S 5 R 1812/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Heilbronn (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 1812/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 25.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die vom 28.03.2013 bis 02.12.2013 durchgeführte ambulante Rehabilitationsmaßnahme i.H.v. insgesamt 22.440,00 EUR zu erstatten. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Die Klägerin macht die Kosten einer ambulanten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation ihres verstorbenen Ehemannes (nachfolgend X.) in Höhe von 22.440 Euro geltend.

Der am XX geborene X. war von Beruf Diplom-Ingenieur und übte zuletzt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Bereichsleiter in einem IT-Dienstleistungsunternehmen aus. Es bestand eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung bei der beigeladenen Krankenkasse.

Am 04.02.2012 erlitt X. eine Subarachnoidalblutung. Als Komplikation ereignete sich am 18.02.2012 ein Media-Infarkt, in dessen Folge es zu einer Hirnschwellung kam. Nach der akutmedizinischen Behandlung mit mehreren operativen Eingriffen wurde vom 24.04.2012 bis 05.07.2012 eine Frührehabilitationsmaßnahme der Phase B in der XX durchgeführt. Dem Entlassungsbericht vom 29.08.2012 ist zu entnehmen, dass X. bei Aufnahme noch mit einer Trachealkanüle versorgt worden und erst beginnend kontaktfähig gewesen sei; es habe eine spastisch werdende Hemiplegie vorgelegen. Im kognitiven Bereich habe X. zügige Fortschritte gemacht. Während des stationären Aufenthalts sei eine Infektion mit einem multiresistenten Keim aufgetreten.

Vom 05.07.2012 bis 06.10.2012 (mit Unterbrechung für eine stationäre Krankenhausbehandlung zur Anlage eines ventrikulo-peritonealen Shunts) fand zu Lasten der Beig. eine Frührehabilitationsmaßnahme der Phase C in der Rehaklinik XX statt. Im Entlassungsbericht vom 11.10.2012 wird ausgeführt, dass im Verlauf der Behandlung eine Steigerung der allgemeinen Leistungsfähigkeit erreicht worden sei, so u.a. eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, eine erhöhte Standsicherheit, eine beginnende Gangmobilität und eine leichte Regredienz der Hemisymptomatik sowie der Spastik im linken Arm.

Nach der Entlassung aus der Rehaklinik XX wurden ambulante Physio- und Ergotherapien begonnen. Einem Verlaufsbericht der Physiotherapeutin XX vom 29.01.2013 ist zu entnehmen, dass zu Beginn der Behandlung eine starke Rumpfinstabilität mit Beinstreckspastik links und Fußheberschwäche bestanden habe. Freies Sitzen, Aufstehen, Stehen und Gehen sei ohne fremde Hilfe nicht möglich gewesen. Nach dreieinhalb Monaten intensiver Physiotherapie habe der hochmotivierte Patient erhebliche Fortschritte gemacht. Er könne nunmehr frei sitzen und stehen. Der Transfer vom Sitz in den Stand sei aber nicht ganz ohne Hilfe möglich; das Gehen am Vierpunkt-Stock sei noch sehr unkontrolliert, während das Gehen am "Hirtenstock" schon flüssig gelinge.

Die Beig. gewährte dem X. seit 17.03.2012 Krankengeld. In dem von ihr eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 26.11.2012 kam der Gutachter Dr. X zum Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit des X. gemindert sei. Er könne seinen Beruf und auch leichte körperliche Tätigkeiten auf Dauer nicht mehr vollschichtig ausüben. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Aufforderung nach § 51 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen daher vor. Mit Schreiben vom 03.12.2012 teilte die Beig. dem X. mit, dass dessen Erwerbsfähigkeit nach den Feststellungen des MDK erheblich gefährdet oder gemindert sei. Eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation könnte seine Situation verbessern. Er solle daher bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stellen. Den ausgefüllten Antrag des X. auf eine ganztägig ambulante Leistung der medizinischen Rehabilitation vom 06.12.2012 leitete die Beig. mit Schreiben vom 28.12.2012 unter Hinweis auf § 51 Abs. 1 SGB V an die Bekl. weiter. Der Antrag ging am 08.01.2013 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 25.03.2013 wurde der Reha-Antrag des X. mit der Begründung abgelehnt, dass die Leistungsfähigkeit zwar erheblich gemindert sei, jedoch nicht zu erwarten sei, dass die Erwerbsfähigkeit durch die beantragte Rehabilitationsleistung wesentlich verbessert oder wiederhergestellt werden kann. Auch ein Rehabilitationsbedarf nach den Leistungsgesetzen eines anderen Trägers liege nicht vor. Der Antrag werde gemäß § 116 Abs. 2 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) als Antrag auf Rente angesehen. Der Bescheid war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.

Mit Bescheid vom 01.07.2013 wurde X. eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.12.2012 zunächst befristet und sodann mit Bescheid vom 16.09.2014 auf unbestimmte Dauer bewilligt.

Am 28.03.2013 nahm X. auf eigene Kosten eine tagesstationäre neurologische Rehabilitationsbehandlung in der Neuro-Reha Aktiv Marbach auf.

In seinen Berichten vom 17.05.2013 und 24.05.2013 führt der dortige Behandler, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. X aus, dass neurophysiologische Defizite und eine hochgradige, armbetonte spastische Hemiparese mit fehlender Gebrauchsfähigkeit des linken Armes bestünden. Selbständige Transferfunktionen seien nicht möglich. X. sei bei basalen und erweiterten Aktivitäten des täglichen Lebens von fremder Hilfe abhängig. Es ergebe sich ein logopädischer, physio- und ergotherapeutischer Behandlungsbedarf. Die rehabilitationsmedizinischen Mittel hätten im Rahmen der vorhergehenden stationären Rehabilitation aufgrund der Komplikationen im Krankheitsverlauf nicht im üblichen Maße ausgeschöpft werden können. Es bestehe weiterhin ein medizinisch notwendiger und mit anderen Mitteln nicht erreichbarer Rehabilitationsbedarf im Sinne des Rehabilitationsauftrags der Krankenkassen. Im Verlauf hätten bereits alltagsrelevante Verbesserungen erreicht werden können.

Am 16.08.2013 erhob X. gegen den Bescheid vom 25.03.2013 Widerspruch und legte Rechnungen der Neuro-Reha X (nach einer Fusion "XX") vom 14.05.2013, 10.07.2013, 30.09.2013 und 23.10.2013 in Höhe von 4.950 Euro, 5.940 Euro, 9.240 Euro und 2.310 Euro vor.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde X. am 23.12.2013 von Dr. X begutachtet. In seinem Gutachten vom 04.01.2014 führt dieser aus, dass bei Beginn der streitgegenständlichen ganztätigen ambulanten Rehabilitation neben den erheblichen motorischen Defiziten komplexe kognitive Teilleistungsstörungen und eine schwer ausgeprägte affektive Störung bestanden hätten. Zum Zeitpunkt der Begutachtung hätten sich die Mobilitäts- und die Aufmerksamkeitsfunktionen verbessert gezeigt. Gehen mit Gehstock, Transfer zum Toilettensitz, wiederkehrende Gehstrecken in der Wohnung könne X. selbständig ausführen. Weiter sei eine deutliche Stabilisierung des affektiven Befundes festzustellen. Zum Zeitpunkt der Reha-Antragstellung habe Rehabilitationsbedürftigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose bestanden. Eine positive Erwerbsprognose könne nicht formuliert werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2014 wurde der Widerspruch des X. zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nicht zu erwarten sei, dass die bestehende Erwerbsminderung des E. durch die beantragte Rehabilitationsleistung beseitigt werden kann. Nach den Vorschriften eines anderen Leistungsträgers bestehe ebenfalls kein Rehabilitationsbedarf. Auch die Voraussetzungen des § 15 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Kostenerstattung für die selbstbeschaffte ambulante Therapie seien nicht erfüllt.

Am 22.05.2014 hat der X. Klage beim Sozialgericht Heilbronn erhoben.

Zur Begründung trägt er vor, dass jedenfalls nach den Vorschriften des SGB V eine Reha-Bedürftigkeit bestanden habe. Die Beklagte habe seinen Antrag als erstangegangene Trägerin nicht an die Krankenkasse weitergeleitet und sei daher leistungspflichtig. Es wird ein Attest von Dr. X vom 06.06.2014 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, dass das Störungsbild nicht durch einzelne Heilmittelverordnung zu behandeln gewesen sei, sodass ein ganztätiges multimodales Therapiekonzept etabliert worden sei. Zum damaligen Zeitpunkt sei X. von einer relativ raschen beruflichen Wiedereingliederung ausgegangen. Durch die Rehabilitationsbehandlung seien erhebliche Verbesserungen von Funktionen, Aktivitäten und Teilhabe erzielt worden. Auch retrospektiv betrachtet hätte dieses Ergebnis nicht durch Einzelanwendungen im Heilmittelbereich erreicht werden können. Im März 2013 habe ein Rehabilitationsbedarf bestanden, und zwar nicht mit dem Ziel einer zeitnahen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, sondern mit dem Ziel nicht anders zu erreichender Verbesserung von Aktivität und Teilhabe. In einem weiteren Attest vom 30.07.2014 geht Dr. X davon aus, dass X. wieder in der Lage sei, mehrmals pro Tag jeweils 30 bis 45 Minuten lang spezifische Tätigkeiten am PC zu verrichten und von einem Home-Office aus eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert auszuüben.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 25.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die vom 28.03.2013 bis 02.12.2013 durchgeführte ambulante Therapie in Höhe von insgesamt 22.440 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide.

Am 29.11.2016 ist X. verstorben. Das Verfahren wurde von seiner Witwe fortgeführt.

Das Gericht hat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie Prof. Dr. X eingeholt. In seinem Gutachten nach Aktenlage vom 16.07.2018 führt dieser aus, dass die durchgeführte ambulante Rehabilitationsmaßnahme notwendig gewesen sei, um eine Verschlimmerung der Behinderung des X. zu verhüten bzw. deren Folgen zu mildern. Ohne die Maßnahme wäre es zu einer Zunahme der Kontrakturen des linken Armes und zu einer Gehunfähigkeit gekommen. Auch die kognitiven Störungen hätten sich verschlimmert. Das intensive Therapieprogramm entspreche dem schweren Ausprägungsgrad der Störungen. Eine ambulante Krankenbehandlung sei in der Regel nicht in der Lage, hochfrequente Maßnahmen zu gewährleisten. Die Dauer der Maßnahme von 136 Tagen sei angemessen und erforderlich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2019 und auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen X. klagebefugt.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014 ist rechtswidrig und verletzt die passivlegitimierte Klägerin als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten der Beklagten in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Kostenerstattung für die von X. selbst beschaffte Leistung der medizinischen Rehabilitation.

Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch ergibt sich zwar nicht aus rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften (dazu 1.). Die Beklagte ist jedoch als erstangegangene Trägerin gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung leistungspflichtig (dazu 2.) und hat die Kosten für die beschaffte Leistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. SGB IX a.F. zu erstatten (dazu 3.)

1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der hier einschlägigen Fassung vom 19.02.2002 (a.F.) erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Dabei müssen. u.a. die persönlichen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 SGB VI a.F. erfüllt sein. Dies ist der Fall, wenn (1.) die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und (2.) voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.

Neben einer erheblichen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit muss also eine positive Erfolgsprognose gestellt werden können; es müssen mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, dass die in Absatz 1 Nr. 2 genannten Zielsetzungen in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit umgesetzt werden können. Erwerbsfähigkeit ist dabei als Fähigkeit zu verstehen, den bisherigen Beruf oder eine der Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit des Versicherten angemessene Erwerbs- oder Berufstätigkeit dauernd auszuüben (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 9 SGB VI, Rn. 88 m.w.N.).

Zweifellos war die Erwerbsfähigkeit des X. zum Zeitpunkt der Reha-Antragstellung und des Antritts der streitigen Maßnahme erheblich gemindert. Dies geht aus sämtlichen beigezogenen medizinischen Unterlagen, dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. X sowie dem gerichtlichen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. X hervor. Nach der erlittenen Hirnblutung und dem Media-Infarkt waren die körperlichen Funktionen des X. schwergradig betroffen; es bestanden u.a. erhebliche motorische sowie neurophysiologische Defizite und kognitive Teilleistungsstörungen. X. war in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens von fremder Hilfe abhängig. Angesichts des schweren Krankheitsbildes ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass X. nicht in der Lage war, seinen bisherigen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben.

Zur Überzeugung der Kammer konnte jedoch keine positive Erfolgsprognose in Bezug auf eine Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des X. gestellt werden. So führt der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. X in seinem schlüssigen und überzeugenden Gutachten aus, dass die Rehabilitationsbehandlung eine Rückbildung der körperlichen Funktionseinschränkungen und die Förderung der Alltagskompetenz bezweckt habe. X. habe die Fähigkeit erlangen sollen, sich alleine zu waschen, anzuziehen und sich die Mahlzeiten zuzubereiten. Es ging also in erster Linie um Grundbedürfnisse des täglichen Lebens; von einer Wiedereingliederung in das Berufsleben war X. bei dieser Ausgangslage noch weit entfernt. Auch der im Verwaltungsverfahren als Gutachter beauftragte Behandler des X. Dr. XX konnte nachvollziehbar keine positive Erwerbsprognose formulieren.

Damit bestand kein Anspruch auf eine Rehabilitationsbehandlung nach den Vorschriften des SGB VI. 2. Die Beklagte hätte die beantragte Leistung jedoch unter Berücksichtigung der Vorschriften des SGB V gewähren müssen. Denn sie ist hierfür nach § 14 SGB IX a.F. zuständig geworden.

Nach § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V gelten auch für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB V die §§ 14, 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag nach Satz 2 der Vorschrift unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 SGB IX a.F. den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest und entscheidet - wenn kein Gutachten eingeholt werden muss - innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang.

Die Beklagte hat den Antrag des X. nicht an den zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet. Dabei gilt die Beklagte trotz der hier vorliegenden Konstellation, dass X. den Reha-Antrag auf Aufforderung der beigeladenen Krankenkasse gemäß § 51 SGB V gestellt und bei der Krankenkasse abgegeben hat, die ihn sodann an die Beklagte weitergeleitet hat, als erstangegangene Rehabilitationsträgerin (vgl. Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 SGB IX, Rn. 64). Denn die nach §§ 9, 10 SGB VI festzustellenden persönlichen Voraussetzungen und die positive Erfolgsprognose gehören nicht zum Prüfungsumfang nach § 51 SGB V (vgl. Noftz in: Hauck/Noftz, SGB, 11/14, § 51 SGB V, Rn. 16). Als zuständiger Rehabilitationsträger kommt die beigeladene Krankenkasse in Betracht. Denn X. hatte einen Anspruch auf die Gewährung der beantragten Maßnahme der ambulanten medizinischen Rehabilitation nach den Vorschriften des SGB V.

Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, erbringt die Krankenkasse gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V besteht.

Festzuhalten ist zunächst, dass es sich bei der von X. beantragten und durchgeführten Maßnahme um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation und nicht um Krankenbehandlung gehandelt hat. Rehabilitationsleistungen werden als Komplexmaßnahme erbracht, bei der die im Einzelfall erforderlichen therapeutischen Interventionen (z.B. Krankengymnastik, Bewegungs-, Sprach- und Beschäftigungstherapie, Psychotherapie und Hilfsmittelversorgung) aufgrund eines ärztlichen Behandlungsplanes zu einem in sich verzahnten Gesamtkonzept zusammengefasst werden. Die isolierte Abgabe von Heilmitteln fällt hingegen unter die Krankenbehandlung (vgl. Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 40 SGB V, Rn. 42 m.w. N.). Vorliegend ist u.a. den Berichten von Dr. Hendrich vom 17.05.2013 und 06.06.2014 eindeutig zu entnehmen, dass eine ambulante ganztätige multimodale Behandlung mit krankengymnastischen, ergotherapeutischen, logopädischen und psychotherapeutischen Elementen durchgeführt wurde. Damit liegt eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme vor.

Diese Maßnahme war notwendig, um die Behinderung und die Pflegebedürftigkeit des X. zu mindern und auszugleichen sowie um ihre Verschlimmerung zu verhüten. Wie bereits ausgeführt, bestanden vielfältige und schwerwiegende Funktionseinschränkungen. Sowohl Dr. XX als auch Prof. Dr. XX bestätigen nachvollziehbar einen Rehabilitationsbedarf. Prof. Dr. XX führt diesbezüglich aus, dass es ohne die Rehabilitation zu einer Zunahme der Kontrakturen des linken Arms und zu einer Gehunfähigkeit gekommen wäre. Auch die kognitiven Störungen hätten sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch weiter verschlechtert.

Zur Überzeugung der Kammer wäre eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreichend gewesen, um die in § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, sodass eine ambulante Rehabilitation gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderlich war. Bedingt durch das komplexe Störungsbild mussten mehrere Fachgebiete - u.a. Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Psychotherapie - gleichzeitig abgedeckt werden, und zwar im Wege einer ineinandergreifenden, hochfrequenten Behandlung. Wie Prof. Dr. XX zutreffend anmerkt, ist eine ambulante Krankenbehandlung nicht in der Lage, dies zu gewährleisten.

Somit hätte die Beklagte als erstangegangene Klägerin die beantragte ambulante Rehabilitationsmaßnahme gemäß §§ 11 Abs. 2, 40 Abs. 1 SGB V gewähren müssen. Die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Ablehnung war rechtswidrig.

3. Beschaffen sich Leistungsberechtigte im Falle einer rechtswidrigen Ablehnung eine erforderliche Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 15 I 3, 4 SGB IX a.F. zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Nachdem die Beklagte die beantragte Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, muss sie gemäß § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V i.V.m. § 15 I 4 SGB IX a.F. die Kosten der von E. selbst beschafften Maßnahme in Höhe von 22.440 Euro erstatten.

Die Dauer der selbst beschafften Maßnahme ist nicht zu beanstanden. Zwar ist die Dauer ambulanter Rehabilitationsbehandlungen gemäß § 40 Abs. 3 Satz 2 SGB V im Regelfall auf 20 Behandlungstage begrenzt. Eine Verlängerung der Leistung ist jedoch aus medizinischen Gründen möglich, wenn sie dringend erforderlich ist. Sie kommt nicht nur wegen ansonsten drohender erheblicher gesundheitlicher Nachteile, sondern schon dann in Betracht, wenn das Ziel der Maßnahme innerhalb der bewilligten Dauer nicht erreicht wurde, bei einer Verlängerung aber mit hinreichender Erfolgsaussicht erreichbar ist (vgl. Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 40 SGB V, Rn. 61). Im vorliegenden Fall ist angesichts des komplexen Störungsbildes davon auszugehen, dass das Ziel der Maßnahme nicht innerhalb von 20 Tagen erreichbar gewesen wäre. Diesbezüglich folgt die Kammer der überzeugenden Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. XX

Auch im Übrigen sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht verletzt. Soweit die von X. in Anspruch genommenen Leistungen nach dem Selbstzahlertarif abgerechnet wurden, fällt dies zu Lasten der Beklagten. Der Berechtigte soll so gestellt werden, wie er bei rechtmäßiger Leistungsgewährung stehen würde. Der Erstattungsumfang ist daher nicht auf denjenigen Betrag begrenzt, den der zuständige Reha-Träger für die Erbringung derselben erforderlichen Leistung hätte aufwenden müssen. Maßgeblich sind nicht die ggfs. niedrigeren Sätze, die der Reha-Träger zu zahlen hätte, sondern die tatsächlichen Aufwendungen (vgl. Joussen in: LPK-SGB IX, 4. Aufl. 2014, § 15 SGB IX Rn. 11; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 18 SGB IX, Rn. 67). Die Kosten sind in der Höhe zu erstatten, wie sie aus der Sicht des Leistungsberechtigten nach den für ihn bestehenden Handlungsalternativen als wirtschaftlich anzusehen sind. Eine wirtschaftlichere Alternative zur durchgeführten Maßnahme ist nicht ersichtlich.

Nach alledem war wie tenoriert zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Beklagten.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Heilbronn, Paulinenstr. 18, 74076 Heilbronn, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.

XX Richterin am Sozialgericht
Rechtskraft
Aus
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