L 18 AS 2617/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 17 AS 2410/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2617/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. November 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor lautet: Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1963 geborene Kläger zu 1. und seine 1966 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2., standen gemeinsam mit ihrem im Oktober 2001 geborenen Sohn, dem Kläger zu 3., seit 2005 laufend im Leistungsbezug des Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. übten seit 1991 selbständige Tätigkeiten (Vermessungsbüro) aus. Sie erzielten jeweils Einkommen in unregelmäßiger Höhe.

Der Beklagte bewilligte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft für den gegenständlichen Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 31. Juli 2009 im Hinblick auf die unregelmäßigen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bescheid vom 2. Februar 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6. Juni 2009) in einer Gesamthöhe von 144,96 EUR für Februar 2009 und von monatlich 837,26 EUR für März bis Juni 2009 und von 891,26 EUR für Juli 2009 ausgehend von einem Gesamtbedarf der Familie in Höhe von 1.001,26 EUR, wogegen diese Widerspruch erhoben, weil voraussichtlich im Bewilligungszeitraum kein anrechenbares Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt würde.

Im März 2010 überreichte der Kläger zu 1. für die Bedarfsgemeinschaft die abschließenden Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum Februar bis Juli 2009. Auf Band III Bl. 700 bis 740 der Leistungsakten des Beklagten wird wegen der Angaben der Kläger im Einzelnen zu ihren Betriebseinnahmen und -ausgaben Bezug genommen. Für Februar 2009 bewilligte der Beklagten den Klägern endgültig Leistungen in Höhe von insgesamt 483,81 EUR unter Anrechnung von eines bereinigtem Einkommens der Eheleute aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 517,45 EUR (Bescheid vom 29. Januar 2011, Widerspruchsbescheid vom 8. September 2011, Gegenstand des verbundenen Rechtsstreits S 17 AS 2409/11).

Mit zweiten Bescheid vom 29. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2011 (verbundener Rechtsstreit S 17 AS 2410/11) forderte der Beklagte von den Klägern zu 1. und 3. für die Zeit von März 2009 bis Juli 2009 überzahlte Leistungen in einer Gesamthöhe von 995,56 EUR (Bescheid vom 29. Januar 2011, Widerspruchsbescheid vom 7. September 2011) zurück. Von der Klägerin forderte er mit einem dritten Bescheid vom 29. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2011 (verbundener Rechtstreit S 17 AS 2415/11) die Erstattung von zuletzt noch 622,56 EUR.

Die nachfolgend vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) erhobenen Anfechtungsklagen – S 17 AS 2409/11, S 17 AS 2410/11 und S 17 AS 2415/11 –, mit denen ausdrücklich nur die Kläger zu 1. und 2. als Kläger bezeichnet worden sind, die zunächst das Begehren verfolgt haben, eine aus ihrer Sicht vorgreifliche Entscheidung des Beklagten über ihren Antrag vom 14. Mai 2008 wegen einer Einkommensverteilung auf ein gesamtes Geschäftsjahr herbeizuführen, hat das SG nach zwei Erörterungsterminen im Jahr 2012 und 2015 im Verhandlungstermin vom 3. November 2017 zu vorliegendem Verfahren verbunden und sodann die verbundene Klage, nachdem der bevollmächtigte Kläger zu 1. ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 3. November 2017 auf die in den Verfahren S 17 AS 2413/11 gestellten Anträge Bezug genommen und es zugleich abgelehnt hat, einen Sachantrag zu stellen, mit Urteil vom selben Tag abgewiesen ("als unzulässig verworfen"). Zur Begründung ist ausgeführt, die Klagen seien unzulässig geworden, nachdem die Kläger trotz ausdrücklichen Hinweises in der mündlichen Verhandlung auf die Folgen dieses Verhaltens darauf beharrt hätten, keinen Sachantrag zu stellen, welches als Klagerücknahme zu werten sei, weil das Gericht über das ursprüngliche Begehren keine Entscheidung in der Sache mehr habe treffen dürfen. Soweit die Kläger stattdessen eine Entschädigung und die Feststellung begehrt hätten, dass das Verfahren unfair gewesen sei, liege hierin eine unzulässige, weil nicht sachdienliche Klageänderung. Dies sei der Fall, wenn wie hier, der Rechtsstreit auf eine völlig neue Grundlage gestellt werde.

Mit ihrer Berufung vom 13. Dezember 2017 machen die Kläger – nunmehr ausdrücklich zu 1., 2. und 3. – geltend, ihnen seien seit Jahren vom Beklagten gesetzwidrig Sozialleistungen entzogen worden. Das SG habe ausweislich des Schreibens vom 14. Februar 2017 erst zu jenem Zeitpunkt festgestellt, dass auch die Unterkunftskosten fehlerhaft berechnet worden seien. Aufgrund des Zeitablaufs sei ihnen eine Stellungnahme in der Sache nicht mehr möglich. Das Recht werde gebeugt. Im Klageverfahren seien sie belogen und nicht angehört worden. Mehrfach erbetene Auskünfte seien ihnen nicht erteilt worden, eine weitere Sachaufklärung sei nicht durchgeführt worden. Das angefochtene Urteil sei auch prozessual falsch, weil sie weder von dem ursprünglichen Klageantrag Abstand genommen noch das Begehren erweitert hätten. Entschädigungs- oder Amtshaftungsansprüche seien gar nicht geltend gemacht worden. Ihr Recht auf ein faires Verfahren sei verletzt. Bei dieser Sachlage werde kein Sachantrag gestellt. Begehrt werde eine Feststellung zur Fairness des Verfahrens.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Gerichtsakten nebst der Gerichtsakten zu den parallelen Berufungsverfahren L 18 AS 2613/18, L 18 AS 2614/18, L 18 AS 2615/17 und L 18 AS 2616/17 und die beigezogenen Leistungsakten des Beklagten (19 Bände) haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger zu 1. bis 3. ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Tenor des angegriffenen Urteils, mit dem bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) auch über von dem Kläger zu 3) bereits erstinstanzlich erhobene Ansprüche entschieden wurde, war gemäß §§ 153 Abs. 1, 138 Satz 1 SGG von Amts wegen durch das mit der Sache befasste Berufungsgericht zu berichtigen.

Das SG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Kläger ihre frühere Klage nach entsprechender Auslegung ihres Prozessverhaltens gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgenommen haben. Denn sie haben trotz Belehrung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG – wie sie auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt haben – darauf beharrt, keinen Sachantrag mehr stellen zu wollen (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig-Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 112 Rn. 8; Stäbler in juris-PK-SGG 1. Auf. 2017 § 112 Rn. 25; Redeker von Oertzen, VwGO 16. Auflage 2014 § 103 Rn. 8; bzw. Wegfall des Rechtsschutzinteresses vgl. Ortloff/Riese in Schoch VwGO 2009 § 103 Rn. 48). Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Nach den tatsächlichen Angaben in den Sitzungsniederschriften des SG vom 3. November 2017, deren Richtigkeit die Kläger nicht in Abrede stellen, hat der in der mündlichen Verhandlung anwesende und bevollmächtigte Kläger zu 1. im sozialgerichtlichen Verfahren S 17 AS 2413/11 – auf die entsprechende Sitzungsniederschrift nimmt er auch im vorliegenden Verfahren Bezug –, erklärt, weder in diesem noch in den ebenfalls anberaumten sozialgerichtlichen Verfahren, mithin auch dem vorliegenden nicht – einen Antrag zu stellen. Dementsprechend ist für vorliegendes Verfahren protokolliert worden, der Kläger habe erklärt, auch im hiesigen Verfahren keinen Sachantrag zu stellen. Ob in dieser Erklärung eine Klagerücknahme zu sehen ist, ist im Wege der Auslegung unter Würdigung der Gesamtumstände zu ermitteln. Zu berücksichtigen ist insofern, dass der mündlichen Verhandlung auch eine Warnfunktion zukommt, die der Richter wahrgenommen hat, indem er den Kläger zu 1. über die Folgen der Antragsverweigerung im Falle des Schließens der mündlichen Verhandlung belehrt hat, ohne dass ersichtlich wäre, ob und gegebenenfalls was die Kläger noch in der Sache begehren. Zwar gilt in dem Fall, dass ein Beteiligter zur mündlichen Verhandlung weder erschienen noch vertreten worden ist, sein schriftlich eingereichter Antrag entweder als gestellt, bzw. ist ein solcher gegebenenfalls aus dem schriftlichen Vorbringen zu ermitteln (vgl. B. Schmidt, a.a.O., § 112 Rn. 8). Dies kann indes nicht entsprechend angenommen werden, wenn die Beteiligten selbst erschienen oder durch einen erschienenen Bevollmächtigten vertreten werden. So liegt es hier. Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 SGG hat der Vorsitzende gegenüber den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darauf hinzuwirken, dass diese angemessene und sachdienliche Anträge stellen. Die Anträge können ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 SGG geändert werden (vgl. § 112 Abs. 2 SGG). Weigert sich der Kläger, und zwar trotz Erörterung der Sach- und Rechtslage und entgegen § 112 Abs. 1 Satz 2 SGG einen Antrag zu stellen, ist aufgrund der erkennbaren Umstände seitens des Gerichts zu klären, was gewollt ist. Vorliegend muss aufgrund der Umstände des Ablaufs der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung der Niederschriften auch der früheren Erörterungstermine nach Maßgabe der nicht angegriffenen protokollierten Erklärungen davon ausgegangen werden, dass die Kläger ihr ursprüngliches Klagebegehren nicht mehr weiterverfolgt haben, da nicht ersichtlich ist, dass sie ein Begehren in der Sache zumindest noch hilfsweise aufrecht erhalten haben. Bereits im Erörterungstermin vom 1. September 2015 haben sie erklärt, welches sie mit ihrer Stellungnahme vom 15. Januar 2019 und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigen, (ausschließlich) eine Feststellung zur Fairness des Verfahrens zu begehren, indes aufgrund des erheblichen Zeitablaufs nicht mehr zu den einzelnen Verfahren Stellung nehmen zu wollen. Hiermit in Einklang stehen die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auf die Umstände der Datenspeicherung und Datenweiterweitergabe sowie auf Entschädigung wegen Verfahrensverzögerung gestellten Anträge und die protokollierte Äußerung, es werde weder in diesem Verfahren noch in den am selben Tag anberaumten Verfahren ein Antrag gestellt (vgl. Niederschrift vom 3. November 2017 zu S 17 AS 2413/11) und schließlich auch das Beharren der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwesenden Kläger zu 1. und 2. darauf, keinen Sachantrag zu stellen und sich darüber hinaus einer etwaigen vergleichsweisen Einigung zu verschließen. Eine nach Würdigung des Prozessverhaltens hiernach anzunehmende sinngemäße Erledigungserklärung bzw. Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG wirkt auch für den noch minderjährigen (17jährigen) Kläger zu 3., der nach entsprechender Auslegung des ursprünglichen Klagebegehrens vor dem SG bereits seinerzeit als Adressat der angefochtenen Bescheide Mitkläger war. Spätestens mit der Berufung wurde das von sämtlichen Klägern in Bezug auf die protokollierten Äußerungen nicht bestrittene, sondern allenfalls abweichend gewürdigte Prozessverhalten des bevollmächtigten Klägers zu 1. von der auch sorgeberechtigten Mutter, der Klägerin, genehmigt.

Bei dieser Sachlage sind die vormals mit der Klage angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 29. Januar 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. bzw. 8. September 2011 bestandskräftig und für die Beteiligten bindend (vgl. § 77 SGG) geworden, nachdem die ursprünglich erhobene Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht mehr weiterverfolgt worden ist. Nachdem die Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat trotz entsprechender Belehrung nicht bereit waren, gegebenenfalls sachdienliche Anträge zu stellen, kann dahinstehen, ob eine (ggf. erneute) Klageänderung ohnehin unzulässig wäre, weil das Stellen eines Anfechtungs- und Verpflichtungsantrags gegen die ursprünglich angefochtenen Bescheide nicht mehr statthaft wäre.

Soweit die Kläger ausdrücklich ihr Begehren, eine Feststellung zur Fairness des Verfahrens zu erhalten, aufrechterhalten, ohne sich zu dem Inhalt dieses Begehrens näher erklären zu wollen, handelt es sich weder um einen prozessual statthaften noch um einen als sachdienlich auslegungsfähigen Antrag i.S.d. § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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