Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SF 1239/15 E
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SF 3288/15 E-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Erinnerungsführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 27.07.2015 aufgehoben.
Die der Erinnerungsführerin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird unter Abänderung der Vergütungsfestsetzung vom 16.02.2015 auf 381,99 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Senat entscheidet durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG), da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache, nachdem außer Kraft getretenes Recht Anwendung findet, auch keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Erinnerungsführerin ist, anders als im Rubrum der angegriffenen Entscheidung des SG aufgeführt, (nur) die durch Beschluss des SG vom 30.09.2013 beigeordnete Rechtsanwältin. Ihr allein steht (neben der Staatskasse) gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG das Recht zur Einlegung der Erinnerung zu (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 56 Rn. 7 m.w.N.). Das Rubrum war deshalb entsprechend zu berichtigen.
Die Beschwerde der Erinnerungsführerin hat Erfolg.
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung; die durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586, 2681 ff.) erfolgte Neufassung des RVG ist nicht anwendbar. Nach der Übergangsvorschrift des § 60 RVG finden die bisherigen Vorschriften des RVG Anwendung, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist. (Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift). Ist der Rechtsanwalt im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung in derselben Angelegenheit bereits tätig, ist die Vergütung für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist, nach neuem Recht zu berechnen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 RVG). Nachdem hier sowohl die Klageerhebung in der Hauptsache, als auch die Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) bereits am 24.06.2013 und damit vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG am 31.07.2013 erfolgt sind, findet altes Recht Anwendung.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, da das Sozialgericht Freiburg (SG) die Beschwerde zugelassen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG), und zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden. Die Beschwerde ist auch begründet; das SG hat die Erinnerung zu Unrecht zurückgewiesen. Die Erinnerungsführerin hat einen Vergütungsanspruch in Höhe von 381,99 EUR.
Nach § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt gemäß § 45 Abs. 1 RVG aus der Landeskasse zu erstatten sind. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach den §§ 3, 14 RVG. Dabei wird die konkrete Höhe einer Gebühr gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG durch den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen angesetzt. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wird im Wesentlichen durch die zeitliche Inanspruchnahme bestimmt. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist anhand der Intensität der Tätigkeit zu bewerten. Die Bedeutung der Angelegenheit ist zu bestimmen anhand der konkreten Bedeutung für den Mandanten. Zusätzlich sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers maßgeblich. Dabei ist in der Praxis grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen (vgl. dazu ausführlich Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R -, BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr. 2). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sog. Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG a.a.O.). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraum objektiv nicht hinreichend beachtet; dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind Anfall und Höhe der von der Erinnerungsführerin geltend gemachten Gebühren auch aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Das SG hat bereits in der angegriffenen Entscheidung vom 27.07.2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass hierüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht.
Abweichend zur Ansicht des SG hält der Senat in Übereinstimmung mit der Erinnerungsführerin jedoch die in der Vergütungsfestsetzung vom 16.02.2015 vorgenommene Anrechnung der vom Beklagten des Hauptsacheverfahrens geleisteten Kostenerstattung nicht für zutreffend. Das Bayerische LSG hat in seinem Beschluss vom 03.07.2013 (a.a.O.) zu der auch hier allein streitentscheidenden Frage Folgendes ausgeführt:
"Die Anrechnungstechnik des Sozialgerichts mag bei undifferenzierter Betrachtung "vernünftig" erscheinen. Mit der Gesetzeslage stimmt sie nicht überein. Falsch ist schon der gedankliche Ausgangspunkt, Leistungen der PKH würden nur insoweit erbracht, als die Erstattung der außergerichtlichen Kosten durch die Gegenseite Deckungslücken hinterlässt. Damit wird die Subsidiarität der PKH fehlinterpretiert. Zwar besteht in der Tat eine Subsidiarität der PKH, die im weitesten Sinn Sozialhilfeleistung ist. Diese wird aber im Rahmen der Prüfung, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind, berücksichtigt. Für eine Manifestation der Subsidiarität im Leistungsrecht, so wie es das Sozialgericht praktiziert hat, fehlt jede rechtliche Grundlage.
Wie der Senat im Beschluss vom 08.05.2013 - L 15 SF 104/12 B ausgeführt hat, ist das Leistungsrecht im Bereich der PKH weitgehend gesetzlich vorprogrammiert; die Leistungen werden in § 122 ZPO (alle im Folgenden genannten ZPO-Vorschriften sind über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG anwendbar) und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Eine Dispositionsfreiheit der Staatskasse unter Einbeziehung von Vernunfts-, Zweckmäßigkeits- oder gar Sparsamkeitserwägungen existiert nicht.
PKH ist ohne Einschränkung bewilligt worden (wobei nicht einmal bei einer Teilbewilligung von PKH die Vergütung von vornherein nur entsprechend dieser Quote ausbezahlt werden dürfte). Nach der gesetzlichen Struktur erwirbt der beigeordnete Rechtsanwalt einen gesonderten Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, der zu dem gegen den Mandanten hinzutritt. Mit der Beiordnung und den entsprechenden anwaltlichen Tätigkeiten entstehen gegen die Staatskasse also eigene Vergütungsansprüche (es erfolgt kein Schuldbeitritt der Staatskasse, geschweige denn eine Schuldübernahme), die von der Wahlanwaltsvergütung unabhängig sind. Der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach §§ 45 ff. RVG muss auch vom Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner streng unterschieden werden. Denn Schuldner und Gläubiger innerhalb der beiden Rechtsverhältnisse sind unterschiedlich. Dass § 126 Abs. 1 ZPO dem Rechtsanwalt die Befugnis gibt, seine Vergütung von dem in die Prozesskosten verurteilten Gegner im eigenen Namen beizutreiben, ändert daran nichts; denn diese Beitreibung betrifft nur die Wahlanwaltsvergütung, also diejenige Vergütung, die aus dem Anwaltsvertrag mit dem Mandanten gegen diesen entstanden ist. Die Wahlanwaltsvergütung darf bei Bewilligung von PKH zwar nicht mehr gegen den Mandanten selbst durchgesetzt werden (vgl. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), die Verpflichtung des Prozessgegners zur Kostenerstattung - auf der Basis der Wahlanwaltsvergütung - bleibt jedoch davon unberührt (vgl. § 123 ZPO). Schon diese generellen Erwägungen verbieten es, die Zahlungen des Prozessgegners, hier also der Bundesagentur für Arbeit, als Erfüllung der Vergütungsforderung gegen den Freistaat Bayern anzusehen. Vor allem darf die Quote der Kostenerstattung durch den Prozessgegner nicht auf die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übertragen werden.
Hinzu kommt, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz das Zusammentreffen eines Anspruchs nach §§ 45 ff. RVG mit einem Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner spezifisch regelt. Aus § 58 Abs. 2 RVG ergibt sich zwar, dass Zahlungen - zu denen auch der hier von der Bundesagentur für Arbeit entrichtete Betrag von 526,22 EUR gehört - durchaus auf den Vergütungsanspruch nach §§ 45 ff. RVG angerechnet werden müssen. Die Obliegenheit, Zahlungen Dritter zu Gunsten der Staatskasse einzusetzen, wird unterstrichen durch § 59 Abs. 1 RVG: Hat die Staatskasse geleistet, bevor der Prozessgegner die von ihm zu erstattenden außergerichtlichen Kosten gezahlt hat, geht der Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner auf die Staatskasse über. Im hier vorliegenden Fall ist § 59 Abs. 1 RVG allerdings nicht einschlägig, weil die Bundesagentur für Arbeit zuerst gezahlt hat. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Staatskasse grundsätzlich anrechnungsbefugt ist.
Das Sozialgericht hat jedoch übersehen, dass die Zahlung zunächst bei der Wahlanwaltsvergütung (die für die Kostenerstattung durch den Prozessgegner maßgebend ist) zu berücksichtigen ist, soweit diese die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übersteigt. Das führt letztlich dazu, dass die 526,22 EUR, die die Bundesagentur für Arbeit entrichtet hat, in der Tat zunächst für die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren zu verwenden sind. Denn die Geschäftsgebühr, die für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens entstanden ist, gehört zu den notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Das Argument des Sozialgerichts, das Widerspruchsverfahren sei nicht von der PKH-Bewilligung erfasst, geht ins Leere; gleichwohl - oder besser gerade deshalb - muss die Zahlung der Bundesagentur für Arbeit primär dafür eingesetzt werden. Das entspricht dem Berechnungsschema, wie es bei Hartmann, Kostengesetze, 42. Auflage 2012, § 58 Rn. 7, dargestellt ist. Dieses hat zwar auch die Kostenrichterin herangezogen; sie hat aber den Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse fälschlicher Weise vorher halbiert."
Dem schließt sich der erkennende Senat an (vgl. dazu auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2017 – 19 C 15.2425 –, juris). Dementsprechend ist die für das Klageverfahren S 15 AS 2818/13 aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wie von der Erinnerungsführerin beantragt in Höhe von 381,99 EUR festzusetzen (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG):
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Die der Erinnerungsführerin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird unter Abänderung der Vergütungsfestsetzung vom 16.02.2015 auf 381,99 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Senat entscheidet durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG), da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache, nachdem außer Kraft getretenes Recht Anwendung findet, auch keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Erinnerungsführerin ist, anders als im Rubrum der angegriffenen Entscheidung des SG aufgeführt, (nur) die durch Beschluss des SG vom 30.09.2013 beigeordnete Rechtsanwältin. Ihr allein steht (neben der Staatskasse) gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG das Recht zur Einlegung der Erinnerung zu (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 56 Rn. 7 m.w.N.). Das Rubrum war deshalb entsprechend zu berichtigen.
Die Beschwerde der Erinnerungsführerin hat Erfolg.
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung; die durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586, 2681 ff.) erfolgte Neufassung des RVG ist nicht anwendbar. Nach der Übergangsvorschrift des § 60 RVG finden die bisherigen Vorschriften des RVG Anwendung, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist. (Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift). Ist der Rechtsanwalt im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung in derselben Angelegenheit bereits tätig, ist die Vergütung für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist, nach neuem Recht zu berechnen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 RVG). Nachdem hier sowohl die Klageerhebung in der Hauptsache, als auch die Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) bereits am 24.06.2013 und damit vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG am 31.07.2013 erfolgt sind, findet altes Recht Anwendung.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, da das Sozialgericht Freiburg (SG) die Beschwerde zugelassen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG), und zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden. Die Beschwerde ist auch begründet; das SG hat die Erinnerung zu Unrecht zurückgewiesen. Die Erinnerungsführerin hat einen Vergütungsanspruch in Höhe von 381,99 EUR.
Nach § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt gemäß § 45 Abs. 1 RVG aus der Landeskasse zu erstatten sind. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach den §§ 3, 14 RVG. Dabei wird die konkrete Höhe einer Gebühr gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG durch den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen angesetzt. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wird im Wesentlichen durch die zeitliche Inanspruchnahme bestimmt. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist anhand der Intensität der Tätigkeit zu bewerten. Die Bedeutung der Angelegenheit ist zu bestimmen anhand der konkreten Bedeutung für den Mandanten. Zusätzlich sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers maßgeblich. Dabei ist in der Praxis grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen (vgl. dazu ausführlich Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R -, BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr. 2). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sog. Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG a.a.O.). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraum objektiv nicht hinreichend beachtet; dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind Anfall und Höhe der von der Erinnerungsführerin geltend gemachten Gebühren auch aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Das SG hat bereits in der angegriffenen Entscheidung vom 27.07.2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass hierüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht.
Abweichend zur Ansicht des SG hält der Senat in Übereinstimmung mit der Erinnerungsführerin jedoch die in der Vergütungsfestsetzung vom 16.02.2015 vorgenommene Anrechnung der vom Beklagten des Hauptsacheverfahrens geleisteten Kostenerstattung nicht für zutreffend. Das Bayerische LSG hat in seinem Beschluss vom 03.07.2013 (a.a.O.) zu der auch hier allein streitentscheidenden Frage Folgendes ausgeführt:
"Die Anrechnungstechnik des Sozialgerichts mag bei undifferenzierter Betrachtung "vernünftig" erscheinen. Mit der Gesetzeslage stimmt sie nicht überein. Falsch ist schon der gedankliche Ausgangspunkt, Leistungen der PKH würden nur insoweit erbracht, als die Erstattung der außergerichtlichen Kosten durch die Gegenseite Deckungslücken hinterlässt. Damit wird die Subsidiarität der PKH fehlinterpretiert. Zwar besteht in der Tat eine Subsidiarität der PKH, die im weitesten Sinn Sozialhilfeleistung ist. Diese wird aber im Rahmen der Prüfung, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind, berücksichtigt. Für eine Manifestation der Subsidiarität im Leistungsrecht, so wie es das Sozialgericht praktiziert hat, fehlt jede rechtliche Grundlage.
Wie der Senat im Beschluss vom 08.05.2013 - L 15 SF 104/12 B ausgeführt hat, ist das Leistungsrecht im Bereich der PKH weitgehend gesetzlich vorprogrammiert; die Leistungen werden in § 122 ZPO (alle im Folgenden genannten ZPO-Vorschriften sind über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG anwendbar) und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Eine Dispositionsfreiheit der Staatskasse unter Einbeziehung von Vernunfts-, Zweckmäßigkeits- oder gar Sparsamkeitserwägungen existiert nicht.
PKH ist ohne Einschränkung bewilligt worden (wobei nicht einmal bei einer Teilbewilligung von PKH die Vergütung von vornherein nur entsprechend dieser Quote ausbezahlt werden dürfte). Nach der gesetzlichen Struktur erwirbt der beigeordnete Rechtsanwalt einen gesonderten Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, der zu dem gegen den Mandanten hinzutritt. Mit der Beiordnung und den entsprechenden anwaltlichen Tätigkeiten entstehen gegen die Staatskasse also eigene Vergütungsansprüche (es erfolgt kein Schuldbeitritt der Staatskasse, geschweige denn eine Schuldübernahme), die von der Wahlanwaltsvergütung unabhängig sind. Der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach §§ 45 ff. RVG muss auch vom Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner streng unterschieden werden. Denn Schuldner und Gläubiger innerhalb der beiden Rechtsverhältnisse sind unterschiedlich. Dass § 126 Abs. 1 ZPO dem Rechtsanwalt die Befugnis gibt, seine Vergütung von dem in die Prozesskosten verurteilten Gegner im eigenen Namen beizutreiben, ändert daran nichts; denn diese Beitreibung betrifft nur die Wahlanwaltsvergütung, also diejenige Vergütung, die aus dem Anwaltsvertrag mit dem Mandanten gegen diesen entstanden ist. Die Wahlanwaltsvergütung darf bei Bewilligung von PKH zwar nicht mehr gegen den Mandanten selbst durchgesetzt werden (vgl. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), die Verpflichtung des Prozessgegners zur Kostenerstattung - auf der Basis der Wahlanwaltsvergütung - bleibt jedoch davon unberührt (vgl. § 123 ZPO). Schon diese generellen Erwägungen verbieten es, die Zahlungen des Prozessgegners, hier also der Bundesagentur für Arbeit, als Erfüllung der Vergütungsforderung gegen den Freistaat Bayern anzusehen. Vor allem darf die Quote der Kostenerstattung durch den Prozessgegner nicht auf die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übertragen werden.
Hinzu kommt, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz das Zusammentreffen eines Anspruchs nach §§ 45 ff. RVG mit einem Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner spezifisch regelt. Aus § 58 Abs. 2 RVG ergibt sich zwar, dass Zahlungen - zu denen auch der hier von der Bundesagentur für Arbeit entrichtete Betrag von 526,22 EUR gehört - durchaus auf den Vergütungsanspruch nach §§ 45 ff. RVG angerechnet werden müssen. Die Obliegenheit, Zahlungen Dritter zu Gunsten der Staatskasse einzusetzen, wird unterstrichen durch § 59 Abs. 1 RVG: Hat die Staatskasse geleistet, bevor der Prozessgegner die von ihm zu erstattenden außergerichtlichen Kosten gezahlt hat, geht der Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner auf die Staatskasse über. Im hier vorliegenden Fall ist § 59 Abs. 1 RVG allerdings nicht einschlägig, weil die Bundesagentur für Arbeit zuerst gezahlt hat. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Staatskasse grundsätzlich anrechnungsbefugt ist.
Das Sozialgericht hat jedoch übersehen, dass die Zahlung zunächst bei der Wahlanwaltsvergütung (die für die Kostenerstattung durch den Prozessgegner maßgebend ist) zu berücksichtigen ist, soweit diese die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übersteigt. Das führt letztlich dazu, dass die 526,22 EUR, die die Bundesagentur für Arbeit entrichtet hat, in der Tat zunächst für die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren zu verwenden sind. Denn die Geschäftsgebühr, die für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens entstanden ist, gehört zu den notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Das Argument des Sozialgerichts, das Widerspruchsverfahren sei nicht von der PKH-Bewilligung erfasst, geht ins Leere; gleichwohl - oder besser gerade deshalb - muss die Zahlung der Bundesagentur für Arbeit primär dafür eingesetzt werden. Das entspricht dem Berechnungsschema, wie es bei Hartmann, Kostengesetze, 42. Auflage 2012, § 58 Rn. 7, dargestellt ist. Dieses hat zwar auch die Kostenrichterin herangezogen; sie hat aber den Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse fälschlicher Weise vorher halbiert."
Dem schließt sich der erkennende Senat an (vgl. dazu auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2017 – 19 C 15.2425 –, juris). Dementsprechend ist die für das Klageverfahren S 15 AS 2818/13 aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wie von der Erinnerungsführerin beantragt in Höhe von 381,99 EUR festzusetzen (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG):
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
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