L 9 AS 210/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 AS 7110/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 210/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Januar 2019 aufgehoben und die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis 28. Februar 2019, längstens jedoch bis zur Bestandskraft der Entscheidung über den Antrag vom 30. November 2018, zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beigeladene hat dem Antragsteller ein Drittel der außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt V., K., beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die geltend gemachten Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung statthaft, da die Berufungssumme von 750,00 EUR überschritten wird (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). Die Beschwerde, die auf die Gewährung von Leistungen durch die Beigeladene beschränkt worden ist, ist auch begründet.

Die Beigeladene ist im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 01.01.2019 bis 28.02.2019, längstens aber bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Prozessuale Grundlage des im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 SGG. Nach Satz 1 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit – wie hier – nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/96, vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 –, und vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –, Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 42).

Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 – und vom 29.07.2003 – 2 BvR 311/03 –, Juris), wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren – wie vorliegend – vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt, und dessen Bedeutung insbesondere im Hinblick auf Fragen des Grundrechtsschutzes zu orientieren. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, a.a.O.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang vor. Eine vollständige Aufklärung des Sachverhaltes ist dem Senat im vorliegenden Eilverfahren nicht möglich. Dem Antragsteller sind deshalb zur Gewährleistung des Existenzminimums im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII durch den Beigeladenen zu gewähren.

Ein Anspruch des Antragstellers nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), der im Beschwerdeverfahren auch nicht mehr geltend gemacht wird, besteht nicht, weil der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bleibt ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht) bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Nachdem der Antragsteller die am 01.11.2017 aufgenommene Beschäftigung am 30.06.2018 aufgegeben hat, bestand ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht noch bis zum 31.12.2018; seit dem 01.01.2019 greift bei dem Antragsteller der Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Dies hat das SG zutreffend und ausführlich dargelegt, so dass der Senat hierauf verweist und insoweit von einer eigenen Begründung absieht (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Offenlassen kann der Senat an dieser Stelle – wie auch das SG in der angefochtenen Entscheidung –, inwieweit der Antragsteller überhaupt erwerbsfähig ist.

Nicht ausgeschlossen ist nach derzeitigem Sachstand aber ein Anspruch gegen den Beigeladenen. Dabei ist Gegenstand des Verfahrens allein das Begehren des Antragstellers auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, nicht aber die Gewährung von Überbrückungs- und Rückreiseleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 2, Abs. 3a SGB XII; unabhängig davon, dass es sich bei den Leistungen nach § § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII einerseits und nach § 23 Abs. 3 Satz 3, Abs. 3a SGB XII andererseits jeweils um getrennte Streitgegenstände handelt (Beschluss des erkennenden Senats vom 31.01.2019 – L 9 AS 197/19 ER-B – nicht veröffentlicht, m.w.N.), bestünde hierfür kein Rechtsschutzbedürfnis, nachdem die Beigeladene die Erbringung dieser Leistungen angeboten hat.

Der Antragsteller ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 09.08.2018 – B 14 AS 32/17 R –, Juris) nicht grundsätzlich von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII zwar grundsätzlich an das Kriterium der Erwerbsfähigkeit anknüpft, jedoch hierauf nicht reduziert werden kann, sondern differenzierter ist. Im Sinne der Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII, die nach der Rechtsprechung des BSG nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern mit § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II korrespondiert, sind nach dem SGB II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen nach dem SGB XII erhalten, ohne dass es hierfür darauf ankommt, ob sie erwerbsfähig nach § 8 SGB II sind, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (BSG, Urteil vom 09.08.2018, a.a.O.).

Der Antragsteller ist gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich ausgeschlossen. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der seit dem 29.12.2016 geltenden Fassung erhalten Ausländer unter anderem keine Leistungen nach Absatz 1 (Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege) und keine Leistungen nach dem Vierten Kapitel (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung), wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sind allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, ist auch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar (Europäischer Gerichtshof [EuGH], Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 –, BSG, Urteile vom 30.08.2017 – B 14 AS 31/16 R –, vom 09.08.2018 – B 14 AS 32/17 R –, Juris zu § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 SGB XII a.F.) und daher anwendbar. Diese Voraussetzungen des Leistungsausschlusses liegen beim Antragsteller, wie bereits dargelegt, vor. Der Antragsteller verfügt über ein Aufenthaltsrecht allenfalls zum Zwecke der Arbeitsuche. Ein Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU besteht nicht mehr. Ob auch ein Leistungsausschluss aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII folgt, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

Der Antragsteller hat nach vorläufiger Prüfung keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 5 SGB XII i. V. m. Art. 1 EFA. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 5 SGB XII bleiben Rechtsvorschriften unberührt, nach denen außer den in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII genannten Leistungen auch sonstige Leistungen der Sozialhilfe zu erbringen sind oder erbracht werden sollen. Die Regelung bezieht sich auf Leistungsberechtigte, die auf Grund inner- oder zwischenstaatlichen Rechts Deutschen gleichgestellt sind (Siefert in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB XII, § 23 Rdnr. 39). Der Antragsteller ist griechischer Staatsangehöriger und unterfällt somit dem Anwendungsbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA). Nach Art. 1 EFA ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu erbringen, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA ist in der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz vom 15.05.1956 (BGBl. II 564) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten begründendes Rechts transformiert worden (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 43/15 R –, Juris) und findet als unmittelbares Bundesrecht Anwendung (BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R –, Juris). Einen Vorbehalt hinsichtlich der Leistungserbringung hat die Bundesregierung nur für das SGB II erklärt, nicht jedoch für das 3. und 4. Kapitel des SGB XII. Rechtsfolge des Art. 1 EFA ist, dass der Antragsteller so zu stellen ist, als wäre er deutscher Staatsangehöriger (BSG, Urteil vom 03.12.2015, a.a.O.).

Die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA erfordert, dass sich der Antragsteller erlaubt im Sinne des Art. 11 EFA in der Bundesrepublik Deutschland aufhält (BSG, Urteil vom 09.08.2018 – B 14 AS 32/17 R –, Juris). Nach Art. 11 EFA i.V.m. Anhang 3 gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne dieses Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Über eine von der Ausländerbehörde ausgestellte Aufenthaltserlaubnis verfügt der Antragsteller nach dem Akteninhalt nicht; eine solche ist im Beschwerdeverfahren auch nicht glaubhaft gemacht worden. Daher kommt, da ein Arbeitnehmerstatus nicht vorliegt und auch nicht nachwirkt, vorliegend allein eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als EU-Ausländer zur Arbeitsuche in Betracht. Für den zur Anwendung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA erforderlichen erlaubten Aufenthalt genügt aber die von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen zu unterscheidende generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer nicht. Diese Vermutung beinhaltet keine "Erlaubnis" des Aufenthalts im Sinne des EFA, die den Zugang zur Inländergleichbehandlung eröffnet und für die eine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes Aufenthaltsrecht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 09.08.2018 – B 14 AS 32/17 R – a.a.O.).

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Antragsteller über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als EU-Ausländer aufgrund Arbeitsuche verfügt. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU sind freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (so bereits BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –, Juris).

Der Antragsteller hielt sich zu Beginn des streitigen Zeitraums am 01.01.2019 bereits mehr als sechs Monate in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass es auf das Vorliegen des Nachweises der weiterhin erfolgenden Arbeitsuche und der begründeten Aussicht, eingestellt zu werden, ankommt. Dass diese Voraussetzungen bei ihm vorliegen, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Seit der arbeitgeberseitigen Kündigung der seit dem 01.11.2017 ausgeübten geringfügigen Beschäftigung zum 30.06.2018 ergeben sich aus der Akte keinerlei Hinweise darauf, dass der Antragsteller sich um die Aufnahme einer – auch nur geringfügigen – Tätigkeit bemüht hätte. Gegen ein solches Bemühen spricht insbesondere auch der Umstand, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Bitten des Antragstellers erfolgt ist. Aus dem Schreiben des Internationalen Beratungszentrums der Evangelischen Gesellschaft S. vom 28.06.2018 an den ehemaligen Arbeitgeber des Antragstellers ergibt sich, dass der Antragsteller selbst um die Kündigung bittet, da er weiterhin unter medizinischer Betreuung stehe und nicht absehbar sei, ob er überhaupt irgendwann wieder arbeiten können werde. Ernsthafte Bemühungen um eine Arbeitsuche seit dem 01.07.2018 ergeben sich weder aus dem Akteninhalt noch werden sie durch den Antragsteller vorgetragen. Während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit, die durch die Psychiatrische Institutsambulanz des F.krankenhauses S. vom 05.12.2018 bis 21.12.2018 bescheinigt wurde, und des stationären Aufenthaltes im Klinikum Stuttgart seit dem 04.01.2019 ist von entsprechenden Bewerbungen jedenfalls nicht auszugehen. Darüber hinaus konnte sich der Senat aufgrund des bestehenden Krankheitsbildes nicht davon überzeugen, dass eine ernsthafte Arbeitsuche durch den Antragsteller in Betracht kommt. Die Beratende Ärztin beschreibt in ihrem ärztlichen Gutachten vom 02.01.2019 eine schwere psychische Erkrankung. Bei vorliegender kombinierter Persönlichkeitsstörung komme es immer wieder zu erheblichen medizinischen und sozialen Schwierigkeiten. Kognitive Einbußen seien mittels Testung festgestellt worden. Notwendige medizinische Behandlungsmaßnahmen werden nicht konsequent durchgeführt, der Umgang mit Geld und eine zuverlässige Regelung des Alltags gelinge dem Kläger nicht selbstständig. Der Senat konnte sich daher vom Vorliegen eines materiellen Aufenthaltsrechts nicht überzeugen.

Im Falle des Klägers kommt aber ein Anspruch aufgrund der Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII in Betracht. Danach werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Abs. 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Zwar sollen die Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII nach dem Willen des Gesetzgebers keinen dauerhaften Leistungsbezug ermöglichen (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 16 f.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2018 – L 7 AS 430/18 ER-B –, Juris) und eine Gewährung der Leistung nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (Groth in BeckOK-Sozialrecht, § 23 Rdnr. 18b [September 2018]). Letztlich dürfte in der Regel die vorübergehende Reiseunfähigkeit Anspruchsvoraussetzung sein (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.05.2018 – L 6 AS 59/18 B ER –, Juris). Der Senat kann aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht abschließend klären, ob eine solche Reiseunfähigkeit im Falle des Klägers besteht. Eine solche hat jedenfalls für die Zeit des stationären Aufenthalts vom 04.01.2019 bis 06.02.2019 bestanden. Darüber hinaus ergeben sich aus dem bereits zitierten Gutachten der Beratenden Ärztin P. vom 02.01.2019 für den Senat ausreichend Anhaltspunkte für das Bestehen einer Reiseunfähigkeit. Die Gutachterin schildert insbesondere, dass es dem Antragsteller nicht gelingt, zuverlässig seinen Alltag zu regeln, und beginnende kognitive Störungen bei Veränderungen des Gehirns in der Bildgebung festzustellen sind. Hieraus ergeben sich für den Senat, obwohl eine amtsärztliche Feststellung der Reiseunfähigkeit nicht vorliegt (bei einer solchen ist von einer Unmöglichkeit der Ausreise auszugehen – BT-Drucksache 18/10211, Seite 16) ganz erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger derzeit in der Lage wäre, in sein Heimatland auszureisen. Die Klärung der Reisefähigkeit muss einer abschließenden Überprüfung im Hauptsacheverfahren überlassen bleiben.

Da dem Senat eine vollständige Aufklärung im Eilverfahren somit nicht möglich ist, war anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, a.a.O.) und dabei zu beachten, dass nach derzeitiger Sachlage ein Leistungsanspruch eher besteht, der Antragsteller auf ärztliche Hilfe angewiesen ist, keinerlei Leistungen bezieht und somit sein grundrechtlich geschütztes Existenzminimum nicht garantiert ist. Die Folgenabwägung fällt damit zu seinen Gunsten aus. Hinsichtlich der Dauer der nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII zu erbringenden Leistungen hält der Senat einen Zeitraum von weiteren drei Wochen für ausreichend, um eine Klärung hinsichtlich der Reisefähigkeit herbeizuführen.

Da die Höhe der dem Antragsteller entstehenden Kosten für Unterkunft und Heizung derzeit nicht bestimmt werden können, war die Beigeladene zur Erbringung von Leistungen dem Grunde nach zu verpflichten. Soweit der Antragsteller sein Begehren im Beschwerdeverfahren auf die Übernahme von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung erweitert hat, sieht der Senat hierfür keinen Anlass, da mit dem Leistungsanspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch Hilfe bei Krankheit umfasst ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung und berücksichtigt, dass der Senat Leistungen lediglich für zwei Monate zugesprochen hat, das Begehren des Antragstellers aber dahingehend auslegt, dass Leistungen jedenfalls für einen Zeitraum von sechs Monaten geltend gemacht wurden.

Dem Antragsteller war nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen, da der Antragsteller mittellos und, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zu bejahen ist.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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