Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 80 AL 17/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 93/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juni 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 1. Juni 2018 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage der Klägerin auf Aufhebung der auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 20. Oktober 2014 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Dezember 2014), vom 17. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 2014 sowie vom 07. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2015 abgewiesen. Mit den vorbezeichneten Bescheiden hatte die Beklagte von der Klägerin erzieltes Nebeneinkommens i.H.v. 326,07 EUR (September 2014, Anrechnungsbetrag 161,10 EUR) und i.H.v. 293,14 EUR (Oktober 2014, Anrechnungsbetrag 128,10 EUR) auf das der Klägerin mit Bescheid vom 8. Juli 2014, geändert jeweils nach § 48 SGB X durch Bescheide vom 22. Juli 2014, vom 29.07.2014, vom 07.08.2014, vom 18.09.2014, vom 20.10.2014 und vom 17.11.2014 ab dem 01.08.2014 gewährte Arbeitslosengeld (Alg) angerechnet und nach § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung des überzahlten Alg verlangt. Eine Anhörung der Klägerin zu der beabsichtigten Aufhebung und Geltendmachung von Erstattungsbeträgen nach § 24 SGB X erfolgte - anders als für den vorangegangenen Zeitraum 01. - 10.07.2014 - nicht. Wegen der von der Beklagten jeweils nach § 333 Abs. 1 SGB III vorgenommenen Aufrechnung ihrer Erstattungsforderungen für September und Oktober 2014 verringerten sich die Alg-Auszahlungsbeträge für Oktober und November 2014 entsprechend. Nachdem die Beklagte im Rahmen der von der Klägerin angestrengten einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 80 AL 4050/14 ER und S 64 AL 4057/14 ER) die zunächst einbehaltenen Beträge ausgezahlt hatte, erteilte sie am 07. Januar 2015 einen zum Gegenstand des Klageverfahrens nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewordenen weiteren Erstattungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2015, mit dem sie die Erstattung von insgesamt 269,20 EUR (wieder ausgezahlte Aufrechnungsbeträge für September und Oktober 2014) forderte.
Das SG führte in seinem Urteil aus, dass die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide rechtmäßig seien, wobei dahingestellt bleiben könne, ob die Beklagte ihre Bescheide zu Recht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB X habe stützen dürfen oder - wie die Klägerin vortrage – die zutreffende Rechtsgrundlage § 45 Abs. 1 und 2 SGB X sei. Da die Voraussetzungen beider Vorschriften vorlägen - zumindest grobe Fahrlässigkeit betreffend die Verletzung der Mitteilungspflicht bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts -, habe die Rechtsgrundlage grundsätzlich ausgewechselt werden können (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. November 2012, B 14 AS 6/12 R, juris). Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, denn sie habe aufgrund des Informationsblattes "Wissenswertes zum Thema Nebeneinkommen" und dem am 18. September 2014 ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für August 2014 wissen müssen, dass Nebeneinkommen über 165 EUR (Freibetrag) auf das Alg angerechnet werde. Auch habe die Beklagte nach § 330 Abs. 2 SGB III kein Ermessen auszuüben. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 31.05.2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.06.2018 beim Landessozialgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (NZB), mit der die Klägerin vorträgt, dass die Berufung im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 26. Juli 2016 (B 4 AS 47/15 R) hätte zugelassen werden müssen. Unzutreffend habe die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidungen auf § 48 SGB X gestützt, wogegen § 45 SGB X einschlägig gewesen wäre. Das SG habe in seinem Urteil beide Vorschriften für anwendbar und austauschbar gehalten. Ein Austausch der Rechtsgrundlage scheitere vorliegend wie im Fall beim BSG am Fehlen einer ordnungsgemäßen Anhörung zu den Voraussetzungen des § 45 SGB X (gesondertes Anhörungsschreibens, angemessene Äußerungsfrist, Kenntnisnahme des Vorbringens, abschließende Äußerung zum Ergebnis der Überprüfung, vgl. BSG a.a.O., Rn. 19). Das Anhörungsverfahren sei auch nicht nachgeholt worden. Das Urteil des SG beruhe auf der Abweichung von der Entscheidung des BSG, so dass die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen sei.
Die Beklagte erwidert, dass ein Grund für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sei. Eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits sei nicht zu erkennen. Ebenso wenig liege eine Abweichung von einer obergerichtlichen Entscheidung vor. Die vom Prozessbevollmächtigten in Bezug genommenen Entscheidung des BSG vom 26. Juli 2016 (B 4 AS 47/15 R) sei nicht einschlägig. Die Beklagte habe keinen Austausch der Rechtsgrundlage vorgenommen, sondern ihre Entscheidung durchgehend auf § 48 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III gestützt. Ein Verfahrensmangel sei nicht geltend gemacht worden.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die NZB ist zulässig, als der streitige Betrag von 269,20 EUR nicht die für die zulassungsfreie Berufung erforderliche Summe von mehr als 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) erreicht.
Die NZB ist nicht begründet. Gründe zur Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, denn sie wirft keine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon höchstrichterlich entschieden ist oder sich ihre Beantwortung aus den einschlägigen Gesetzen ergibt (vgl. BSG, Beschluss vom 30.09.1992, 11 BAr 47/92, juris, Rn 8; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn 28f., § 160 Rn 6, 8, 8a m.w.N.). Zur Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung gehört ein Individualinteresse grundsätzlich nicht (vgl. Leitherer, a.a.O. § 160 Rn 8, 8a).
Die Klägerin selbst trägt keine nach ihrer Auffassung klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung der einzelnen Rücknahme- bzw. Aufhebungsvorschriften (§§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III) vor. Auch die Prüfung von Amts wegen ergibt im Zusammenhang mit dem Begehren auf Aufhebung der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 20.10. 2014, 17.11.2014 und 07.02.2015 keine grundsätzlichen Rechtsfragen. Denn die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide ist anhand der einschlägigen Gesetze – hier §§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III - zu beurteilen. Hierbei verleiht insbesondere die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, dieser noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG, Beschluss vom 26.06.1975, 12 BJ 12/75, juris, Rn. 2). Es kommt also bei der Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung nicht entscheidend darauf an, ob die Beklagte die Aufhebungsbescheide zu Recht auf § 48 SGB X gestützt hat oder ob § 45 SGB X die zutreffende Rechtsvorschrift wäre, ferner auch nicht darauf, ob das SG zu Recht die Anwendbarkeit und "Austauschbarkeit" beider Rechtsvorschriften bejaht hat. Auch die vom Klägerbevollmächtigten, allerdings im Rahmen der Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG), sinngemäß formulierte Rechtsfrage, ob die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide wegen der unterbliebenen Anhörung nach § 24 SGB X von Beginn an rechtswidrig gewesen seien und nur nach § 45 SGB X hätten geändert werden dürfen, ist nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen, wie sie hier in Rede stehen, den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. So hat auch die Beklagte, jedenfalls in ihren Widerspruchsbescheiden, die Aufhebung des Alg-Bewilligungsbescheids u.a. auch auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X (Erzielung von Einkommen) gestützt. Auch wenn die Möglichkeit, von der Anhörung in Fällen der Einkommensanrechnung abzusehen, lediglich für Änderungsbescheide, nicht jedoch für die Bescheide betreffend die Rückforderung überzahlter Leistungen, gegeben ist, verleiht ein möglicher Verstoß gegen die Anhörungspflicht der Rechtssache, wie oben dargelegt, keine grundsätzliche Bedeutung.
Auch der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nicht gegeben. Der Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn das Urteil des SG entscheidungstragend auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von dem zur gleichen Rechtsfrage aufgestellten Rechtssatz in einer Entscheidung eines der im § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht (vgl. BSG, Beschluss vom 29. November 1989, 7 BAr 130/88, juris Rn. 7; BSG, Beschluss vom 19.11.2009, B 13 AS 61/09 B, juris Rn. 14; Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13). Dabei ist erforderlich, dass das SG objektiv von einer solchen höhergerichtlichen Entscheidung abgewichen ist und nicht etwa nur fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl. Leitherer, a. a. O., § 160 Rdnr. 14a).
Für eine solche Divergenz zu dem vom Klägerbevollmächtigten angeführten Urteil des BSG vom 26.07.2016 (B 4 AS 47/15 R) ist nichts ersichtlich. Um eine maßgebliche Abweichung handelt es sich nicht bereits deshalb, weil das SG möglicherweise die fehlende Anhörung nach § 24 SGB X vor Erteilung der Rückforderungsbescheide übersehen hat, oder weil es möglicherweise davon ausging, dass eine Anhörung wegen der vorgenommenen Einkommensanrechnung grundsätzlich nicht erforderlich gewesen sei, oder aber, weil es angenommen hat, von einer Anhörung könne ausnahmsweise deshalb abgesehen werden, weil die Klägerin aus vorangegangenen Zeiträumen gewusst habe, dass erzieltes Nebeneinkommen auf das Alg anzurechnen sei (hierfür sprechen auch die eigenen Angaben der Klägerin sowie ihre Mitteilung des Nebeneinkommen an das Jobcenter). Selbst wenn aber eine Anhörung zwingend hätte erfolgen müssen, hat das SG nicht entscheidungstragend einen von der zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26.07.2016 (B 4 AS 47/15 R, juris) abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt und angewandt, sondern es hat die fehlende Anhörung nach § 24 SGB X, aus welchen Gründen auch immer, nicht thematisiert. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (BSG, Beschluss vom 19. November 2009, a.a.O., Rn 14; Leitherer, a.a.O., § 160 Rn 19). Die gleichen Erwägungen gelten in Bezug auf das klägerische Vorbringen, das SG habe den "Austausch" der Rechtsgrundlagen für eine Aufhebung/Rücknahme des Alg-Bewilligungsbescheids fälschlich als möglich erachtet. Das SG hat sich mit seinen Ausführungen hierzu nicht gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung gestellt, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit ihr (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, juris) ausgeführt, dass es die Voraussetzungen beider Vorschriften für eine Rücknahme/Aufhebung im vorliegenden Fall wegen des grob fahrlässigen Verhaltens der Klägerin für möglich erachtet hat.
Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Ein Verfahrensmangel i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist ein Verstoß des Gerichts gegen Vorschriften beim prozessualen Vorgehen auf dem Weg zur Entscheidung. Ein derartiger Verstoß gegen prozessuale Vorschriften ist nicht gerügt worden, was jedoch erforderlich gewesen wäre, den die Zulassung der Berufung aufgrund eines Verfahrensmangels erfordert, dass dieser Mangel nicht nur vorliegt, sondern auch geltend gemacht wird (vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG).
Nach dem Vorstehenden ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu keinem Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) geboten hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 4 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Das Urteil des Sozialgerichts wird mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 1. Juni 2018 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage der Klägerin auf Aufhebung der auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 20. Oktober 2014 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Dezember 2014), vom 17. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 2014 sowie vom 07. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2015 abgewiesen. Mit den vorbezeichneten Bescheiden hatte die Beklagte von der Klägerin erzieltes Nebeneinkommens i.H.v. 326,07 EUR (September 2014, Anrechnungsbetrag 161,10 EUR) und i.H.v. 293,14 EUR (Oktober 2014, Anrechnungsbetrag 128,10 EUR) auf das der Klägerin mit Bescheid vom 8. Juli 2014, geändert jeweils nach § 48 SGB X durch Bescheide vom 22. Juli 2014, vom 29.07.2014, vom 07.08.2014, vom 18.09.2014, vom 20.10.2014 und vom 17.11.2014 ab dem 01.08.2014 gewährte Arbeitslosengeld (Alg) angerechnet und nach § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung des überzahlten Alg verlangt. Eine Anhörung der Klägerin zu der beabsichtigten Aufhebung und Geltendmachung von Erstattungsbeträgen nach § 24 SGB X erfolgte - anders als für den vorangegangenen Zeitraum 01. - 10.07.2014 - nicht. Wegen der von der Beklagten jeweils nach § 333 Abs. 1 SGB III vorgenommenen Aufrechnung ihrer Erstattungsforderungen für September und Oktober 2014 verringerten sich die Alg-Auszahlungsbeträge für Oktober und November 2014 entsprechend. Nachdem die Beklagte im Rahmen der von der Klägerin angestrengten einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 80 AL 4050/14 ER und S 64 AL 4057/14 ER) die zunächst einbehaltenen Beträge ausgezahlt hatte, erteilte sie am 07. Januar 2015 einen zum Gegenstand des Klageverfahrens nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewordenen weiteren Erstattungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2015, mit dem sie die Erstattung von insgesamt 269,20 EUR (wieder ausgezahlte Aufrechnungsbeträge für September und Oktober 2014) forderte.
Das SG führte in seinem Urteil aus, dass die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide rechtmäßig seien, wobei dahingestellt bleiben könne, ob die Beklagte ihre Bescheide zu Recht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB X habe stützen dürfen oder - wie die Klägerin vortrage – die zutreffende Rechtsgrundlage § 45 Abs. 1 und 2 SGB X sei. Da die Voraussetzungen beider Vorschriften vorlägen - zumindest grobe Fahrlässigkeit betreffend die Verletzung der Mitteilungspflicht bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts -, habe die Rechtsgrundlage grundsätzlich ausgewechselt werden können (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. November 2012, B 14 AS 6/12 R, juris). Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, denn sie habe aufgrund des Informationsblattes "Wissenswertes zum Thema Nebeneinkommen" und dem am 18. September 2014 ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für August 2014 wissen müssen, dass Nebeneinkommen über 165 EUR (Freibetrag) auf das Alg angerechnet werde. Auch habe die Beklagte nach § 330 Abs. 2 SGB III kein Ermessen auszuüben. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 31.05.2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.06.2018 beim Landessozialgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (NZB), mit der die Klägerin vorträgt, dass die Berufung im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 26. Juli 2016 (B 4 AS 47/15 R) hätte zugelassen werden müssen. Unzutreffend habe die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidungen auf § 48 SGB X gestützt, wogegen § 45 SGB X einschlägig gewesen wäre. Das SG habe in seinem Urteil beide Vorschriften für anwendbar und austauschbar gehalten. Ein Austausch der Rechtsgrundlage scheitere vorliegend wie im Fall beim BSG am Fehlen einer ordnungsgemäßen Anhörung zu den Voraussetzungen des § 45 SGB X (gesondertes Anhörungsschreibens, angemessene Äußerungsfrist, Kenntnisnahme des Vorbringens, abschließende Äußerung zum Ergebnis der Überprüfung, vgl. BSG a.a.O., Rn. 19). Das Anhörungsverfahren sei auch nicht nachgeholt worden. Das Urteil des SG beruhe auf der Abweichung von der Entscheidung des BSG, so dass die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen sei.
Die Beklagte erwidert, dass ein Grund für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sei. Eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits sei nicht zu erkennen. Ebenso wenig liege eine Abweichung von einer obergerichtlichen Entscheidung vor. Die vom Prozessbevollmächtigten in Bezug genommenen Entscheidung des BSG vom 26. Juli 2016 (B 4 AS 47/15 R) sei nicht einschlägig. Die Beklagte habe keinen Austausch der Rechtsgrundlage vorgenommen, sondern ihre Entscheidung durchgehend auf § 48 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III gestützt. Ein Verfahrensmangel sei nicht geltend gemacht worden.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die NZB ist zulässig, als der streitige Betrag von 269,20 EUR nicht die für die zulassungsfreie Berufung erforderliche Summe von mehr als 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) erreicht.
Die NZB ist nicht begründet. Gründe zur Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, denn sie wirft keine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon höchstrichterlich entschieden ist oder sich ihre Beantwortung aus den einschlägigen Gesetzen ergibt (vgl. BSG, Beschluss vom 30.09.1992, 11 BAr 47/92, juris, Rn 8; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn 28f., § 160 Rn 6, 8, 8a m.w.N.). Zur Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung gehört ein Individualinteresse grundsätzlich nicht (vgl. Leitherer, a.a.O. § 160 Rn 8, 8a).
Die Klägerin selbst trägt keine nach ihrer Auffassung klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung der einzelnen Rücknahme- bzw. Aufhebungsvorschriften (§§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III) vor. Auch die Prüfung von Amts wegen ergibt im Zusammenhang mit dem Begehren auf Aufhebung der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 20.10. 2014, 17.11.2014 und 07.02.2015 keine grundsätzlichen Rechtsfragen. Denn die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide ist anhand der einschlägigen Gesetze – hier §§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III - zu beurteilen. Hierbei verleiht insbesondere die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, dieser noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG, Beschluss vom 26.06.1975, 12 BJ 12/75, juris, Rn. 2). Es kommt also bei der Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung nicht entscheidend darauf an, ob die Beklagte die Aufhebungsbescheide zu Recht auf § 48 SGB X gestützt hat oder ob § 45 SGB X die zutreffende Rechtsvorschrift wäre, ferner auch nicht darauf, ob das SG zu Recht die Anwendbarkeit und "Austauschbarkeit" beider Rechtsvorschriften bejaht hat. Auch die vom Klägerbevollmächtigten, allerdings im Rahmen der Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG), sinngemäß formulierte Rechtsfrage, ob die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide wegen der unterbliebenen Anhörung nach § 24 SGB X von Beginn an rechtswidrig gewesen seien und nur nach § 45 SGB X hätten geändert werden dürfen, ist nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen, wie sie hier in Rede stehen, den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. So hat auch die Beklagte, jedenfalls in ihren Widerspruchsbescheiden, die Aufhebung des Alg-Bewilligungsbescheids u.a. auch auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X (Erzielung von Einkommen) gestützt. Auch wenn die Möglichkeit, von der Anhörung in Fällen der Einkommensanrechnung abzusehen, lediglich für Änderungsbescheide, nicht jedoch für die Bescheide betreffend die Rückforderung überzahlter Leistungen, gegeben ist, verleiht ein möglicher Verstoß gegen die Anhörungspflicht der Rechtssache, wie oben dargelegt, keine grundsätzliche Bedeutung.
Auch der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nicht gegeben. Der Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn das Urteil des SG entscheidungstragend auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von dem zur gleichen Rechtsfrage aufgestellten Rechtssatz in einer Entscheidung eines der im § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht (vgl. BSG, Beschluss vom 29. November 1989, 7 BAr 130/88, juris Rn. 7; BSG, Beschluss vom 19.11.2009, B 13 AS 61/09 B, juris Rn. 14; Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13). Dabei ist erforderlich, dass das SG objektiv von einer solchen höhergerichtlichen Entscheidung abgewichen ist und nicht etwa nur fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl. Leitherer, a. a. O., § 160 Rdnr. 14a).
Für eine solche Divergenz zu dem vom Klägerbevollmächtigten angeführten Urteil des BSG vom 26.07.2016 (B 4 AS 47/15 R) ist nichts ersichtlich. Um eine maßgebliche Abweichung handelt es sich nicht bereits deshalb, weil das SG möglicherweise die fehlende Anhörung nach § 24 SGB X vor Erteilung der Rückforderungsbescheide übersehen hat, oder weil es möglicherweise davon ausging, dass eine Anhörung wegen der vorgenommenen Einkommensanrechnung grundsätzlich nicht erforderlich gewesen sei, oder aber, weil es angenommen hat, von einer Anhörung könne ausnahmsweise deshalb abgesehen werden, weil die Klägerin aus vorangegangenen Zeiträumen gewusst habe, dass erzieltes Nebeneinkommen auf das Alg anzurechnen sei (hierfür sprechen auch die eigenen Angaben der Klägerin sowie ihre Mitteilung des Nebeneinkommen an das Jobcenter). Selbst wenn aber eine Anhörung zwingend hätte erfolgen müssen, hat das SG nicht entscheidungstragend einen von der zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26.07.2016 (B 4 AS 47/15 R, juris) abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt und angewandt, sondern es hat die fehlende Anhörung nach § 24 SGB X, aus welchen Gründen auch immer, nicht thematisiert. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (BSG, Beschluss vom 19. November 2009, a.a.O., Rn 14; Leitherer, a.a.O., § 160 Rn 19). Die gleichen Erwägungen gelten in Bezug auf das klägerische Vorbringen, das SG habe den "Austausch" der Rechtsgrundlagen für eine Aufhebung/Rücknahme des Alg-Bewilligungsbescheids fälschlich als möglich erachtet. Das SG hat sich mit seinen Ausführungen hierzu nicht gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung gestellt, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit ihr (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, juris) ausgeführt, dass es die Voraussetzungen beider Vorschriften für eine Rücknahme/Aufhebung im vorliegenden Fall wegen des grob fahrlässigen Verhaltens der Klägerin für möglich erachtet hat.
Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Ein Verfahrensmangel i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist ein Verstoß des Gerichts gegen Vorschriften beim prozessualen Vorgehen auf dem Weg zur Entscheidung. Ein derartiger Verstoß gegen prozessuale Vorschriften ist nicht gerügt worden, was jedoch erforderlich gewesen wäre, den die Zulassung der Berufung aufgrund eines Verfahrensmangels erfordert, dass dieser Mangel nicht nur vorliegt, sondern auch geltend gemacht wird (vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG).
Nach dem Vorstehenden ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu keinem Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) geboten hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 4 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Das Urteil des Sozialgerichts wird mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved