L 1 KR 278/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 20 KR 135/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 278/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Im Streit ist ein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 4. Januar 2015 bis zum 15. Oktober 2015.

Die 1972 geborene Klägerin war aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Hauskrankenpflege K und GGbR B pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis wurde ihr zum 25. November 2014 gekündigt. Am 12. November 2014 stellte ihr der sie behandelnde Facharzt für Innere Medizin/Hausarzt Dr. T eine Erstbescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit (AU) mit der Diagnose M54.4G aus. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 4. Dezember 2014 ab 26. November 2014 Krankengeld. Am 11. Dezember 2014 bescheinigten die Orthopäden Dr. Hu.a. weitere AU bis voraussichtlich 3. Januar 2015. In ihrer "ärztlichen Bescheinigung für die Krankengeldzahlung" attestierten sie ferner am 23. Dezember 2014 voraussichtliche AU bis 3. Januar 2015. Im entsprechenden Formularfeld "nächster Praxisbesuch am" ist eingefügt "05.01.15". Am 5. Januar 2015 bescheinigten die Orthopäden voraussichtliche AU bis 23. Januar 2015. Ausweislich eines Telefon-Vermerkes der Beklagten rief die Klägerin an diesem Tag an und teilte mit, heute beim Orthopäden gewesen zu sein. Der letzte Auszahlungsschein sei bis zum 3. Januar 2015 gegangen, die Klägerin habe noch Ende 2014 zum Arzt gehen wollen aber keinen Termin mehr erhalten. Sie sei dann am 2. Januar 2015 zum Arzt gegangen. Die Praxis sei aber geschlossen gewesen, so dass eine Vorstellung erst am 5. Januar 2015 möglich gewesen sei. Die Beklagte zahlte der Klägerin das Krankengeld bis zum 3. Januar 2015. Mit Bescheid vom 12. Januar 2015 lehnte sie eine Weiterzahlung ab. Die zuletzt vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 5. Januar 2015 liege außerhalb des zuvor bescheinigten Bewilligungszeitraumes. Zu diesem Zeitpunkt habe keine Versicherung mehr mit Krankengeldanspruch bestanden. Dies gelte ungeachtet der Tatsache, dass die Erkrankung durchgehend AU begründet habe.

Die Klägerin erhob Widerspruch: Sie sei am 5. Januar 2015 beim Orthopäden gewesen und habe den Arzt um eine rückwirkende AU-Bescheinigung gebeten. Diesem Ansinnen sei dieser nicht nachgekommen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2015 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juni 2015 Klage beim Sozialgericht Neuruppin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, sie habe am 2. Januar 2015 auch keinen (anderen) Vertretungsarzt finden können. Auch habe ihr eine Mitarbeiterin der Beklagten am 23. Dezember 2014 bestätigt, es gäbe keine Probleme mit einer rückwirkenden Attestierung der AU. Damit habe sie alles Erforderliche und Zumutbare getan, um die rechtzeitige Feststellung ihrer AU zu erreichen. Ergänzend hat sie sich auf Gerichtsentscheidungen berufen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. August 2018 abgewiesen. Diese sei zwar als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Aufhebung des ablehnenden Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides und Verurteilung zur Gewährung von Krankengeld zulässig, jedoch unbegründet. Zur Begründung hat es auf den Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass sich die Klägerin auf das neue Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 22/15 R) schon mangels Arzt-Patientenkontaktes nicht berufen könne. Auch das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 3. Mai 2017 (S 22 KR 75/16) sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei der Vortrag hinsichtlich der von ihr unternommenen Bemühungen, einen anderen Arzt aufzusuchen unklar geblieben. Eine rückwirkende Attestierung der Arbeitsunfähigkeit sei hier nicht vorgenommen worden, sodass es auf das behauptete Telefonat am 23. Dezember 2014 nicht ankomme.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 3. September 2018. Zu deren Begründung hat sie ergänzend ausgeführt, das SG habe ihr Telefonat am 23. Dezember 2014 mit der Beklagten nicht ausreichend gewürdigt. Die Klägerin habe sich überobligatorisch selbst bei der Beklagten rückversichert. Sie habe nicht nur versucht, ihren behandelnden Orthopäden am 2. Januar 2015 aufzusuchen, sondern auch ihren Hausarzt. Ihr könne nicht angelastet werden, dass der Vertretungsarzt die zunächst von der Praxisschwester zunächst angekündigte rückwirkende Bescheinigung nicht vorgenommen habe. Die Klägerin hat schriftlich sinngemäß beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 3. August 2018 und den Bescheid vom 12. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld für den Zeitraum 4. Januar 2015 bis 15. Oktober 2015 zu gewähren. Gleichzeitig hat sie Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt.

II.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Nach den §§ 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn eine Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Zwar darf Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht nach § 114 Satz 1 ZPO nur verweigert werden, wenn das Begehren völlig aussichtslos ist oder die Erfolgschance nur ein Entfernter ist. Die vorliegende Berufung hat –nach Klärung des Sachverhaltes im erstinstanzlichen Verfahrens- jedoch allenfalls entfernte Erfolgsaussichten.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit ab 4. Januar 2015 nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch GB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der vor dem 23. Juli 2015 geltenden, hier noch maßgebenden Fassung, entsteht - wenn keine Behandlung im Krankenhaus oder einer stationären Rehabilitationseinrichtung erfolgt - von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt. Die ärztliche Feststellung der AU ist danach Voraussetzung für den Bestand des Anspruchs auf Krankengeld. Dies gilt auch für die Verlängerung einer bereits bestehenden und von der Krankenkasse bestätigten AU, die von dem Arzt nur abschnittsweise (= bis zu einem konkreten Zeitpunkt) bescheinigt worden ist. Ein bereits entstandener Krankengeldanspruch aus einer Versicherung als Beschäftigte und mit ihr die Versicherung bleibt indessen ohne Unterbrechung aufrechterhalten, solange die AU vor Ablauf des Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird (BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 - B 1 KR 19/11 R - juris - Rdnr. 18).

Demnach hätte für den Fortbestand des Anspruchs auf Krankengeld die weitere AU der Klägerin über den 3. Januar 2015 hinaus bis spätestens bis zum Ablauf dieses Tages festgestellt werden müssen. Dies ist hier nicht erfolgt. Der Krankengeldanspruch der Klägerin endete damit am 3. Januar 2015. Denn nur während des Bezugs von Krankengeld hatte sich die Mitgliedschaft bei der Beklagten nach Beendigung der Beschäftigung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fortgesetzt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris – Rdnr. 34). Danach steht dem Krankengeldanspruch eine erst nachträglich erfolgte ärztliche AU-Feststellung nicht entgegen, wenn

1. der Versicherte alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um (a) die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen und (b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. anspruchserhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeld-Anspruch erfolgt ist, er 2. an der Wahrung der Krankengeld-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (z. B. eine irrtümlich nicht erstellte AU-Bescheinigung) und er 3. - zusätzlich - seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht.

Die Klägerin hat nicht alles ihr danach Mögliche und Zumutbare getan, um innerhalb der gesetzlichen Frist eine verlängernde AU-Bescheinigung zu erhalten. Es gibt zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass sie am (Freitag den) 2. Januar 2015 oder am 3. Januar 2015 bzw. allgemein noch im alten Jahr aufgrund von Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit daran gehindert gewesen sein könnte, den Fortbestand ihrer AU ärztlich feststellen zu lassen. Zu ihren Obliegenheiten hätte es dann jedenfalls gehört, bis allerspätestens 3. Januar 2015 einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufzusuchen und ihm seine Beschwerden zu schildern. Sie hätte sich nicht darauf beschränken dürften, ihre Orthopäden und Hausarzt aufzusuchen und jeweils festzustellen, dass die Praxis geschlossen gewesen war. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass diese Bemühungen an sich bereits überflüssig gewesen seien, weil ihr die Beklagte telefonisch am 23. Dezember 2014 zugesichert habe, dass es keine Probleme gäbe, wenn der Arzt rückwirkend eine AU attestieren würde.

Gegen ein solches Telefonat spricht bereits, dass die Klägerin es - ausweislich des Telefonvermerkes der Beklagten - weder am Telefon am 5. Januar 2015 noch in ihrem Widerspruchsschreiben vom 20. Januar 2015 erwähnt hat.

Bereits das SG hat jedenfalls darauf hingewiesen, dass eine rückwirkende AU-Bescheinigung am 5. Januar 2015 gerade nicht erfolgt ist. Erst die Bescheinigung vom 3. Februar 2015 attestiert seit 13. Dezember 2014 durchgehende AU.

Außerdem wäre ein entsprechender Beratungsfehler, vorausgesetzt er läge vor, jedenfalls nicht kausal für die "verspätete" ärztliche Feststellung der AU erst am 3. Februar 2015. Ein etwaiger sogenannter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzte voraus, dass der Beratungsfehler wesentliche Ursache für die ausgleichsbedürftige Situation, den sozialrechtlichen Schaden ist (vgl. bereits Urteil des Senats vom 9. November 2017 - L 1 KR 197/17 – juris-Rdnr. 21 mit Bezugnahme auf Seewald in: Kassler Kommentar Sozialversicherungsrecht (Stand 95 EL/Juli 2017, vor §§ 38 bis 47 Rdnr. 176 ff.). Im Übrigen wäre auf der Rechtsfolgenseite ein Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Betroffenen obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der Herstellungsanspruch kann einen Sozialleistungsträger somit nur zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten, das rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 8. März 1990 - 3 RK 9/89 - juris - Rdnr. 13). Voraussetzung ist also, abgesehen vom Erfordernis der Pflichtverletzung, dass der dem Betroffenen entstandene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung, ausgeglichen werden kann. Umgekehrt bedeutet dies, dass in Fällen, in denen der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann, für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum bleibt. Auch bei einem vorangegangenen rechtswidrigen Verwaltungshandeln gibt er keine Rechtsgrundlage für eine im Gesetz nicht vorgesehene Begünstigung. Hier fehlt es jedenfalls an der materiellen Voraussetzung des Krankengeldanspruches, dass im Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 5. Januar 2015 ein Versicherungsverhältnis mit einem Anspruch auf Krankengeld bestanden hat. Die Klägerin begehrt Krankengeld, ohne dass die materielle Voraussetzung hierfür, ein zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der AU bestehenden Versicherungsverhältnis mit einem Anspruch auf Krankengeld, vorgelegen hat. Einen Krankengeldanspruch ohne Vorliegen dieser materiellen Voraussetzungen sieht das Gesetz nicht vor. Ein Wiederherstellungsanspruch scheidet daher aus. Hätte eine Mitarbeiterin der Beklagten tatsächlich am 23. Dezember 2014 die falsche Auskunft erteilt, diese könne ruhig erst nach Ablauf der bisher bescheinigten AU zum Arzt gehen, stünde ihr möglicherweise ein Amtshaftungsanspruch zu, jedoch kein Krankengeldanspruch. Ein solcher ergibt sich nämlich auch nicht aus dem Gesichtspunkt des nachgehenden, sich an die Beendigung des Krankengeldbezuges anschließenden Versicherungsschutzes nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Diese Vorschrift bestimmt, dass, sofern die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, ein Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft fortbesteht, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Ein nachwirkender Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft verdrängt aber nur dann eine sich daran anschließende freiwillige Mitgliedschaft, die nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V grundsätzlich mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht entsteht, oder ansonsten eine Auffangpflichtversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V, jeweils Versicherungen ohne Krankengeldanspruch, wenn bei prognostischer Betrachtung davon auszugehen ist, dass der Versicherte spätestens nach Ablauf eines Monats nach dem Ende der bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen werde (§ 5 Abs. 8 a Satz 4 SGB V) bzw., sofern im Anschluss daran das Bestehen eines anderweitigen Anspruches auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird (§ 188 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Solches ist hier weder vorgetragen noch in Ansätzen ersichtlich.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved