zweitbehandlerin abgerechnet habe. Nach BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R - sei die Abrechnung ausschließlich durch den erstbehandelnden Gynäkologen je Quartal zulässig. Eine Korrektur für den Fall, dass der zweitbehandelnde Arzt entweder nicht wisse, dass die Schwangere schon bei einem anderen Vertragsarzt in Behandlung gewesen sei, oder dass dieser die Betreuung in Kenntnis der Vorbehandlung vollständig übernehme, sei nach der Entscheidung nicht geboten. Der Vertragsarzt könne durch Befragung der Versicherten (Mutterpass) klären, ob eine Vorbehandlung erfolgt sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 27.06.2016 Widerspruch ein. Sie trug vor, Herr Dr. A. habe die Patientin ab der Frühgravidität in der 5. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt als behandelnder Gynäkologe betreut. Am 17.09.2015 sei die Frühschwangerschaft in der Praxis festgestellt worden. Die schwangerschaftsrelevanten Blutuntersuchungen sowie BG-Bestimmung, Vorsorgeuntersuchungen u. s. w. seien von ihm veranlasst worden. Er sei der Hauptbehandler, weshalb die Leistung nicht gekürzt werden könne.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die strittige Leistung sei im Quartal III/15 bereits am 10.09.2015 in einer anderen betreuenden BAG mit Diagnoseangaben wie z. B. "Untersuchung und Feststellung einer Schwangerschaft", "Blutung in der Frühschwangerschaft" zum Ansatz gebracht worden. Die Anzahl der Arzt-Patientenkontakte habe darüber hinaus bei der BAG höher als bei der Klägerin gelegen, so dass in diesem Quartal der Leistungsinhalt erfüllt worden sei. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne der Name des Kollegen nicht genannt werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.03.2017 die Klage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor, die Beklagte hätte die Berechtigung der Abrechnung des anderen Arztes ebf. überprüfen müssen, um zu ermitteln, ob tatsächlich die Betreuung durch die andere Praxis den Anforderungen der Nr. 01770 EBM entspreche. Die Patientin habe glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass sie stationär aufgenommen worden sei. Schwangerschaftsberatung habe sodann sie durchgeführt. Ohne eine solche Beratung sei die Betreuungsziffer aber überhaupt nicht abrechenbar. Angesichts des frühen Stadiums der Schwangerschaftsfeststellung durch sie erscheine es implausibel, wenn die Schwangerschaft schon vorher festgestellt worden sein solle und dann noch - entgegen der Aussage der Patientin - eine Beratung stattgefunden haben soll. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich nicht, in welcher Form die Prüfung einer Vorbehandlung erfolgt sei. Es sei davon auszugehen, dass lediglich die Abrechnung überprüft worden sei. Die Patientin habe ihre letzte Menstruation auf den 08.08.2015 datiert. Mithin sei sie am 33. Zyklustag, dem 10.09.2015, in der Klinik gewesen. Angeblich sei zu diesem Zeitpunkt keine Schwangerschaft diagnostiziert worden. Am 40. Zyklustag, dem 17.09.2015, habe sie sich in ihrer Praxis vorgestellt. Es sei eine intracavitäre Fruchthöhe von 8 mm festgestellt worden. Sie habe ein Rezept für Progesteron ausgestellt. Des Weiteren sei eine ß-HCG-Bestimmung veranlasst worden, die mit dem Ergebnis der 5. bis 6. Schwangerschaftswoche entsprochen habe. Am 48. Zyklustag, dem 25.09.2015, habe sich eine kleine intracavitäre Fruchthöhe mit foetalen Anteilen mit einer Schädel-Steiß-Länge von 5,4 mm, was für die jetzt 6. Schwangerschaftswoche plus 6 Tage zu klein gewesen sei, gezeigt, aber mit positiven Herztönen. Nach Feststellung der intakten Frühgravidität sei eine Blutentnahme zur Anlage eines Mutterpasses veranlasst worden, was so auch dem Inhalt der Mutterschaftsrichtlinie entspreche. Es sei medizinisch unumstritten, dass frühestens ab dem 45. Zyklustag eine Herzaktion erkennbar sei. Es sei mithin unmöglich gewesen, am 33. Zyklustag oder in der 4. Schwangerschaftswoche plus 6 Tage eine intakte Frühschwangerschaft anderweitig feststellen zu lassen, sodass eine Schwangerschaftsbetreuung nicht in Ansatz gebracht werden konnte. Bei unrichtigem Ansatz der Leistung sei die Schwangerschaftsbetreuung weiterhin abrechenbar. Ob eine ambulante Behandlung tatsächlich am 10.09., 14.09. und 16.09.2015 anderweitig stattgefunden habe, werde mit Nichtwissen bestritten. Sie habe die Patientin ausdrücklich zu einer evtl. Vorbehandlung befragt. Die Patientin habe schriftlich bestätigt, dass eine Vorbehandlung nicht stattgefunden habe. Ein Mutterpass sei nach Auskunft der Patientin zuvor nicht ausgestellt worden. Voraussetzung für die Abrechenbarkeit der Nr. 01770 EBM sei, dass eine Beratung und Untersuchung gem. der Mutterschaftsrichtlinie erfolgt, Ultraschalluntersuchungen, ggf. mit Biometrie ohne systematische Untersuchung der vitalen Morphologie erbracht worden und eine Bilddokumentation angefertigt worden seien. Aus den Unterlagen des Vorbehandlers folge, dass die erforderlichen Laboruntersuchungen nicht durchgeführt worden seien. ß HCG-Werte von unter 150 seien kein allein entscheidendes Kriterium bei der Feststellung einer Schwangerschaft. Vielmehr lägen diese Werte derart niedrig, dass auch andere Gründe für einen solchen Wert einschlägig sein könnten. Auch aus der Ultraschalluntersuchung lasse sich eine Schwangerschaft nicht feststellen, da sich die Fruchthöhle noch nicht abgezeichnet habe. Die Mutterschaftsrichtlinie setze auch die Ausstellung eines Mutterschaftspasses voraus, was nicht geschehen sei. Womöglich wäre dann der Patientin bewusst geworden, dass eine Betreuung als Schwangere vorgelegen habe.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt ergänzend zu ihren Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vor, es komme nicht darauf an, ob der Zweitbehandler Kenntnis von der Vorbehandlung gehabt habe. Er könne sich durch Einsicht in den Mutterpass und Befragung der Patientin schützen. Die Bestätigung der Patientin über eine fehlende Vorbehandlung sei erst am 07.03.2017 nach Erlass des Widerspruchsbescheides erstellt worden. Fraglich sei, ob die Patientin sich überhaupt noch erinnern könne. Es erschließe sich auch nicht, ob die Klägerin die Patientin tatsächlich befragt habe. Jedenfalls habe ihre Prüfung ergeben, dass die Patientin durch einen anderen Gynäkologen bereits behandelt worden sei. Die Patientin habe sich laut des Abrechnungsscheins des Vorbehandlers am 10.09., 14.09. und 16.09.2015 bei diesem in der Behandlung befunden. Dieser habe die Nr. 01772 EBM (weiterführende sonographische Diagnostik I) am 14.09.2015 abgerechnet, was für eine Betreuung der Schwangeren spreche. Für die Abrechnung der Nr. 01770 EBM sei es nicht erforderlich, dass eine Herzaktion erkennbar sei. Daher lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der Erstbehandler keine Schwangerschaft festgestellt haben könne und die Leistung zu Unrecht abgerechnet habe. Es liege nahe, dass die Patientin eine unrichtige Auskunft erteilt habe. Sie wäre bereit, vergleichsweise die Nr. 33044 EBM nach zu vergüten. Die Laborkosten seien bereits vergütet worden. Die vom Erstbehandler vorgelegten Dokumente belegten, dass dieser die Nr. 01770 EBM zu Recht abgerechnet habe. Er habe umfangreiche (schwangerschaftstypische) Laboruntersuchungen aus unterschiedlichen Materialien veranlasst. Auf den vorgelegten Ultraschallbildern sei eine Fruchthöhle zu erkennen. Es sei nicht unüblich und durchaus nachvollziehbar, dass der Mutterpass nicht direkt bei der Feststellung der Frühschwangerschaft ausgestellt werde, zumal wenn Komplikationen - wie z. B. hier u. a. Blutungen - aufträten. Zum anderen wäre der Zeitpunkt der Abrechnung der Nr. 01770 EBM davon abhängig, ob bereits ein Mutterpass aus einer vorangegangenen Schwangerschaft vorliege. Wenn sich der Arzt aus nachvollziehbaren Gründen für eine nicht sofortige Ausstellung des Mutterpasses entscheide, könnte er die Ziffer nicht abrechnen. Wenn aber bereits aus einer vorangegangenen Schwangerschaft ein Mutterpass vorliege, wäre die Abrechnung möglich. Das wäre willkürlich. Auch die Klägerin habe den Mutterpass nicht beim Erstkontakt ausgestellt. Damit gehe auch sie selbst davon aus, dass Nr. 01770 EBM nicht die sofortige Ausstellung des Mutterpasses voraussetze.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insb. form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2017 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Die Beklagte hat zu Recht die Ziffer 01770 EBM in dem Behandlungsfall D. D. (Barmer GEK) abgesetzt.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragsärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Dies wird nunmehr durch den ab 01.01.2004 geltenden § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a. F. bzw. ab 01.01.2017 § 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V klargestellt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte feststellt. Die Beklagte kann die sachlich-rechnerische Richtigstellung wie vorliegend auch nach der Erteilung des Quartalshonorarbescheids vornehmen.

In dem hier strittigen Behandlungsfall hat die Beklagte die Leistung nach Ziffer 01770 EBM zu Recht abgesetzt, weil die Klägerin die Leistung als Zweitbehandlerin abgerechnet hat.

Die mit 1.093 Punkten bzw. 112,27 EUR bewertete Ziffer 01770 EBM - Betreuung einer Schwangeren gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (Mutterschafts-Richtlinien) - hat im streitbefangenen Quartal III/15 folgenden Wortlaut: Obligater Leistungsinhalt
- Beratungen und Untersuchungen gemäß den Mutterschafts-Richtlinien,
- Ultraschalluntersuchungen nach Anlage 1a ggf. mit Biometrie ohne systematische Untersuchung der fetalen Morphologie und Anlage 1b der Mutterschafts-Richtlinien,
- Bilddokumentation(en),
einmal im Behandlungsfall.
Die Berechnung der Gebührenordnungsposition 01770 setzt eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung nach der Ultraschall-Vereinbarung gemäß § 135 Abs. 2 SGB V voraus. Die Gebührenordnungsposition 01770 kann für die Betreuung einer Schwangeren im Laufe eines Quartals nur von einem Vertragsarzt abgerechnet werden. Dies gilt auch, wenn mehrere Vertragsärzte in die Betreuung der Schwangeren eingebunden sind (z. B. bei Vertretung, im Notfall oder bei Mit- bzw. Weiterbehandlung). Macht die Schwangere nach Aufklärung gemäß den Mutterschafts-Richtlinien Gebrauch von ihrem Recht auf Nichtwissen und verzichtet auf die Ultraschalluntersuchung(en) nach Abschnitt A Nr. 5 der Richtlinie, hat dieses keine Auswirkung auf die Berechnungsfähigkeit der Gebührenordnungsposition 01770. Die Gebührenordnungsposition 01770 ist im Behandlungsfall nicht neben den Gebührenordnungspositionen 33043 und 33044 berechnungsfähig.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, kann die Betreuungsleistung nach Nr. 01770 EBM auch dann nur von einem Vertragsarzt je Quartal und schwangerer Versicherter abgerechnet werden, wenn mehrere Vertragsärzte - gleich aus welchem Grund - mit der Betreuung befasst sind. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der amtlichen Anmerkung zu Nr. 01770 EBM. Auch etwa der Weiterbehandlung vergleichbare Fälle, in denen also nacheinander von mehreren Ärzten der Leistungsinhalt der Nr. 01770 EBM erbracht wird, sind von dem Abrechnungsausschluss erfasst. Voraussetzung für den Abrechnungsausschluss ist nicht die Kenntnis des die Behandlung übernehmenden Arztes von der Vorbehandlung, mit der Folge, dass dieser nicht greife, wenn der weitere Vertragsarzt hiervon keine Kenntnis habe. Der Vertragsarzt kann sich vor einer Erbringung der Leistungen in Unkenntnis des Umstandes, dass diese schon durch einen anderen Arzt erbracht sind, jedenfalls in gewissem Umfang durch eine Einsichtnahme in den Mutterpass und die Befragung der Versicherten selbst schützen. Zwar lässt sich auf diese Weise nicht ausschließen, dass im Einzelfall eine Versicherte vorgibt, einen Mutterpass (noch) nicht zu haben. Dieses theoretisch mögliche Fehlverhalten einer Versicherten belegt jedoch nicht, dass der Bewertungsausschuss durch den generellen Ausschluss der Doppelabrechnung der Nr. 01770 EBM seinen Bewertungsspielraum überschritten hätte (vgl. BSG, Urt. v. 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R - SozR 4-2500 § 106a Nr. 13, hier zitiert nach juris Rdnr. 20 ff.).

Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Nr. 01770 EBM bereits von einem anderen Behandler zuvor abgerechnet wurde. Die Kammer vermochte aber nicht zu erkennen, dass der Vorbehandler die Nr. 01770 EBM zu Unrecht abgerechnet, insb. nicht den vollständigen Leistungsinhalt erbracht hätte.

Zum Leistungsinhalt gehören neben Beratungen und Untersuchungen gemäß den Mutterschafts-Richtlinien Ultraschalluntersuchungen nach Anlage 1a und 1b der Mutterschafts-Richtlinien sowie Bilddokumentation(en). In Teil A der Mutterschafts-Richtlinien (i. d. F. vom 10.12.1985, hier maßgeblich mit der letzten Änderung durch Beschl. vom 19.02.2015, BAnz. AT vom 04.05.2015 B3, in Kraft getreten am 05.05.2015) sind die "Untersuchungen und Beratungen" während der Schwangerschaft näher konkretisiert. Insb. handelt es sich dabei um eine umfassende Anamnese (Familien-, Eigen-, Schwangerschafts- sowie Arbeits- und Sozialanamnese, Nr. 2a), eine Allgemein- und gynäkologische Untersuchung (Nr. 2b), Gewichtskontrolle, Blutdruckmessung, Untersuchung des Mittelstrahlurins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, Hämoglobinbestimmung (im Regelfall ab dem 6. Monat), Kontrolle des Standes der Gebärmutter, der kindlichen Herzaktion, Feststellung der Lage des Kindes (Nr. 4) und ein Ultraschallscreening entsprechend der Anlage 1a (Nr. 5). Die gynäkologische Untersuchung, die zur ersten Untersuchung nach Feststellung der Schwangerschaft gehört und möglichst frühzeitig erfolgen sollte, schließt eine Untersuchung auf genitale Chlamydia trachomatis-Infektion ein. Die Untersuchung wird an einer Urinprobe mittels eines nukleinsäureamplifizierenden Tests (NAT) durchgeführt. Zur Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebotes kann der Test in einem Poolingverfahren durchgeführt werden, bei dem Proben von bis zu fünf Patientinnen gemeinsam getestet werden. Schnelltests (sog. "bed-side-Tests", Tests auf vorgefertigtem Reagenzträger) sind für diese Untersuchung nicht geeignet. Umfasst sind zudem weitere diagnostische Maßnahmen. Zu diesen gehören: Blutdruckmessung, Feststellung des Körpergewichts, Untersuchung des Mittelstrahlurins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, ggf. bakteriologische Untersuchungen (z. B. bei auffälliger Anamnese, Blutdruckerhöhung, Sedimentbefund), Hämoglobinbestimmung und - je nach dem Ergebnis dieser Bestimmung (bei weniger als 11,2 g pro 100 ml = 70 % Hb) - Zählung der Erythrozyten. Bei jeder Schwangeren sollte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt aus einer Blutprobe verschiedene Testungen, (a) der TPHA (Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest) oder ELISA (Enzyme-linked-immunosorbent-assay) oder TPPA (Treponema pallidum-Partikelagglutinationstest) als Lues-Suchreaktion (LSR), b) ggf. ein HIV-Test, c) die Bestimmung der Blutgruppe und des Rh-Faktors D, d) ein Antikörper-Suchtest (AK) durchgeführt werden (C.1 Abs. 1 Mutterschafts-Richtlinien). Ergeben sich aus dem Screening auffällige Befunde, insb. bei den in Anlage 1b aufgeführten Indikationen, sind diese Kontroll-Untersuchungen auch außerhalb der vorgegebenen Untersuchungszeiträume als Bestandteil des Screenings durchzuführen (ebenfalls Nr. 5).

Aus der Formulierung der Nr. 01770 EBM als pauschale Komplexleistung, die aber quartalsweise abgerechnet werden kann, folgt, dass die Abrechnung nicht erst nach Erfüllung aller Untersuchungen abgerechnet werden kann, da einige der Leistungen erst im Schwangerschaftsverlauf erbracht werden können bzw. sinnvoll sind, die Leistung aber pro Quartal abgerechnet werden kann. Nr. 01770 EBM hat damit keinen immer gleichbleibenden Leistungsinhalt. Der konkrete Leistungsinhalt ist vielmehr abhängig vom Schwangerschaftsverlauf. Nr. 01770 EBM kann daher mit der ersten Betreuung im Quartal angesetzt werden mit der Folge, dass die weiteren zur Betreuung erforderlichen Leistungen bereits mit dem ersten Quartalsansatz abgegolten werden. Die Pauschalierung als Komplexleistung erfolgt dabei auch auf der Grundlage des Quartalsbindungsgedanken. Der Bewertungsausschuss geht davon aus, dass ein Wechsel innerhalb eines Quartals nicht stattfindet, also ein Erstbehandler nur eine geringfügige Betreuung vornimmt (vgl. BSG, Urt. v. 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R - a. a. O., Rdnr. 41), während der Zweitbehandler die eigentliche Betreuung zu bewerkstelligen hat, ohne Nr. 01770 EBM abrechnen zu können. Für den Fall - wie vorliegend -, dass die Versicherte einen Arztwechsel im Quartal vornimmt, liegt das Abrechnungsrisiko nach der gegenwärtigen, vom Bundessozialgericht gebilligten Rechtslage allein beim Zweitbehandler.

Die Kammer stellt für die Feststellung der Schwangerschaft maßgeblich auf objektive Kriterien der Befundung ab, nicht auf die Kommunikation des Arztes mit der Patientin wie Mitteilung der Schwangerschaft oder gar Aushändigung des Mutterpasses bzw. Eintragung der weiteren Schwangerschaft im Mutterpass. Zwar hat der Arzt bereits nach Feststellung der Schwangerschaft der Schwangeren einen Mutterpass (Anlage 3) auszustellen, sofern sie nicht bereits einen Pass dieses Musters besitzt (H Nr. 1 Mutterschafts-Richtlinien). Nach diesem Mutterpass richten sich auch die vom Arzt vorzunehmenden Eintragungen der Ergebnisse der Untersuchungen im Rahmen der ärztlichen Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung. Darüber hinausgehende, für die Schwangerschaft relevante Untersuchungsergebnisse sollen in den Mutterpass eingetragen werden, soweit die Eintragung durch die Richtlinien nicht ausgeschlossen ist (Lues-Suchreaktion sowie HIV-Untersuchung) (H Nr. 2 Mutterschafts-Richtlinien). Die Kammer geht aber davon aus, dass aufgrund der Behandlungssituation nicht zwingend unmittelbar der Mutterpass nach Feststellung der Schwangerschaft auszuhändigen ist bzw. in der Praxis ausgehändigt wird. Sowohl die Klägerin als auch der Vorbehandler haben dies nicht getan. Insofern besteht für den Arzt ein Behandlungsspielraum, wann er den Mutterpass aushändigt bzw. die Eintragung vornimmt, was aus der konkreten Behandlungssituation heraus zu entscheiden ist. Die auch ärztlich besetzte Kammer hat daher davon abgesehen, für den erstmaligen Ansatz der Nr. 01770 EBM auf die Aushändigung des Mutterpasses abzustellen, auch wenn hierin ein einfaches und nachvollziehbares Kriterium liegen würde. Insofern ist auch kein Anreiz zu setzen, den Mutterpass vorschnell allein oder auch aus Gründen der Abrechenbarkeit auszuhändigen.

Nach Prüfung der Kammer sind aber hinreichend objektive Kriterien der Befundung vorhanden, die den Vorbehandler zum Ansatz der Nr. 01770 EBM berechtigt haben.

Die Beklagte hat bereits im angefochtenen Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass der Vorbehandler mit Diagnoseangaben wie z. B. "Untersuchung und Feststellung einer Schwangerschaft", "Blutung in der Frühschwangerschaft" die Leistung zum Ansatz gebracht habe. Auch wird auf dem Abrechnungsschein der voraussichtliche Geburtstermin angegeben. Der am 10.09.2015 festgestellt ß-HCG von 115, der insoweit noch außerhalb des Normbereichs (150 - 5.000) liegt, ist hierfür allein nicht maßgebend. Er ist zusammen mit der Ultraschallbefundung zu beurteilen, die für die ärztlich und insoweit fachkundig besetzte Kammer hinreichend eine Fruchthöhle erkennen lassen. Hinzu kommt, dass der Vorbehandler bereits typische weitere Maßnahmen getroffen hat, die nur dann Sinn machen, wenn von einer Schwangerschaft auszugehen ist, so z. B. die Untersuchung auf Chlamydien, die Durchführung eines Antikörper-Suchtestes und die Bestimmung des Rhesus-Faktors. Ferner kommt hinzu, wenn auch nicht mehr entscheidend für die Abrechnungsbefugnis, dass der ß-HCG-Wert noch während der Behandlung des Vorbehandlers enorm angestiegen ist. Er betrug am 14.09.2015 bereits 760, am 16.09.2015 bereits 1.794.

Im Hinblick auf drei abgerechnete Behandlungstage, eine differenzierte Diagnostik, die Notwendigkeit der Vorlage der Versichertenkarte durch die Versicherte und die - auch zutreffende - Feststellung der Schwangerschaft steht für die Kammer fest, dass der Erstbehandler die Versicherte i. S. d. Nr. 01770 EBM behandelt und betreut hat. Von daher kommt es für die Kammer nicht darauf an, ob die Angaben der Versicherten, wie sie von der Klägerin referiert werden, zutreffend sind. Zudem wurde die Erklärung der Patientin erst wesentlich später nach annähernd 18 Monaten aufgenommen. Auch handelt es sich nicht um eine Erklärung der Versicherten selbst, sondern um eine von der Praxis der Klägerin vorformulierte Erklärung, in der sie lediglich bestätigt, ausschließlich durch die Praxis der Klägerin in der Gravidität betreut worden zu sein. Von daher sah die Kammer keine Veranlassung, in weitere Ermittlungen einzutreten. Im Ergebnis ist nicht ersichtlich, dass der Vorbehandler die Nr. 01770 EBM unkorrekt abgerechnet hat. Es sind keine Anzeichen ersichtlich, dass die gebotene Anamnese und Erstuntersuchungen unterblieben sind. Auch die Klägerin hat die Nr. 01770 EBM bereits nach dem Erstkontakt abgerechnet.

Soweit die Patientin die Klägerin fehlerhaft informiert haben sollte, fällt dies nach dem genannten BSG-Urteil in die Risikosphäre des Zweitbehandlers, hier der Klägerin. Das mag man bedauern, beruht aber auf der Entscheidung des Bewertungsausschusses und ist aus den vom Bundessozialgericht genannten Gründen nicht rechtswidrig.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung war zuzulassen (§ 144 SGG). Die Kammer misst der Frage, wann Nr. 01770 EBM erstmals angesetzt werden kann, grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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