Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 933/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3472/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. September 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung, Rehabilitationsmaßnahmen und Schadensersatz.
Der 1975 geborene Kläger, der bis 05.11.2018 eine langjährige Freiheitsstrafe, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) O. verbüßte, hat am 10.11.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm (S 1 U 3380/17) gegen die D., die B. (B.), die U. und den O. erhoben und diverse Leistungsanträge im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen in 2011 und 2013 erhoben.
Die D. hat hierauf mitgeteilt, dass diese das Versicherungskonto des Klägers nicht führe, worauf der Kläger die Rubrumsberichtigung beantragte.
Mit Beschluss vom 16.02.2018 hat das SG Ulm sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gegen die jetzt als Beklagte geführte D. an das SG Freiburg verwiesen.
Die Beklagte hat hierauf dem SG Freiburg mitgeteilt, dass ein aktueller Vorgang des Klägers nicht anhängig sei.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte die Klage als Rentenantrag zu behandeln habe (unter Verweis auf § 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I] und § 18 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]).
Nach einem entsprechenden Hinweis an die Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.09.2018 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klage als Verpflichtungsklage mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente zu gewähren, bereits unzulässig sei. Voraussetzung für eine unechte Leistungsklage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), mit der die Aufhebung eines Verwaltungsaktes und die Gewährung einer Leistung begehrt werden könne, sei die Ablehnung der begehrten Leistung durch Verwaltungsakt. Zudem sei vor Klageerhebung die Durchführung eines Vorverfahrens nach § 78 SGG erforderlich. Vorliegend sei über den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen durch die Beklagte bislang nicht entschieden worden, so dass kein ablehnender Verwaltungsakt vorliege und das Vorverfahren demzufolge ebenfalls nicht durchgeführt worden sei. Die Untätigkeitsklage, mit der der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Bescheides begehre, sei ebenfalls unzulässig. Denn die Klage sei nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig. Ein Rentenantrag sei vom Kläger bei der Beklagten nicht gestellt worden. Erstmals mit Schriftsatz vom 11.06.2018, der bei Gericht am 25.06.2018 eingegangen und mit Verfügung vom 17.07.2018 an die Beklagte übersandt worden sei, habe der Kläger ausdrücklich seine Klage als Rentenantrag bezeichnet. Erst ab diesem Zeitpunkt habe die Beklagte Kenntnis von einer ausdrücklichen Rentenantragstellung gehabt. Die Frist des § 88 Abs. 1 SGG sei somit noch nicht abgelaufen, weswegen die Untätigkeitsklage unzulässig sei.
Gegen den ihm in der JVA O. am 13.09.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit einem beim SG am 18.09.2018 eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt und die Zurückverweisung an das SG beantragt, weil es sich insoweit um eine unzulässige Überraschungsentscheidung gehandelt habe.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. September 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, Leistungen zur Teilhabe in der Form einer medizinischen Rehabilitation zu gewähren, 30.000 EUR Schadensersatz zu bezahlen, hilfsweise, seinen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und seinen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu verbescheiden sowie hilfsweise, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die Klage auf Gewährung einer Rente und einer Rehabilitation vom SG Freiburg zuletzt mit Gerichtsurteil vom 05.11.2018 abgewiesen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden.
Der Senat ist trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.12.2018 nicht gehindert gewesen, zur Sache zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 126 Rdnr. 4), da der Kläger zum Termin fristgerecht und auch im Übrigen ordnungsgemäß geladen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG) und trotz der angekündigten Verspätung nicht erschienen war.
Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig angesehen und abgewiesen. Eine zulässige Klage liegt auch im Berufungsverfahren nicht vor, weswegen die Berufung zurückzuweisen war.
Die Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 159 SGG an das SG liegen nicht vor, sodass es einer Auseinandersetzung, ob im Rahmen des eingeräumten Ermessens eine solche auszusprechen gewesen wäre, hier nicht bedarf. Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 3057) kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung (hier: der Gerichtsbescheid) auf ihm beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 159 SGG Rdnr. 3a). Einer Beweisaufnahme bedarf es aber schon nicht, wie sich aus Nachfolgendem ergibt. Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen der Nr. 1 nicht vor, weil das SG zu Recht nicht in der Sache entschieden hat.
Abgesehen von der hier nicht einschlägigen, weil nur subsidiär anwendbaren Feststellungsklage (§ 55 SGG) kann der Kläger in einem Klageverfahren einen Anspruch auf Leistungen, wie hier die geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und auf Leistungen zur Teilhabe in der Form einer medizinischen Rehabilitation, nur im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG, § 43 SGB VI) bzw. einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG, Gewährung von Rehabilitationsleistungen nach §§ 9, 13, 15 SGB VI i. V. m. §§ 42 ff. SGB IX, Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 04.08.2006 – L 7 RJ 22/04 –, Rdnr. 31, juris) geltend machen. Sowohl die Anfechtungs- und Leistungsklage als auch die Verpflichtungsklage setzen (u. a.) voraus, dass das Leistungsbegehren zunächst durch einen Verwaltungsakt der Beklagten abgelehnt worden und das Vorverfahren abgeschlossen ist (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG – vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.02.2005 – B 13 RJ 31/04 R –, SozR 4-2600 § 43 Nr. 3, Rdnr. 26). Diese Voraussetzungen sind bereits mangels Vorbefassung durch die Beklagte nicht erfüllt, weshalb die ursprünglich erhobene, auf die Gewährung von Leistungen gerichtete Klage unzulässig ist.
Nichts anderes ergibt sich, soweit der Kläger mit seinem am 25.06.2018 beim SG eingegangenen Schreiben mit dem Verweis auf "§ 88 SGG" eine Untätigkeitsklage für zulässig hält. Diese Klageänderung nach § 99 SGG, die nunmehr nicht mehr auf Leistung, sondern auf die Verpflichtung der Beklagten, einen Verwaltungsakt zu erlassen gerichtet war, und zu der sich die Beklagte auch nicht eingelassen hatte, war und ist ebenfalls unzulässig, weil vom Beklagten ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts nicht ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist (§ 88 Abs. 1 SGG). Den ein solcher Antrag ist weder vor Eingang der Klage bei der Beklagten gestellt worden, noch ist eine solche Antragstellung während des Klage- oder Berufungsverfahrens erfolgt.
Die beim SG erhobene Klage ist kein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gewesen, wobei die vom Kläger begehrten Leistungen nur auf Antrag erbracht werden. So bestimmt § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, dass das Verfahren mit dem Antrag beginnt, wenn nicht etwas anderes bestimmt ist. Mit dieser Vorschrift wird geregelt, dass der Rentenversicherungsträger grundsätzlich auf Antrag tätig werden muss. Damit konkretisiert § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI § 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X zum Beginn eines Verfahrens. Der Antrag ist eine empfangsbedürftige öffentliche-rechtliche Willenserklärung, die grundsätzlich nicht an eine Form gebunden ist. Eine Willenserklärung gerichtet an die Beklagte als zuständigem Sozialleistungsträger oder an einen anderen Leistungsträger, über einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung bzw. LTA zu entscheiden, kann indes auch durch Auslegung nicht festgestellt werden. Denn die Einlassungen des Klägers beschränkten sich im Zeitpunkt der Klageerhebung auf das Begehren, (u. a.) die Beklagte zu verurteilen, Rente zu bezahlen und Reha-Maßnahmen zu bewilligen. Dem Kläger, der allein 2018 143 Verfahren in der Rechtsmittelinstanz aus nahezu allen Bereichen der Sozialversicherung anhängig gemacht hat und dessen Verfahrensregister sich auf weit über 2000 Verfahren insgesamt beläuft, ist ausreichend bekannt, dass vor Erhebung der Anfechtungs- und Leistungsklage ein Vorverfahren durchzuführen ist. Insofern liegt es fern, das Begehren des Klägers im Zeitpunkt der Klageerhebung als Antrag auf eine verwaltungsseitige Prüfung auszulegen. Der Verweis auf eine – zulässige – "Untätigkeitsklage" nach der Mitteilung der Beklagten, ein aktueller Vorgang sei gar nicht anhängig, vermag daran nichts zu ändern. Denn ein an den Sozialversicherungsträger gerichteter Antrag auf Entscheidung über die Gewährung von Erwerbsminderungsrente oder Teilhabeleistungen wird nicht durch die Umstellung auf oder die Erhebung eine(r) Untätigkeitsklage gestellt, sondern setzt einen solchen voraus. Dementsprechend obliegt es auch nicht dem Kläger im Nachhinein der Klageerhebung die Wirkung einer Antragstellung zuzumessen. Anträge auf Sozialleistungen sind gemäß § 16 Abs. 1 SGB I im Übrigen beim zuständigen Leistungsträger (und nicht bei Gericht) zu stellen. Leistungsträger sind nach der Legaldefinition des § 12 Satz 1 SGB I die in den §§ 18 bis 29 genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden und damit nicht (auch) die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit oder anderer Gerichtszweige. Soweit § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I bestimmt, dass Anträge auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen werden, hilft dies – mangels entsprechender Antragstellung (s. o.) und mangels einer Verpflichtung zur Weiterleitung durch das Gericht (§ 16 Abs. 2 SGB I) – nicht weiter.
Soweit der Kläger Schadenersatz begehrt, hat er nicht ansatzweise dargelegt, woraus sich ein solcher Anspruch ergibt und woraus sich ein Verschulden der Beklagten ergeben soll. Soweit wegen des angesprochenen Verdienstausfalls als Anspruchsgrundlage ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes (GG) in Betracht kommt sind die Sozialgerichte für die Frage, ob für die Schadensersatzforderung die Voraussetzungen nach dem Amtshaftungsanspruch gegeben sind, sachlich nicht zuständig. Denn aus Artikel 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ergibt sich die alleinige Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Amtshaftungsansprüche.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung, Rehabilitationsmaßnahmen und Schadensersatz.
Der 1975 geborene Kläger, der bis 05.11.2018 eine langjährige Freiheitsstrafe, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) O. verbüßte, hat am 10.11.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm (S 1 U 3380/17) gegen die D., die B. (B.), die U. und den O. erhoben und diverse Leistungsanträge im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen in 2011 und 2013 erhoben.
Die D. hat hierauf mitgeteilt, dass diese das Versicherungskonto des Klägers nicht führe, worauf der Kläger die Rubrumsberichtigung beantragte.
Mit Beschluss vom 16.02.2018 hat das SG Ulm sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gegen die jetzt als Beklagte geführte D. an das SG Freiburg verwiesen.
Die Beklagte hat hierauf dem SG Freiburg mitgeteilt, dass ein aktueller Vorgang des Klägers nicht anhängig sei.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte die Klage als Rentenantrag zu behandeln habe (unter Verweis auf § 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I] und § 18 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]).
Nach einem entsprechenden Hinweis an die Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.09.2018 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klage als Verpflichtungsklage mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente zu gewähren, bereits unzulässig sei. Voraussetzung für eine unechte Leistungsklage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), mit der die Aufhebung eines Verwaltungsaktes und die Gewährung einer Leistung begehrt werden könne, sei die Ablehnung der begehrten Leistung durch Verwaltungsakt. Zudem sei vor Klageerhebung die Durchführung eines Vorverfahrens nach § 78 SGG erforderlich. Vorliegend sei über den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen durch die Beklagte bislang nicht entschieden worden, so dass kein ablehnender Verwaltungsakt vorliege und das Vorverfahren demzufolge ebenfalls nicht durchgeführt worden sei. Die Untätigkeitsklage, mit der der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Bescheides begehre, sei ebenfalls unzulässig. Denn die Klage sei nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig. Ein Rentenantrag sei vom Kläger bei der Beklagten nicht gestellt worden. Erstmals mit Schriftsatz vom 11.06.2018, der bei Gericht am 25.06.2018 eingegangen und mit Verfügung vom 17.07.2018 an die Beklagte übersandt worden sei, habe der Kläger ausdrücklich seine Klage als Rentenantrag bezeichnet. Erst ab diesem Zeitpunkt habe die Beklagte Kenntnis von einer ausdrücklichen Rentenantragstellung gehabt. Die Frist des § 88 Abs. 1 SGG sei somit noch nicht abgelaufen, weswegen die Untätigkeitsklage unzulässig sei.
Gegen den ihm in der JVA O. am 13.09.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit einem beim SG am 18.09.2018 eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt und die Zurückverweisung an das SG beantragt, weil es sich insoweit um eine unzulässige Überraschungsentscheidung gehandelt habe.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. September 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, Leistungen zur Teilhabe in der Form einer medizinischen Rehabilitation zu gewähren, 30.000 EUR Schadensersatz zu bezahlen, hilfsweise, seinen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und seinen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu verbescheiden sowie hilfsweise, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die Klage auf Gewährung einer Rente und einer Rehabilitation vom SG Freiburg zuletzt mit Gerichtsurteil vom 05.11.2018 abgewiesen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden.
Der Senat ist trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.12.2018 nicht gehindert gewesen, zur Sache zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 126 Rdnr. 4), da der Kläger zum Termin fristgerecht und auch im Übrigen ordnungsgemäß geladen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG) und trotz der angekündigten Verspätung nicht erschienen war.
Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig angesehen und abgewiesen. Eine zulässige Klage liegt auch im Berufungsverfahren nicht vor, weswegen die Berufung zurückzuweisen war.
Die Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 159 SGG an das SG liegen nicht vor, sodass es einer Auseinandersetzung, ob im Rahmen des eingeräumten Ermessens eine solche auszusprechen gewesen wäre, hier nicht bedarf. Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 3057) kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung (hier: der Gerichtsbescheid) auf ihm beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 159 SGG Rdnr. 3a). Einer Beweisaufnahme bedarf es aber schon nicht, wie sich aus Nachfolgendem ergibt. Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen der Nr. 1 nicht vor, weil das SG zu Recht nicht in der Sache entschieden hat.
Abgesehen von der hier nicht einschlägigen, weil nur subsidiär anwendbaren Feststellungsklage (§ 55 SGG) kann der Kläger in einem Klageverfahren einen Anspruch auf Leistungen, wie hier die geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und auf Leistungen zur Teilhabe in der Form einer medizinischen Rehabilitation, nur im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG, § 43 SGB VI) bzw. einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG, Gewährung von Rehabilitationsleistungen nach §§ 9, 13, 15 SGB VI i. V. m. §§ 42 ff. SGB IX, Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 04.08.2006 – L 7 RJ 22/04 –, Rdnr. 31, juris) geltend machen. Sowohl die Anfechtungs- und Leistungsklage als auch die Verpflichtungsklage setzen (u. a.) voraus, dass das Leistungsbegehren zunächst durch einen Verwaltungsakt der Beklagten abgelehnt worden und das Vorverfahren abgeschlossen ist (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG – vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.02.2005 – B 13 RJ 31/04 R –, SozR 4-2600 § 43 Nr. 3, Rdnr. 26). Diese Voraussetzungen sind bereits mangels Vorbefassung durch die Beklagte nicht erfüllt, weshalb die ursprünglich erhobene, auf die Gewährung von Leistungen gerichtete Klage unzulässig ist.
Nichts anderes ergibt sich, soweit der Kläger mit seinem am 25.06.2018 beim SG eingegangenen Schreiben mit dem Verweis auf "§ 88 SGG" eine Untätigkeitsklage für zulässig hält. Diese Klageänderung nach § 99 SGG, die nunmehr nicht mehr auf Leistung, sondern auf die Verpflichtung der Beklagten, einen Verwaltungsakt zu erlassen gerichtet war, und zu der sich die Beklagte auch nicht eingelassen hatte, war und ist ebenfalls unzulässig, weil vom Beklagten ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts nicht ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist (§ 88 Abs. 1 SGG). Den ein solcher Antrag ist weder vor Eingang der Klage bei der Beklagten gestellt worden, noch ist eine solche Antragstellung während des Klage- oder Berufungsverfahrens erfolgt.
Die beim SG erhobene Klage ist kein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gewesen, wobei die vom Kläger begehrten Leistungen nur auf Antrag erbracht werden. So bestimmt § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, dass das Verfahren mit dem Antrag beginnt, wenn nicht etwas anderes bestimmt ist. Mit dieser Vorschrift wird geregelt, dass der Rentenversicherungsträger grundsätzlich auf Antrag tätig werden muss. Damit konkretisiert § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI § 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X zum Beginn eines Verfahrens. Der Antrag ist eine empfangsbedürftige öffentliche-rechtliche Willenserklärung, die grundsätzlich nicht an eine Form gebunden ist. Eine Willenserklärung gerichtet an die Beklagte als zuständigem Sozialleistungsträger oder an einen anderen Leistungsträger, über einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung bzw. LTA zu entscheiden, kann indes auch durch Auslegung nicht festgestellt werden. Denn die Einlassungen des Klägers beschränkten sich im Zeitpunkt der Klageerhebung auf das Begehren, (u. a.) die Beklagte zu verurteilen, Rente zu bezahlen und Reha-Maßnahmen zu bewilligen. Dem Kläger, der allein 2018 143 Verfahren in der Rechtsmittelinstanz aus nahezu allen Bereichen der Sozialversicherung anhängig gemacht hat und dessen Verfahrensregister sich auf weit über 2000 Verfahren insgesamt beläuft, ist ausreichend bekannt, dass vor Erhebung der Anfechtungs- und Leistungsklage ein Vorverfahren durchzuführen ist. Insofern liegt es fern, das Begehren des Klägers im Zeitpunkt der Klageerhebung als Antrag auf eine verwaltungsseitige Prüfung auszulegen. Der Verweis auf eine – zulässige – "Untätigkeitsklage" nach der Mitteilung der Beklagten, ein aktueller Vorgang sei gar nicht anhängig, vermag daran nichts zu ändern. Denn ein an den Sozialversicherungsträger gerichteter Antrag auf Entscheidung über die Gewährung von Erwerbsminderungsrente oder Teilhabeleistungen wird nicht durch die Umstellung auf oder die Erhebung eine(r) Untätigkeitsklage gestellt, sondern setzt einen solchen voraus. Dementsprechend obliegt es auch nicht dem Kläger im Nachhinein der Klageerhebung die Wirkung einer Antragstellung zuzumessen. Anträge auf Sozialleistungen sind gemäß § 16 Abs. 1 SGB I im Übrigen beim zuständigen Leistungsträger (und nicht bei Gericht) zu stellen. Leistungsträger sind nach der Legaldefinition des § 12 Satz 1 SGB I die in den §§ 18 bis 29 genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden und damit nicht (auch) die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit oder anderer Gerichtszweige. Soweit § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I bestimmt, dass Anträge auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen werden, hilft dies – mangels entsprechender Antragstellung (s. o.) und mangels einer Verpflichtung zur Weiterleitung durch das Gericht (§ 16 Abs. 2 SGB I) – nicht weiter.
Soweit der Kläger Schadenersatz begehrt, hat er nicht ansatzweise dargelegt, woraus sich ein solcher Anspruch ergibt und woraus sich ein Verschulden der Beklagten ergeben soll. Soweit wegen des angesprochenen Verdienstausfalls als Anspruchsgrundlage ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes (GG) in Betracht kommt sind die Sozialgerichte für die Frage, ob für die Schadensersatzforderung die Voraussetzungen nach dem Amtshaftungsanspruch gegeben sind, sachlich nicht zuständig. Denn aus Artikel 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ergibt sich die alleinige Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Amtshaftungsansprüche.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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