Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AL 8/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 50/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Fiktiveinstufung nach § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB III (Qualifikationsgruppe 4) begegnet jedenfalls dann keinen Bedenken, wenn zwischen Aufabe der Tätigkeit im Ausbildungsberuf (hier: durch Umschulung zum Informatikkaufmann) infolge des Bezugs von Rente wegen voller Erwerbsminderung, Krankengeld und Arbeitslosigkeit ein Zeitraum von ca. neun Jahren liegt. Gerade im IT-Sektor, der insbesondere in den letzten zehn Jahren von sich massiv verändernder Arbeitswelt und -bedingungen geprägt ist, ist ein Vermittlungserfolg im Ausbildungsberuf nach einem derart langen Zeitraum nahezu undenkbar.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.01.2018 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes bei Fiktiveinstufung.
Der Kläger ist am 00.00.1972 geboren, verheiratet und Vater eines 1994 geborenen Kindes. Nach Abschluss der Realschule (Fachoberschulreife) absolvierte er vom 01.08.1990 bis zum 31.01.1994 eine Ausbildung zum Industriemechaniker - Fachrichtung Betriebstechnik -. Von 1994 bis Januar 1999 und von Mai 1999 bis Februar 2001 war er unterbrochen von einer Arbeitslosigkeit in diesem Beruf tätig. Anschließend war er erneut arbeitslos. Vom 24.06.2002 bis zum 15.06.2004 absolvierte der Kläger erfolgreich eine von der Beklagten geförderte Umschulung zum Informatikkaufmann. Vom 01.09.2004 bis zum 31.07.2006 stand er in diesem Beruf in einem Arbeitsverhältnis. Vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2013 bezog er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Vom 01.02.2013 bis zum 21.02.2013 bezog der Kläger Krankengeld.
Auf seine Arbeitslosmeldung im Februar 2013 hin bewilligte ihm die Beklagte nach agenturärztlicher Untersuchung Arbeitslosengeld ab dem 22.02.2013 für 360 Tage nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 53,90 Euro und einem täglichen Leistungssatz von 28,53 Euro (endgültiger Bewilligungsbescheid vom 26.08.2013). Dabei ging die Beklagte von einer Fiktiveinstufung nach § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) - Einstufung als Pförtner - aus. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bezog der Kläger vom 24.02.2014 bis zum 01.09.2015 erneut Krankengeld.
Am 21.07.2015 meldete sich der Kläger bei der Beklagten zum 02.09.2015 arbeitslos. Am 03.08.2015 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Zielberuf "Pförtner" (Verbis-Vermerk vom 03.08.2015), da aus Sicht der Arbeitsvermittlung keine aktuelle Berufserfahrung mehr vorlag. Am 29.09.2015 wurde der Kläger zur Feststellung seiner Leistungsfähigkeit untersucht. Die Agenturärztin der Beklagten, Frau Dr. X, kam zu dem Ergebnis, dass er vollschichtig (täglich sechs Stunden und mehr) für leichte Tätigkeiten mit wechselnder Arbeitshaltung dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Aus ärztlicher Sicht seien grundsätzlich Bürotätigkeiten am ehesten möglich, sofern die qualitativen Einschränkungen berücksichtigt würden. Dabei sei zu beachten, dass ununterbrochenes Sitzen zu verstärkten Beschwerden führe und daher die Möglichkeit zum zwischenzeitlich kurzzeitigen Stehen und Gehen gegeben sein sollte.
In einem persönlichen Gespräch mit dem zuständigen Arbeitsvermittler der Beklagten Q schloss sich der Kläger dem Gutachten an. Der Arbeitsvermittler dokumentierte im Verbis-Vermerk vom 15.10.2015, dass sich aufgrund der langen Abwesenheit des Klägers vom Arbeitsmarkt Vermittlungsaktivitäten der Beklagten auf Tätigkeiten erstreckten, die keinen Berufsabschluss erforderten. Er sei damit Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen.
Durch Bescheid vom 14.09.2015 und Bewilligungsbescheid vom 02.10.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig und durch Bescheid, Änderungsbescheid und gesonderten Bewilligungsbescheid vom 15.10.2015 abschließend Arbeitslosengeld ab dem 02.09.2015 mit einer Anspruchsdauer von 240 Tagen und einem täglichen Leistungssatz von 26,87 Euro. Die Beklagte legte dabei ausgehend von der Qualifikationsgruppe 4 des § 152 Abs. 2 SGB III ein fiktives kalendertägliches Bemessungsentgelt von 56,70 Euro zugrunde, ermittelte hieraus unter Berücksichtigung der in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse III ein tägliches Leistungsentgelt von 44,79 Euro und setzte hiervon 60 % als Leistungssatz fest.
Am 25.10.2015 legte der Kläger Widerspruch ein. Er sei gelernter Informatikkaufmann. Ferner verfüge er über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Industriemechaniker. Es sei sicherlich richtig, dass er laut Gutachten nur in der Lage sei, leichte Bürotätigkeiten auszuüben. Um eine solche Tätigkeit handele es sich bei einem Arbeitsplatz als Informatikkaufmann. Er bitte deshalb darum, seine berufliche Qualifikation in der Berechnung zu berücksichtigen.
Auf Anfrage der Widerspruchsstelle der Beklagten gab der zuständige Arbeitsvermittler Q folgende schriftliche Stellungnahme ab: "Nachdem Kd. jedoch seit 10 Jahren (vorübergehender Rentenbezug) nicht mehr in seinem vormals erlernten Beruf als Informatikkaufmann gearbeitet habe, sei eine Integration in diese Tätigkeit kaum realistisch. Daher bezögen sich Vermittlungsbemühungen der Arbeitsvermittlung auf Tätigkeiten, bei denen üblicherweise kein Ausbildungsabschluss erforderlich sei." (Verbis-Vermerk vom 09.12.2015).
Daraufhin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 09.12.2015 den Widerspruch des Klägers, soweit sich dieser einerseits auf die vorläufige Bewilligung und andererseits auf die Höhe des Bemessungsentgeltes bezog, zurück. Den letzteren begründete sie folgendermaßen: Da sich auch im Rahmen des verlängerten Bemessungsrahmens vom 02.09.2013 bis zum 01.09.2015 keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt feststellen ließen, sei der Bemessung ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das sich entsprechend der beruflichen Qualifikation des Klägers nach der Qualifikationsgruppe 4 des § 152 Abs. 2 SGB III richte. Die von dem Kläger begehrte fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes nach der Qualifikationsgruppe 3 sei nicht möglich, weil sich Vermittlungsbemühungen für den Kläger in erster Linie auf Beschäftigungen der Qualifikationsgruppe 4 zu erstrecken hätten. In seinem Falle sei es nach den Recherchen der Beklagten so, dass sich die Vermittlungsaktivitäten der Beklagten angesichts der langen Dauer, während der der Kläger keine Erwerbstätigkeit habe ausüben können, auf Tätigkeiten richteten, für die kein Berufsabschluss erforderlich sei.
Am 07.01.2016 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben, mit der er weiterhin die Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgeltes fordert, und seinen Vortrag aus dem Vorverfahren im Wesentlichen wiederholt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.10.2015, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auf der Grundlage einer fiktiven Bemessung gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Der Kläger hat bis zur Anspruchserschöpfung im April 2016 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosengeld II bezogen. Seit dem Jahr 2017 bezieht er wieder eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (befristet bis zum 30.06.2020).
Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 09.01.2018 Beweis durch Vernehmung des Arbeitsvermittlers Q als Zeugen erhoben und sodann durch Urteil die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.10.2015, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 verurteilt, dem Kläger höheres Arbeitslosengeld auf der Grundlage einer Fiktiveinstufung gem. § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, sowie die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen:
Der Kläger habe zunächst unstreitig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld dem Grunde nach erfüllt. Die Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass für den Kläger im erweiterten Bemessungsrahmen vom 02.09.2013 bis zum 01.09.2015 ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht festgestellt werden könne. Denn er habe in diesem Zeitraum Kranken- bzw. Arbeitslosengeld bezogen. Damit sei nach § 152 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt zugrunde zu legen. Dessen Höhe habe die Beklagte jedoch unzutreffend bestimmt. Entgegen ihrer Auffassung sei das Bemessungsentgelt ausgehend von der Qualifikationsgruppe 3 gemäß § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III bei der Bemessung zugrunde zu legen.
Die Beklagte habe zu Unrecht festgestellt, dass sie ihre Vermittlungsbemühungen für den Kläger in erster Linie auf Tätigkeiten als Helfer oder als Pförtner zu erstrecken habe. Habe der Arbeitslose eine bestimmte Berufsausbildung abgeschlossen, hätten sich die Vermittlungsbemühungen grundsätzlich auf Beschäftigungen entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikation zu erstrecken, weil diese Tätigkeit eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt garantiere. Dem jeweils erworbenen förmlichen Berufsabschluss komme damit entscheidende Bedeutung zu. Angesichts dessen hätten sich die Vermittlungsbemühungen für den Kläger nicht nur auf Tätigkeiten als Pförtner, sondern auch gleichwertig auf eine Vermittlung in seinem erlernten Beruf als Informatikkaufmann zu erstrecken gehabt. Er habe unstreitig über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Informatikkaufmann verfügt und in diesem Beruf auch mehrere Jahre gearbeitet. Es sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass er im September 2015 gesundheitlich in der Lage gewesen sei, diesen Beruf auszuüben. Denn bei der Tätigkeit als Informatikkaufmann handele es sich um eine Bürotätigkeit, die auch nach Einschätzung von Frau Dr. X dem Kläger am ehesten möglich gewesen sei, insbesondere da hier regelmäßig die Möglichkeit bestanden habe, die Körperhaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen bedarfsmäßig zu wechseln. Weil der Kläger für diesen Bereich über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge, habe die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen gleichwertig auch auf diesen Bereich zu erstrecken gehabt, weil diese Tätigkeit eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt eröffnet habe. Um seine Vermittlungschancen zu erhöhen, sehe das Gesetz insbesondere die Gewährung von Eingliederungszuschüssen vor. Zu Unrecht vertrete daher die Beklagte, dass analog § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III bereits nach einer Dauer von vier Jahren Nichtarbeit in dem erlernten Beruf zwingend eine völlige Entwertung und Abstufung des Arbeitslosen zum Ungelernten zu erfolgen habe. Nach dem Günstigkeitsprinzip sei hier auch nach dem Ablauf von vier Jahren die höhere Qualifikation maßgeblich für die Einstufung des Klägers.
Gegen das ihr am 07.02.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.03.2018 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
Zwar sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) und des erkennenden Senates zunächst an den förmlichen Berufsabschluss anzuknüpfen. Dies könne jedoch in den Fällen nicht gelten, in denen die Eignung für die erlernte Tätigkeit in Frage stehe. Das individuelle Leistungsprofil werde auch durch den zeitlichen Abstand zum Ausbildungsabschluss und zwischenzeitliche Erwerbstätigkeiten beeinflusst.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.01.2018 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Beklagte gehe schematisch davon aus, dass nach vier Jahren der Nichtausübung des erlernten Berufes der Schwerpunkt der Vermittlung nicht mehr auf entsprechenden Stellen liege. Der Kläger verfüge nach wie vor über Erkenntnisse, die von einem Informatikkaufmann zu fordern seien. Da er sich aufgrund seiner beruflichen Vorbildung selbstverständlich ständig mit den entsprechenden Medien beschäftigt habe, könne er nicht auf die Fähigkeiten und Tätigkeiten eines Pförtners herabgestuft werden.
Mit Schreiben vom 10.09.2018 hat der Senat dem Kläger aufgegeben, unter Vorlage von Nachweisen darzulegen, wie er sich zwischen dem 01.04.2007 und dem 01.09.2015 fortgebildet hat, um seinen Wissensstand im Ausbildungsberuf zu erhalten.
Er hat daraufhin vorgetragen, dass es sich um eine Berufsausbildung handele, die grundsätzliche Qualifikationen voraussetze, einer Fortbildung jedoch nicht bedürfe. Nach Auskunft der IHK sei das Einsatzgebiet für den spezifischen Beruf derartig breit gefächert, dass eine gezielte und spezielle Weiterbildung gar nicht möglich sei. Er sei auch jetzt noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seine erlernten Fähigkeiten als IT-Fachmann bzw. -kaufmann einzusetzen. Dies werde unter Beweis durch Sachverständigengutachten gestellt. Bereits der zuvor erlernte Beruf des Industriemechanikers, ein Berufsbild, bei dem es keiner Aus- und Fortbildung bedürfe, rechtfertige allein die Einordnung in die Qualifikationsgruppe 3. Sofern die Krankheit mittlerweile zu einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit geführt habe, sei der Kläger gehindert, die jeweiligen Qualifizierungen in einer praktischen Tätigkeit umzusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.01.2018 ist begründet. Das Sozialgericht hat der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zu Unrecht stattgegeben. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Streitgegenstand sind - entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes - die drei Bescheide der Beklagten vom 15.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015. Der Bewilligungsbescheid und der Änderungsbescheid vom 15.10.2015, die beide eine inhaltlich - mit Ausnahme der angegebenen Rechtsgrundlagen - identische abschließende Entscheidung i.S.v. § 328 Abs. 2 SGB III enthalten und die vorläufigen Bescheide vom 14.09.2015 und vom 02.10.2015 i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X ersetzt haben, bilden mit dem Bescheid vom 15.10.2015, in dem (allein) die fiktive Bemessung nach Qualifikationsgruppe 4 verfügt wird, eine Einheit. Diese sind allesamt mit dem Widerspruch vom 25.10.2015 angefochten worden.
2. Die von der Beklagten in den vorgenannten Bescheiden vorgenommene fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes ist rechtmäßig.
a) Der in der Regel ein Jahr umfassende Bemessungsrahmen endete gemäß § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses, hier durch den Krankengeldbezug gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III am 01.09.2015. Da sich zwischen dem 02.09.2014 und dem 01.09.2015 überhaupt kein Bemessungszeitraum i.S.v. § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III feststellen lässt, ist der Bemessungsrahmen in Anwendung von § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre zu erweitern. Auch zwischen dem 02.09.2013 und dem 01.09.2015 kann jedoch kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festgestellt werden. Der letzte Anspruch auf Arbeitsentgelt endete - nach den insoweit nicht aufklärungsbedürftigen Angaben in dem zum Verwaltungsvorgang der Beklagten gereichten Lebenslauf des Klägers - spätestens am 31.03.2007.
b) Das Sozialgericht hat unzutreffend die Höhe des als Bemessungsentgelt zugrunde zu legenden fiktiven Arbeitsentgelts ausgehend von der Qualifikationsgruppe 3 bestimmt und das von der Beklagten in den angefochtenen Bewilligungsbescheiden zugrunde gelegte Bemessungsentgelt gemäß 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III beanstandet.
Die Höhe des nach § 152 Abs. 2 SGB III anzusetzenden fiktiven Arbeitsentgelts ist in mehreren Schritten zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.2012 - B 11 AL 21/11 R -, juris Rn. 15; Senat, Urteil vom 09.02.2012 - L 9 AL 12/11 -, juris Rn. 48): Zunächst ist die Beschäftigung zu bestimmen, auf die die Beklagte die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Anschließend ist zu prüfen, welche Qualifikation für diese Tätigkeit erforderlich ist. Mit Qualifikation ist dabei, wie sich aus der zwingenden Vorschrift des § 152 Abs. 2 Satz 2 SGB III ("ist zugrunde zu legen") ergibt, nicht ein bestimmtes Niveau beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern ein bestimmter förmlicher Bildungsabschluss gemeint. Es ist demnach festzustellen, ob für die maßgebliche Tätigkeit ein Hochschul- oder Fachhochschulabschluss (Qualifikationsgruppe 1), ein Fachschulabschluss, ein Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder ein Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2), der Abschluss einer Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) oder kein Berufsabschluss (Qualifikationsgruppe 4) erforderlich ist. Danach ist dann die Einordnung in die in § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB III genannten Qualifikationsgruppen vorzunehmen. Schließlich ist das anzusetzende fiktive Bemessungsentgelt entsprechend der einschlägigen Qualifikationsgruppe im Sinne von § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB III als Bruchteil der Bezugsgröße zu bestimmen.
Die Beklagte hatte ihre Vermittlungsbemühungen im Fall des Klägers in erster Linie auf ungelernte Tätigkeiten zu erstrecken.
(1) Nach § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist nicht die Gesamtbreite der möglichen Beschäftigungen heranzuziehen. Vielmehr sind nur diejenigen Tätigkeiten für die fiktive Bemessung relevant, mit denen der Arbeitslose bestmöglich in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Hierbei gelten die Kriterien der §§ 35, 36 SGB III. Nach § 35 Abs. 2 SGB III hat die Beklagte bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitssuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen. Insofern muss ermittelt werden, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 7a AL 66/05 R -, juris Rn. 20, 22; Urteil vom 03.12.2009 - B 11 AL 42/08 R -, juris Rn. 15, jeweils m.w.N.). Es handelt sich dabei um eine Prognoseentscheidung, welche im gerichtlichen Verfahren voll überprüfbar ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 - L 7 AL 1160/07 -, juris Rn. 21 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG)).
Hat der Arbeitslose eine bestimmte Berufsausbildung abgeschlossen, haben sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten grundsätzlich auf Beschäftigungen entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikation zu erstrecken, weil diese Tätigkeiten eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt garantieren (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2009 - B 11 AL 42/08 R -, juris Rn. 15; Urteil vom 18.05.2010 - B 7 AL 49/08 R -, juris Rn. 18 m.w.N.). Dem jeweils erworbenen förmlichen Berufsabschluss kommt damit entscheidende Bedeutung zu (vgl. insoweit auch BayLSG, Urteil vom 15.06.2011 - L 10 AL 225/09 -, juris Rn. 31). Bei mehreren Berufsabschlüssen ist nach dem Günstigkeitsprinzip die höhere Qualifikation maßgeblich (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 - L 7 AL 1160/07 -, juris Rn. 21; Sächs. LSG, Urteil vom 18.02.2009 - L 1 AL 234/07 -, juris Rn. 53; vgl. auch BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 7a AL 66/05 R -, juris Rn. 22).
(2) Nach diesen Grundsätzen kommt es für die Bestimmung des fiktiven Arbeitsentgelts für den Kläger nach § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III - anders als das Sozialgericht meint - auf ungelernte Tätigkeiten an, da für diesen Bereich nach der im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung am 09.12.2015 zu stellenden Prognose realistisch - jedenfalls am ehesten, wenn überhaupt - zu erwarten war, dass die Beklagte den Kläger erfolgreich würde vermitteln können. Die Vermittlung in eine Stelle als Informatikkaufmann auf der Grundlage der bis 2004 erfolgten Ausbildung und der bis 2006 bzw. 2007 gesammelten Berufserfahrung erscheint demgegenüber zwar nicht als gänzlich ausgeschlossen, aber von deutlich geringerer Aussicht gewesen zu sein. Soweit der Kläger sich zudem noch seines vorherigen Ausbildungsabschlusses als Industriemechaniker berühmt hat, tritt diesbezüglich erschwerend hinzu, dass eine Vermittlung in entsprechende Tätigkeiten schon aus medizinischen Gründen nach dem agenturärztlichen Gutachten im Prognosezeitpunkt auszuschließen war.
Bei der Prognose war überdies zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kläger um eine Person handelte, die zwar erst ein Alter von 43 Jahren aufwies, aber aufgrund des durchgehenden Bezuges von Entgeltersatzleistungen (Erwerbsminderungsrente, Kranken- und Arbeitslosengeld) über annähernd neun Jahre nicht mehr berufstätig gewesen war und dessen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sich schon von daher nicht einfach gestalten würde. Sein Ausbildungsabschluss lag sogar elf Jahre zurück. Eine mehrjährige Unterbrechung des Erwerbslebens legt zur Überzeugung des Senates bei lebensnaher Betrachtung stets die Möglichkeit nahe, dass der "Anschluss" an aktuelle berufliche Gegebenheiten zumindest in gewissem Maße verloren gegangen ist, sodass ein nahtloser Wiedereinstieg in die bisherige Berufsbiografie, insbesondere mit einem völlig unveränderten Marktwert der angebotenen Arbeitsleistung, nicht als gesichert gelten kann (vgl. BSG, Urteil vom 29.05.2008 - B 11a AL 23/07 R -, juris Rn. 44). Dies gilt umso mehr in Anbetracht der sich gerade im IT-Sektor rasant verändernden Arbeitswelt. Die Stellenangebote setzen stets aktuelle Berufserfahrungen und Kenntnisse voraus. Ohne Teilnahme an umfangreichen Schulungsmaßnahmen zwischen 2006/2007 und 2015 erscheint dem Senat ein Vermittlungserfolg nahezu undenkbar.
Diese Annahme hat der Kläger trotz Aufforderung nicht widerlegt. Der Vortrag, er hätte sich mit den für seinen Beruf als Informatikkaufmann relevanten Medien fortlaufend beschäftigt ist nichtssagend, derjenige, dass in Folge der Ausbildung und im Übrigen auf Grund der Breite der Einsatzfelder keine Fortbildungen erforderlich seien, ist schlicht realitätsfern.
Der Kläger verkennt überdies, dass die Einschätzung des agenturärztlichen Dienstes, dass er noch leichte Bürotätigkeiten ausüben konnte, keine Feststellung zu seinen Vermittlungschancen in einem bestimmten Beruf enthält. Nur weil die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Informatikkaufmann (möglicherweise) als leichte Bürotätigkeit anzusehen ist, bedeutet das nicht, dass diese auch diejenige Tätigkeit ist, auf die die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auszurichten hat. Im Gegenteil hat Frau Dr. X bereits die aufgrund der komplexen gesundheitlichen Probleme einerseits und der langjährigen Abwesenheit vom Arbeitsmarkt andererseits bestehenden umfangreichen Vermittlungshindernisse erkannt.
Haben sich danach die Vermittlungsbemühungen der Beklagten in erster Linie auf ungelernte Tätigkeiten zu richten, kommt jedenfalls eine Einordung in die Qualifikationsgruppe 3 nicht in Betracht.
c) Ein Verstoß der hier anzuwendenden Regelungen in §§ 150 Abs. 3 und § 152 SGB III gegen höherrangiges Recht ist weder gerügt worden, noch ersichtlich. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte durch typisierende Regelungen normativ zusammenzufassen, im Tatsächlichen bestehende Besonderheiten generalisierend zu vernachlässigen sowie Begünstigungen oder Belastungen in einer gewissen Bandbreite nach oben und unten pauschalierend zu bestimmen, jedenfalls wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wiegen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Dabei darf der Gesetzgeber auch die Praktikabilität und Einfachheit des Rechts als hochrangige Ziele berücksichtigen, um den Erfordernissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 - 1 BvL 50/86 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2004 - 1 BvL 3/98 -, juris, jeweils m.w.N.). Vor diesem Hintergrund besteht auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den hier streitigen Regelungen kein Anhaltspunkt für die Annahme von Verstößen gegen Verfassungs- und Europarecht (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 29.05.2008 - B 11a AL 23/07 R -, juris Rn. 50).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) bestehen nicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes bei Fiktiveinstufung.
Der Kläger ist am 00.00.1972 geboren, verheiratet und Vater eines 1994 geborenen Kindes. Nach Abschluss der Realschule (Fachoberschulreife) absolvierte er vom 01.08.1990 bis zum 31.01.1994 eine Ausbildung zum Industriemechaniker - Fachrichtung Betriebstechnik -. Von 1994 bis Januar 1999 und von Mai 1999 bis Februar 2001 war er unterbrochen von einer Arbeitslosigkeit in diesem Beruf tätig. Anschließend war er erneut arbeitslos. Vom 24.06.2002 bis zum 15.06.2004 absolvierte der Kläger erfolgreich eine von der Beklagten geförderte Umschulung zum Informatikkaufmann. Vom 01.09.2004 bis zum 31.07.2006 stand er in diesem Beruf in einem Arbeitsverhältnis. Vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2013 bezog er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Vom 01.02.2013 bis zum 21.02.2013 bezog der Kläger Krankengeld.
Auf seine Arbeitslosmeldung im Februar 2013 hin bewilligte ihm die Beklagte nach agenturärztlicher Untersuchung Arbeitslosengeld ab dem 22.02.2013 für 360 Tage nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 53,90 Euro und einem täglichen Leistungssatz von 28,53 Euro (endgültiger Bewilligungsbescheid vom 26.08.2013). Dabei ging die Beklagte von einer Fiktiveinstufung nach § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) - Einstufung als Pförtner - aus. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bezog der Kläger vom 24.02.2014 bis zum 01.09.2015 erneut Krankengeld.
Am 21.07.2015 meldete sich der Kläger bei der Beklagten zum 02.09.2015 arbeitslos. Am 03.08.2015 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Zielberuf "Pförtner" (Verbis-Vermerk vom 03.08.2015), da aus Sicht der Arbeitsvermittlung keine aktuelle Berufserfahrung mehr vorlag. Am 29.09.2015 wurde der Kläger zur Feststellung seiner Leistungsfähigkeit untersucht. Die Agenturärztin der Beklagten, Frau Dr. X, kam zu dem Ergebnis, dass er vollschichtig (täglich sechs Stunden und mehr) für leichte Tätigkeiten mit wechselnder Arbeitshaltung dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Aus ärztlicher Sicht seien grundsätzlich Bürotätigkeiten am ehesten möglich, sofern die qualitativen Einschränkungen berücksichtigt würden. Dabei sei zu beachten, dass ununterbrochenes Sitzen zu verstärkten Beschwerden führe und daher die Möglichkeit zum zwischenzeitlich kurzzeitigen Stehen und Gehen gegeben sein sollte.
In einem persönlichen Gespräch mit dem zuständigen Arbeitsvermittler der Beklagten Q schloss sich der Kläger dem Gutachten an. Der Arbeitsvermittler dokumentierte im Verbis-Vermerk vom 15.10.2015, dass sich aufgrund der langen Abwesenheit des Klägers vom Arbeitsmarkt Vermittlungsaktivitäten der Beklagten auf Tätigkeiten erstreckten, die keinen Berufsabschluss erforderten. Er sei damit Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen.
Durch Bescheid vom 14.09.2015 und Bewilligungsbescheid vom 02.10.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig und durch Bescheid, Änderungsbescheid und gesonderten Bewilligungsbescheid vom 15.10.2015 abschließend Arbeitslosengeld ab dem 02.09.2015 mit einer Anspruchsdauer von 240 Tagen und einem täglichen Leistungssatz von 26,87 Euro. Die Beklagte legte dabei ausgehend von der Qualifikationsgruppe 4 des § 152 Abs. 2 SGB III ein fiktives kalendertägliches Bemessungsentgelt von 56,70 Euro zugrunde, ermittelte hieraus unter Berücksichtigung der in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse III ein tägliches Leistungsentgelt von 44,79 Euro und setzte hiervon 60 % als Leistungssatz fest.
Am 25.10.2015 legte der Kläger Widerspruch ein. Er sei gelernter Informatikkaufmann. Ferner verfüge er über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Industriemechaniker. Es sei sicherlich richtig, dass er laut Gutachten nur in der Lage sei, leichte Bürotätigkeiten auszuüben. Um eine solche Tätigkeit handele es sich bei einem Arbeitsplatz als Informatikkaufmann. Er bitte deshalb darum, seine berufliche Qualifikation in der Berechnung zu berücksichtigen.
Auf Anfrage der Widerspruchsstelle der Beklagten gab der zuständige Arbeitsvermittler Q folgende schriftliche Stellungnahme ab: "Nachdem Kd. jedoch seit 10 Jahren (vorübergehender Rentenbezug) nicht mehr in seinem vormals erlernten Beruf als Informatikkaufmann gearbeitet habe, sei eine Integration in diese Tätigkeit kaum realistisch. Daher bezögen sich Vermittlungsbemühungen der Arbeitsvermittlung auf Tätigkeiten, bei denen üblicherweise kein Ausbildungsabschluss erforderlich sei." (Verbis-Vermerk vom 09.12.2015).
Daraufhin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 09.12.2015 den Widerspruch des Klägers, soweit sich dieser einerseits auf die vorläufige Bewilligung und andererseits auf die Höhe des Bemessungsentgeltes bezog, zurück. Den letzteren begründete sie folgendermaßen: Da sich auch im Rahmen des verlängerten Bemessungsrahmens vom 02.09.2013 bis zum 01.09.2015 keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt feststellen ließen, sei der Bemessung ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das sich entsprechend der beruflichen Qualifikation des Klägers nach der Qualifikationsgruppe 4 des § 152 Abs. 2 SGB III richte. Die von dem Kläger begehrte fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes nach der Qualifikationsgruppe 3 sei nicht möglich, weil sich Vermittlungsbemühungen für den Kläger in erster Linie auf Beschäftigungen der Qualifikationsgruppe 4 zu erstrecken hätten. In seinem Falle sei es nach den Recherchen der Beklagten so, dass sich die Vermittlungsaktivitäten der Beklagten angesichts der langen Dauer, während der der Kläger keine Erwerbstätigkeit habe ausüben können, auf Tätigkeiten richteten, für die kein Berufsabschluss erforderlich sei.
Am 07.01.2016 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben, mit der er weiterhin die Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgeltes fordert, und seinen Vortrag aus dem Vorverfahren im Wesentlichen wiederholt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.10.2015, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auf der Grundlage einer fiktiven Bemessung gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Der Kläger hat bis zur Anspruchserschöpfung im April 2016 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosengeld II bezogen. Seit dem Jahr 2017 bezieht er wieder eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (befristet bis zum 30.06.2020).
Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 09.01.2018 Beweis durch Vernehmung des Arbeitsvermittlers Q als Zeugen erhoben und sodann durch Urteil die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.10.2015, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 verurteilt, dem Kläger höheres Arbeitslosengeld auf der Grundlage einer Fiktiveinstufung gem. § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, sowie die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen:
Der Kläger habe zunächst unstreitig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld dem Grunde nach erfüllt. Die Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass für den Kläger im erweiterten Bemessungsrahmen vom 02.09.2013 bis zum 01.09.2015 ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht festgestellt werden könne. Denn er habe in diesem Zeitraum Kranken- bzw. Arbeitslosengeld bezogen. Damit sei nach § 152 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt zugrunde zu legen. Dessen Höhe habe die Beklagte jedoch unzutreffend bestimmt. Entgegen ihrer Auffassung sei das Bemessungsentgelt ausgehend von der Qualifikationsgruppe 3 gemäß § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III bei der Bemessung zugrunde zu legen.
Die Beklagte habe zu Unrecht festgestellt, dass sie ihre Vermittlungsbemühungen für den Kläger in erster Linie auf Tätigkeiten als Helfer oder als Pförtner zu erstrecken habe. Habe der Arbeitslose eine bestimmte Berufsausbildung abgeschlossen, hätten sich die Vermittlungsbemühungen grundsätzlich auf Beschäftigungen entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikation zu erstrecken, weil diese Tätigkeit eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt garantiere. Dem jeweils erworbenen förmlichen Berufsabschluss komme damit entscheidende Bedeutung zu. Angesichts dessen hätten sich die Vermittlungsbemühungen für den Kläger nicht nur auf Tätigkeiten als Pförtner, sondern auch gleichwertig auf eine Vermittlung in seinem erlernten Beruf als Informatikkaufmann zu erstrecken gehabt. Er habe unstreitig über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Informatikkaufmann verfügt und in diesem Beruf auch mehrere Jahre gearbeitet. Es sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass er im September 2015 gesundheitlich in der Lage gewesen sei, diesen Beruf auszuüben. Denn bei der Tätigkeit als Informatikkaufmann handele es sich um eine Bürotätigkeit, die auch nach Einschätzung von Frau Dr. X dem Kläger am ehesten möglich gewesen sei, insbesondere da hier regelmäßig die Möglichkeit bestanden habe, die Körperhaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen bedarfsmäßig zu wechseln. Weil der Kläger für diesen Bereich über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge, habe die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen gleichwertig auch auf diesen Bereich zu erstrecken gehabt, weil diese Tätigkeit eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt eröffnet habe. Um seine Vermittlungschancen zu erhöhen, sehe das Gesetz insbesondere die Gewährung von Eingliederungszuschüssen vor. Zu Unrecht vertrete daher die Beklagte, dass analog § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III bereits nach einer Dauer von vier Jahren Nichtarbeit in dem erlernten Beruf zwingend eine völlige Entwertung und Abstufung des Arbeitslosen zum Ungelernten zu erfolgen habe. Nach dem Günstigkeitsprinzip sei hier auch nach dem Ablauf von vier Jahren die höhere Qualifikation maßgeblich für die Einstufung des Klägers.
Gegen das ihr am 07.02.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.03.2018 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
Zwar sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) und des erkennenden Senates zunächst an den förmlichen Berufsabschluss anzuknüpfen. Dies könne jedoch in den Fällen nicht gelten, in denen die Eignung für die erlernte Tätigkeit in Frage stehe. Das individuelle Leistungsprofil werde auch durch den zeitlichen Abstand zum Ausbildungsabschluss und zwischenzeitliche Erwerbstätigkeiten beeinflusst.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.01.2018 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Beklagte gehe schematisch davon aus, dass nach vier Jahren der Nichtausübung des erlernten Berufes der Schwerpunkt der Vermittlung nicht mehr auf entsprechenden Stellen liege. Der Kläger verfüge nach wie vor über Erkenntnisse, die von einem Informatikkaufmann zu fordern seien. Da er sich aufgrund seiner beruflichen Vorbildung selbstverständlich ständig mit den entsprechenden Medien beschäftigt habe, könne er nicht auf die Fähigkeiten und Tätigkeiten eines Pförtners herabgestuft werden.
Mit Schreiben vom 10.09.2018 hat der Senat dem Kläger aufgegeben, unter Vorlage von Nachweisen darzulegen, wie er sich zwischen dem 01.04.2007 und dem 01.09.2015 fortgebildet hat, um seinen Wissensstand im Ausbildungsberuf zu erhalten.
Er hat daraufhin vorgetragen, dass es sich um eine Berufsausbildung handele, die grundsätzliche Qualifikationen voraussetze, einer Fortbildung jedoch nicht bedürfe. Nach Auskunft der IHK sei das Einsatzgebiet für den spezifischen Beruf derartig breit gefächert, dass eine gezielte und spezielle Weiterbildung gar nicht möglich sei. Er sei auch jetzt noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seine erlernten Fähigkeiten als IT-Fachmann bzw. -kaufmann einzusetzen. Dies werde unter Beweis durch Sachverständigengutachten gestellt. Bereits der zuvor erlernte Beruf des Industriemechanikers, ein Berufsbild, bei dem es keiner Aus- und Fortbildung bedürfe, rechtfertige allein die Einordnung in die Qualifikationsgruppe 3. Sofern die Krankheit mittlerweile zu einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit geführt habe, sei der Kläger gehindert, die jeweiligen Qualifizierungen in einer praktischen Tätigkeit umzusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.01.2018 ist begründet. Das Sozialgericht hat der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zu Unrecht stattgegeben. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Streitgegenstand sind - entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes - die drei Bescheide der Beklagten vom 15.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015. Der Bewilligungsbescheid und der Änderungsbescheid vom 15.10.2015, die beide eine inhaltlich - mit Ausnahme der angegebenen Rechtsgrundlagen - identische abschließende Entscheidung i.S.v. § 328 Abs. 2 SGB III enthalten und die vorläufigen Bescheide vom 14.09.2015 und vom 02.10.2015 i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X ersetzt haben, bilden mit dem Bescheid vom 15.10.2015, in dem (allein) die fiktive Bemessung nach Qualifikationsgruppe 4 verfügt wird, eine Einheit. Diese sind allesamt mit dem Widerspruch vom 25.10.2015 angefochten worden.
2. Die von der Beklagten in den vorgenannten Bescheiden vorgenommene fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes ist rechtmäßig.
a) Der in der Regel ein Jahr umfassende Bemessungsrahmen endete gemäß § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses, hier durch den Krankengeldbezug gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III am 01.09.2015. Da sich zwischen dem 02.09.2014 und dem 01.09.2015 überhaupt kein Bemessungszeitraum i.S.v. § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III feststellen lässt, ist der Bemessungsrahmen in Anwendung von § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre zu erweitern. Auch zwischen dem 02.09.2013 und dem 01.09.2015 kann jedoch kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festgestellt werden. Der letzte Anspruch auf Arbeitsentgelt endete - nach den insoweit nicht aufklärungsbedürftigen Angaben in dem zum Verwaltungsvorgang der Beklagten gereichten Lebenslauf des Klägers - spätestens am 31.03.2007.
b) Das Sozialgericht hat unzutreffend die Höhe des als Bemessungsentgelt zugrunde zu legenden fiktiven Arbeitsentgelts ausgehend von der Qualifikationsgruppe 3 bestimmt und das von der Beklagten in den angefochtenen Bewilligungsbescheiden zugrunde gelegte Bemessungsentgelt gemäß 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III beanstandet.
Die Höhe des nach § 152 Abs. 2 SGB III anzusetzenden fiktiven Arbeitsentgelts ist in mehreren Schritten zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.2012 - B 11 AL 21/11 R -, juris Rn. 15; Senat, Urteil vom 09.02.2012 - L 9 AL 12/11 -, juris Rn. 48): Zunächst ist die Beschäftigung zu bestimmen, auf die die Beklagte die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Anschließend ist zu prüfen, welche Qualifikation für diese Tätigkeit erforderlich ist. Mit Qualifikation ist dabei, wie sich aus der zwingenden Vorschrift des § 152 Abs. 2 Satz 2 SGB III ("ist zugrunde zu legen") ergibt, nicht ein bestimmtes Niveau beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern ein bestimmter förmlicher Bildungsabschluss gemeint. Es ist demnach festzustellen, ob für die maßgebliche Tätigkeit ein Hochschul- oder Fachhochschulabschluss (Qualifikationsgruppe 1), ein Fachschulabschluss, ein Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder ein Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2), der Abschluss einer Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) oder kein Berufsabschluss (Qualifikationsgruppe 4) erforderlich ist. Danach ist dann die Einordnung in die in § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB III genannten Qualifikationsgruppen vorzunehmen. Schließlich ist das anzusetzende fiktive Bemessungsentgelt entsprechend der einschlägigen Qualifikationsgruppe im Sinne von § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB III als Bruchteil der Bezugsgröße zu bestimmen.
Die Beklagte hatte ihre Vermittlungsbemühungen im Fall des Klägers in erster Linie auf ungelernte Tätigkeiten zu erstrecken.
(1) Nach § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist nicht die Gesamtbreite der möglichen Beschäftigungen heranzuziehen. Vielmehr sind nur diejenigen Tätigkeiten für die fiktive Bemessung relevant, mit denen der Arbeitslose bestmöglich in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Hierbei gelten die Kriterien der §§ 35, 36 SGB III. Nach § 35 Abs. 2 SGB III hat die Beklagte bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitssuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen. Insofern muss ermittelt werden, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 7a AL 66/05 R -, juris Rn. 20, 22; Urteil vom 03.12.2009 - B 11 AL 42/08 R -, juris Rn. 15, jeweils m.w.N.). Es handelt sich dabei um eine Prognoseentscheidung, welche im gerichtlichen Verfahren voll überprüfbar ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 - L 7 AL 1160/07 -, juris Rn. 21 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG)).
Hat der Arbeitslose eine bestimmte Berufsausbildung abgeschlossen, haben sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten grundsätzlich auf Beschäftigungen entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikation zu erstrecken, weil diese Tätigkeiten eine bestmögliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt garantieren (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2009 - B 11 AL 42/08 R -, juris Rn. 15; Urteil vom 18.05.2010 - B 7 AL 49/08 R -, juris Rn. 18 m.w.N.). Dem jeweils erworbenen förmlichen Berufsabschluss kommt damit entscheidende Bedeutung zu (vgl. insoweit auch BayLSG, Urteil vom 15.06.2011 - L 10 AL 225/09 -, juris Rn. 31). Bei mehreren Berufsabschlüssen ist nach dem Günstigkeitsprinzip die höhere Qualifikation maßgeblich (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 - L 7 AL 1160/07 -, juris Rn. 21; Sächs. LSG, Urteil vom 18.02.2009 - L 1 AL 234/07 -, juris Rn. 53; vgl. auch BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 7a AL 66/05 R -, juris Rn. 22).
(2) Nach diesen Grundsätzen kommt es für die Bestimmung des fiktiven Arbeitsentgelts für den Kläger nach § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III - anders als das Sozialgericht meint - auf ungelernte Tätigkeiten an, da für diesen Bereich nach der im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung am 09.12.2015 zu stellenden Prognose realistisch - jedenfalls am ehesten, wenn überhaupt - zu erwarten war, dass die Beklagte den Kläger erfolgreich würde vermitteln können. Die Vermittlung in eine Stelle als Informatikkaufmann auf der Grundlage der bis 2004 erfolgten Ausbildung und der bis 2006 bzw. 2007 gesammelten Berufserfahrung erscheint demgegenüber zwar nicht als gänzlich ausgeschlossen, aber von deutlich geringerer Aussicht gewesen zu sein. Soweit der Kläger sich zudem noch seines vorherigen Ausbildungsabschlusses als Industriemechaniker berühmt hat, tritt diesbezüglich erschwerend hinzu, dass eine Vermittlung in entsprechende Tätigkeiten schon aus medizinischen Gründen nach dem agenturärztlichen Gutachten im Prognosezeitpunkt auszuschließen war.
Bei der Prognose war überdies zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kläger um eine Person handelte, die zwar erst ein Alter von 43 Jahren aufwies, aber aufgrund des durchgehenden Bezuges von Entgeltersatzleistungen (Erwerbsminderungsrente, Kranken- und Arbeitslosengeld) über annähernd neun Jahre nicht mehr berufstätig gewesen war und dessen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sich schon von daher nicht einfach gestalten würde. Sein Ausbildungsabschluss lag sogar elf Jahre zurück. Eine mehrjährige Unterbrechung des Erwerbslebens legt zur Überzeugung des Senates bei lebensnaher Betrachtung stets die Möglichkeit nahe, dass der "Anschluss" an aktuelle berufliche Gegebenheiten zumindest in gewissem Maße verloren gegangen ist, sodass ein nahtloser Wiedereinstieg in die bisherige Berufsbiografie, insbesondere mit einem völlig unveränderten Marktwert der angebotenen Arbeitsleistung, nicht als gesichert gelten kann (vgl. BSG, Urteil vom 29.05.2008 - B 11a AL 23/07 R -, juris Rn. 44). Dies gilt umso mehr in Anbetracht der sich gerade im IT-Sektor rasant verändernden Arbeitswelt. Die Stellenangebote setzen stets aktuelle Berufserfahrungen und Kenntnisse voraus. Ohne Teilnahme an umfangreichen Schulungsmaßnahmen zwischen 2006/2007 und 2015 erscheint dem Senat ein Vermittlungserfolg nahezu undenkbar.
Diese Annahme hat der Kläger trotz Aufforderung nicht widerlegt. Der Vortrag, er hätte sich mit den für seinen Beruf als Informatikkaufmann relevanten Medien fortlaufend beschäftigt ist nichtssagend, derjenige, dass in Folge der Ausbildung und im Übrigen auf Grund der Breite der Einsatzfelder keine Fortbildungen erforderlich seien, ist schlicht realitätsfern.
Der Kläger verkennt überdies, dass die Einschätzung des agenturärztlichen Dienstes, dass er noch leichte Bürotätigkeiten ausüben konnte, keine Feststellung zu seinen Vermittlungschancen in einem bestimmten Beruf enthält. Nur weil die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Informatikkaufmann (möglicherweise) als leichte Bürotätigkeit anzusehen ist, bedeutet das nicht, dass diese auch diejenige Tätigkeit ist, auf die die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auszurichten hat. Im Gegenteil hat Frau Dr. X bereits die aufgrund der komplexen gesundheitlichen Probleme einerseits und der langjährigen Abwesenheit vom Arbeitsmarkt andererseits bestehenden umfangreichen Vermittlungshindernisse erkannt.
Haben sich danach die Vermittlungsbemühungen der Beklagten in erster Linie auf ungelernte Tätigkeiten zu richten, kommt jedenfalls eine Einordung in die Qualifikationsgruppe 3 nicht in Betracht.
c) Ein Verstoß der hier anzuwendenden Regelungen in §§ 150 Abs. 3 und § 152 SGB III gegen höherrangiges Recht ist weder gerügt worden, noch ersichtlich. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte durch typisierende Regelungen normativ zusammenzufassen, im Tatsächlichen bestehende Besonderheiten generalisierend zu vernachlässigen sowie Begünstigungen oder Belastungen in einer gewissen Bandbreite nach oben und unten pauschalierend zu bestimmen, jedenfalls wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wiegen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Dabei darf der Gesetzgeber auch die Praktikabilität und Einfachheit des Rechts als hochrangige Ziele berücksichtigen, um den Erfordernissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 - 1 BvL 50/86 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2004 - 1 BvL 3/98 -, juris, jeweils m.w.N.). Vor diesem Hintergrund besteht auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den hier streitigen Regelungen kein Anhaltspunkt für die Annahme von Verstößen gegen Verfassungs- und Europarecht (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 29.05.2008 - B 11a AL 23/07 R -, juris Rn. 50).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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