L 7 R 3591/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 3082/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 3591/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts S. vom 28. August 2017 wird zurückgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren über einen Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die in 1962 in J. (frühere Sowjetunion) geborene, seit Juli 2013 verwitwete Klägerin wuchs in K. auf. Im April 1990 gelangte sie mit ihrer Familie in die Bundesrepublik Deutschland und nahm hier ihren ständigen Wohnsitz. In ihrer früheren Heimat arbeitete die Klägerin ihren Angaben zufolge zuletzt als Buchhalterin. Im Bundesgebiet war sie anfänglich u.a. einige Zeit als Kassiererin in einer Drogeriemarktkette, später mehrere Jahre bis Juni 2009 als Verpackerin bei einem Hersteller von Produkten der Klebetechnik und schließlich von Juni 2011 bis November 2013 bei einer Zeitarbeitsfirma u.a. in der Kontrolle von Autoteilen eingesetzt, wo sie wegen Arbeitsmangels die Kündigung erhielt. Bereits ab 4. November 2013 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, bezog vom 1. Dezember 2013 bis 3. Mai 2015 Krankengeld, ab 4. Mai 2015 Arbeitslosengeld sowie ab 2. August 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Die Klägerin erhält außerdem von der Beklagten aus der Versicherung des verstorbenen Ehemanns eine Witwenrente.

Auf Kosten der Beklagten fanden in der Vergangenheit mehrere stationäre Heilverfahren statt (2002 und 2006 in der F. in B. B., 2008 in der Rehaklinik G. in G.), wobei die Entlassungen jeweils als mindestens sechsstündig leistungsfähig erfolgten. In der Zeit vom 21. November bis 19. Dezember 2013 führte die Beklagte erneut eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durch, dieses Mal in der M. Klinik in B. N.; bei den Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Episode, gegenwärtig mittelgradig, sowie einer Hypercholesterinämie wurde die Klägerin für körperlich mittelschwere Arbeiten mehr als sechs Stunden leistungsfähig entlassen (Bericht der Ltd. Ärztin Dr. A. vom 20. Dezember 2013). Danach befand sich die Klägerin vom 30. Januar bis 10. April 2014 in S. G. in der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) W. in teilstationärer Behandlung wegen einer dort diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (Bericht des Chefarztes Priv.-Doz. Dr. Dr. K. vom 14. Juli 2014).

Am 17. März 2015 stellte die Klägerin den hier streitgegenständlichen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, den sie mit Depressionen seit Juli 2013 begründete. Die Beklagte veranlasste darauf eine Begutachtung durch den Internisten und Lungenarzt Dr. M ... Dieser diagnostizierte im Gutachten vom 6. Mai 2015 eine wiederkehrende depressive Störung bei belastenden Lebensfaktoren, aktuell noch akzentuiert durch den Tod des Ehemanns im Juli 2013, eine Kniegelenksarthrose beidseits, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, belastungsabhängige Lumbalbeschwerden, Übergewicht sowie ein kombiniertes Lipödem/Lymphödem der Beine, überlagernd Krampfadern der Beine. Die Klägerin sei in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung gewisser Funktionseinschränkungen (ohne Bücken, ohne Heben und Tragen von Lasten, kein überdurchschnittlicher Zeitdruck) noch mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Durch Bescheid vom 8. Mai 2015 lehnte die Beklagte darauf den Rentenantrag ab, weil die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Während des Widerspruchsverfahrens zog die Beklagte den Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. vom 16. Juni 2015 bei und veranlasste ferner eine Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H ... Im Gutachten kam der Arzt - bei den Diagnosen: Somatisierung, Dysthymie, früher diagnostizierte depressive Episode, zum Untersuchungszeitpunkt deutlich gebessert, ängstliche Persönlichkeitsmerkmale, Übergewicht, Wirbelsäulenbeschwerden ohne Reizsymptomatik, distal polyneuropathische Symptomatik ohne Relevanz für das Geh- und Stehvermögen - zum Ergebnis, dass die Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht, ohne erhöhten Zeitdruck sowie ohne Verantwortung für Personen noch mehr als sechs Stunden täglich verrichten könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2015 wurde der Widerspruch der Klägerin darauf zurückgewiesen.

Deswegen hat die Klägerin am 12. Oktober 2015 Klage zum Sozialgericht U. (SG) erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Diagnose des Dr. H. weiche erheblich von der Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte ab. Es bestehe trotz intensiver therapeutischer Bemühungen eine deutliche Chronifizierung. Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin, Arzt für Allgemeinmedizin B. und Dr. G., ferner die psychologische Psychotherapeutin Dipl.-Psych. S. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Sowohl der Hausarzt B. (Schreiben vom 23. März 2016) als auch Dr. G. (Schreiben vom 4. April 2016) haben, ebenso wie Dipl.-Psych. S. (Schreiben vom 3. April 2016), die Auffassung vertreten, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr sechs Stunden täglich leistungsfähig sei. Das SG hat anschließend die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. zur Sachverständigen bestellt. Im Gutachten vom 20. Juli 2016 ist die Sachverständige - bei der Diagnose einer chronifizierten depressiven Störung im Sinne einer Dysthymia - zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei Vermeidung von Nachtschicht sowie Arbeiten mit besonderer Anforderung an die nervliche Belastbarkeit noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG außerdem den Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Prof. Dr. E., Chefarzt des F.K. in S., als Sachverständigen beauftragt. Im Gutachten vom 20. März 2017 hat der Sachverständige auf seinem Fachgebiet eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode sowie eine psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert. Er hat die Auffassung vertreten, dass der Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und zeitweisem Stehen mehr als sechs Stunden täglich zumutbar seien; ausgeschlossen seien Arbeiten unter Zeitdruck, mit Personalverantwortung sowie allgemein hoher Verantwortung, mit Anforderung an eine hohe Flexibilität (z.B. Arbeiten im Schichtdienst), ferner Nachtarbeit.

Mit Urteil vom 28. August 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, weil sie nach Überzeugung des Gerichts auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich verfüge. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 4. September 2017 zugestellte Urteil verwiesen.

Hiergegen richtet sich die am 12. September 2017 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung hat sie vorgebracht, die gutachterlichen Einschätzungen von Dr. M., Dr. H., Dr. A. und Prof. Dr. E. seien für sie nicht nachvollziehbar; diese hätten den Schweregrad ihrer psychiatrischen Erkrankung nicht angemessen eingeschätzt.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts U. vom 28. August 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2015 zu verurteilen, ihr ab dem 1. März 2015 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 20. Dezember 2017 (der Beklagten zugestellt am 27. Dezember 2017, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 8. Januar 2018) darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin durch Beschluss der Berufsrichter gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss der Berufsrichter entscheiden, da er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 SGG). Einwendungen gegen diese Verfahrensweise haben sie nicht erhoben.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) bis zum Erreichen der Regelaltersrente Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2 a.a.O.). Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB VI haben Versicherte - bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Satzes 1 Nrn. 2 und 3 a.a.O. - bis zum Erreichen der Regelaltersrente Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu allgemein Bundessozialgericht (BSG) BSGE 80, 24 ff. = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Die Voraussetzungen für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit sind in der Übergangsvorschrift des § 240 SGB VI geregelt.

Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) hat die Klägerin erfüllt. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Renten wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI) wären ausweislich des Kontospiegels mit Wartezeitauskunft vom 31. März 2015 gegeben, wenn eine Erwerbsminderung, wie von der Klägerin in der Anlage zum Rentenantrag geltend gemacht, bereits im Juli 2013 eingetreten wäre; sie lägen jedoch auch bei einem erst mit der Rentenantragstellung eingetretenen Leistungsfall noch vor. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat die Klägerin indessen keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsfähigkeit, weil sie in der streitbefangenen Zeit durchgehend nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI gewesen ist. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) hat sie, wie ihrem schriftsätzlichen Vorbringen zu entnehmen ist, nicht begehrt, und dies zu Recht, denn sie ist erst nach dem 1. Januar 1961 geboren, sodass sie schon auf Grund ihres Geburtsdatums eine derartige Rente nicht zu erlangen vermag (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Im Vordergrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin steht das psychiatrische Fachgebiet; daneben sind auch weitere medizinische Fachgebiete berührt. Die bei ihr vorhandenen Gesundheitsstörungen führen jedoch zu keinen einen Rentenanspruch auslösenden Leistungseinschränkungen in der streitbefangenen Zeit. Auf psychiatrischem Gebiet leidet die Klägerin zuvörderst an einem depressiven Syndrom. Das psychopathologische Zustandsbild hat die Sachverständige Dr. A. als eine chronifizierte depressive Störung im Sinne einer Dysthymia gewertet; nach der ICD 10-Codierung (F34.1) ist hierfür kennzeichnend eine anhaltende, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die aber weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten depressiven Störung (F33.-) zu erfüllen. Der diagnostischen Einschätzung von Dr. A. hat sich im Übrigen auch der vom SG nach § 109 SGG beauftragte Sachverständige Prof. Dr. E. nicht entgegengestellt. Er ist zwar von einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode (ICD 10 F32.0) ausgegangen, hat differentialdiagnostisch jedoch ebenfalls eine Dysthymia erwogen und dies mit der über viele Jahre hinweg bestehenden Arbeitsfähigkeit der Klägerin begründet. Schon Dr. H., dessen auf Veranlassung des Beklagten erstattetes Gutachten vom 6. Mai 2015 der Senat urkundenbeweislich zu verwerten hat (vgl. BSG SozR Nr. 66 zu § 128 SGG; BSG, Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87 - (juris Rdnr. 17)), hatte die depressive Symptomatik mit einer Dysthymia umschrieben. Insgesamt ergibt sich aus allen im Verlaufe des Verfahrens eingeholten Gutachten eine Stabilisierung der auf psychiatrischem Gebiet vorhandenen gesundheitlichen Situation der Klägerin, die sich in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befindet; die Pharmakotherapie musste seit Jahren kaum verändert werden.

Die Sachverständige Dr. A. hat auf die positiven Ressourcen der Klägerin hingewiesen. Sie ist in der Lage, ihren Tagesablauf zu gestalten, steht morgens um sieben Uhr auf, versorgt sodann den Haushalt, geht zu Fuß in der Nähe einkaufen und putzt zwischendurch; nachmittags beschäftigt sie sich hauptsächlich mit ihrem Hobby, dem Stricken, aber auch mit anderen Handarbeiten, dem Lesen, dem Lösen von Kreuzworträtseln sowie mit dem Nachrichtenschauen im Fernsehen. Sie hat regelmäßigen Kontakt mit ihrer Familie, den sie als sehr gut beschreibt, sowie mit zwei Freundinnen. Der ältere der beiden Söhne wohnt in der Nachbarschaft, der jüngere in etwa zehn Kilometer Entfernung; die Enkelkinder, vor allem das in der Nähe wohnende, kommen häufig zu Besuch. Über einen ähnlichen Tagesablauf sowie erhaltene soziale Kontakte hat die Klägerin auch Prof. Dr. E. berichtet. Im psychopathologischen Befund zeigte sich die Klägerin bei der Sachverständigen Dr. A. wach und orientiert bei formal und inhaltlich ungestörtem Gedankengang. Auch die kognitiven Funktionen waren unbeeinträchtigt ohne Anhalt für Störungen von Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnisleistungen. Die Stimmungslage hat Dr. A. als wechselnd, überwiegend subdepressiv mit eingeschränkter affektiver Resonanz bei erhalten gebliebener positiver Affizierbarkeit beschrieben; lediglich bei bestimmten Themen (z.B. Tod des Ehemanns und des Bruders) kam es zu Affektlabilität. Der Sachverständige Prof. Dr. E. hat einen damit weitgehend übereinstimmenden Befund geschildert. Auch bei ihm war die Klägerin wach, klar und voll orientiert ohne Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit und Konzentration; Fragen beantwortete sie präzise, wobei der Gedankengang allerdings inhaltlich durch Insuffizienzgefühle und selbst abwertende Tendenzen geprägt war. Die Stimmungslage hat Prof. Dr. E. als gedrückt und deutlich negativ getönt bezeichnet bei insgesamt jedoch ausreichend vorhandener Schwingungsfähigkeit und positiv erhaltener Affizierbarkeit. Ein reduzierter Antrieb, wie von der Klägerin anamnestisch angegeben, offenbarte sich nach den Ausführungen von Prof. Dr. E. bei ihm nicht. Vielmehr war der Antrieb dort unauffällig, die Klägerin nahm aufmerksam und lebendig am Gespräch teil, antwortete rasch und betonte, dass bei ihr zu Hause in der Wohnung alles geordnet und akkurat sei; die Psychomotorik war weitgehend unauffällig. Der Rentengutachter Dr. H. hat die affektive Schwingungsfähigkeit, den Antrieb sowie die Psychomotorik der Klägerin sogar als unauffällig dargestellt ohne Affektlabilität; die Grundstimmung hat er als nicht mittelschwer oder gar schwer depressiv angegeben. Der Rentengutachter hat Hinweise für eine Aggravation gesehen. Eine Suizidalität hat sich weder bei Dr. A. noch bei Prof. Dr. E. ergeben; solche Tendenzen haben sich auch bei den Behandlungen der Klägerin in der Stauferklinik S. G., im ZfP W. und im O.-Klinikum A. nicht gezeigt (vgl. die Berichte des Prof. Dr. H. vom 1. Juni 2015, des Dr. D. vom 4. Januar 2016 und des Dr. H. vom 9. Februar 2016). Die gegenteilige Auffassung des behandelnden Psychiaters Dr. G. (Schreiben vom 4. April 2016), der eine Suizidalität angenommen hat, indessen im psychopathologischen Befund vom 19. Januar 2016 keine wesentlichen Abweichungen im Vergleich zu denjenigen von Dr. A. und Prof. Dr. E. beschrieben hat, ist sonach nicht nachvollziehbar. Dr. H. hat bemerkenswerterweise, worauf auch Dr. A. hingewiesen hat, eine stationäre Behandlung der Klägerin während des laufenden Rentenverfahrens für nicht sinnvoll erachtet. Die Klägerin ist im Übrigen zu den Sachverständigen Dr. A. und Prof. Dr. E. jeweils alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist.

Mit Bezug auf den Umgang der Klägerin mit Alkohol, die sich deswegen im Jahr 2007 mehrfach in vollstationäre sowie nachfolgende teilstationäre Behandlung begeben musste (vgl. die Berichte des ZfP W. vom 6. März, 22. Mai und 9. Juli 2007), kam es im Jahr 2015 zu zweimaligen Exzessen, die stationäre Aufenthalte in der Zeit vom 27. Mai bis 2. Juni 2015 in der Stauferklinik S. G. (vgl. Bericht des Chefarztes Prof. Dr. H. vom 1. Juni 2015) und vom 28. bis 30. Dezember 2015 (vgl. Bericht des Chefarztes Dr. D. vom 4. Januar 2016) erforderlich machten. Während die Sachverständige Dr. A. auf Grund ihrer Exploration davon ausgegangen ist, dass die Klägerin einen regelmäßigen Alkoholkonsum glaubhaft verneint und es sich deshalb um Einzelfälle gehandelt habe, hat Prof. Dr. E. eine von der Klägerin bagatellisierte Alkoholabhängigkeit angenommen, jedoch eine Phase andauernder Abstinenz gesehen; er hat insoweit - in Übereinstimmung mit Dr. D. - auf psychiatrischem Gebiet zusätzlich die Diagnose einer psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom (ICD 10 F10.2) gestellt. Für eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F43.1), wie sie die Dipl.-Psych. S. vermutet hat, besteht nach den Ausführungen von Prof. Dr. E. bei der Klägerin kein Anhalt. Dr. H. hat noch eine Somatisierung sowie ängstliche Persönlichkeitsmerkmale, Dr. H. eine beginnende chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD 10 F45.41) gesehen.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin an einer beiderseitigen Kniegelenksarthrose, wobei Dr. K. (Bericht vom 18. November 2015) bei der Extension/Flexion am linken Kniegelenk Messwerte von 0/0/120 Grad (zum Vergleich Referenzwert: 5-10/0/120-150 Grad) bei negativem Meniskuszeichen beschrieben hat. Darüber hinaus bestehen degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule. Der Finger-Bodenabstand betrug bei Dr. M. 29 cm; das Schober‘sche Zeichen als Entfaltungsindex für die Lendenwirbelsäule ergab dort 10/13 cm, das Zeichen nach Ott als Hinweis auf die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule 30/32,5 cm, was auf eine allenfalls leichte Einschränkung der Beweglichkeit in diesen beiden Wirbelsäulenabschnitten hindeutet. Neurologische Ausfallerscheinungen liegen nicht vor; das Ischiasnervendehnungszeichen nach Lasègue war sowohl bei der Sachverständigen Dr. A. als auch bei den Rentengutachtern Dr. M. und Dr. H. negativ. Das Gangbild war neurologischerseits unauffällig. Die von Dr. H. gesehene polyneuropathische Symptomatik konnte durch die Sachverständige Dr. A. nicht bestätigt werden; zwar waren auch bei ihr - und bei Prof. Dr. E. - die Achillessehnenreflexe nicht reproduzierbar. Die von ihr im Rahmen der Elektromyographie/motorischen Elektroneurographie gemessene Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peronaeus zeigte indessen links einen Normalwert und nur rechts eine Verzögerung, sodass die Diagnose einer Neuropathie nach ihren Ausführungen nicht eindeutig gestellt werden kann; abgesehen hiervon hat die Klägerin der Sachverständigen gegenüber auch keine entsprechenden Beschwerden angegeben. Internistischerseits bestehen ein kombiniertes Lipödem/Lymphödem der Beine sowie ein komplikationsloses Krampfaderleiden ohne Geschwürsbildung. Die Klägerin ist deutlich übergewichtig.

Die bei der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen bewirken keine Einschränkung ihres Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht; sie führen lediglich zur Beachtung qualitativer Einschränkungen. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens einschließlich aller Beweismittel, zu deren Verwertung er im Rahmen der in freier richterlicher Beweiswürdigung zu treffenden Entscheidung verpflichtet ist (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Senat folgt der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Dr. A. und Prof. Dr. E. sowie der Rentengutachter Dr. M. und Dr. H.; alle diese Gutachter haben übereinstimmend ein Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich bejaht. Diese Leistungsbeurteilung ist angesichts der bei der Klägerin vorhandenen objektivierbaren Gesundheitsstörungen schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend. Eine derartige zeitliche Leistungsfähigkeit hatte im Übrigen bereits Dr. A. im Reha-Entlassungsbericht vom 20. Dezember 2013 befürwortet. Soweit die behandelnden Ärzte der Klägerin, Hausarzt B. und Dr. G., zeitliche Leistungseinschränkungen gesehen haben, ist dies in Anbetracht von Art und Ausmaß der bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar und nur mit ihrer Einstellung als Behandler erklärbar; dies entspricht jedoch nicht der in gutachterlicher Hinsicht zu fordernden Neutralität. Auf die fehlende Plausibilität der Leistungseinschätzung von Dr. G. sowie der Dipl.-Psych. S., die sich im Übrigen in dieser Hinsicht fachfremd auf medizinischem Gebiet bewegt haben dürfte, hat auch Prof. Dr. E. hingewiesen.

Hinsichtlich des zu beachtenden positiven und negativen Leistungsbildes würdigt der Senat die schlüssigen ärztlichen Äußerungen dahingehend, dass die Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und zeitweisem Stehen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, wobei Tätigkeiten im Bücken, Überforderung durch Zeitdruck, Schichtdienst und Nachtarbeit sowie Tätigkeiten mit Verantwortung für Personen sowie allgemein hoher Verantwortung und mit besonderer Anforderung an die nervliche Belastbarkeit vermieden werden müssen. Eine Notwendigkeit von Arbeitsunterbrechungen in einem das betriebsübliche Maß übersteigenden Rahmen (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136; BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 11/96 - (juris)) besteht unter Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen Dr. A. und Prof. Dr. E. nicht. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Gehfähigkeit (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10) haben die Sachverständigen - ebenso wie im Übrigen die Rentengutacher Dr. M. und Dr. H. - verneint; die Gehstrecke vom S.er Hauptbahnhof zu den gutachtlichen Untersuchungen im F. K. (einfache Strecke etwa 2,5 km) hat die Klägerin jeweils zu Fuß zurückgelegt.

Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht voll erwerbsgemindert. Eine - trotz mindestens sechsstündiger Leistungsfähigkeit - eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtfertigende Ausnahme ist allerdings dann gegeben, wenn qualitative Leistungsbeschränkungen vorliegen, die eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstellen (vgl. etwa BSG SozR 3-2600 § 43 Nrn. 17 und 21; SozR a.a.O. § 44 Nr. 12), oder der Arbeitsmarkt sonst praktisch verschlossen ist, etwa weil der Versicherte nicht in der Lage ist, noch unter betriebsüblichen Bedingungen Tätigkeiten zu verrichten oder seine Fähigkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen, aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 137 und 139). Die letztgenannten beiden Gründe, die zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen können, liegen nach dem Beweisergebnis - wie oben ausgeführt - nicht vor. Ebenso wenig stellt das bei der Klägerin zu beachtende positive und negative Leistungsbild eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen entscheidend von deren Anzahl, Art und Schwere ab, wobei die Frage der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zweckmäßigerweise in zwei Schritten zu klären ist. Zunächst ist in einem ersten Prüfungsschritt festzustellen, ob das Restleistungsvermögen der Versicherten körperliche Verrichtungen erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.; vgl. BSGE 80, 24, 32); erst wenn insoweit Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen, folgt eine weitere Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, die alsdann zur Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit führt (vgl. BSG SozR 3-2600 § 43 Nrn. 17 und 21; SozR a.a.O. § 44 Nr. 12; BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 16; SozR a.a.O. § 43 Nrn. 18 und 19).

Die bei der Klägerin zu beachtenden qualitativen Einschränkungen führen indes nicht zu Zweifeln an ihrer betrieblichen Einsetzbarkeit. Die bei ihr in körperlicher Hinsicht zu beachtenden Einschränkungen sind schon vom Begriff "leichter körperlicher Arbeiten" erfasst, z.B. Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne schweres Heben und Tragen von Lasten und ohne Zwangshaltungen; sie bewirken deshalb keine Verengung der der Klägerin noch möglichen Arbeitsfelder (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10). Auch die verbleibenden Einschränkungen (keine Wechselschicht- und Nachtarbeit, keine Arbeiten unter Zeitdruck, keine Tätigkeiten mit hoher Verantwortung oder mit besonderer Anforderung an die nervliche Belastbarkeit) führen nicht zu einer Einengung der beruflichen Einsetzbarkeit der Klägerin im oben genannten Sinn (vgl. hierzu BSGE 80, 24, 32; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; BSG SozR 4-2600 § 43 Nrn. 18 und 19). Körperlich leichte Arbeiten werden im Übrigen nicht typischerweise unter diesen Bedingungen ausgeübt. Etwaige häufigere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bewirken für sich allein im Übrigen noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 9, 192, 194; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 12 S. 23).

Die Klägerin ist nach allem nicht voll erwerbsgemindert; es liegt noch nicht einmal eine teilweise Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 SGB VI vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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